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ID0310212000

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    Vokabeln: 3
    1. Medico,: 1
    2. nicht: 1
    3. medicis!\n: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 102. Sitzung Bonn, den 17. Februar 1960 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Wittmann und Dr. Böhm . . . . 5485 A Fragestunde (Drucksache 1609) Frage des Abg. Schneider (Bremerhaven) : Filme antideutscher Tendenz im amerikanischen und kanadischen Fernsehen Dr. van Scherpenberg, Staatssekretär 5485 C Frage des Abg. Schmitt (Vockenhausen): Verhalten des Konsuls Karl Julius Hoffmann in New York Dr. van Scherpenberg, Staatssekretär 5485 D, 5486 A Schmitt (Vockenhausen) (SPD) . . . 5486 A Frage der Abg. Frau Dr. Hubert: Vorlage des Europäischen Übereinkommens zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten an den Bundestag Dr. van Scherpenberg, Staatssekretär 5486 B Frau Dr. Hubert (SPD) 5486 D. Frage des Abg. Dr. Bucher: Besetzung der deutschen Botschaft in Paris Dr. van Scherpenberg, Staatssekretär 5487 A Frage des Abg. Lohmar: Äußerung des Abg. Gradl in der außenpolitischen Debatte des Bundestages am 10. Februar Dr. van Scherpenberg, Staatssekretär 5487 A Lohmar (SPD) . . . . . . . . . 5487 B Frage des Abg. Dr. Werber: Nichtseßhaftenfürsorge Dr. Schröder, Bundesminister 5487 C, 5488 A Dr. Werber (CDU/CSU) . . . . . 5487 D Frage des Abg. Lohmar: Verhalten des Publizisten Schlamm Dr. Schröder, Bundesminister . . 5488 A, B Lohmar (SPD) . . . . . . . . 5488 A, B Frage des Abg. Dr. Arndt: Förderung Münchens als bayerische Landeshauptstadt durch dein Bund Lücke, Bundesminister 5488 C Frage des Abg. Baier (Mosbach): Erstellung von Kinderspielplätzen Lücke, Bundesminister . . 5488 D, 5489 B Baier (Mosbach) (CDU/CSU) . . . 5489 B II Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1960 Frage des Abg. Schmitt (Vockenhausen) : Steuerfreiheit bei Abwicklung von Geschäften über Gesellschaften mit dem Sitz in Vaduz Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . 5489 C Schmitt (Vockenhausen) (SPD) . . . 5489 C Frage des Abg. Dr. Ratzel: Förderung des Ausbaus eines Ferngasnetzes durch die Bundesregierung Dr. Westrick, Staatssekretär . . . 5489 D Frage des Abg. Ludwig: Kündigung von 350 deutschen Arbeitern des französischen Militärbetriebs BRM zum Jahresende 1959 Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . 5490 B Frage des Abg. Bauer (Würzburg) : Vorlage des Bundeswaffengesetzes für den zivilen Bereich durch die Bundesregierung Dr. Westrick, Staatssekretät 5490 D, 5491 A Bauer (Würzburg) (SPD) . . . . . 5491 A Frage des Abg. Dr. Bechert: Aufklärung der Käufer von Freibankfleisch Schwarz, Bundesminister . 5491 B, 5492 A Dr. Bechert (SPD) . . . 5491 C, 5492 A Frage des Abg. Seidel (Fürth): Weiterführung von Karteikarten aus der Zeit vor 1945 bei der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Blank, Bundesminister . . . . . 5492 B Seidel (Fürth) (SPD) 5492 C Frage des Abg. Jahn (Marburg) : Veröffentlichung von Urteilen im Bundesversorgungsblatt Blank, Bundesminister . 5492 D, 5493 A Jahn (Marburg) (SPD) 5493 A Frage des Abg. Brück: Beeinträchtigung des Königsforstes durch die geplante Bundesstraße 55 Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5493 B Frage des Abg. Brück: Linienführung der Umgehungsstraße von Bensberg zur B 55 Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5493 C Frage des Abg. Schmitt (VOckenhausen): Einführung von Parkscheiben Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5493 D Frage des Abg. Baier (Mosbach) : Unfälle auf der Autobahn Frankfurt— Mannheim und Mannheim—Heidelberg Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5494 B Frage des Abg. Hübner: Einrichtung einer 1. Klasse im Flugverkehr zwischen Berlin und dem Bundesgebiet Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5495 C Frage des Abg. Schmidt (Hamburg) : Besetzung der Radargeräte im Bereich der Bundesanstalt für Flugsicherung Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5495 D, 5496 B Schmidt (Hamburg) (SPD) . . . . 5496 A Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Neuregelung der sozialen Krankenversicherung (Drucksache 1298); verbunden mit Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung (Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz — KVNG) (Drucksache 1540) — Erste Beratung — Rohde (SPD) 5497 A Blank, Bundesminister . 5498 D, 5527 A Stingl (CDU/CSU) 5508 B Dr. Schellenberg (SPD) 5517 B Dr. Stammberger (FDP) 5527 D Frau Kalinke (DP) 5532 C Dr. Franz (CDU/CSU) 5545 A Frau Dr. Hubert (SPD) 5547 C Schneider (Hamburg) (CDU/CSU) 5550 B Dr. Bärsch (SPD) . . . . . . . 5554 C Mischnick (FDP) . . . . . . . 5558 D Geiger (Aalen) (SPD) 5560 C Frau Korspeter (SPD) 5566 B Frau Döhring (Stuttgart) (SPD) . . 5568 A Ruf (CDU/CSU) . . . . . . . 5569 B Börner (SPD) 5571 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . 5572 D Anlage 5573 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1960 5485 102. Sitzung Bonn, den 17. Februar 1960 Stenographischer Bericht Beginn: 9.03 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albertz 29. 2. Bauereisen 19. 2. Behrisch 18. 2. Benda 19. 2. Dr. Birrenbach 19. 2. Brand 19. 2. Brüns 2. 7. Deringer 19. 2. Eberhard 27. 2. Dr. Eckhardt 28. 2. Eilers (Oldenburg) 19. 2. Even (Köln) 29. 2. Frau Friese-Korn 27. 2. Geiger (München) 19. 2. D. Dr. Gerstenmaier 17. 2. Glüsing (Dithmarschen) 19. 2. Dr. Greve 17. 2. Dr. Gülich 16. 4. Haage 19. 2. Dr. von Haniel-Niethammer 19. 2. Hellenbrock 19. 2. Dr. Höck (Salzgitter) 20. 2. Horn 19. 2. Hübner 19. 2. Abgeordnete() beurlaubt bis einschließlich Illerhaus 17. 2. Jacobs 7. 3. Jahn (Frankfurt) 23. 4. Dr. Jordan 19. 2. Kalbitzer 19. 2. Frau Klemmert 15. 5. Koch 19. 2. Leukert 19. 2. Dr. Lindenberg 19. 2. Lulay 29. 2. Maier (Freiburg) 16. 4. Metzger 18. 2. Mühlenberg 19. 2. Müser 20. 2. Probst (Freiburg) 17. 2. Ramms 19. 2. Scheel 17. 2. Schlick 20. 2. Schultz 17. 2. Dr. Starke 19. 2. Dr. Steinmetz 19. 2. Wehr 23. 4. Frau Welter (Aachen) 27. 2. Werner 24. 2. Dr. Willeke 1. 3. b) Urlaubsanträge Frau Berger-Heise 27. 2. Dr. Leverkuehn 25. 2. Spitzmüller 8. 3.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Stammberger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ich bin fest davon überzeugt, Herr Professor, und wenn Sie sich einen guten Anwalt nehmen, wird es auch nicht so schlimm werden.

    (Anhaltende Heiterkeit.)

    Meine Damen und Herren, dann bleibt als die dritte Möglichkeit eben nur der Grundgedanke des

    Dr. Stammberger
    Regierungsentwurfs, die Selbstbeteiligung in irgendeiner Form. Wir sehen in dieser Selbstbeteiligung aber nicht nur ein finanzielles Problem, wir bejahen sie im Grundsatz, nicht nur aus finanziellen Erwägungen. Wir sehen trotz der Ausführungen des Herrn Professor Schellenberg hier auch nur ein Problem der Selbstverantwortung.
    Herr Professor Schellenberg hat sich vorhin eine Argumentation zu eigen gemacht, nach der die Selbstbeteiligung, wie immer sie auch aussehen mag, praktisch zu einer Erschwerung der Früherkennung führt, weil sie den Gang zum Arzt verbaut, und daß sie dadurch zu einer Gefahr für die Volksgesundheit werden könnte. Herr Kollege Schellenberg, wer so argumentiert, der soll nicht mehr von Selbstveranwortung, von Selbstbestimmung und von freier Entscheidung des Staatsbürgers sprechen. Wir sind nicht der Auffassung, daß unser Volk durch das Wirtschaftswunder bereits so materialisiert ist, daß man für alle möglichen Dinge Geld zur Verfügung hat, daß aber nicht einmal Pfennigbeträge für die Gesunderhaltung zur Verfügung stehen, obwohl doch gerade die Gesundheit immer mit so viel Pathos als höchstes Gut propagiert wird.

    (Beifall bei der FDP und in der Mitte.)

    Mag die soziale Krankenversicherung nun in Einzelfällen ausgenützt werden oder nicht, über eines wollen wir uns doch einmal klar sein: Es kann kein Zweifel daran sein, daß bei dem jetzigen System der sozialen Krankenversicherung jeder Wertmaßstab verlorengegangen ist und bei diesem System auch verlorengehen mußte. Wer weiß denn von den Sozialversicherten heute noch, was Kranksein kostet oder besser: was die Gesundheit wert ist? Wer weiß denn noch, was im Einzelfall die Kasse, d. h. doch die Gemeinschaft, der er selber angehört, zahlen muß? Und woher soll er es auch wissen, wenn es ihm niemand sagt? Wer von den Sozialversicherten, selbst wenn sie noch so oft krank gewesen sind, hat denn in seinem Leben eine Arztrechnung überhaupt nur zu Gesicht bekommen? Ihm ist nur bekannt, daß soundso viel einbehalten wird — ein häufig steigender Beitrag —, mancher weiß noch nicht einmal, daß die einbehaltenen Beiträge auch aus anderen Gründen einbehalten werden, nicht nur für die Krankenversicherung. Er weiß häufig nicht einmal, daß auch ein Arbeitgeberanteil zu zahlen ist. Meine Damen und Herren, wir sollten bei einem „Stilwandel" oder, konkreter gesagt, in einem Systemwandel auch einmal auf die Nebenwirkung achten, daß der Patient endlich einmal das Gefühl bekommt, was die Kasse, über die er häufig nur schimpft, letzten Endes auch für ihn wert ist. Wir bekennen uns daher im Grundsatz zur Selbstbeteiligung als einer Funktion der Selbstverantwortung.
    Der selbstverständlichen, auch für uns selbstverständlichen Verpflichtung der Gemeinschaft, den Kranken zu helfen, steht die ebenso selbstverständliche Verpflichtung des einzelnen gegenüber, zunächst einmal nach seiner Leistungsfähigkeit alles zu tun, um sich selbst gesund zu erhalten. Es ist ein Problem, das eigentlich überall in einer freiheitlichdemokratischen Gesellschaftsordnung zur Lösung einsteht, wieviel Freiheit einerseits nötig und wieviel Solidarität andererseits erforderlich ist.
    Diese Übereinstimmung mit den Grundgedanken der Bundesregierung bedeutet aber nun keinesfalls auch eine Zustimmung zu dem System, das sie in ihrem Entwurf zur Lösung des Problems gewählt hat. Wir halten dieses System für viel zu kompliziert und wir halten es auch für sozial ungerecht. Wir haben auch nur drei Stellen gefunden, die dieses System vollinhaltlich bejahen: das ist die Bundesregierung, das ist Frau Dr. Heddy Neumeister von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, und das ist der „Spiegel". Meine Damen und Herren, wenn die Bundesregierung und der „Spiegel" schon einmal einer Meinung sind

    (Zurufe von der SPD: Die Zahnärzte! Die Arbeitgeber!)

    — auch die Arbeitgerverbände, ich will gern konzedieren , dann sollten wir, so glaube ich, mit besonderer Vorsicht an die Prüfung der Materie herangehen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und in der Mitte.)

    Besonders böse über den Entwurf sind die Ärzte. Das ist heute bereits mehrfach gesagt worden. Herr Kollege Krone hat sich zu einer Wortschöpfung verleiten lassen, indem er von „staatsabträglich" gesprochen hat. Aber ich glaube, die Ärzte haben sich lediglich ein großes Wort unseres weisen Kanzlers zu eigen gemacht; der Herr Bundeskanzler hat ja in letzter Zeit verschiedentlich gesagt, man solle bei der Durchsetzung seiner Forderungen nur „nicht so pingelig sein".

    (Heiterkeit.)

    Er hat das zwar nicht zu den Ärzten, sondern zur CDU/CSU-Fraktion gesagt und auch auf sich selbst bezogen. Aber, meine Damen und Herren, so ist das nun einmal: Quod licet Iovi, et licet medicis. Böse Beispiele verderben eben gute Sitten.

    (Heiterkeit.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Medico, nicht medicis!

(Zurufe: Es ist doch Plural!)


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    Rede von Dr. Wolfgang Stammberger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    . . . et licet medicis! Sind wir jetzt einig, Herr Präsident, zumindest in diesem Punkt?
    Nun wird den Ärzten mit Recht entgegengehalten, daß sie einen freien Beruf ausübten, daß sie dann auch das Risiko der Geldeinnahme tragen müßten und daß dies alles, wenn sie freie Berufe sein und bleiben wollten, ihrem standespolitischen Ethos durchaus nichts entgegenstehe. Das ist alles richtig, meine Damen und Herren, aber die Dinge müssen so geregelt werden, daß sie Sinn haben. Den haben diese Regelungen im Regierungsentwurf nun einmal leider nicht. Ich sage bewußt: leider, weil wir ja in den Grundsätzen, Herr Minister, übereinstimmen.
    Im Regierungsentwurf wird davon gesprochen, daß durch dieses Gesetz ein verwaltungsmäßiger Mehraufwand von 20 Millionen DM entstehen soll.



    Dr. Stammberger
    Wenn diese Zahl stimmt, kann sie bestenfalls die verwaltungsmäßigen Mehrausgaben der Kasse betreffen. Keinesfalls aber ist darin der erhebliche Verwaltungsaufwand berücksichtigt, der in jeder einzelnen kassenärztlichen Praxis entsteht. Man braucht wirklich kein Kassenarzt zu sein — ich bin ja keiner —, um festzustellen, daß es so ganz einfach nicht geht.
    Ich darf Sie darauf hinweisen, daß wegen der Sechs-Wochen-Frist und der Sechs-Monate-Frist ein Fristenkalender geführt werden muß, damit der Arzt weiß, wann er jeweils umstellen muß, wann er eine Rechnung zu erstellen hat. Meine Damen und Herren, solche Fristenkalender brauchen in einer Anwaltskanzlei nicht in diesem Umfang geführt zu werden, obwohl wir Anwälte ja mit allerhand Fristen zu tun haben.
    Ich darf darauf hinweisen — und hier scheint es sich um den mangelhaftesten Punkt in dem Regierungsentwurf zu handeln —, daß die Forderung des Arztes in Zukunft zweigeteilt ist. Er bzw. die für ihn handelnde kassenärztliche Vereinigung hat es mit zwei Schuldnern zu tun, nämlich mit dem Patienten bis zur Höhe der Inanspruchnahmegebühr und zum zweiten mit der Kasse für den darüber hinausgehenden Betrag. Das verdoppelt naturgemäß den Verwaltungsaufwand. Dazu kommt, daß der eine Schuldner, die Kasse, die Möglichkeit haben soll, die Schuld des anderen Schuldners, nämlich des Patienten, zu übernehmen. Bis dies ausgefochten ist - unter Umständen sogar durch Anrufung des Sozialgerichts —, sitzt der Arzt da und wartet darauf, daß er sein Geld bekommt. Diese Generalklausel in § 186 Abs. 4, diese Notstandsklausel, wie ich sie einmal nennen darf, dürfte im übrigen im Zuge der nächsten Wahlkämpfe durch ein wohlgeordnetes System von gesetzlich fixierten Ausnahmeregelungen ohnehin so durchlöchert werden, daß von der Inanspruchnahmegebühr nichts mehr übrigbleibt und sie ad absurdum geführt wird. Das Ganze wird auch nicht dadurch einfacher, daß der Herr Bundesarbeitsminister jetzt von einer Beteiligungsbegrenzung nach oben aus sozialen Gründen spricht; es vermehrt nur das Rechnenmüssen in der ärztlichen Praxis.
    Eines der Ziele des Entwurfs soll es sein, die ärztliche Praxis von wirklichen oder angeblichen Bagatellfällen zu entlasten, damit der Arzt mehr Zeit hat, sich um die wirklich Kranken zu kümmern. Aber ich fürchte, Herr Minister, daß durch das Verwaltungssystem, das sich zwangsläufig aus Ihrem Entwurf ergibt, der größte Teil der eingesparten Zeit aufgezehrt wird.
    Die Bundesregierung sagt, daß gerade durch dieses System die Beziehung des Patienten zum Wert der ärztlichen Leistung wiederhergestellt werden soll. Herr Minister, wir sind der gegenteiligen Auffassung. Wir haben das Gefühl, daß Sie durch Ihre Inanspruchnahmegebühr die ärztliche Praxis aus der Sicht des Patienten zu einer Art Einheitspreisgeschäft machen; denn aus der Sicht des Patienten kostet alles 1,50 DM, ob es eine einfache Beratung ist, ob der Arzt des Nachts geholt wird, ob der Arzt sagt: „Husten Sie mal" oder ob es sich um eine
    komplizierte Operation handelt; alles kostet eine Mark fünfzig!

    (Heiterkeit.)

    Nun zu der neuen Gebührenordnung, die ich zum Unterschied von der bisherigen Preugo einmal die Blago, die Blanksche Gebührenordnung taufen möchte.

    (Heiterkeit.)

    Diese Blago steht ebenfalls nicht unter dem Gesichtspunkt der Wiederherstellung der Beziehung des Patienten zum Wert der ärztlichen Leistung. Sie sagen ja in Ihrem Entwurf selber, daß sich die Zahl der Leistungsansätze nicht nach der ärztlichen Leistung, sondern nach der Zumutbarkeit der Inanspruchnahmegebühr für den Patienten richte. Hier sind nun die Ärzte mit Recht mißtrauisch geworden; denn, was zumutbar ist, richtet sich natürlich nach dem „langsamsten Schiff im Geleitzug", mit anderen Worten nach dem, der etwa 250 oder 300 DM verdient. Es gibt aber auch Patienten, die 1000 DM und mehr im Monat verdienen. Für diese gilt der gleiche Maßstab. Darin liegt, Herr Minister, nach unserer Meinung, die Unlogik oder zumindest die Ungerechtigkeit Ihres Systems. Was für denjenigen, der 250 oder 300 DM verdient, hart ist, ist für denjenigen, der 1250 DM oder noch mehr verdient, eine Bagatelle.
    In der Begründung des Regierungsentwurfs wird davon gesprochen, daß es nicht zu einem Wechsel des Systems oder zu einer unterschiedlichen Behandlung von Gruppen von Versicherten kommen dürfe, weil nach dem Gesetz alle gleich behandelt werden müßten. Herr Minister, man kann nur gleichgelagerte Fälle gleich behandeln. Man wird aber beim besten Willen nicht behaupten können, daß es sich bei der augenblicklichen Ausdehnung des Versichertenkreises in der sozialen Krankenversicherung nur um gleichgelagerte Fälle handele. Ursprünglich ist die soziale Krankenversicherung das gewesen, was sie nach unserer Überzeugung auch in Zukunft sein muß, nämlich die Hilfe für die sozial Bedürftigsten. Heute sind 80 % und mehr des gesamten deutschen Volkes in der sozialen Krankenversicherung und werden von ihr betreut.

    (Zuruf von der SPD: Gott sei Dank!)

    Ich glaube, die Bundesregierung wird die letzte sein, die etwa behaupten dürfte, 80 % unseres Volkes seien sozial bedürftig und müßten in sozialer Hinsicht unterstützt werden. Wir sind daher der Auffassung, daß man zumindest bei den freiwillig Weiterversicherten von dem jetzigen Sachleistungsprinzip abgehen und zum Kostenerstattungssystem übergehen sollte. Nach unserer Ansicht bringt lediglich das Kostenerstattungssystem klare Verhältnisse. Es ist als einziges wirklich geeignet, die Beziehung zwischen Arzt und Patienten wiederherzustellen. Es gibt dem Patienten einen Überblick über die finanziellen Auswirkungen seiner Krankheit, sowohl für ihn selbst wie für die Versichertengemeinschaft. Vor allem aber bringt es Möglichkeiten einer sinnvolleren und gerechteren Kostenbeteiligung als das System des Regierungsentwurfs.



    Dr. Stammberger
    Ich darf vielleicht in diesem Zusammenhang etwas zitieren, was mein Freund Dr. Richard Hammer, der mein Vorgänger als Vorsitzender des Gesundheitspolitischen Ausschusses des Deutschen Bundestages war, in der zweiten Legislaturperiode für unsere Fraktion zu diesem Problem erklärt hat. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten, um die ich hiermit bitte, zitieren. Er hat gesagt:
    Wenn man etwa die Idee entwickeln würde, die Naturalleistung, die in der Krankenbehandlung gewährt wird, in der Fürsorge zu gewähren, und wenn man den Fürsorge-Unterstützten einen Korb mit Brot oder mit Fleisch in der Woche aushändigen wollte, dann möchte ich das Gelächter hören, das bei allen fortschrittlichen Sozialpolitikern sofort ausbräche. Naturalleistungen gehören in einen Katalog von Vorstellungen, die heißen: Deputat und Dienstbarkeit und Obrigkeit. Sie passen letzten Endes nicht in einen Staat, von dem wir und alle Parteien dieses Hauses erwarten, daß er von selbstbewußten und freien demokratischen Leuten bewohnt wird.

    (im Regierungsentwurf. Sie finden sie wahlweise — nach Wahl des Versicherten — sowohl bei der Krankenhausbehandlung wie bei der zahnärztlichen Prothetik. So fremd und so neu wäre ,der Gedanke nun wirklich nicht. Darüber hinaus sind wir der Meinung, daß die bisherigen Grenzen erhalten bleiben sollten, vor allem die Grenze zwischen der Pflichtversicherung und ,der freiwilligen Weiterversicherung. Weiterhin sind wir der Meinung, daß die freiwillige Weiterversicherung bei einem Jahreseinkommen von 15 000 DM grundsätzlich aufhören sollte. Die Vorschläge der Regierung enthalten praktisch keine einzige Ausnahme; denn es dürfte wohl nur wenige Menschen geben, die nach zehnjähriger beruflicher Tätigkeit bereits über ein Jahreseinkommen von 15 000 DM verfügen. Es könnte sich bestenfalls um den einen oder anderen Juniorchef handeln. Wenn die private Krankenversicherung zu ihren Schachener Beschlüssen steht, die ja inzwischen vom Bundesaufsichtsamt genehmigt worden sind, wenn danach also jeder früher Sozialversicherte in die privaten Krankenkassen ohne Ausschlußklausel und ohne Risikozuschlag übernommen werden kann, dann sind wir der Meinung, daß wir mit der freiwilligen Weiterversicherung bei einem bestimmten Betrag Schluß machen sollten; wir meinen, daß Menschen, die im Jahre mehr als 15 000 DM verdienen, nicht in die soziale Krankenversicherung gehören, gleichgültig, wie sie gestaltet ist. Ich möchte noch einiges zu den ärztlichen Gebühren sagen, und zwar zum Wert der Leistungsansätze. Herr Minister, es ist uns wirklich nicht klargeworden, warum Sie das Kassenarztrecht von 1955, das sich doch im großen und ganzen bewährt hat, abschaffen und durch eine Rechtsverordnung ersetzen wollen, also praktisch idurch einen staatlichen Eingriff; ich will das Wort „Preisdiktat" hier vermeiden. So schlecht ist das System doch nicht gewesen, sonst würden Sie es doch nicht in Ihren Entwurf für ,das Verhältnis zwischen den Krankenkassen und den Krankenhäusern neu einführen. Wenn Sie es da neu einführen wollen, warum schaffen Sie es denn auf der anderen Seite ab? Sie haben zwar inzwischen gerade in diesem Punkt in Ihrer Pressekonferenz vor einigen Tagen etwas eingelenkt, wahrscheinlich, weil Sie, sagen wir einmal, etwas kalte Füße bekommen haben bei der Überlegung, wie sich das nun in der Praxis auswirken soll. Soll denn diese Rechtsverordnung für alle Kassen gelten und praktisch eine Nivellierung darstellen, weil natürlich auch hier wieder das langsamste Schiff im Geleitzug, also ,die zahlungsschwächste Kasse, den Maßstab abgeben würde? Oder wollen Sie etwa für jede einzelne Kasse, mit der keine Einigung zustande kommt, eine eigene Rechtsverordnung erlassen? Man sollte sich die Wirkung in der Praxis überlegen und sollte eis bei dem bisherigen System belassen. Es besteht nach unserer Auffassung gar kein Anlaß, davon abzugehen. Nun zur Frage der ärztlichen Zulassung. Wir sind als Freie Demokraten — wie könnte es anders sein? — grundsätzlich Anhänger der freien Zulassung jedes frei praktizierenden Arztes, und wir sind damit auch für die freie Arztwahl. Wir verkennen durchaus nicht die Notwendigkeit einer gewissen Steuerung, um das Entstehen von ärztlichen Notstandsgebieten zu vermeiden. Aber, meine Damen und Herren, was der Regierungsentwurf tut, ist zuviel des Guten, und wir haben vor allem das Gefühl, daß bei der für den Krankenhausarzt vorgesehenen zehnjährigen Frist im Hintergrund der Gedanke mitspielt, die bei den Krankenhäusern so gern gesehenen, äußerst schlecht bezahlten Assistenzärzte auf diese Weise mit freiwilligem Zwang zu rekrutieren. Wir sind uns durchaus darüber klar, daß man dem „Patienten Krankenhaus" helfen muß. Aber nicht auf diese Weise, Herr Minister, sondern auf eine ganz andere Weise! Darüber werden wir uns wohl bei den Haushaltsberatungen wieder einmal — alle Jahre wieder! — zu unterhalten haben. So aber geht es nicht! Wir sind der Auffassung, daß jeder Arzt praktisch dann zur Behandlung von Sozialversicherten am Ort seiner Wahl zugelassen werden sollte, wenn er fünf Jahre lang entweder in freier Praxis oder am Krankenhaus oder an einem ihm zugewiesenen Kassenarztsitz tätig gewesen ist. Wir glauben nicht an den Trend zur Großstadt, der dann einsetzen könnte. Wir sind fest davon überzeugt, daß auch bei dem Arzt wirtschaftliche Überlegungen mitspielen werden, ob er nach jahrelanger Tätigkeit auf dem Lande an einem ihm zugewiesenen Kassenarztsitz sich in das finanzielle Risiko einer Praxisneugründung in einer Großstadt stürzen soll, vor allem wenn er dann keine Sicherheit mehr hat, weil man ihm ja keinen „Kassenarzterbhof" mehr zuweisen kann. Lassen Sie mich noch ein weiteres Problem anschneiden: den beratungsärztlichen Dienst. Herr Dr. Stammberger Minister, es spricht eigentlich für den Mangel an Phantasie in Ihrem Beamtenstab, daß man keinen anderen Ausdruck gefunden hat als ausgerechnet den, der sich in der sowjetisch besetzten Zone eines höchst unrühmlichen Daseins erfreut. Da muß ich ganz offen sagen: Warum wollen Sie eigentlich an diesem System etwas ändern? Warum wollen Sie ein System einführen, das zweifellos — etwas überspitzt gesagt, aber das ist einer der Punkte, wo ich mit Herrn Kollegen Schellenberg durchaus einer Meinung bin — den dazwischengeschalteten frei praktizierenden und den Patienten in erster Linie behandelnden Arzt mehr oder weniger als eine überflüssige Übergangsstation ansieht? Wir sind der Meinung, wenn man schon etwas an dem vertrauensärztlichen Dienst ändern will, dann sollte man doch daran denken, ihn zu einem wirklichen Selbstverwaltungsorgan zwischen den Versicherten, zwischen der Versichertengemeinschaft, d. h. den Kassen, einerseits und den behandelnden Ärzten, d. h. den kassenärztlichen Vereinigungen, andererseits auszubauen. Denn wenn auch nicht verkannt werden darf, daß es sich bei diesem vertrauensärztlichen Dienst in erster Linie um eine materielle Zweckmäßigkeit, um eine Kontrolle handelt, deren Notwendigkeit wir durchaus nicht bestreiten wollen, so handelt es sich doch letzten Endes auch um ein ärztliches Tätigkeitsfeld. Nun, meine Damen und Herren, noch eine abschließende Bemerkung. Sie sehen, wie groß die Bedeutung des Entwurfs ist. Es handelt sich um den Entwurf eines Gesetzes, das schließlich für einen großen Teil unseres Volkes die wirtschaftliche Sicherstellung oder zumindest Hilfe im Krankheitsfall verankern soll. Die Probleme der Neuordnung sind groß und vielgestaltig. Wir sollten sie eingehend beraten und uns in keiner Weise unter einen irgendwie gearteten Zeitdruck setzen lassen. Nach unserer Ansicht hätte ein solches Gesetz an den Anfang einer Legislaturperiode gehört, und wir bedauern es sehr, daß sich die Bundesregierung diesen mangelhaften Entwurf durch die Große Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion noch hat herauskitzeln lassen. Denn, meine Damen und Herren, was jetzt kommt, sind wir bereits aus dem 2. Bundestag gewohnt. Dieser Gesetzentwurf wird nunmehr in die Wahlkampfpsychose dieses Hauses hineingezogen werden, und was wir dabei erleben werden, sollten uns eigentlich die schlechten Erfahrungen des 2. Bundestages zur Genüge dargetan haben. Wir möchten auch davor warnen, jetzt in die Psychose zu verfallen, eine Reform nur um einer Reform willen zu machen — ut aliquid fieri videatur —, nur weil man glaubt, zu den Bundestagswahlen irgend etwas vorweisen zu müssen. Zweifellos ist die soziale Krankenversicherung reformbedürftig. Aber nichts zwingt uns zu überstürzten und unüberlegten Maßnahmen, die zwar dem Namen nach eine Reform sind, aber Novelle auf Novelle nach sich ziehen und ein ständiges Flickwerk erforderlich machen würden. Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke. Herr Präsident! Meine Herren und Damen! So amüsant nach einer so vielstündig geführten Debatte auch ein charmanter liberaler Plauderer sein kann und sosehr wir vernünftige liberale Grundsätze als Grundlage unserer Wirtschaftspolitik, unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung und unserer Sozialpolitik ansehen, so wenig sicher bin ich, ob liberal sein auch immer vernünftig zu handeln bedeutet. Ob die totale Liberalisierung auf dem Gebiet, über das wir heute sprechen, alle Früchte treiben wird, die Sie erwarten, wird die Zukunft lehren. Der Minister hat mit Recht von der Schwere der Aufgabe gesprochen. Ich will sie nicht dramatisieren. Aber wohl niemand in diesem Hause wird bestreiten, daß das Interesse an den Fragen der Reform unserer Krankenversicherung, das draußen zunächst die Interessenten zeigten, das aber die Versicherten eines Tages weit mehr beschäftigen wird, sehr ernst und in den Auswirkungen sehr umfassend ist. Der Bundesminister für Arbeit hat heute ein Beispiel dafür gegeben, daß ein Staatsmann und ein Vertreter einer Regierung den Mut haben muß, auch Unpopuläres zu sagen, Unpopuläres zu fordern und den Preis zu nennen, den soziale Leistungen für die Bundesrepublik Deutschland und, wie ich hoffe, einmal für ganz Deutschland kosten. Maßhalten ist eine konservative Tugend, und Maßhalten ist sicher die Parole für die Zukunft der Sozialpolitik. Wenn man die Krankenversicherungsreform nur unter dem Gesichtspunkt eines Schlagwortes, wie es hier geschah, mit dem Hinweis auf den „Stilwandel der Sozialpolitik" betrachtet, begreift man den Bedeutungswandel der Sozialpolitik aus den gegebenen Verhältnissen und Notwendigkeiten nicht. Mein Kollege Stingl hat sehr recht gesagt, die erste Lesung eines Gesetzentwurfs könne immer nur über die großen Grundsatzrichtlinien, über die entscheidenden Fragen Aufschluß geben, in denen die Spannung — wer wollte das bestreiten — nicht nur in der Koalition, sondern im ganzen Hause lebendig ist. Denn ich nehme doch an, daß die Probleme der Volkspartei auch die SPD bewegen, und ich bin überzeugt, daß auch in ihren Reihen verschiedene Meinungen sind. Herr Abgeordneter Rohde sprach von so einer Art Finanzreform. Wenn die Reform der Krankenversicherung nichts anderes wäre als nur die Reform Frau Kalinke der Finanzierung der Leistungen, dann hätte er allerdings mit seinem Einwand recht. (Abg. Stingl: Sehr richtig! — Abg. Rohde: Sehen Sie sich doch den Regierungsentwurf an!)


    (Zustimmung in der Mitte.)


    (Beifall bei der FDP und in der Mitte.)





    (Beifall bei der FPD und der SPD.)


    (Heiterkeit bei der SPD.)


    (Beifall bei der FDP.)


    (Beifall bei der FDP.)