Rede von
Dr.
Wolfgang
Stammberger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich bin fest davon überzeugt, Herr Professor, und wenn Sie sich einen guten Anwalt nehmen, wird es auch nicht so schlimm werden.
Meine Damen und Herren, dann bleibt als die dritte Möglichkeit eben nur der Grundgedanke des
Dr. Stammberger
Regierungsentwurfs, die Selbstbeteiligung in irgendeiner Form. Wir sehen in dieser Selbstbeteiligung aber nicht nur ein finanzielles Problem, wir bejahen sie im Grundsatz, nicht nur aus finanziellen Erwägungen. Wir sehen trotz der Ausführungen des Herrn Professor Schellenberg hier auch nur ein Problem der Selbstverantwortung.
Herr Professor Schellenberg hat sich vorhin eine Argumentation zu eigen gemacht, nach der die Selbstbeteiligung, wie immer sie auch aussehen mag, praktisch zu einer Erschwerung der Früherkennung führt, weil sie den Gang zum Arzt verbaut, und daß sie dadurch zu einer Gefahr für die Volksgesundheit werden könnte. Herr Kollege Schellenberg, wer so argumentiert, der soll nicht mehr von Selbstveranwortung, von Selbstbestimmung und von freier Entscheidung des Staatsbürgers sprechen. Wir sind nicht der Auffassung, daß unser Volk durch das Wirtschaftswunder bereits so materialisiert ist, daß man für alle möglichen Dinge Geld zur Verfügung hat, daß aber nicht einmal Pfennigbeträge für die Gesunderhaltung zur Verfügung stehen, obwohl doch gerade die Gesundheit immer mit so viel Pathos als höchstes Gut propagiert wird.
Mag die soziale Krankenversicherung nun in Einzelfällen ausgenützt werden oder nicht, über eines wollen wir uns doch einmal klar sein: Es kann kein Zweifel daran sein, daß bei dem jetzigen System der sozialen Krankenversicherung jeder Wertmaßstab verlorengegangen ist und bei diesem System auch verlorengehen mußte. Wer weiß denn von den Sozialversicherten heute noch, was Kranksein kostet oder besser: was die Gesundheit wert ist? Wer weiß denn noch, was im Einzelfall die Kasse, d. h. doch die Gemeinschaft, der er selber angehört, zahlen muß? Und woher soll er es auch wissen, wenn es ihm niemand sagt? Wer von den Sozialversicherten, selbst wenn sie noch so oft krank gewesen sind, hat denn in seinem Leben eine Arztrechnung überhaupt nur zu Gesicht bekommen? Ihm ist nur bekannt, daß soundso viel einbehalten wird — ein häufig steigender Beitrag —, mancher weiß noch nicht einmal, daß die einbehaltenen Beiträge auch aus anderen Gründen einbehalten werden, nicht nur für die Krankenversicherung. Er weiß häufig nicht einmal, daß auch ein Arbeitgeberanteil zu zahlen ist. Meine Damen und Herren, wir sollten bei einem „Stilwandel" oder, konkreter gesagt, in einem Systemwandel auch einmal auf die Nebenwirkung achten, daß der Patient endlich einmal das Gefühl bekommt, was die Kasse, über die er häufig nur schimpft, letzten Endes auch für ihn wert ist. Wir bekennen uns daher im Grundsatz zur Selbstbeteiligung als einer Funktion der Selbstverantwortung.
Der selbstverständlichen, auch für uns selbstverständlichen Verpflichtung der Gemeinschaft, den Kranken zu helfen, steht die ebenso selbstverständliche Verpflichtung des einzelnen gegenüber, zunächst einmal nach seiner Leistungsfähigkeit alles zu tun, um sich selbst gesund zu erhalten. Es ist ein Problem, das eigentlich überall in einer freiheitlichdemokratischen Gesellschaftsordnung zur Lösung einsteht, wieviel Freiheit einerseits nötig und wieviel Solidarität andererseits erforderlich ist.
Diese Übereinstimmung mit den Grundgedanken der Bundesregierung bedeutet aber nun keinesfalls auch eine Zustimmung zu dem System, das sie in ihrem Entwurf zur Lösung des Problems gewählt hat. Wir halten dieses System für viel zu kompliziert und wir halten es auch für sozial ungerecht. Wir haben auch nur drei Stellen gefunden, die dieses System vollinhaltlich bejahen: das ist die Bundesregierung, das ist Frau Dr. Heddy Neumeister von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, und das ist der „Spiegel". Meine Damen und Herren, wenn die Bundesregierung und der „Spiegel" schon einmal einer Meinung sind
— auch die Arbeitgerverbände, ich will gern konzedieren , dann sollten wir, so glaube ich, mit besonderer Vorsicht an die Prüfung der Materie herangehen.
Besonders böse über den Entwurf sind die Ärzte. Das ist heute bereits mehrfach gesagt worden. Herr Kollege Krone hat sich zu einer Wortschöpfung verleiten lassen, indem er von „staatsabträglich" gesprochen hat. Aber ich glaube, die Ärzte haben sich lediglich ein großes Wort unseres weisen Kanzlers zu eigen gemacht; der Herr Bundeskanzler hat ja in letzter Zeit verschiedentlich gesagt, man solle bei der Durchsetzung seiner Forderungen nur „nicht so pingelig sein".
Er hat das zwar nicht zu den Ärzten, sondern zur CDU/CSU-Fraktion gesagt und auch auf sich selbst bezogen. Aber, meine Damen und Herren, so ist das nun einmal: Quod licet Iovi, et licet medicis. Böse Beispiele verderben eben gute Sitten.