Rede von
Hans
Lenz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat am vergangenen Dienstag den Haushalt eingebracht und analysiert. Wir erkennen an, daß der
Zeitpunkt der Einbringung des Haushaltes so liegt, daß wir im neuen Jahr sofort mit den Beratungen beginnen können.
Die Analyse des Budgets bezog sich, so will mir scheinen, Herr Bundesfinanzminister, doch zu einem großen Teil auf schwebende Randfragen unserer Finanzpolitik; sie galt nicht ausschließlich dem Bundeshaushalt für das kommende Jahr. Es fällt mir schwer, das zu sagen; aber ich meine in der Tat, man sollte nicht allzuviel Aufhebens von diesem Haushalt 1959/60 machen. Er ist, erlauben Sie mir bitte das Wort: ein Routinehaushalt, um in der Sprache der Fachleute zu bleiben. Routinehaushalt, das will sagen, daß er keine grundsätzlich neuen Wege beschreitet.
Man kann vielleicht auch sagen, daß man alle Routine aufgeboten und benutzt hat, keinen solchen Weg ernsthaft ausfindig zu machen. Das ist vielleicht ein hartes Wort; bitte, es soll kein böses Wort sein an den Finanzminister, an eine Persönlichkeit, der auch in unserer Fraktion große menschliche und fachliche Achtung entgegengebracht wird und die sogar Wohlwollen genießt und an deren Wirken sich Hoffnungen, zum Teil sehr große Hoffnungen knüpfen. Aber gerade deshalb, weil das so ist und weil auch ich persönlich glaube, daß der Finanzminister ein Mann ist, dem Verantwortung, Tatkraft und Mut nicht abgesprochen werden können, muß ich sagen, daß die diesjährige Rede zum Haushalt uns zu den großen anstehenden Problemen nur gesagt hat, daß man es eigentlich hätte anders machen sollen, daß man es anders machen müßte und daß es so, wie es gekommen ist, nicht glücklich war und daß sich Entwicklungen zeigen, die wir mit Sorge ansehen müssen, und daß man dies oder jenes eigentlich nicht hätte tun dürfen. Nur hat man, Herr Finanzminister, aus diesem Wissen, aus diesen Einsichten, aus diesen zum Teil sehr überzeugenden Argumenten keine wirklichen Konsequenzen gezogen. Man hat es bei der Mahnung, man hat es bei der Predigt, man hat es beim erhobenen Zeigefinger belassen. Deshalb ähnelt dieser neue Haushalt seinem sehr geschätzten Vorgänger, dem Bundeshaushalt von 1958, wie ein Ei dem anderen. Man soll es doch ganz offen aussprechen: wesentliche Opfer sind von den Ressorts nicht gebracht worden. Kaum eine Streitfrage ist, wie man hört — manchmal dringt ja aus dem spannungsreichen Innenleben der Bundesregierung auch etwas nach außen —, ins Kabinett gelangt, und nicht einmal die berühmten Personalien haben es nur in einem einzigen Fall zur höchsten, obersten Verhandlungsebene gebracht.
Bei solcher Einmütigkeit der Beurteilung fällt es sehr schwer, sich nicht ebenfalls gleich anzuschließen und diesen neuen Haushalt als einen ebenbürtigen Bruder in der großen Familie zu begrüßen und ihn gleich zum Vollzug zu geben. Man braucht kein Prophet zu sein, um zu sagen: allzuviel wird 1959 nicht passieren; alles wird seinen geordneten Gang weitergehen. Es wird sich weder ein großes Defizit noch ein großer Überschuß einstellen. Alles wird wie bisher gespannt in die finanzielle Zukunft blicken, in der es dann irgendwann einmal passieren muß und passieren wird. Passieren wird dann aller-
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dings nur, daß wir - ohne Routine - einer grundlegend neuen Situation gegenüberstehen.
Ein Punkt, Herr Finanzminister, hat mich persönlich etwas betrübt; ich sage das ganz offen. Ich blikke nur ein paar Wochen zurück. Dort hat der Redner vom Dienstag, der Herr Bundesfinanzminister, vor dem deutschen Fernsehpublikum das gewaltige Wort gesprochen, daß es erstmals gelungen sei, das Gesetz von den wachsenden Staatsausgaben zu durchkreuzen. Zum erstenmal, so hieß es, stiegen die Ausgaben gegenüber dem Vorjahr nicht an. Verehrter Herr Bundesfinanzminister, wollen Sie den alten Fuhrleuten des Haushaltsausschusses wirklich zumuten, das zu glauben? Gewiß, das Soll von 1959 liegt nur 400 Millionen DM über dem Soll von 1958. Aber das Soll von 1958 ist doch nicht mit den Ausgaben von 1958 gleichzusetzen. Inzwischen weiß doch das letzte Schulkind, daß die Verteidigungsausgaben das Klassenziel wieder nicht erreichen und an die 3 Milliarden DM hinter den Ermächtigungen zurückbleiben. Wenn Sie nun diese 3 Milliarden DM vom Soll 1958 absetzen, dann steht das Soll 1959 turmhoch über den Ausgaben 1958, und es ist nichts mit der „geschichtlichen Einmaligkeit", mit der berühmten Durchbrechung des berühmten Gesetzes von den wachsenden Staatsausgaben und Staatsaufgaben. Warum denn also am Dienstag wieder dieses Gefecht vor dem Spiegel? Warum diese Bemühungen in einem Vokabularium, das wirklich für andere und außerdem richtige Dinge vorgesehen ist?
Wir rutschen 1959 wieder, und zwar ein ganz schönes Stück, auf der Aufgabenleiter nach oben. Wir sollten ja nicht glauben, daß wir es diesmal geschafft hätten, auf der gleichen Sprosse zu bleiben. Es kann auch gar nicht anders sein! Jene berühmten 3 Milliarden DM aus der Kasse, die wir schon öfter aufs Korn genommen haben, die dem Haushalt 1958 gewissermaßen den Goldglanz gegeben haben, sind ja noch da. Sie werden auch jetzt wieder — ich weiß schon nicht mehr, zum wievielten Male — als Deckungsmittel — irgendwie zauberhaft und wunderbar — eingestellt.
Vor einem Jahr sollte ja auch ein neuer historischer Abschnitt beginnen, die berühmte „Gratwanderung am Rande des Defizits". Wir wandern heute immer noch und haben den gleichen prall gefüllten Geldbeutel auf dem Buckel wie damals, und ich weiß wirklich nicht, ob am Ende des neuen Haushaltsjahrs der Rand des berühmten Defizits nicht doch nur noch mit großen Feldstechern gesehen werden kann. Die Begründung für diese Annahme ist einfach. Dieses Jahr sind nicht einmal die ganzen Kassenreserven als Deckungsmittel eingestellt, sondern nur ein Teil; der Rest bleibt vorerst weiter als Reserve in Reserve.
Hier zeigt isich allerdings gleich eine weitere dünne Stelle der Konzeption an, auf die ich zunächst mit einem kleinen Rückblick eingehen darf. Was hat man nicht alles im Vorjahr zur Notwendigkeit von Anleihen gesagt! Soll ,eis hier wirklich wiederholt werden? Noch vor drei Monaten hieß es aus sehr kompetentem Munde, daß man im Februar mit den Bundesanleihen beginnen müsse. Und heute? Heute sollte man sich umgekehrt ernsthaft fragen,
welche Darlehen der Bundesfinanzminister nicht aufnehmen, sondern geben kann, und zwar ganz einfach deshalb, weil sich alle Voraussagen über die Kassenebbe als unrichtig erwiesen haben.
Ich bekenne im übrigen ganz offen, daß ich persönlich darüber gar nicht so sehr unglücklich bin und daß ich mit einer gewissen Freude, um nicht zu sagen Schadenfreude, den jetzigen Bundesfinanzminister mit den Pfründen seines Vorgängers wuchern sehe. Aber was meine politischen Freunde nun gar nicht gern hören, ist, daß man sagt, man sehe aus Gründen ,,der Schonung der Wirtschaft" von Anleihen ab. Ich sehe diese Anleihen auch für 1959 noch nicht vor mir. Wir sollten darüber sehr froh sein. Es ist gar nichts dagegen zu sagen, nur sollten wir die Dinge beim richtigen Namen nennen.
Es ist also alles schon dagewesen, was in diesem neuen Haushalt steckt. Wenn sich der Haushaltsausschuß im nächsten Vierteljahr Woche für Woche mit den einzelnen Ansätzen beschäftigen und dem Hohen Hause den Haushalt zur Annahme ,empfehlen wird, dann wird sich auch wieder nichts Wesentliches geändert haben; wir werden ein wenig an den Ansätzen herumgeritzt haben.
Auf dien Punkt, der diese Äußerungen vielleicht äußerlich Lügen zu strafen scheint, will ich aus wohl erwogenen Gründen nicht eingehen; es ist der Verteidigungsansatz. Wie Sie , verehrter Finanzminister. die Sache mit den riesenhaften Verteidigungsresten einmal haushaltsrechtlich ins Lot bringen wollen, ist mir völlig unklar. Ich verstehe nicht viel davon. Immerhin haben Herr Kollege Vogel und ich uns damals als Berichterstatter für den Einzelplan 14 bemüht, einige Vorschläge zur haushaltsmäßigen Bereinigung dieser Reste zu machen. Ich meine in mein em beschränkten Laienverstand immer wieder, daß eine neue Veranschlagung des tatsächlichen Bedarfs die einzig richtige Lösung gewesen wäre. Nicht sehr erfreulich — um einmal die Einnahmepolitik der Bundesregierung kurz zu behandeln — war der Ausfall gegenüber den früheren Fehlschätzungen bei den Steuern. Auch hier kann man nur sagen: Wenn man erst zugeben muß, sich um rund 1 Milliarde DM verschätzt zu haben, sollte man mit ,seinem bescheidenen Vorgänger vielleicht etwas weniger streng ins Gericht gehen. Da hört man so schöne Ausdrücke; man möchte „zuverlässig" und „wahrhaftig" sein. Nun, meine Damen und Herren, ich denke, daß man das in der Bundesregierung immer gewesen ist, auch im Vorjahr. Und dennoch bleiben jetzt 1 Milliarde DM Steuereinnahmen einfach aus! In einer abfallenden Wirtschaft könnte das der Anfang vom Ende sein. Wir melden jedenfalls auch jetzt und für dieses Mal unsere Bedenken gegen die Steuerschätzungen an. Wir meinen, daß man noch eine gewisse Zeit abwarten muß, ehe man die künftige Einnahmeentwicklung wirklich zuverlässig beurteilen kann.
Zu den Einnahmen gehören auch die vorhin genannten Anleiheerlöse, von denen wir wiederum nicht glauben, daß sie im kommenden Jahr überhaupt nötig sind. Was aber ihr veranschlagtes Volumen angeht, können wir tatsächlich wieder einmal nur den Kopf schütteln — ich kann das etwas
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pointierter sagen als Sie, Herr Kollege Vogel — über die Vorstellung, daß man sich bei dem Investitionsbedürfnis von Wirtschaft, Landwirtschaft, Ländern und Kommunen über 3 Milliarden DM am Kapital- oder am Geldmarkt holen könne. Das Spielen mit dem Geldmarkt scheint mir überhaupt eine noch nicht ganz durchdachte Sache zu sein. Jedenfalls wird auf Deutschlands Hohen Schulen gelehrt, daß Geldmarktmittel keine Deckungsmittel, sondern nur Betriebsmittel sind. Ich wüßte nicht, daß sich daran etwas geändert hat.
Zur Einnahmeseite gehört der Blick auf die permanente Steuerreform. Wir haben auch hier wieder viele goldene Worte gehört, von „Durchforstung" und dem „unverständlichen" Deutsch unserer Steuergesetze. Meine Damen und Herren, machen wir uns nichts vor! Wie oft ist uns dieser Apfel schon gezeigt worden, und immer dichter wurde das Gestrüpp. In diesem Jahr der vielen Steuererklärungen wurde der Widerwille gegen den Wust von steuerrechtlichem Kauderwelch in der ganzen Bevölkerung geradezu elementar.
Woher sollte, darf ich fragen, auf einmal der Mut und das Vermögen kommen, zu sagen, daß das anders wird? Hoffentlich versprechen Sie uns hier nicht zuviel, Herr Minister. Verstehen Sie mich bitte recht: Wir begrüßen alles das, was Sie gesagt haben. Wir sind alle mit Ihren Grundsätzen einig. Aber sprechen wir uns in einem Jahr wieder! Sie werden sehen, an der Gesetzessprache und an der Gesetzesinflation wird sich nichts geändert haben.
Nur ein kurzer Blick auf das, was Sie, Herr Kollege Vogel, vorhin angesprochen haben, auf die Umsatzsteuerreform, ein besonders wichtiges Beispiel des Versprechens. Wie las man es vor der Kirche? Da war die grundlegende Umgestaltung dieser wirtschaftsunfreundlichen Steuer geradezu selbstverständlich. „Freut euch, ihr Mittelständler", hat es geheißen, „freut euch, die Umsatzsteuerknechtschaft hat ein Ende."
— Die allgemeine Tendenz, Herr Kollege Dresbach, ist gewesen, daß diese Steuer umgebaut werden soll, vor allem zugunsten des Mittelstandes, sie sollte wettbewerbsneutral werden usw. Und heute steht fest, daß die Regierung keine Abkehr vom bisherigen System und keine Einbuße an Volumen vorschlagen wird.
Welche Wendung durch wessen Fügung?
Also wieder keine Reform! Kleine Vergünstigungen
wird es geben, kleine Niedlichkeiten, kleine Reparaturen; aber keine wirkliche Reform. Es ist immer von einer Reform gesprochen worden, Herr Kollege Dresbach.
Ich möchte hier eine Prophezeiung wagen: Die Reparaturen werden sehr viel schwerer sein als eine Systemänderung; und zum Schluß, bin ich überzeugt, wird wahrscheinlich das Ganze in einer Herabsetzung des Steuersatzes enden, weil es eine andere Heilung der aufgerissenen Wunden und der vielen Berufungen nicht mehr geben wird.
— Dann fangen wir mit der Senkung des Satzes an, aber nicht mit den Reparaturen!