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ID0305300200

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    Deutscher Bundestag 53. Sitzung Bonn, den 11. Dezember 1958 Inhalt: Glückwunsch zum 71. Geburtstag des Abg. Nieberg 2909 A Erweiterung der Tagesordnung 2909 A Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesrückerstattungsgesetzes (Frenzel, Dr. Böhm, Dr. Dehler u. Gen.) (Drucksache 706) — Erste Beratung — . 2909 C Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1959 (Drucksache 650) — Fortsetzung der ersten Beratung —, Entwurf eines Gesetzes über den Finanzausgleich unter den Ländern vom Rechnungsjahr 1958 an (Drucksache 703) — Erste Beratung — Schoettle (SPD) . . . . . . . . 2909 D Dr. Vogel (CDU/CSU) 2920 B Lenz (Trossingen) (FDP) 2929 B Niederalt (CDU/CSU) 2933 B Dr. Schild (DP) . . . . . . 2938 A Etzel, Bundesminister 2942 A Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Altsparergesetzes (CDU/CSU, SPD, FDP, DP) (Drucksache 484); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für den Lastenausgleich (Drucksache 690) — Zweite und dritte Beratung — Seuffert (SPD) 2943 C Antrag der Fraktion der SPD betr. Änderung und Durchführung des Lastenausgleichsgesetzes (Drucksache 366); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für den Lastenausgleich (Drucksache 695); Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes (FDP) (Drucksache 631) — Erste Beratung — Zühlke (SPD) 2944 C Dr. Rutschke (FDP) . . . . . . 2945 B Kuntscher (CDU/CSU) . . . . 2945 D Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des § 64 des Landbeschaffungsgesetzes (Drucksache 601); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Inneres (Drucksache 700) — Zweite und dritte Beratung — Eilers (Oldenburg) (FDP) . . . . 2946 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Eignungsübungsgesetzes (Drucksache 705) — Erste, zweite und dritte Beratung — 2947 B Entwurf eines Gesetzes zu den internationalen Betäubungsmittel-Protokollen von 1946, 1948 und 1953 (Drucksachen 453, zu 453) ; Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Gesundheitswesen (Drucksache 701) — Zweite und dritte Beratung — 2947 C Entwurf eines Gesetzes zu dem Vierten Zusatzabkommen vom 1. 11. 1957 zum Zollvertrag mit der Schweizerischen Eid- II Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1958 genossenschaft (Drucksache 524); Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses (Drucksache 689) — Zweite und dritte Beratung — 2947 D Entwurf einer Achtzehnten Verordnung über Zolltarifänderungen zur Durchführung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Drucksache 523); Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses (Drucksache 688) Junghans (SPD) . . . . . . . 2948 B Entwurf einer Verordnung des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Durchführung und Ergänzung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 3 über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer (Drucksache 655) ; Bericht des Ausschusses für Arbeit (Drucksache 714) 2948 C Antrag des Bundesministers für wirtschaftlichen Besitz des Bundes betr. Veräußerung bundeseigener Grundstücke im Bereich Alter Postplatz, Rotebühl- und Fritz-Elsas-Straße in Stuttgart an die Stadt Stuttgart (Drucksache 694) . . . . 2948 C Antrag der Fraktion der SPD betr. Kriegsopferversorgung (Drucksache 621) . . 2948 D Nächste Sitzung 2948 D Anlagen 2949 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1958 2909 53. Sitzung Bonn, den 11. Dezember 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 14.01 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Altmaier 13. 12. Frau Beyer (Frankfurt) 11. 12. Birkelbach 12. 12. Frau Dr. Bleyler 13. 12. Brand 13. 12. Cramer 13. 12. Dr. Dittrich 31. 12. Dr. Eckhardt 12. 12. Frau Eilers (Bielefeld) 31. 12. Engelbrecht-Greve 12. 12. Even (Köln) 11. 12. Faller 11. 12. Fuchs 13. 12. Dr. Furler 12. 12. Heinrich 31. 12. Höfler 13. 12. Jahn (Frankfurt) 31. 12. Kalbitzer 12. 12. Keuning 11. 12. Kiesinger 12. 12. Kramel 31. 12. Kriedemann 31. 12. Kühn (Köln) 11. 12. Leber 12. 12. Lohmar 31. 12. Dr. Maier (Stuttgart) 13. 12. Dr. Baron Manteuffel-Szoege 13. 12. Margulies 13. 12. Mengelkamp 15. 12. Müser 13. 12. Neubauer 12. 12. Dr. Preiß 31. 12. Pütz 13. 12. Reitzner 31. 12. Richarts 12. 12. Scheel 13. 12. Scheppmann 13. 12. Dr. Schmidt (Gellersen) 11. 12. Schneider (Hamburg) 12. 12. Dr. Schneider (Saarbrücken) 31. 12. Schultz 13. 12. Frau Dr. Steinbiß 12. 12. Storch 12. 12. Frau Strobel 12. 12. Dr. Wahl 13. 12. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 16. 12. Winkelheide 11. 12. Wullenhaupt 11. 12. Anlage 2 Umdruck 194 Änderungsantrag der Abgeordneten Seuffert, Scharnberg, Zühlke und Dr. Lindenberg zur zweiten Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Altsparergesetzes (2. ÄndG ASpG) (Drucksachen 484, 690). Der Bundestag wolle beschließen: In § 1 Nr. 5 wird Buchstabe c (Einfügung in § 5 Abs. 4 des Altsparergesetzes) gestrichen. Bonn, den 11. Dezember 1958 Seuffert Scharnberg Zühlke Dr. Lindenberg Anlage 3 Schriftliche Begründung des Abgeordneten Pohle zu dem Antrag der Fraktion der SPD betreffend Kriegsopferversorgung (Drucksache 621). Die tiefe Enttäuschung, die sich in den Kreisen der Kriegsopfer nach den Erklärungen des Herrn Bundesministers Blank über seine Vorstellungen zur Neuordnung der Kriegsopferversorgung gezeigt hat, ist in diesem Jahr nicht mehr zu beheben. Es ist seitens der Bundesregierung weder der Versuch gemacht worden, im Wege einer Überbrückungszahlung dem veränderten Preisgefüge seit Verabschiedung der 6. Novelle zum BVG zu begegnen, noch kann mit der Vorlage des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung in nächster Zeit gerechnet werden. Unter diesen Umständen muß der Bundestag initiativ werden. Mit der Vorlage des Antrages Drucksache 621 soll bewirkt werden, daß der Bundestag die Regierung auffordert, eine Vorlage über eine Überbrückungszahlung einzubringen. Der Termin, der in dem Antrag gesetzt ist, wird nicht innegehalten werden können, doch erwarten meine Freunde, daß der Kriegsopferausschuß und der Bundestag sich mit einem Termin bis spätestens 30. Januar 1958 einverstanden erklären. Die Bundesregierung ist in der dritten Legislaturperiode jetzt über ein Jahr im Amt. Nach der Regierungserklärung soll das Werk der Sozialreform fortgeführt werden. Ein Jahr hindurch hat man wirklich Zeit und Gelegenheit gehabt, für das Gebiet der Kriegsopferversorgung innerhalb der Sozialreform Gedanken und Vorstellungen zu entwickeln, die jetzt in einer Gesetzesvorlage ihren Niederschlag finden müssen. Diese Vorlage erwarten wir spätestens zum Ausklang des ersten Vierteljahres 1959. Wir hoffen zuversichtlich, daß sich der Bundestag in seiner Mehrheit diesen unseren Vorstellungen anschließt. In Kriegsopferfragen bedarf es keiner großen Worte. Es bedarf der menschlichen Anteilnahme mit unserem leidenden Bruder, der Hilfe für die Witwen und die Waisen. Wir haben hier die Hilfsmöglichkeiten zu prüfen und auszuschöpfen. Diesem Ziele dient der Antrag der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion. Ich bitte um Ihre Zustimmung, daß er dem Kriegsopferausschuß überwiesen wird.
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    Rede von Erwin Schoettle


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß meine Ausführungen mit einer scheinbar technischen Bemerkung beginnen, die der Herr Bundesfinanzminister mit den einleitenden Sätzen in seiner Rede vom Dienstag herausgefordert hat. Es ist richtig, daß der Haushaltsentwurf in diesem Jahr nicht wie im vergangenen — und hier muß ich mich eigentlich schon korrigieren; es war gar nicht das vergangene, es war das Frühjahr dieses
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    Jahres — erst nach Beginn des neuen Haushaltsjahrs vorgelegt wird. Aber daraus zu schließen, daß er uns „vorzeitig" zugeleitet worden sei, ist doch ein etwas starkes Stück; ich muß das offen sagen.
    Der 5. Januar, den die Reichshaushaltsordnung als äußersten Termin für die Einbringung des Haushalts bezeichnet, stammt — das muß man auch im Bundesfinanzministerium wissen, das ja wohl für diese Formulierung in erster Linie verantwortlich ist, weniger der Herr Minister — aus einer längst vergangenen Zeit, aus einer Zeit, als die Reichshaushalte nicht nur erheblich bescheidener, sondern auch weniger kompliziert waren als das, was wir uns heute in der Bundesrepublik leisten,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Müssen!)

    — leisten müssen, meinetwegen. Der Lorbeer, den sich Herr Etzel und sein Haus in diesem Punkte schon etwas frühzeitig aufs Haupt gelegt hat, bedeutet für das Parlament einen Zeitdruck, der schließlich zu einer absolut oberflächlichen Beratung des Haushalts führen müßte, wenn wir ihm nachgäben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Eine wirkliche Beratung, wie sie der Aufgabe des Bundestags entspräche, ist in der Zeit zwischen der ersten Januarwoche und der ersten Märzwoche gar nicht möglich. Denn das Haus muß ja auch für die zweite und dritte Beratung im Plenum Zeit haben, und auch der Bundesrat wird nicht auf die ihm durch das Grundgesetz gegebenen Fristen völlig verzichten wollen.
    Wenn man also im Bereich der Wirklichkeit bleiben will, dann muß, soll die Haushaltskontrolle des Parlaments nicht völlig zur Farce werden, schon heute damit gerechnet werden, daß auch dieser Haushalt nicht zu Beginn des Haushaltsjahrs in Kraft treten wird. Ich halte es für notwendig, schon bei diesem Punkt etwas Wasser in den Wein des Herrn Bundesfinanzministers zu gießen, damit die mit Recht so beliebte Optik nicht zu Lasten des Parlaments und womöglich des Haushaltsausschusses verschoben wird.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Regierungsbank hatte ja während der Rede des Herrn Bundesfinanzministers eine merkwürdig dünne Besetzung. Der Herr Bundeskanzler war entschuldigt, weil er sich erkältet hatte — in Berlin.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    — Entschuldigen Sie, ich habe das völlig ohne jede böse Absicht gesagt.

    (Erneute Heiterkeit bei der SPD.)

    Aber auch die anderen Herren Minister haben zu einem erheblichen Teil durch Abwesenheit geglänzt. Ich finde das einigermaßen merkwürdig angesichts der Tatsache, daß es sich auch um ihre Haushalte handelte, also um eine Sache, die sie angeht. Nun, wir sind ja Kummer gewohnt. Aber ich habe es für richtig gehalten, das bei dieser Gelegenheit noch einmal zu sagen. Vielleicht ergibt sich im Laufe der Jahre doch eine gewisse Besserung, auch was die Teilnahme der Regierung an diesen Beratungen betrifft. Von der Teilnahme der
    Abgeordneten zu reden ist hier, glaube ich, überflüssig.

    (Abg. Dr. Dresbach: Herr Schoettle, sehen Sie mal die Bank auf der anderen Seite! Da sitzen doch Ihre Freunde!?)

    — Herr Kollege Dresbach, dieselbe Unterhaltung haben wir schon vor zwei Jahren gehabt mit demselben Hinweis auf den Bundesrat und mit meiner Retourkutsche; die will ich mir aber in diesem Augenblick sparen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die sollten es auch langsam lernen!)

    — Die sind so mit sich selber beschäftigt, daß man eigentlich nicht erwarten kann, daß sie auch noch hier ihre Zeit zubringen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Dann wollen wir sie entschuldigen!)

    Der Herr Bundesfinanzminister hat also zu Beginn seiner Rede am Dienstag einen Rückblick auf das Programm gehalten, das er bei seinem Amtsantritt verkündet hat, und er hat mit einer gewissen Genugtuung festgestellt, daß ihm die Erfüllung dieses Programms wenigstens teilweise gelungen sei, so etwa bei der Begrenzung der Ausgaben im neuen Haushalt. Ich und meine Freunde sind gern bereit, das insoweit anzuerkennen, als der Gesamtumfang des Haushalts tatsächlich nicht, wie befürchtet werden mußte — vor allem nach den Anforderungen der Ressorts — die 40-Milliarden-Grenze weit übersteigt.
    Eine andere Sache ist es freilich, daß dieses Ergebnis nicht ohne gewisse Kunststücke erreicht worden ist, wie sie der Herr Bundesfinanzminister in seiner Dienstag-Rede für die Vergangenheit gerügt hat. Denn das Wort „Kunststück" ist ja in einem Zusammenhang gefallen, wo man es als eine deutliche negative Verbeugung vor der Vergangenheit unserer Finanzpolitik betrachten mußte.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Überlegen Sie sich mal, was negative Verbeugung ist; ich kann es Ihnen nicht genau definieren. Mag sein, es ist nur eine façon de parler.
    Man muß die Frage stellen, ob das Ergebnis der Bemühungen um die Niedrighaltung der Ausgabenseite des Bundeshaushalts nicht doch in erster Linie optischer Natur ist und ob es nicht erreicht wurde um den Preis des Übersehens und Beiseiteschiebens unausweichlich an den Bundeshaushalt herankommender Anforderungen und wichtigster Aufgaben, deren Vernachlässigung oder Zurückstellung uns schließlich teuer zu stehen kommen wird.
    Der zweite Programmpunkt des Herrn Bundesfinanzministers, auf dessen Erfüllung er stolz ist, lautete: Steuersenkungen durch niedrigere Ausgaben — in diesem Haushalt zum erstenmal — und Vermeidung von Steuererhöhungen. In diesem Punkt möchte ich der bescheidenen Meinung Ausdruck geben, daß man den Tag nicht vor dem Abend loben und auch sich selber nicht schon in einem Zeitpunkt zufrieden auf die Schulter klopfen sollte, wo manches doch noch im Dunkeln liegt. Denn die
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    Frage ist offen, meine Damen und Herren, ob die Steuersenkungen dieses Frühjahrs, so erwünscht sie auch politisch sein mochten, unter finanzpolitischen Gesichtspunkten auf lange Sicht in allen Teilen richtig waren. Gewisse Passagen in der Rede des Herrn Bundesfinanzministers, auf deren Bedeutung ich noch in einem anderen Zusammenhang zurückkommen muß, lassen überdies den Schluß zu, daß bestimmte Steuerbefreiungen bei der Einkommen- und Lohnsteuer mit dem Hintergedanken an eine anderweitige Belastung der so Befreiten vorgenommen worden sind.
    Daß der Herr Bundesfinanzminister selbst nicht ganz an die Vermeidung von Steuererhöhungen glaubt, ging schließlich aus einer Bemerkung hervor, die sich auf erhöhte Einnahmeerwartungen bei der Mineralölsteuer bezog, und es ist ja kein Geheimnis, daß er selbst im heftigen Ringen mit dem Bundeswirtschaftsminister ebenfalls um steuerliche Neubelastungen kämpft, die zweifellos von den Belasteten an die Verbraucher weitergegeben würden.
    In einem Punkt hat der Herr Bundesfinanzminister selbst etwas resigniert festgestellt, daß seine ursprünglichen Absichten nicht voll verwirklicht werden konnten. Er sprach von den Überbewilligungen und von der Restewirtschaft, deren Ursachen ja wohl ziemlich eindeutig in einem bestimmten Teil des Bundeshaushalts zu suchen sind, nämlich im wesentlichen im Verteidigungshaushalt. Der Komplex Rüstung ist in der Tat das Element im Bundeshaushalt, das am meisten Verwirrung stiftet und zu jener Unübersichtlichkeit und, wie wir glauben, zu jener falschen Gewichteverteilung im Bundeshaushalt führt, gegen die wir ankämpfen, weil sie zwangsläufig zur Vernachlässigung wichtiger Aufgaben von allgemeiner Bedeutung führt. Denn schließlich, meine Damen und Herren, waren es die grotesken Fehlplanungen im Bereich des Verteidigungshaushalts, deren Zeugen wir nun seit einer Reihe von Jahren sein müssen, die unter Herrn Blank angefangen haben und deren etwas robusterer Erbe der gegenwärtige Herr Bundesverteidigungsminister ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Herr Etzel hat in seiner Rede nichts Überzeugendes gesagt, was die Befürchtungen entkräften könnte, daß das Spiel mit den überhöhten Verteidigungskosten, die dann 'infolge von. Umplanungen oder sonstigen veränderten Verhältnissen nicht konsumiert werden können, lustig weitergehen wird: spricht man doch jetzt schon davon, daß auch die Haushaltsansätze des neuen Haushalts wie die des laufenden nur zur Hälfte ausgegeben werden können. Nun, der Herr Bundesfinanzminister hat selbst seine Erklärungen, daß eine Bildung neuer Ausgabenreste nicht wahrscheinlich sei, sofort relativiert durch einen Hinweis darauf, wie sehr alles im Bereich der Rüstung im Fluß sei. Das ist in der Tat eine Erfahrung, die wir in den letzten Jahren gemacht haben und von der ich fürchte, daß sie uns auch in der nächsten Zeit nicht erspart bleiben wird.
    Hieran muß ich eine Bemerkung über die Bedeutung des Haushalts überhaupt anknüpfen. Hat der
    Bundeshaushalt, den dieses Haus Jahr um Jahr verabschiedet, überhaupt noch jenen Grad von Verbindlichkeit, der ihm mindestens für ein Haushaltsjahr den Charakter eines finanziellen Grundgesetzes verleihen könnte? Es gibt eine Reihe von Tatsachen, die gegen eine solche Annahme sprechen. Der Herr Bundesfinanzminister selbst hat am 13. März dieses Jahres in diesem Hause in dieselbe Richtung gewiesen, als er sagte, in konjunkturpolitischen Zusammenhängen über mehrere Jahre komme der Entwicklung der öffentlichen Kassenverhältnisse, den öffentlichen Guthaben und den öffentlichen Kreditaufnahmen eine größere Bedeutung zu als dem mehr programmatischen Sinn der Haushaltspläne. Man muß diese Bemerkung einmal auf ihre tiefere Bedeutung hin prüfen. Ich möchte hinzufügen: wer die Entwicklung der überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben, d. h. der im Haushalt nicht veranschlagten Ausgaben, in den letzten Jahren verfolgt hat, der weiß, daß sich hinter der Kulisse deis Haushalts Verschiebungen vollziehen, die dessen Gesicht so verändern, daß es in manchen Fällen kaum wiederzuerkennen ist.
    Wie hoch die über- und außerplanmäßigen Ausgaben im laufenden Haushaltsjahr sein werden, kann man heute noch nicht sagen, aber eine Vorstellung davon mögen die Zahlen für 1956 und 1957 geben. Es sind in jedem Jahre runde 5 Milliarden.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Herr Conring, auch wenn Sie bedächtig das Haupt schütteln, es bleibt dabei. Sie haben es in den Nachweisungen des Bundesfinanzministeriums doch selber festgestellt und gelegentlich bei der Mitwirkung des Haushaltsausschusses miterlebt, Welche Summen auf dem Wege über über- und außerplanmäßige Ausgaben gefordert werden. Damit Sie beruhigt sind, will ich aber noch einige Sätze hinzufügen; ich sage nichts Revolutionäres, beileibe nicht. Diese 5 Milliarden pro Haushaltsjahr in 1956 und 1957 beziehen sich auf Haushaltsvolumina von 35 bzw. 37,4 Milliarden. Sie können sich also die Relation zum tatsächlichen Umfang des Haushalts selber ausrechnen, die in diesen Verschiebungen zum Ausdruck kommt. Natürlich ist dadurch das Volumen des Haushalts nicht gesprengt worden — Herr Conring, hier haben Sie Ihre Beruhigungspille —, dafür bürgen nämlich die Minderausgaben vor allem im Verteidigungshaushalt. Man kann also Verschiebungen innerhalb des Haushalts vornehmen, ohne daß dadurch die Dinge über den Plafond hinausgehen, den das Haus durch seine Beschlüsse zum Haushalt selber gesetzt hat. Natürlich wurde auch der Haushaltsausschuß des Bundestages zugezogen und um seine Zustimmung ersucht, nicht selten, wie mir die Kollegen aus dem Haushaltsausschuß bestätigen können, nach vollbrachter Tat. Aber das Faktum bleibt, daß die Haushaltsgesetzgebung des Parlaments auf diese Weise so durchlöchert wird wie ein wohlgeratener Schweizer Käse.
    Ebenfalls in die Richtung der Beschränkung der Haushaltshoheit des Parlaments weist eine andere Erscheinung, die der Haushaltsausschuß in den letzten Wochen aus gegebener Veranlassung be-
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    sprochen hat: die Finanzwirtschaft der europäischen Behörden. Was darüber berichtet wurde, geht, bei voller Anerkennung besonderer Lebensbedingungen in einzelnen europäischen Hauptstädten, über das hinaus, was man mit gutem Gewissen vertreten kann. Vielleicht interessiert es die Damen und Herren, daß ich wegen des Beschlusses des Haushaltsausschusses, der eine Empfehlung an die Bundesregierung darstellte, von den maßgebenden Herren der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, d, h. der Kommission — Sie können sich denken, wer es war —, anläßlich eines Zusammentreffens in Stuttgart gekeilt worden bin und daß sie mir dort sozusagen die Hölle heiß gemacht haben, weil wir hier weit über das Ziel hinausgeschossen, und dargelegt haben, daß doch alles so verständlich und so vernünftig und gar nicht aus dem Rahmen fallend sei. Ich sage das hier zur Abrundung des Bildes. Man wird sich zu gegebener Zeit damit zu beschäftigen haben. Auf alle Fälle ist es so, daß die Finanzwirtschaft der europäischen Behörden selbst über das weit hinausgeht, was wir im Bundestag von den Bundesbehörden gewohnt sind.
    Hinzu kommt, daß die Finanzwirtschaft der europäischen Institutionen weder von den ihnen nach den Verträgen zugeordneten parlamentarischen Versammlungen beeinflußt oder kontrolliert noch von den nationalen Parlamenten mitbestimmt werden kann. Wir hier sind in diesem Falle darauf angewiesen, daß die Repräsentanten der Bundesregierung, die im Ministerrat sitzen, das mehr oder weniger Richtige tun und sich in gegebenen Situationen eben einfach in eine Entscheidung fügen, die man entweder mit Mehrheit oder einstimmig trifft, ohne daß dieses Parlament noch zum Umfang der Belastungen, die uns daraus entstehen, wirklich ernsthaft Stellung nehmen kann; denn Sie wissen auch, daß bei der Ratifizierung von Verträgen keine Änderungen der Verträge vorgenommen werden können, sondern daß das Parlament zu den Ratifizierungsgesetzen nur ja oder nein sagen kann.
    Ich will diese Dinge nicht überbewerten, möchte aber gerade im Zusammenhang mit der Haushaltsberatung darauf hinweisen, daß da ein Element der Auflösung der parlamentarischen Demokratie gegeben ist. Solche Betrachtungen und Beobachtungen könnten einen überzeugten Verfechter der parlamentarischen Demokratie etwas trübsinnig stimmen, wenn die ihnen zugrunde liegenden Tatbestände als der Ausdruck eines fast naturgesetzlich sich vollziehenden Vorgangs, nämlich der Entmachtung des Parlaments in der modernen Gesellschaft, angesehen werden müßten. Wer sich aber darüber klar ist, daß die Wurzel des Parlamentarismus in der Durchsetzung der Budgethoheit der Volksvertretung lag, müßte eine solche Entwicklung entschieden bekämpfen, ganz gleich, wo er politisch steht.
    Im übrigen waren weite Teile der Rede des Herrn Bundesfinanzministers eine scharfe Kritik an der bisherigen Politik der Bundesregierung und der Regierungskoalition; denn die Erscheinungen, die
    Herr Etzel kritisierte und zu deren Beseitigung er auch an die — ich zitiere ihn — „Verantwortung des Parlaments für das Gesamtwohl" appellierte, sind ja nicht Ergebnisse des blinden Zufalls gewesen. Sie sind schließlich die Folge von politischen Konzeptionen, von denen man kaum sagen kann, daß sie völlig überwunden seien. Die Stichworte für die Kennzeichnung dieser Konzeptionen kann man ohne Ausnahme aus der Budgetrede des Herrn Bundesfinanzministers entnehmen. Ich zitiere sie so, wie sie mir gerade in den Sinn kommen: Die Finanzpolitik aus dem Vollen, der Juliusturm, überhöhte Bewilligungen, falsche Planungen, auf denen dann falsche Haushaltsansätze aufgebaut wurden, falsche, zum Teil politisch bedingte Schätzungen, Bindungsermächtigungen, die weit über das hinausgingen, was in einer geordneten Finanzwirtschaft unter diesem Begriff zu verstehen ist, nämlich Anschlußfinanzierung für das nächste Jahr, Verschleierung der Haushaltswirklichkeit und schließlich Kapitulation vor den Interessentenforderungen ohne Maß, um auch hier mit dem Herrn Bundesfinanzminister zu sprechen.
    Wer, meine Damen und Herren, wagt im Ernst heute schon zu behaupten, daß Herr Etzel im Kampf gegen die Hydra der Interessentenwünsche, die man ja gelegentlich auch als die „Herrschaft der Verbände" bezeichnet hat, Sieger bleiben und die Mehrheit dieses Hauses ihm dabei helfen wird? Das wird vielleicht bei gewissen Sozialaufgaben der Fall sein, über die an anderer Stelle noch zu reden sein wird.

    (Beifall bei der SPD.)

    Während der Rede des Herrn Ministers am Dienstag konnte man hier im Plenarsaal und draußen in der Wandelhalle die betretenen Gesichter vieler Mitglieder des Hauses betrachten, denen die Ankündigung des Herrn Bundesfinanzministers, daß er die Subventionen im Bundeshaushalt aufs Korn nehmen wolle, sichtlich aufs Gemüt geschlagen war.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Es wäre nicht fair, die Herren hier beim Namen zu nennen. Aber der Katalog, den der Herr Minister —sicher nicht ohne Absicht — aus dem Bereich des Grünen Plans zusammengetellt hatte, mag den Mitgliedern dies Hauses das dreimalige Raten ersparen.

    (Beifall bei der SPD. — Lachen in der Mitte.)

    Ich muß gestehen, ich und meine politischen Freunde haben diesen Teil der Rede des Bundesfinanzministers mit großer Aufmerksamkeit angehört; er erschien uns als ein Programm, dessen Verwirklichung dem Kampf der Götter gegen die Titanen gleichen würde. Würde dieses Programm in Angriff genommen werden — und wir glauben, daß das nötig ist —. dann könnte man sicher sein, daß auch in diesem Falle, um im Bilde zu bleibien, die Titanen, d. h. die Interessenten, den Pelion auf den Ossa türmen würden; und keineswegs sicher wäre es, daß sie nicht schließlich, zumal wenn es wieder auf Wahltermine zuginge, mit der Bundesgenossenschaft eines hochbetagten Zeus selbst den Olymp eines Herrn Etzel erstürmen und ihre Interessenwünsche durchsetzen würden.

    (Beifall bei der SPD.)

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    Schoettle
    Wir haben ja auch in diesem Bereich Erfahrungen, wie plötzlich irgendwoher, sei es aus Rhöndorf, sei es aus dem Palais Schaumburg, ,ein Donnerkeil ins Haus geflogen kommt und alle zusammentreibt, die man zu bestimmten „Behufen" braucht.

    (Lachen.)

    Übrigens, Subventionen und Subventionen sind nicht immer das gleiche. Man wird auch hier das Kind nicht mit dem Bade ausschütten dürfen. Vor allem dürfte man unter dem Stichwort „Abbau der Subventionen" nicht die Lebenshaltung der breiten Schichten der Bevölkerung mit daraus sich ergebenden Preiserhöhungen belasten. Auch das ist eine Gefahr, die vielleicht in dem steckt, was d er Herr Bundesfinanzminister — etwas allgemein
    als einen Versuch, die Subventionen im Bundeshaushalt abzubauen, angekündigt hat. Ich gebe gern zu, daß die Subventionen ein unerträgliches Ausmaß angenommen haben; im Interesse aller müssen sie auf das richtige Maß zurückgeführt werden, schon damit endlich auch alle diejengen, die es angeht, winsen, daß bestimmte Dinge eben nicht ohne eigene Anstrengungen, ohne eigene Leistungen erreicht werden können. Auf jeden Fall werden wir die Entwicklung ,auf diesem Gebiet mit wachem Interesse verfolgen. Der Herr Bundesfinanzminister kann unserer Sympathie bei seinen Bemühungen, soweit sie isich rechtfertigen lassen, gewiß sein.
    Damit, meine Damen und Herren, bin ich bei der Betrachtung des Haushalts 1959 selbst. Zunächst einige Bemerkungen zum Haushaltsgesetz. Es hält sich mit einer Ausnahme im wesentlichen an das Schema früherer Jahre. Der § 17 des Haushaltsgesetzes bringt zum erstenmal Vorschriften über die Förderung von Kapitalanlagen im Ausland, insbesondere zur Vertiefung der wirtschaftlichen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu Entwicklungsländern. Wir begrüßen diese Neuerung, müssen uns aber vorbehalten, bei der praktischen Durchführung eigene Vorschläge zu bringen und Anregungen zu geben, bei denen nicht nur die privatwirtschaftlichen, sondern auch die politischen Gesichtspunkte eine Rolle spielen müssen. Denn schließlich sind die finanziellen und die wirtschaftlichen Beziehungen der Bundesrepublik zu den Entwicklungsländern nicht nur eine Frage von privatwirtschaftlichem Interesse, sondern sie sind auch eine politische Aufgabe, die die Bundesrepublik sich setzen muß und zu deren Erfüllung sie bestimmte Leistungen erbringen muß.
    Ich will hier nicht auf die Details eingehen. Es ist wahr, daß wir heute schon — und das ist viel zu wenig bekannt - im Wege der Bürgschaftsübernahme, der Garantien für bestimmte Auslandsaufträge in einem hohen Maße Leistungen erbringen, die zum Teil auch materiell zu Buche schlagen, von denen man im allgemeinen nichts weiß und die man einmal in einer Summe sehen müßte, um zu wissen, welchen Umfang das bereits angenommen hat. Das ist wahr, das muß anerkannt werden, und niemand kann daran vorbei.
    Ein anderer Punkt im Haushaltsgesetz behagt uns weniger. Wir finden es sehr bedauerlich, daß die
    Bundesregierung auch in diesem Jahr wieder durch
    den § 6 des Haushaltsgesetzes die Anwendung des
    § 75 Satz 1 der Reichshaushaltsordnung suspendiert. Um Ihnen klarzumachen, was das bedeutet, muß ich Ihnen diesen Satz zur Kenntnis bringen. Denn ich kann nicht annehmen, daß er jedermann bekannt ist. Er lautet:
    Bleibt in einem Rechnungsjahr im ordentlichen Haushalt der Gesamtbetrag der Einnahmen hinter dem Gesamtbetrage der Ausgaben zurück, so ist der Fehlbetrag spätestens in den Haushaltsplan für das zweitnächste Rechnungsjahr als ordentliche Ausgabe einzustellen.
    Die Einhaltung dieser Vorschrift der Reichshaushaltsordnung bedeutet für den Herrn Bundesfinanzminister gewiß eine Erschwerung des Haushaltsausgleichs. Sie ist ja auch nicht erfunden worden, um ihm das Leben unbedingt zu erleichtern, sondern sie hat ihre guten Gründe in den langen Erfahrungen, die man im Laufe der Entwicklung des Haushaltsrechts gemacht hat. Ihre Nichtbeachtung ist ein Stück jener Haushaltsverschleierung, die wir im ganzen beklagen und die auf die Dauer unerträglich ist. Man muß sich ernsthaft überlegen, ob man mit diesem nun seit Jahren geübten Brauch einfach so fortfahren kann, weil es bequemer ist, davon abzusehen, Haushaltsdefizite, soweit sie entstanden sind, in den Haushalt des übernächsten Jahres einzustellen.
    Zum Haushalt selbst! Der Ausgleich des Haushalts ist ebenso wie die Reduzierung der Endsumme auf 39,1 Milliarden DM das Ergebnis von an sich sehr durchsichtigen Manipulationen, die alles andere als erfreulich sind und in der Hauptsache wieder einmal einen Tribut an die berühmte Optik darstellen. Wem will man eigentlich, so frage ich, Sand in die Augen streuen, wenn man z. B. den Einzelplan 14 von 10 auf 11 Milliarden DM erhöht und gleichzeitig im Haushalt der Allgemeinen Finanzverwaltung 2 Milliarden DM Minderausgaben veranschlagt, deren Zusammenhang mit dem Verteidigungshaushalt noch nicht einmal schamhaft geleugnet wird? Ich meine, auch andere Leute können Zahlen lesen. Es ist ja kein Geheimnis, daß sowohl bei den 11 Milliarden DM wie bei den 2 Milliarden DM in der Allgemeinen Finanzverwaltung die hohe Politik eine Rolle gespielt hat, die sie eigentlich gar nicht spielen müßte, wenn man davon ausginge, daß es den Bundesgenossen der Bundesrepublik viel weniger darauf ankommt, was schwarz auf weiß auf einem unverbindlichen Papier gedruckt ist, als auf das, was die Bundesrepublik im Bereich ihrer eigenen Verteidigungsanstrengungen tatsächlich leistet. Dafür soll sogar Herr Spaak als Kronzeuge gegolten haben. Aber man hat es dann, als des Kanzlers reitender Bote aus Paris angerückt kam und darauf drückte, daß man diesmal etwas höher gehen müsse als im letzten Haushaltsjahr, vorgezogen, den Verteidigungshaushalt optisch auf 11 Milliarden DM zu erhöhen, um hinterher das Kunststückchen zu machen, das der Herr Bundesfinanzminister an anderer Stelle seiner Haushaltsrede als verboten gerügt hat, das Kunststückchen, die 2 Milliarden DM hinten wieder abzusetzen. Ich frage also, wem
    2914 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1958
    Schoettle
    will man eigentlich damit Sand in die Augen streuen?
    1,2 Milliarden DM entnimmt der Herr Bundesfinanzminister aus dem Rückstellungskonto bei der Bundesbank, ein letztes Mal, wie es heißt. Es ist wohl gestattet, gerade diesem „letzten Mal" eine gewisse Skepsis entgegenzusetzen. Die Versuchung, den Haushaltsausgleich auch im nächsten Jahr auf diese Weise zu bewerkstelligen, wird um so größer sein, als mit Sicherheit anzunehmen ist, daß der Verteidigungshaushalt auch im Jahre 1959 noch eine ganze Menge Fett übriglassen und damit Raum für „letztmalige" Transaktionen geben wird. Warum ist das so? fragt eine der Regierung so wohlgesinnte Zeitung wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung", die sich auch mit dieser Frage beschäftigt hat; und sie antwortet selbst — ich könnte die Antwort nicht besser geben —: „Einfach deshalb, weil es nicht gelingt, die Verteidigungsausgaben so rasch zu erhöhen, wie es der Bundesregierung aus politischen Gründen lieb ist." Man kann dieser Charakterisierung des Tatbestandes durchaus zustimmen, auch wenn man die Gründe der Bundesregierung nicht billigt; und wir Sozialdemokraten billigen sie, wie bekannt, nicht.
    Ein anderes Mittel des Ausgleichs, dem wir mit geteilter Sympathie gegenüberstehen, ist die Verlagerung wesentlicher Positionen in den außerordentlichen Haushalt, wo ihre Deckung auf die keineswegs ganz sichere Grundlage von Anleiheaufnahmen gestellt wird. Wir akzeptieren den Grundsatz, den der Herr Bundesfinanzminister in seiner Rede vom Dienstag aufgestellt hat und der auch den Prinzipien der Haushaltsordnung entspricht: daß nämlich öffentliche Investitionen, in diesem Falle mehr als vorher, durch öffentliche Anleihen und nicht durch Steuern finanziert werden sollen. Es muß aber auch sicher sein, daß die Mittel für die Bedeckung der wichtigsten Ausgabeposten im außerordentlichen Haushalt im Anleiheweg aufgebracht werden können. Wenn das nicht der Fall ist, bleiben solche Haushaltsansätze entweder leere Versprechungen, oder sie müssen trotzdem, wie bisher, aus laufenden Einnahmen bestritten werden; und das geht bekanntlich nur, wenn Geld an anderer Stelle im ordentlichen Haushalt nicht ausgegeben wird.
    Der Haushaltsausgleich ist, das möchte ich zusammenfassend sagen, zwar gelungen; aber er steht keineswegs auf ganz soliden Beinen.
    Hier gleich noch ein Wort zu einem anderen Problem, zu den Anforderungen der Bundesregierung für neue Planstellen und Stellenhebungen. Meine Freunde und ich haben in den vergangenen Jahren gerade bei diesem im Bewußtsein der Öffentlichkeit neuralgischen Punkt stets die Auffassung vertreten, daß man nicht in Bausch und Bogen zu solchen Anforderungen nein sagen, sondern die sachliche Berechtigung in jedem Falle prüfen müsse. Wir werden es auch diesmal so halten. Auf der anderen Seite aber ist die oft besprochene Aufblähung der Verwaltung ja nicht ein bloßes Schlagwort oder eine böswillige Erfindung. Das berühmte Parkinsonsche Gesetz, wonach sich die öffentliche Verwaltung beinahe gesetzmäßig im Wege der Zellteilung vergrößert, ist leider auch in unseren Zonen und im Bereich der Bundesverwaltung da und dort wirksam. Wir behalten uns vor, im Ausschuß dieser Frage unser Augenmerk zuzuwenden, und wir werden da sicher mit größter Sachlichkeit Forderungen entgegentreten, die nicht durch die Sache, durch neue Aufgaben oder ähnliche Verpflichtungen, bestimmt sind, sondern einfach aus dem Wunsche entstehen, da und dort eben etwas mehr Personal zu haben, die Dinge etwas leichter zu machen, als sie bisher gewesen sind.
    Nun komme ich zu einem für uns Sozialdemokraten entscheidenden Gesichtspunkt für die Betrachtung dieses Bundeshaushalts. Das ist die Verteilung der Gewichte im Haushalt.
    Der Herr Bundesfinanzminister hat leider auch in seiner diesjährigen Haushaltsrede das alte Spiel fortgesetzt, durch Summierung der verschiedenartigsten, der heterogensten öffentlichen Aufwendungen unter dem Titel „soziale Sicherung" die Tatsache abzuschwächen, .daß der Aufwand für die Rüstung der Bundesrepublik das beherrschende Element des Bundeshaushalts ist.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Man soll nicht immer wieder kommen mit den Vergleichen mit anderen NATO-Ländern einschließlich der Vereinigten Staaten, die bis zu 10 % des Sozialprodukts für Verteidigungs-, für Rüstungskosten aufwenden.
    Man sollte auch hier in unserem eigenen Interesse klarmachen, daß die Bundesrepublik eine ganze Menge Lasten zu tragen hat, die in jedem Sinne auch in die Kategorie „Verteidigung der Freiheit, Verteidigung der Demokratie" gehören.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Ist ja geschehen! Weitere Zurufe.)

    Man sollte nicht denjenigen, die an dein Bundeshaushalt Anforderungen stellen, welche über das tragbare Maß hinausgehen, noch Argumente dadurch liefern, daß man unsere 5 1/2 % in Vergleich setzt mit den 10 %, die die Amerikaner aus einer ganz anderen Situation heraus sich in ihrem eigenen Haushalt leisten.

    (Beifall bei der SPD. Zuruf von der CDU/CSU: Hat er ja gesagt! — Abg. Niederalt: Dies ist deutlich ausgesprochen in der Haushaltsrede! — Weitere Zurufe.)

    — Lassen Sie mich doch ausreden, Herr Niederalt; Sie sind jaauch noch dran! Ich habe gegen niemanden polemisiert als gegen den, den es angeht.

    (Abg. Niederalt: Wir polemisieren überhaupt nicht, Herr Kollege Schoettle!)

    — Das möchte ich denn doch bestreiten, Herr Kollege Niederalt,

    (Beifall bei der SPD Abg. Niederalt: Sachliche Diskussion!)

    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1958 2915
    Schoettle
    daß Sie in Bayern nicht politisieren.

    (Abg. Niederalt: „Polemisieren" habe ich gesagt!)

    — Dann war das ein falscher Zungenschlag, oder habe ich falsch zugehört?

    (Abg. Dr. Aigner: Bayern ist kein Kollektivbegriff, Herr Kollege! — Heiterkeit.)

    — Da kann ich Ihnen nur zustimmen, Herr Dr. Aigner.

    (Erneute Heiterkeit.)

    Meine eigenen Freunde möchte ich allerdings nicht unbedingt in ein Kollektiv mit einem von Ihnen bringen!

    (Beifall und Heiterkeit bei der SPD. — Zurufe.)

    Die Verteilung der Gewichte! Der Herr Bundesfinanzminister hat, nachdem er das Generalkapitel „Soziale Sicherung" aufgeschlagen hatte, das von ihm mit 40 % ausgestattet worden ist, schließlich doch unterschieden zwischen dem vagen Begriff der sozialen Sicherung, in den er alles hineinpackte, was überhaupt hineinzupacken war, und den Sozialleistungen im engeren Sinne. Aber die Konfrontierung eines angeblichen Sozialaufwands von 40 % des Gesamthaushalts mit den 30 % für Verteidigungsausgaben hatte doch einen so eindeutigen und fatalen Beigeschmack, daß man dagegen entschieden protestieren muß, weil es einfach nicht der Wahrheit entspricht.

    (Beifall bei der SPD.)

    Übrigens hat ein Herr aus dem Ministerium des Herrn Bundesfinanzministers im Bulletin der Bundesregierung vor kurzem eine Rechnung aufgemacht, wonach der wirkliche Sozialhaushalt der Bundesrepublik insgesamt 10 Milliarden DM, d. h. rund 27 % des gesamten Haushaltsvolumens, betragen soll. Das ist zwar auch noch etwas nach oben frisiert; aber es kommt der Wirklichkeit erheblich näher, als dies bei den generellen 40 % der Fall ist, die der Herr Bundesfinanzminister am Dienstag hier genannt hat.
    Ich habe zu Beginn meiner Rede davon gesprochen, daß die Niedrighaltung der Ausgaben des Bundeshaushalts möglicherweise erreicht worden sei um den Preis des Übersehens von unausweichlich an den Bundeshaushalt herantretenden Anforderungen und wichtigsten Aufgaben, deren Vernachlässigung oder Zurückstellung uns schließlich teuer zu stehen kommen wird. Unter dem Gesichtspunkt der Verteilung der Gewichte im Bundeshaushalt sind gerade hier einige Bemerkungen grundsätzlicher Art zu machen. Der Herr Bundesfinanzminister mag sich darauf berufen, daß er in seinem Entwurf nur diejenigen Aufwendungen veranschlagt habe, für die z. B. im Bereich des Sozialhaushalts eine gesetzliche Grundlage vorhanden ist. Es dürfte aber weder ihm noch der Bundesregierung ein Geheimnis gewesen sein, daß die Anpassung der Renten und die Verbesserung der Kriegsopferversorgung unausweichlich auf den Bundeshaushalt zukommt. Gewiß ist der Umfang dieser Maßnahmen heute noch nicht bekannt, und gewiß wird er schließlich Gegenstand der parlamentarischen Auseinandersetzung sein müssen. Aber ebenso gewiß ist es, daß der Bundeshaushalt in gewissem Umfange belastet werden wird, und dafür hätte der Entwurf mindestens auch in einer gewissen Höhe Vorsorge treffen müssen. Daß er das nicht getan hat, scheint mir ein Fehler, ein Versäumnis zu sein, und es ist kein Zweifel, daß das im Laufe der Haushaltsberatungen, wenn nicht vielleicht sogar später — das hängt vom Gang der Verhandlungen in diesem Hause ab —, eine Korrektur erfahren muß. Im übrigen läßt sich, wenn man die Statistiken nicht zu zweifelhaften Propagandazwecken mißbraucht, feststellen, daß die sozialen Leistungen im engeren Sinne — d. h. im wirklichen Sinne — verstanden im Verhältnis zum Gesamthaushalt eine rückläufige Tendenz haben. Parallel damit läuft auch eine wachsende Beitragsbelastung der Sozialversicherten. Dahinter steht die Tendenz, den Bundeshaushalt möglichst vor Soziallasten zu schützen, und darüber hinaus auf Grund des oft widerspruchsvollen Sozialrechts sogar noch die Chance, Einsparungen zu erzielen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Allein auf G rund ,der Anrechnungsbestimmungen warden durch die verbesserten Sozialversicherungsrenten in der Kriegsopferversorgung und so weiter eine halbe bis eine Milliarde D-Mark jährlich gespart. Bei der Vorbereitung der Krankenversicherungsreform hebt sich ebenfalls deutlich die Tendenz ab, den Versicherten durch eine zusätzliche Beteiligung an den Kosten der Behandlung im Kranheitsfall neue Beitragslasten aufzubürden. Wir können nur sagen, daß wir uns diesen Bemühungen entschieden widersetzen werden.
    Bei der Kriegsopferversorgung ,sind in diesem Jahr 240 Millionen DM weniger veranschlagt mit der Begründung, ,daß solche Einsparungen durch den natürlichen Rückgang der Zahl der Versorgungsberechtigten möglich 'seien. Ich möchte hier nicht den Eindruck erwecken, daß ich die Auffassung vertrete, daß jeder Rückgang in der Zahl der Versorgungsberechtigten sich automatisch im Wege der Neuverteilung, also sozusagen einer positiven Umlage, als Leistungserhöhung für die Übriggebliebenen auswirken müsse. Das ist nicht meine Auffassung; ich möchte das ausdrücklich betonen. Aber die Verbesserung der Versorgung der Kriegsopfer ist unausweichlich.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

    Darüber kann gar kein Zweifel bestehen, und das ist auch in Ihren Kreisen bekannt. Rückstellungen dafür hätten (auch von dieser Regierung mindestens im Rahmen der 240 Millionen DM erwartet werden dürfen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Vielleicht sind diese 240 Millionen DM auch ein Element des Haushaltsausgleichs geworden.
    In diesem Zusammenhang darf ich mir die Frage gestatten, wie sich die Bundesregierung eigentlich zu den Beschlüssen des Bundestags stellt, die wäh-
    2916 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1958
    Schoettle
    rend der Haushaltsberatungen 1958 einstimmig gefaßt worden sind. Im Juli dieses Jahres — ich selber war damals nicht anwesend, habe mir aber die Akten geben lassen — wurde ein kombinierter Antrag von CDU, DP und SPD vom Hause einstimmig angenommen, in dem die Bundesregierung ersucht wurde — ich habe mir die beiden Anträge, die nachher kombiniert worden sind, noch einmalangesehen, in beiden war diese Verpflichtung für die Bundesregierung ausdrücklich enthalten —, schon im Entwurf des Haushaltsgesetzes 1959 einen angemesseenen Teilbetrag zur Abdeckung der Verpflichtungen des Bundes gegenüber den Trägern der Rentenversicherung einzustellen. Das mehr als bescheidene Ergebnis dieses einstimmigen Beschlusses des Parlaments, der sich auf rund 2 Milliarden DM bezog, ist die Einstellung von sage und schreibe 1 Million DM in dien Haushalt.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Das kann man noch nicht einmal als leine erste Rate bezeichnen; wenigstens würde ich das nicht tun.
    Die Gewichtsverteilung im Bundeshaushalt, so wie sie im Entwurf vorgesehen ist, läßt auch eine andere wichtige öffentliche Aufgabe ziemlich abseits liegen: die Verkehrsprobleme. Der Herr Bundesfinanzminister hat sich in seiner Haushaltsrede mit diesem Thema länger befaßt. Man kann aber nicht sagen, daß er dabei wesentlich Neues mitgeteilt hätte, wenn man davon absieht, daß er den Entwurf eines Straßenbaufinanzierungsgesetzes noch vor Ende dieses Rechnungsjahres angekündigt hat. Daß er in diesem Zusammenhang auch entgegen seinen vorher verkündeten Antipathien gegen Steuererhöhungen — die wir übrigens teilen; wer teilte sie nicht! — eine Mehreinnahme an Mineralölsteuer von mehreren hundert Millionen D-Mark noch für das Rechnungsjahr 1959 in Aussicht gestellt hat, läßt doch wohl vermuten, daß er Steuererhöhungen durchaus für richtig und möglich hält, wenn sie nicht direkt, sondern auf Umwegen den Verbrauch belasten.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Denn daß die Mineralölsteuer auch auf den Verbrauch abgewälzt werden wird, ist so ziemlich sicher.
    Der Verkehrshaushalt im übrigen ist um ganze 50 Millionen DM gestiegen. Das ist angesichts der Lage im Verkehrswesen, vor allem beim Straßenverkehr, geradezu grotesk. Der Herr Bundesminister Seebohm, der für den Verkehr zuständig ist, hat — es ist schon lange her! — Pläne für die Verkehrsfinanzierung entwickelt. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat vor längerer Zeit ein Verkehrsfinanzierungsgesetz in diesem Hause eingebracht. Es ist still geworden sowohl um den Plan des Herrn Seebohm als auch um die Behandlung unserer eigenen Vorschläge für die Finanzierung der Verkehrsprojekte. Der Vorgänger des jetzigen Bundesfinanzministers, Herr Schäffer, hat die Finanzierungspläne seines Kollegen vom Verkehr immer beiseite geschoben,

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    und es scheint fast so, als ob Herr Etzel in diesem Punkte den Spuren von Herrn Schäffer folgen wollte. Man hört ja so gewisse Kulissengespräche, daß der Stuhl des jetzigen Herrn Bundesverkehrsministers etwas wackele und daß man eine andere Besetzung in Aussicht genommen habe. Ob das damit zusammenhängt, daß er mit seinen Finanzierungsplänen nicht reüssiert hat, oder ob andere Gründe für ein solches Revirement vorliegen, weiß ich nicht. Ich kann auch nicht beurteilen, wieviel Realität hinter diesen Gesprächen steckt. Aber immerhin ist es doch interessant, daß man darüber spricht, und so am Rande darf man ja wohl ein solches Couloirgespräch auch hier im Hause einmal erwähnen. Vielleicht denken einige darüber nach, vielleicht sogar Kandidaten für das Amt. Wer weiß?

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Dabei — um zum Ernst der Sache zurückzukommen — ist allen, die sich mit den Fragen des Verkehrs befassen, klar, daß nicht nur die Bundesbahn, deren Tarifpolitik sich als ein Fehlschlag erwiesen hat, dringend der Hilfe bedarf, sondern daß auch im Bereich des Straßenbaues weit über die Bundesautobahnen und über die Bundesstraßen hinaus die Landstraßen und die Kreisstraßen ohne eine weitreichende Leistung des Bundes nicht auf jene Höhe gebracht werden können, die der sich ständig steigernde Verkehr erfordert. Es ist witzlos, gute Bundesstraßen und gute Autobahnen zu haben, wenn man die jenseits dieser Verkehrswege liegenden Ziele nur über teilweise miserable oder sogar halsbrecherische Straßen erreichen kann.
    Auch ich weiß natürlich, daß diese Probleme nicht in einem Jahreshaushalt des Bundes bewältigt werden können. Aber was wir jetzt vor uns haben, ist noch nicht einmal ein bescheidener Ansatz.
    Im Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt sind auch wirtschaftspolitische Überlegungen anzustellen. Ich muß sie auf ein Minimum beschränken. Schließlich ist die öffentliche Hand sowohl im Nehmen wie im Geben ein beträchtliches Stück der Gesamtwirtschaft. In den letzten drei Jahren ging es darum, daß vom öffentlichen Haushalt keine vermeidbaren Impulse zur Steigerung der Konjunkturerhitzung ausgingen. Darum gingen bekanntlich mehrere Konjunkturdebatten in diesem Hause, die eine davon in Berlin.
    Heute stehen wir vor einer etwas anderen Lage. Die jetzige Konjunkturlage kann nicht von vornherein als schlecht bezeichnet werden. Immerhin sollten die für die Wirtschaftspolitik Verantwortlichen nicht versuchen, die spürbaren Abschwächungstendenzen und Krisenerscheinungen in unserer Wirtschaft mit übertriebenem Optimismus zu umschreiben oder etwa mit moralischen Spritzen bewältigen zu wollen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Ohne auf Einzelheiten einzugehen, muß ich doch auf die besonders alarmierende Lage in einem Industriezweig hinweisen, nämlich im Kohlenbergbau. Die Kohlenhalden sind mit 13 Millionen t zur Zeit größer als je vorher. Bisher wurden 1,9 Millio-
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1958 2917
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    nen Feierschichten gefahren. Der Rückgang in der Stahlerzeugung bedeutet Kurzarbeit für rund 50 000 Stahlarbeiter. Auch in der Textil- und in der Lederwarenindustrie machen sich Stagnation und Rückgang des privaten Verbrauchs besonders stark bemerkbar.
    Die Bundesregierung sollte nach unserer Meinung nicht warten, bis es zu einem allgemeinen Konjunkturrückschlag kommt. Heute kann sie die negativen Tendenzen noch durch wirtschaftliche Maßnahmen der leichten Hand auffangen. Vom Export ist ein Auftrieb zur Zeit nicht zu erwarten. Deshalb müßte über eine Belebung des Verbrauchs ein ernster Versuch gemacht werden, die gegenwärtige Stagnation zu überwinden. Eine rechtzeitige Anpassung der Renten wäre in diesem Zusammenhang nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Beseitigung sozialen Unrechts, sondern auch zur Belebung der Binnenkonjunktur nötig gewesen.

    (Beifall bei der SPD.) Sie ist leider bisher nicht erfolgt.

    Der Bundeshaushalt selbst kann wesentlich dazu beitragen, den wirtschaftlichen Abschwächungstendenzen entgegenzutreten. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Debatte, die in diesem Hause vor kurzem stattgefunden hat und die sich mit der Verbesserung der Lage in der Bauwirtschaft befaßte. Darin hat mein Kollege Dr. Deist zahlreiche Ansatzpunkte für eine Beeinflussung des gesamten Wirtschaftsablaufs von der Bauwirtschaft her aufgezeigt.
    ) Der Herr Bundesfinanzminister hat — worauf ich schon hingewiesen habe — in seinen Ausführungen über die Subventionspolitik vor allem auch auf die landwirtschaftlichen Subventionen abgehoben. Leider ist infolge der Gesetzeslage der Grüne Plan stets eine Art Nachzügler des Bundeshaushalts; man wird also bei dessen Beratungen erneut die Fragen aufgreifen müssen, die Herr Etzel am vergangenen Dienstag aufwarf. Ich will hier ganz allgemein für die sozialdemokratische Fraktion folgendes sagen. Wir werden sowohl bei der Beratung des Bundeshaushalts wie auch bei der des Grünen Plans selber — für den ja im Haushalt die gleiche Summe wie im Vorjahr angesetzt ist — keine höheren Beträge verlangen; aber wir werden uns entschieden für eine Umschichtung der Verwendung einsetzen. Wir glauben nämlich nicht, daß die Art der Verwendung dieser Mittel in den letzten Jahren der Weisheit letzter Schluß gewesen sein kann.

    (Beifall bei der SPD.)

    Mehr möchte ich zu diesem Thema nicht sagen.
    Eine Bemerkung zur Frage der Eingliederung der vertriebenen Bauern sei mir noch gestattet, und zwar sowohl in bezug auf die Höhe der Mittel als auch auf deren Verweisung in den außerordentlichen Haushalt. Das letztere steht übrigens im Gegensatz zur Behandlung aller anderen Positionen des Grünen Plans. Die Behandlung der ganzen Fragen, die ich iin diesem einen Satz angedeutet habe, steht aber auch in auffallendem Gegensatz zu dem, was der Herr Bundeskanzler auf dem Ostdeutschen Bauerntag in Bad Godesberg erklärt hat, wie ja
    überhaupt manchmal öffentliche Deklamationen und Deklarationen in einem sehr starken Gegensatz zur Praxis der Bundesregierung stehen.

    (Sehr richtig! und Beifall bei der SPD.)

    Ich bin im allgemeinen nicht als boshaft bekannt, Herr Bundesfinanzminister; hier aber kann ich mir eine boshafte Frage an Sie nicht ganz verkneifen, nämlich die Frage, was Sie eigentlich beabsichtigt haben, als Sie die im Manuskript Ihrer Rede gestrichene Stelle über die Entstehung eines Zuckerberges im Zusammenhang mit der Erhöhung des Zuckerrübenpreises dem Parlament so einfach mit zwei blauen Strichen quer hindurch zuleiteten.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Ich weiß nicht: Wenn ich nicht boshaft bin — sind Sie ,es vielleicht gewesen? Man muß ja in diesem Zusammenhang doch daran erinnern, daß in der zweiten Legislaturperiode, unmittelbar vor den Wahlen 1957 — der Termin ist nicht ganz bedeutungslos —, in diesem Hause eine Entschließung angenommen worden ist, die die Bundesregierung aufgefordert hat, entgegen ,den Empfehlungen des Haushaltsausschusses die Preiserhöhung für die Zuckerrüben 'trotzdem vorzunehmen. Der Rest wurde dann von der Regierung und den ihr nahestehenden Parteien im Bundesrat auf dem Weg über eine Verordnung besorgt. Der gestrichene Absatz der Rede des Herrn Etzel ist immerhin für alle, die ihn gelesen haben, und darüber hinaus vielleicht für manchen andern außerordentlich aufschlußreich gewesen.
    Der Verteidigungshaushalt wäre wert, in einer besonderen Rede alleinabgehandelt zu werden. Ich muß mich im Rahmen dieser Haushaltsrede j edoch auf wenige Bemerkungen beschränken, nachdem ich bereits verschiedentlich über dais Verhältnis dieses Haushalts zum Gesamthaushalt und zu anderen Größenordnungen im Haushalt gesprochen habe. Sicher ist eines: die in diesem Hause heftig bestrittenen Behauptungen der sozialdemokratischen Redner in vergangenen Debatten, z. B. in den Debatten über die Rüstungskosten Frühjahr dieses Jahres, daß im Verteidigungshaushalt eine große Marge für Manipulationen und für nicht auszugebende Dinge vorhanden sei, ist durch die Tatsachen mehr als bestätigt worden. Dabei sind wir mit unseren Schätzungen noch hinter der Wirklichkeit zurückgeblieben.
    Vermerkt werden muß auch — ich tue dais ausdrücklich unter Betonung aller haushaltsrechtlichen Bedenken —, daß in den 11 Milliarden DM, die nominell in dem Einzelplan 14 eingesetzt sind, rund 4 Milliarden DM als neue Deckung für Haushaltsreste aus früheren Jahren ,enthalten sind, wobei die Deckungsmittel inzwischen für andere Zwecke verwendet wurden. Mir scheint, daß Fallein dieses Verfahren noch einer genaueren Prüfung bedarf.

    (Vorsitz: Präsident D. Dr. Gerstenmaier.)

    Ob es möglich ist, Mittel, die schon ausgegeben worden sind — das ist auch in der Begründung für diese Ansätze klar gesagt —, noch einmal einzusetzen, ist eine offene Frage. Ich bin geneigt, sie zu verneinen. Auf alle Fälle ist das Problem der
    2918 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1958
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    Haushaltsreste und ihrer Behandlung in den Haushalten .kommender Jahre, eventuell sogar ihrer wirklichen Abtötung — um einen Fachausdruck zu gebrauchen — gerade im Zusammenhang mit dem Verteidigungshaushalt erneut gestellt.
    Eine Frage kann ich, so kurz ich mich auch hier bei der Behandlung des Verteidigungshaushalts fassen möchte, nicht ganz unterdrücken. Im Zusammenhang mit dem Aufbau einer Luftwaffe und dem Ankauf von Flugzeugen im Ausland ist der Gedanke aufgetaucht, ob nicht im weiteren Verlauf der Entwicklung zum Lizenzbau der im Ausland erworbenen Flugzeugtypen in Deutschland übergegangen werden soll. Der Herr Bundesverteidigungsminister scheint stark in dieser Richtung zu drängen. Und es ist ihm durchaus zuzutrauen, daß er sich damit auch im Schoße der Regierung durchsetzt.
    Ich möchte aber die Aufmerksamkeit des Hauses und der Regierung auf die möglichen Konsequenzen des Aufbaus einer deutschen Luftfahrtindustrie und vor allem auf die Gefahren hinweisen, die sich daraus, d. h. von den möglichen Investitionsbedürfnissen her für die Wirtschaft, für den Arbeitsmarkt und für den Bundeshaushalt ergeben könnten. Ich glaube, die Frage sollte ernsthaft geprüft werden, ob wir uns in der Bundesrepublik in unserer Situation und angesichts der allgemeinen Möglichkeiten und Notwendigkeiten eine solche Entwicklung leisten können. Wir jedenfalls — das möchte ich heute schon sagen — werden uns in diesem Punkt mit besonderer Vorsicht verhalten, weil wir nicht wollen, daß industrielle Fehlinvestitionen auf dem Wege über den öffentlichen Haushalt, der für sie ja doch einmal in Anspruch genommen werden muß, wettgemacht werden. Denn eine Flugzeugindustrie dieser Art wird niemals aus eigener Kraft in vollem Umfang rentierlich sein, zumal nicht in unserem Bereich.
    Ein ganz anderes, meine Damen und Herren — um nicht zu sagen: ein konkurrierendes —, Element des Bundeshaushalts sind die kulturellen Aufgaben. Für sie sind im Bundeshaushalt summa summarum rund 500 Millionen DM eingesetzt, und darin ist vermutlich alles enthalten, was überhaupt nur irgendwie unter das Stichwort „kulturelle Aufgaben" gebracht werden kann. Ich habe im Augenblick nicht die Möglichkeit gehabt, nachzuprüfen, inwieweit auch Institutionen des Bundes für bestimmte sachliche Zwecke unter diesem Rubrum erscheinen. Aber lassen wir das einmal dahingestellt.
    Wir Sozialdemokraten glauben jedenfalls, daß diese Summe von 500 Millionen DM weit hinter den Erfordernissen zurückbleibt, die sich aus der Lage unseres Volkes, aus unserer kulturpolitischen Situation und aus den Bedürfnissen der Zukunft ergeben. Meine Partei hat seit Jahren auf diesem Gebiet Vorstöße unternommen, um den Ausbau unserer Bildungseinrichtungen von der Volksschule über das Berufsschulwesen und die technischen Lehranstalten bis hin zu den Universitäten ebenso wie die Förderung der Wissenschaften als eine
    nationale Notwendigkeit nicht nur ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu bringen, sondern dafür auch die notwendigen finanziellen Mittel zu mobilisieren. Das ist bisher nur in bescheidenem Umfang gelungen. Es ist richtig, die Leistungen des Bundes sind erhöht worden. Aber sie stehen in keinem Verhältnis zu den Aufgaben.
    Wir sind überzeugt, daß das Problem nicht damit abgetan werden kann, daß man es als eine Aufgabe der Länder von sich abschiebt, weil nach dem Grundgesetz die Kulturhoheit bei den Ländern liegt. Die Aufwendungen, die nötig sind, um den tatsächlichen Bedarf zu decken, können nur durch eine gemeinschaftliche Anstrengung von Bund und Ländern aufgebracht werden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir sind überzeugt, meine Damen und Herren, daß ein sachliches Gespräch über dieses Problem zwischen Bund und Ländern unausweichlich ist und daß es auch zu einer Lösung führen würde, die für alle beteiligten Kostenträger vertretbar ist, zumal wenn man davon ausgeht, daß die Verwirklichung eines langfristigen Programms in den Anlaufjahren weit geringere Mittel erfordern würde, als sie sich aus einer bloßen arithmetischen Teilung des zu errechnenden Gesamtaufwandes durch die Zahl der Jahre ergeben könnten. Die Aufgabe muß gelöst werden. Ich kann ihren Umfang hier nur andeuten.
    Untrennbar hängt mit diesem Problem ein anderes zusammen, nämlich der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern. Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Rede eine Rechnung aufgemacht, aus der hervorgeht, daß Länder und Gemeinden angeblich weit besser gestellt seien als der Bund. Ich gestatte mir mit allem Respekt vor dem Herrn Minister zu behaupten, daß diese Rechnung zweckbestimmt ist und im ganzen nicht aufgeht.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Aufgaben, die nach dem Grundgesetz den Ländern zufallen und zu denen auch die finanzielle Teilausstattung der Gemeinden über Ausgleichsstocks und ähnliche Einrichtungen gehört, ist beim gegenwärtigen Stand der Dinge und bei der jetzigen Verteilung der Finanzmasse nicht zu lösen.
    Der Bundesrat hat vor kurzem eine Kommission eingesetzt, die aus dem Herrn Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, dem Herrn Finanzminister von Hessen und dem Herrn Kultusminister von Schleswig-Holstein besteht. Sie hat die Aufgabe, die Probleme eines neuen Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern zu prüfen und darüber auch mit der Bundesregierung in Verhandlungen einzutreten. Der Herr Bundesfinanzminister wird sich darauf einrichten müssen, daß auf diesem Gebiet sehr ernste Fragen an ihn herangebracht werden. Es wird nicht möglich sein, sich auf die Dauer mit Aushilfen oder sogar mit Bemerkungen zu helfen, wie sie der Herr Bundesfinanzminister leider auch in seiner Haushaltsrede gegenüber den Gemeinden und Gemeindebürgern gebracht hat.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1958 2919
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    Schließlich ist die wahre Lage doch so, daß der Bund in den letzten Jahren im Bereich der Steuergesetzgebung immer wieder als Wohltäter gegenüber den Steuerzahlern aufgetreten ist, wobei die Hauptkosten dieser Wohltäterei infolge der Verteilung der Steuereinkünfte auf die Länder und zu einem nicht unbeträchtlichen Teil auch auf die Gemeinden entfallen sind.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Der Bund hat sich gegenüber einzelnen Ländern sogar als Bankier betätigen können. Die Gemeinden aber haben sich — ohne daß ich das auf alle erstrecken will - in einem Grade verschuldet, der für viele von ihnen bis hart an die Grenze der Belastungsmöglichkeit und bei einer ganzen Reihe schon über diese Grenze hinausgegangen ist.
    Der Herr Bundesfinanzminister hat es für richtig gehalten, den Gemeinden die Einführung einer neuen Steuerquelle in Gestalt der Gemeindeeinwohnnersteuer oder eine allgemeine Erhöhung der Grundsteuer zu empfehlen, und dabei Formulierungen gebraucht, die in die Zeit des Kommunalfreisinns zurückführen, als man das Mitspracherecht in der Gemeinde an die Steuerleistung binden wollte. So geht es nicht, Herr Bundesfinanzminister!

    (Beifall bei der SPD.)

    Sie können nicht so tun, als hätten diejenigen, die bei der letzten Steuerreform von der Einkommensteuerverpflichtung befreit worden sind, überhaupt keine öffentlichen Lasten zu tragen. Das stimmt nicht, das ist einfach nicht wahr.

    (Beifall bei der SPD.)

    Diese Personengruppe trägt durchaus an den öffentlichen Lasten mit, und sei es nur über die Belastung durch die überhohen Verbrauchsteuern.
    Sie können also nicht auf der Bundesebene Steuersenkungen oder Vermeidung von Steuererhöhungen predigen, aber allen anderen Trägern der öffentlichen Haushalte den schwarzen Peter zuschieben, der da heißt: Steuererhöhungen und Belastungen der Gemeindebürger.

    (Beifall bei der SPD.)

    Schließlich noch einige abschließende Bemerkungen, die sozusagen unter das Stichwort „Alle Jahre wieder" gehören. Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Haushaltsrede die Möglichkeit einer Jahressteuergesetzgebung angedeutet. Eine außerordentlich wichtige Angelegenheit! Er hat davon gesprochen, daß das Haushaltsjahr an das Kalenderjahr angepaßt werden müsse. Er hat nicht davon gesprochen, wie es mit der seit langem in Arbeit befindlichen und in der letzten Zeit eigentlich in der Versenkung verschwundenen Reform des Haushaltsrechts steht. Ich möchte die Frage aufwerfen, Herr Bundesfinanzminister: Wann wird eigentlich mit all diesen Dingen ernst gemacht? Sie sind wichtig, sie sind notwendig, seit Jahren reden wir davon; aber endlich möchte man doch auch einmal einen Schritt in der richtigen Richtung getan sehen, vor allem was die Anpassung des Haushaltsjahres an das Kalenderjahr angeht, weil das eine Reihe von Konsequenzen auch für die Finanzgebarung der
    öffentlichen Haushalte hat und namentlich für die Mittel, die aus den öffentlichen Haushalten in die Wirtschaft fließen. Hier sollten wir tatsächlich einmal ernst machen und nicht immer nur den Mund spitzen, sondern auch wirklich zu pfeifen beginnen.
    Ich kann mich nicht von diesem Entwurf eines Bundeshaushalts für 1959 verabschieden, ohne auch etwas gesagt zu haben über die sozialdemokratische Gesamthaltung zu diesem Haushalt und zu der Regierung, die ihn einbringt. Ich glaube, es bedarf nach den Erfahrungen dieser Jahre keiner besonderen Betonung des Umstandes, daß meine Freunde an der Erarbeitung der konkreten Daten des Haushalts, an der Durchdringung des Dickichts der Haushaltsansätze, an ihrer Korrektur womöglich, nach sachlichen Gesichtspunkten stets mitgearbeitet haben und es auch in Zukunft tun werden. Aber wir können nicht von dem Umstand absehen — und das bestimmt unsere Stellungnahme schließlich zum Gesamthaushalt —, daß es der Haushalt einer Regierung ist, die von einem Manne geführt wird, der es in all den Jahren und gerade in den letzten Jahren systematisch darauf angelegt hat, die politischen Kräfte, die in der Sozialdemokratie repräsentiert werden, in der Bundesrepublik in die Ecke zu drängen, ihnen die Möglichkeit der politischen Wirksamkeit abzuschneiden und sie, so oft er konnte, auch politisch in einer Weise zu diffamieren, die manchen von uns die Frage vorgelegt hat, ob hier Altersstarrsinn, böser Wille

    (Pfui-Rufe von der CDU/CSU)

    oder schlechtweg Unverständnis am Werke sei.

    (Beifall bei der SPD.)

    — Ja, manchmal muß man auch ein deutliches Wort gebrauchen.

    (Zuruf von der SPD: Er hat sich sogar sehr vornehm ausgedrückt!)

    Sie sind ja gelegentlich auch etwas auf die Zehen getreten von der Art, wie der Chef Ihrer Regierung in der Öffentlichkeit umgeht,

    (erneuter Beifall bei der SPD)

    und ich bin gewiß ein rücksichtsvoller Mann; aber es gibt Situationen, in denen sogar unsereinem der Kragen platzt. Wir können auch nicht davon absehen, daß es der Haushalt einer Regierung ist, deren Innenminister gerade in der letzten Zeit betont eine Tendenz in der Richtung auf — na, sagen wir einmal — reichlich autoritäre Vorstellungen vom Wesen des Staates und von der Stellung der Regierung im Staate an den Tag gelegt hat.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Ich brauche Sie nur an die berühmte Stuttgarter Rede des Herrn Bundesinnenministers zu erinnern, die er heute wahrscheinlich nicht in diesem Sinne gehalten haben möchte, und doch ist bekannt, daß daran eine ganze Menge Wahres ist. Wir können nicht davon absehen, daß diese Regierung einen Justizminister hat wie Herrn Schäffer, der für politische Vergehen die Todesstrafe wünscht, wobei die Frage aufzuwerfen wäre, ob er nicht einer der ersten wäre, die nach dem Standard, der hier in der politischen Auseinandersetzung in den letzten Jah-

    Schoettle
    ren von Ihnen gesetzt worden ist, selber unter dieses Verdikt fallen würde.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/ CSU: Das glauben Sie ja selber nicht!)

    Wir können auch nicht davon absehen, daß die innenpolitische Atmosphäre in der Bundesrepublik sich im Laufe der Jahre in einer Weise verdichtet hat, von der man nicht sagen kann, sie habe sich in der Richtung zu einem echten demokratischen Gemeinschaftsleben weiterentwickelt.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Die Schuld liegt nicht zuletzt bei denen, die in diesen Jahren die politische Verantwortung getragen haben und deren Gesamtverhalten schließlich dazu geführt hat, daß eine ganze Menge der Ewiggestrigen und Vorgestrigen in dieser Bundesrepublik wieder das Haupt erheben kann, sehr zum Schaden unseres Volkes und unseres Landes, Leute, von denen jeder, der hier im Hause sitzt, weiß, was sie in der Vergangenheit sich auf das Gewissen geladen haben und was sie in der Zukunft tun würden, wenn sie die Möglichkeit hätten, wieder einmal politisch wirksam zu werden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich will hier nicht eine Schuldenrechnung für diese Dinge aufmachen, aber, meine Damen und Herren, klopfen Sie sich einmal an die eigene Brust und fragen Sie sich, wie weit diese Entwicklung nicht auch zu einem Teil auf das Konto der Politik geht, die die Regierung getrieben hat, in deren Auftrag Herr Bundesfinanzminister Etzel am vergangenen Dienstag den Bundeshaushalt 1959 vorgelegt hat.
    Ich habe diese Bemerkungen gemacht, weil ich sie für notwendig hielt, um die Stellung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion und der Sozialdemokratischen Partei zu diesem Bundeshaushalt nicht nur von der sachlichen, sondern auch von der politischen Seite her eindeutig darzutun.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vogel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rudolf Vogel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz der Worte, die wir am Schluß der Ausführungen meines verehrten Vorredners hörten, möchte ich entsprechend einer traditionellen guten Sitte dieses Hauses folgendes sagen. Wir haben uns gefreut, daß Herr Kollege Schoettle in alter Frische, in Gesundheit und auch mit Witz nach seiner schweren Krankheit hier wieder erschienen ist. Wir haben in dieser Arena stets einen fairen Kampf geliebt und wir werden uns auch in Zukunft daran halten. Ich möchte also noch einmal sagen, Herr Kollege Schoettle: vor allem die Mitglieder des Haushaltsausschusses freuen sich, daß Sie hier den Beweis der völligen Wiederherstellung Ihrer Gesundheit geliefert haben, besonders in Ihren Schlußworten.

    (Beifall.)

    Mein Vorredner hat zu Anfang seiner Rede gesagt, es sei kein ausgesprochenes Verdienst des Bundesfinanzministers, den Haushalt rechtzeitig vorgelegt zu haben. Demgegenüber möchte ich hervorheben, daß wir mit Freude und Genugtuung anerkennen, daß der Haushalt in diesem Jahre zum normalen Zeitpunkt, d. h. im Dezember, vorgelegt worden ist und in erster Lesung diskutiert werden kann. Wir wissen, welch große Leistung seitens der führenden Beamten des Bundesfinanzministeriums, vor allen Dingen auch des Leiters der Haushaltsabteilung, dahintersteht, und wir zögern nicht, ihnen dafür hier unsere Anerkennung auszusprechen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Jedes Jahr wird uns dabei ein dicker Band in Gestalt der Allgemeinen Vorbemerkungen vorgelegt. In diesem Jahr ist die Ausgestaltung dieser Allgemeinen Vorbemerkungen mit einer Reihe von statistischen Aufstellungen, insbesondere über die Sozialleistungen, meines Erachtens besonders anerkennenswert. Auch die Darstellung der Vermögenswerte des Bundes hat sichtbare Fortschritte gemacht. Wir haben z. B. auch einiges mehr erfahren über die Zusammensetzung der Aufsichtsräte und der Vorstände sowie über ihre Bezüge. Auch hier sind Fortschritte zu verzeichnen, und ich glaube, daß sie sich gut auswirken werden. Bei der Aufspaltung der Arbeit des Parlaments durch die Beratung so vieler Spezialgesetze und Großer Anfragen über alle möglichen Probleme ist es nützlich, daß man an einer Stelle einmal den Versuch eines Gesamtüberblickes macht. So ist wohl die Frage durchaus berechtigt: wo stehen wir jetzt am Ende des Jahres 1958?
    Der bisherige Ablauf des Bundeshaushalts erlaubt gewisse Rückschlüsse auf den kommenden Verlauf. Die Vorausschau für das Jahr 1959 baut auf einem Produktivitätszuwachs von 5,5 % auf. Wird diese Ziffer erreicht werden, oder wird sie nicht erreicht werden? Das laufende Haushaltsjahr steht auf einem Produktivitätszuwachs von 7,5 %. Menschlicher Voraussicht nach werden wir wahrscheinlich knapp 6 % erreichen. Wenn wir das erreichten, liegt dieser Produktivitätszuwachs immer noch 2 bis 3 % über dem, was man von einem normalen Konjunkturverlauf erwartet. Ich glaube, daß die Schätzungen des Finanzministers, die nicht nur auf den Steuereingängen und Steuerberechnungen und dem Produktivitätszuwachs beruhen, sehr solide fundiert sind. Wir werden tatsächlich mit 5,5 % rechnen können.
    Wir haben einen Zustand der Vollbeschäftigung erreicht, um den uns manche andere Länder beneiden. Ich möchte keineswegs in den Fehler verfallen, die Entwicklung in der Bundesrepublik inmitten der allgemeinen europäischen Entwicklung als besonders rasant darzustellen. Wir sollten keineswegs aus dem Auge verlieren, daß der Produktivitätszuwachs in Frankreich, in Belgien, in der Schweiz, vor allen Dingen aber auch in dem benachbarten Österreich und in Italien sich nicht vor den deutschen Leistungen zu verstecken braucht; in diesen Ländern sind zum Teil noch höhere Leistungen zu verzeichnen. Wir sollten also nicht die Augen vor
    Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode - 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1958 2921
    Dr. Vogel
    den Fortschritten unserer Nachbarländer verschließen. Im allgemeinen neigen wir dazu, die deutschen wirtschaftlichen Erfolge etwas zu sehr in den Himmel zu heben. Wenn wir uns auch bemühen wollen, das nicht zu tun, so können wir doch dafür dankbar sein, daß es gelungen ist, in Deutschland die Vollbeschäftigung zu erreichen und zu halten, ohne in diesem Jahr eine nennenswerte Steigerung des Preisniveaus verzeichnen zu müssen. Ich glaube, daß dieser Zusammenhang das Entscheidende ist. In sehr vielen Ländern ist das nicht in dem Ausmaße geglückt wie bei uns. Meine Freunde und ich erkennen dankbar an, daß wir in diesem Jahr im allgemeinen von Streiks verschont geblieben sind. Durch die Disziplin der Sozialpartner und durch das Aushandeln von Tarifen sind volkswirtschaftliche Schäden größeren Ausmaßes nicht eingetreten.
    Eines möchte ich hier anfügen. Mein verehrter Vorredner hat eine Rentenanhebung als Konjunkturstimulans empfohlen. Ich möchte hier zur Vorsicht mahnen. Wohl kann ich mir vorstellen, daß eine Regierung durch gesteigerte Bautätigkeit, sei es im Tiefbau oder im Hochbau, etwas zu erreichen versucht; sie hat auch noch andere Möglichkeiten. Aber das durch eine allgemeine Anhebung der Renten zu bewirken, indem man Steuergelder an einen größeren Personenkreis verteilt, das scheint mir volkswirtschaftlich kein guter und vertretbarer Weg zu sein.
    Der sichtbare Ausdruck des Fortschritts, den wir in diesen vergangenen elf Monaten zu verzeichnen haben, ist sicher der Devisenüberschuß, den unsere Außenhandelsbilanz bis jetzt gezeigt hat. Menschlicher Voraussicht nach werden wir einen Überschuß von zirka 6 Milliarden erreichen. Das IfoInstitut hat vorgestern eine Schätzung veröffentlicht, aus der hervorgeht, daß wir auch im kommenden Jahr mit mindestens der gleichen Summe rechnen können. Es mag etwas drollig klingen, wenn ein Redner hier von der Tribüne des Bundestagesangesichts eines solchen Ausfuhrüberschusses Besorgnis äußert. Wir sind keineswegs so restlos glücklich über diesen sehr großen, meiner Überzeugung nach sogar übergroßen Exportüberschuß. Er beschwört unweigerlich gewisse inflatorische Gefahren herauf, denen die Bundesbank bis jetzt durchihre Offenmarktpolitik erfolgreich begegnen konnte; sie hat aber bei den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln bereits die Grenze erreicht. Auch das wird ein neues Problem werden, wie man die zu erwartenden Exportüberschüsse des nächsten Jahres zu bändigen gedenkt, damit daraus keine Inflationsgefahren erwachsen.
    Der Hauptträger unserer Konjunktur ist auch in diesem Jahr wieder die Bauwirtschaft gewesen; sie wird es im nächsten Jahr voraussichtlich auch sein. Das Bauvolumen wind, was ,die Zahl der fertiggestellten Wohnungen betrifft, sicher an das des vergangenen Jahres heranreichen, soweit es die Güte und Größe der Wohnungen angeht, das des vergangenen Jahres bestimmt übertreffen. Die Summen, die dafür angesetzt worden sind, sind do ch sehr erheblich; sie übertreffen die des Vorjahres noch urn 300 Millionen DM. Beil der allgemeinen Entwicklung des deutschen Kapitalmarkts können wir -auf einen ungestörten und diesmal reibungsloseren und schnelleren Ablauf der Baukonjunktur im kommenden Frühjahr wie überhaupt im kommenden Jahr rechnen.
    Ich möchte auf ein besonderes Phänomen in diesem Jahr hinweisen, dais jeden, der volkswirtschaftlich denkt, mit großer Freude erfüllen muß; dais ist die erstaunliche Steigerung der Spartätigkeit der deutschen Bevölkerung. In den drei Quartalen des Jahres 1958, die wir bis jetzt überblicken können, ist ein Zuwachs von 4,64 Milliarden DM gegenüber nur 1,5 Milliarden DM in der gleichen Zeit des Jahres 1957 zu verzeichnen. Das ist also mehr als eine Verdreifachung. Ich glaube, wir haben allen Grund, den breitesten Schichten der deutschen Bevölkerung unseren Dank für diese Disziplin auszusprechen.

    (Beifall.)

    Denn hier ist etwas geschehen, was meiner Überzeugung nach für die künftigen Jahre von ausschlaggebender Bedeutung in der Behauptung der freien Welt gegenüber der kommunistisch regierten Welt sein wird. Dort wird durch Zwangssparen das notwendige Investitionskapital herausgepreßt. Hier hat die deutsche Bevölkerung — übrigens spart sie nicht ,allein; die englische spart genauso, das muß ich hervorheben — in einer freiwilligen Anstrengung dais notwendige Investitionskapital zusammengebracht, damit der Wettbewerb der freien Welt gegen über der dirigistischen Welt des Ostens aufrechterhalten wird.

    (Beifall in der Mitte.)

    Ich kann es mir ersparen, über die Rekordzahlen in der Unterbringung festverzinslicher Wertpapiere in diesem Jahr zu sprechen; es hat sich fast eine Verdoppelung der Vorjahresanlagen ergeben. Eines aber kann ich mir bei dieser Gelegenheit doch nicht verkneifen, Ihnen nämlich einige Ziffern vor Augen zu führen, die zeigen, inwieweit der Konsum in Deutschland gestiegen ist, und zwar nicht nur der gehobenen Schichten, sondern der breiten Massen. Das Masseneinkommen in Deutschland hat — immer von 1953 auf 1957, das letzte überschaubare Jahr — eine Steigerung um 55 % erfahren. Die Verbrauchsausgaben sind um 43 %, der Spareinlagenbestand um 156 % in diesen letzten drei Jahren von 11,5 Milliarden DM auf 29,4 Milliarden DM gestiegen.
    Aber nun darf ich noch einzelne besonders interessante Zahlen nennen. Die Kleinverkaufswerte für Tabakwaren sind von 4,575 Milliarden DM auf 5,984 Milliarden DM innerhalb dieser wenigen Jahre gestiegen, die für Kaffee um 96 % von 787 Millionen DM auf 1,546 Milliarden DM. Der Bierausstoß schließlich - er ist immer ein Kennzeichen nicht nur des Durstes eines Volkes, sondern auch, wie ich glaube, seines Wohlstandes — hat sich von 28 Millionen hl auf über 43 Millionen hl um 53 % gesteigert. Und jetzt nenne ich noch eine Ziffer, befürchte allerdings, daß das zu einem neuen Antrag des Vereins zur Bekämpfung der Suchtgefahren führen kann: Der Branntweinkonsum in Deutschland ist leider in noch höherem Maße, näm-
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    Dr. Vogel
    lich von 517 auf 845 000 hl, d. h. um 63 %, gestiegen. Sogar der Sektkonsum in Deutschland, der sich neuerdings ebenfalls als Massenkonsum darstellt, ist innerhalb der letzten vier Jahre um 140 % angewachsen.
    Lassen Sie mich noch ein paar andere Zahlen nennen. Der Bestand an Mopeds ist um 317 % gestiegen, der an Rundfunkgeräten um 21 %. In der Produktion von Fernsehempfängern besteht eine Riesenkonjunktur, wie Sie alle wissen, ebenso bei Kühlschränken und elektrischen Wirtschaftsmaschinen. Diese Zahlen sind Ihnen allen bekannt.
    Ich kann auch nicht umhin, meine Freunde in der Landwirtschaft zu beglückwünschen, daß auch das landwirtschaftliche Einkommen im vergangenen Jahr eine nicht unwesentliche Steigerung — ich folge hier den Ausführungen unseres Bundesernährungsministers — von 15,7 auf 17,4 Milliarden DM erfahren hat, während die Betriebsausgaben nur von 11,9 auf 12,8 Milliarden DM gestiegen sind, so daß Gott sei Dank eine Steigerung des Überschusses von 3,8 auf 4,6 Milliarden DM zu verzeichnen ist. Ich finde, das ist ein sichtbarer Beweis dafür, daß der „Grüne Bericht" in Deutschland tatsächlich einen Erfolg zu verzeichnen hat. Das sollte man auch anerkennen und es nicht verschweigen.
    Bei dieser Gelegenheit können wir auch eine andere Zahl heranziehen, nämlich die der Umsatzsteigerung bei den Raiffeisengenossenschaften. Allein die Zunahme des Warenumsatzes auf 13,7 Milliarden DM um rund 1 Milliarde DM gleich 7,9 % im letzten Jahre liegt wesentlich über der allgemeinen Produktivitätssteigerung von nicht ganz 6 %.
    Hier sollten wir auch durchaus anerkennen, was überall an Fortschritten und an allgemeiner Wohlstandszunahme zu verzeichnen ist.
    Aber, meine verehrten Damen und Herren, haben wir als Folge einer derartigen Steigerung des Konsums, von der ich noch nicht sage, daß sie vielleicht das wünschenswerte Maß erreicht hat — das möchte ich ausdrücklich gesagt haben —, auch eine gesteigerte Zufriedenheit in Deutschland, oder müssen wir nicht auf der ganzen Linie mit einem steigenden Druck von Interessentengruppen rechnen, der sich auch in diesem Hause nicht gerade sehr erfreulich bemerkbar macht?

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Ich spreche hier ganz offen und freimütig Zustände an, von denen ich glaube, daß sie für die Fortentwicklung des Parlamentarismus nicht von Vorteil sind. Wenn sich Verbände aller Art nicht scheuen, zu versuchen, den Abgeordneten auch in seinem Wahlkreis unter Druck zu setzen

    (Zuruf von der CDU/CSU: Auch Gewerkschaften!)

    — da sind Gewerkschaften genauso vertreten wie alle möglichen Verbände, die ich hier gar nicht der Reihe nach aufzählen möchte —, dann scheint mir das doch das Maß des Zumutbaren bei weitem zu überschreiten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Man sollte in Deutschland endlich auch ein wenig zu der Überzeugung gelangen, daß nicht jede Ortsgruppe irgendeines Vereins den Bundestagsabgeordneten des Wahlkreises zu irgendeiner Versammlung herbeizwingen kann. Man nimmt nicht einmal mit nur einem Abgeordneten vorlieb, sondern möchte nach Möglichkeit 3, 4, ein halbes Dutzend dort versammelt haben.

    (Abg. Wehner: Vorsicht!)

    - Ich glaube, Herr Wehner, wenn Sie das erlebten, was man in einem ländlichen Wahlkreis heute erleben kann, dann würden Sie wahrscheinlich graue Haare bekommen. Hier handelt es sich um ein Problem, das an die Wurzeln unseres parlamentarischen Systems reicht. Wenn weiter wie bisher Minister, Abgeordnete und leider in steigendem Maße auch die leitenden Beamten der Ministerien von dieser Überzahl von Verbänden für ihre unzähligen Tagungen und Konferenzen beansprucht werden, dann wird nicht nur die physische Widerstandsfähigkeit der Betroffenen in Mitleidenschaft gezogen, sondern dann werden auch die wertvollsten Beamten in unseren Ressorts ihrer eigentlichen Arbeit in einer Weise entzogen, die nicht mehr zu verantworten ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir brauchen uns dann nicht zu wundern, wenn ein Qualitätsrückgang in den Gesetzentwürfen die unweigerliche Folge sein wird. Ich bin so freimütig, auch dieses Haus hier von bestimmten Sünden nicht auszunehmen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Es scheint mir so zu sein, daß auch die Nebeneinanderberatung sehr vieler Entwürfe in allzu vielen Ausschüssen zu einer Beanspruchung der Beamtenschaft geführt hat, die einfach zeitlich nicht mehr vertretbar ist.
    Meine Damen und Herren, ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal auf ein anderes Problem hinweisen, das sich gerade bei diesem Haushalt deutlich gezeigt hat und noch mehr bei kommenden zeigen wird. Sollten wir uns nicht gemeinschaftlich vielleicht etwas mehr als bisher auch mit der Regierung über eine gewisse Koordinierung aller unserer Wünsche auf sozialem Gebiet, aber auch bei Bauten und Verkehrsvorhaben einigen? Wir erleben doch immer wieder das Schauspiel, daß es irgendeiner Gruppe gelingt, vorzusprechen, einen gewissen Erfolg nach Hause zu tragen, und daß dann eine Kettenreaktion auf allen anderen benachbarten Gebieten die Folge ist.
    Das Ende einer solchen Spirale kann doch für unser Haus und die Zukunft der deutschen Demokratie keineswegs wünschenswert sein. Ich glaube, keiner von uns kann es sich ernsthaft leisten, an den Vorgängen auch im benachbarten Frankreich vorüberzugehen. Keiner von uns wird leugnen können, daß auch dort mangelnde Disziplin mit die Folge der Entwicklung war, die wir dort zu verzeichnen haben.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Deutscher Bundestag -- 3. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1958 2923
    Dr. Vogel
    Das Beispiel Finnland hat ja in der deutschen Presse eine erstaunlich geringe Beachtung gefunden. Dabei ist doch dort einmal deutlich klargemacht worden, wohin eine bestimmte „Indexanpassung von Löhnen, Gehältern", von allen möglichen Staatsausgaben automatisch führen muß. Wenn dort in einem Staatswesen, einem sehr tapferen Staatswesen, mit dem uns so alte und traditionelle Beziehungen verbinden und das als Sportnation immer die besondere Achtung des deutschen Volkes und, wie ich glaube, aller Völker der Welt genossen hat, sich in diesen Tagen Massendemonstrationen zur Erzwingung einer kommunistischen Mitbeteiligung an der Regierung ereignen, dann sind das Warnungssignale, und keiner von uns sollte unberührt an ihnen vorbeisehen.
    Wir sind dem Bundesfinanzminister dankbar für seinen Mut, auch einmal heiße Eisen anzugreifen und Gefahren aufzuzeigen, die er kommen sieht. Ich glaube, ein Finanzminister, der dies versäumte, wäre gar nicht recht an seinem Platz. Wir haben immer den Freimut zu schätzen gewußt, mit dem er manche Dinge hier angesprochen hat. Das war schon im vergangenen Jahr der Fall; in diesem Jahr ist es noch mehr der Fall gewesen.
    Zum erstenmal hat er — das kann man nicht verkleinern und sollte man auch nicht verniedlichen — den Mut gehabt, einen zentralen Angriff auf die Haushaltsreste und die Bindungsermächtigungen zu unternehmen. Wir hätten gern, Herr Bundesfinanzminister, in den Vorbemerkungen eine detailliertere Aufstellung über die Haushaltsreste in den einzelnen Ressorts gesehen; denn sie könnte die Arbeit des Haushaltsausschusses im kommenden Jahr wesentlich erleichtern. Aber wenn es gelingt, durch die im Haushaltsplan vorgesehenen Transaktionen vor allem die Reste im Verteidigungshaushalt auf ein vertretbares Maß herunterzubringen, dann werden wir alle im Haushaltsausschuß und darüber hinaus das ganze Hohe Haus darüber sicher sehr erfreut sein.
    Kassensorgen werden den Bundesfinanzminister meiner Schätzung nach und ich stimme darin sowohl mit der Bundesnotenbank wie mit Herrn Grüneberg in dem sehr lesenswerten Artikel im „Deutschen Volkswirt" überein - bis in die Mitte des Jahres 1959 hinein wohl kaum bedrücken. Ich darf hier — mit Erlaubnis. des Herrn Präsidenten — den uns vorgestern ausgelieferten November-Bericht der Deutschen Bundesbank zitieren, der — auf Seite 19 — einige Sätze enthält, die für uns alle sehr wichtig sind:
    Inwieweit die kassenmäßige Entwicklung im kommenden Rechnungsjahr den Haushaltsplanungen entsprechen wird, bleibt auf Grund der Erfahrungen der letzten Jahre allerdings abzuwarten. Die Begebung von Bundesanleihen oder von mittelfristigen Bundespapieren in Höhe von über 3 Milliarden DM ist allenfalls noch keineswegs sicher. Vor allem aber dürfte für den ersten Teil des Rechnungsjahres, in dem sich der Bund noch auf die im laufenden Jahre nicht verausgabten Kassenreserven wi rd stützen
    kennen, mit einer stärkeren Beanspruchung des
    Marktes durch en Bund kaum zu rechnen sein.
    Vom währungspolitischen Standpunkt verdient weiter Beachtung, daß ein erheblicher Teil der Ausgaben wieder auf Auslandszahlungen entfallen wird. Die Inlandsausgaben können daher aller Voraussicht nach voll durch ordentliche Einnahmen gedeckt werden und dürften, soweit diese nicht ausreichen sollten, nur verhältnismäßig geringe Kreditmittel erfordern.
    Eine Feststellung von einer so kompetenten Seite scheint mir überaus tröstlich.
    Ich muß Ihnen gestehen, meine Damen und Herren, daß ich der Voraussage des Bundesfinanzministers, er werde unter Umständen mit 3 Milliarden an dein Kapitalmarkt gehen müssen, mit einiger Besorgnis gefolgt bin. Wenn der Kapitalmarkt in ,den Monaten Oktober und November infolge einer Überbeanspruchung schon wieder deutliche Kennzeichen einer gewissen Verknappung zeigt, ist das kein Wunder; man hat allein in einem Monat über 1 Milliarde DM für öffentliche Anleihen herausgenommen. Vielleicht wird das Lieblingskind unseres Herrn Bundesfinanzministers, dais Sparprämiengesetz, dem Kapitalmarkt noch etwas Lukutate zuführen. Ob sich jedoch ,dieser gerade wieder genesene Patient einen Aderlaß von 3 Milliarden im nächsten Haushaltsjahr wird leisten können, wage ich zu bezweifeln. Ich bin deswegen glücklich, daß hier die Bundesnotenbank die Voraussage wagt — und ich ,stimme mit ihr überein daß wir wahrscheinlich nicht in dieser Höhe an den Kapitalmarkt zu gehen brauchen.
    Eines sollte man bei dieser Generaldebatte unter keinen Umständen unter den Tisch fallen lassen. Wir wollen hier die Ausweitung der zivilen Ausgaben deis Bundeshaushalts um nicht weniger als 1,5 Milliarden DM klar im Auge behalten. Selbst wenn der Bundesfinanzminister gegenüber dem Ansturm der anderen Ressorts in einer Größenordnung von 6 Milliarden DM mit seinem Rotstift einige Erfolge erzielen konnte, bleibt immerhin noch die Tatsache, daß der ordentliche Haushalt für die zivilen Ausgaben gegenüber dem vergangenen Jahr um 1,5 Milliarden DM erhöht worden ist, d. h. die Ausweitungstendenz hält nach wie vor, wenn auch verlangsamt, an. Was zu ,den in diesem Jahr erstaunlich umfangreichen Stellenanhebungen zu sagen eist, wird ,mein Freund Niederalt nachher mit gewohnter Gründlichkeit zu sagen haben.
    Einige allgemeine Worte zu der Stellung der Haushaltsreferenten. Die Stellung der Haushaltsreferenten ist etwas, was dem Hohen Hause, wie ich glaube, zu einem großen Teil völlig unbekannt ist. Trotzdem hat, glaube ich, gerade das Parlament ein zwingendes Interesse daran, daß in allen Ressorts — ich betone: in „allen" Ressorts! - auch die bindenden Anweisungen der Vorschriften der Reichswirtschaftsordnung in den §§ 22 bis 24 streng beachtet werden, d. h. daß das Mitzeichnungsrecht der Haushaltsreferenten nicht unter den Tisch fällt, sondern daß bei allen Ausgaben, vor allem den überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben, auch der Haushaltsreferent gebührend gehört wird.
    2924 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1958
    Dr. Vogel
    Ich glaube, der Bundesfinanzminister würde sich bei künftigen Anforderungen anderer Ressorts wesentlich leichter tun, wenn durch eine solche Einschaltung der Haushaltsreferenten in den einzelnen Ressorts bereits Vorarbeit geleistet worden wäre.
    Herr Kollege Schoettle hat bereits eine Lücke im Kontrollsystem der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft — nicht in unserem Kontrollsystem — angesprochen. Die einmütige Stellungnahme des Haushaltsausschusses, der vor bestimmten Ausweitungen bei den europäischen Behörden und bei den Fonds gewarnt hatte, hat, wie ich glaube, in manchen Nachbarländern ,eine falsche Auslegung gefunden. Meine Freunde im Haushaltsausschuß und ich, wir nehmen für uns in Anspruch, überzeugte Anhänger der Idee der europäischen Einigung zu sein. Wir haben niemals einen Zweifel daran offengelassen. Aber auch für die neu in Europa entstehenden Behörden und Fonds können die für eine geordnete Demokratie notwendigen Kontrollen der Haushaltsgebarung, vor allen Dingen hinsichtlich der Stellenplanungen und der Einstufungen, niemals entbehrt werden.

    (Abg. Hilbert: Sehr wahr!)

    Wir sind darum äußerst erstaunt, daß ein so legitimes Anliegen des Parlaments wie der Wunsch, deutsche Beiträge für supranationale Behörden unter dem Gesichtspunkt der Sparsamkeit zu prüfen, in Europafeindschaft umgemünzt werden kann. Wir hoffen, daß man so unbegründete Vorwürfe in der Zukunft nicht mehr erhebt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir kennen den Herrn Bundesfinanzminister als einen besonders kampfbereiten Verteidiger der Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Er hat sich darum auch mit der Offenheit und dem Freimut, die ihn auszeichnen, in einem besonderen Abschnitt seiner Rede mit dem Problem der Subventionen im Bundeshaushalt auseinandergesetzt. Uns scheint, daß neben der Aufzählung bestimmter Subventionen an die Landwirtschaft ein sehr entscheidender Satz in seiner Rede ein wenig übersehen worden ist. Dieser Satz lautete:
    Der andere unsichtbare Teil der Subventionen, der nicht weniger bedeutend und in seiner finanziellen Auswirkung noch viel größer ist, besteht aus den vielfältigen Steuererleichterungen, den Tarifermäßigungen und den sonstigen Vergünstigungen des Abgabewesens... Es gibt einschließlich der kleinen Vergünstigungen mehr als hundert verschiedene Formen solcher unsichtbaren Subventionen in den Steuergesetzen.

    (Abg. Dr. Deist: Die Ausgleichsabgabe für Erdöl war vergessen!)

    Gerade auf Grund seiner Tätigkeit in der Montanunion weiß Herr Etzel um die außerordentlichen Schwierigkeiten der kommenden Eingliederung der deutschen Agrarwirtschaft in den Gemeinsamen Markt. Das ist auch einer der Gründe, weswegen er, wie er selbst sagte, in diesem Haushalt genau die gleiche hohe Summe für den Grünen Bericht
    eingesetzt hat wie im vergangenen Jahr. Wir sind uns alle darüber im klaren — auch der Herr Bundesfinanzminister selbst —, daß das Ausland durch bestimmte Stützungsmaßnahmen für seine eigene Produktion uns auch in Deutschland zwangsläufig in bestimmte Stützungsmaßnahmen hineingetrieben hat, die wir an sich — ich glaube hier auch im Namen meiner bäuerlichen Freunde sprechen zu können — gar nicht gern gesehen haben.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Greifen wir einmal ein Beispiel heraus. Solange vor allen Dingen Holland nach authentischen Unterlagen auf seinen guten Käse — ich muß hier einmal etwas sagen, was vielleicht ein wenig profan klingt — entsprechende Subventionen pro Kilogramm für den Export gewährt, sind wir natürlich gezwungen, mit ähnlichen Maßnahmen aufzuwarten. Selbst die Schweiz hat Exporte mit entsprechenden Zuschüssen in die Wege geleitet, die mit den eigenen Erzeugungspreisen überhaupt nicht mehr in Einklang zu bringen sind. Wenn das richtig gesehen wird, werden auch die Worte des Bundesfinanzministers richtig verstanden und gewertet werden.
    Noch einige andere Punkte aus der Rede des Bundesfinanzministers sind meiner Überzeugung nach mißverständlich ausgelegt worden. Aus einer Reihe von Fachzeitschriften konnte man herauslesen, daß der Bundesfinanzminister die Umsatzsteuerreform völlig unter den Tisch fallen lassen wollte. Das ist in einigen Zeitungen sogar offen behauptet worden. Wir alle sind erfreut darüber, daß gestern das Bundeskabinett die neue Denkschrift über die Umsatzsteuerreform verabschiedet und der Öffentlichkeit zugeleitet hat mit der Aufforderung, diese enorm wichtige Vorlage öffentlich zu diskutieren, um auf diese Weise zu einer neuen Gesetzesvorlage zu gelangen.

    (Abg. Dr. Dresbach: Sie liegt bereits im Postfach!)

    — Ich habe sie leider noch nicht gelesen, aber ich freue mich, daß wir sie jetzt in Händen haben; denn es geht hier um eine Frage, die an den Kern des Bundeshaushalts herangeht. Bei einem Umsatzsteuerertrag von 14 Milliarden DM ist jede Änderung der Umsatzsteuergesetzgebung von einschneidender Bedeutung für künftige Bundeshaushalte. Allzu große Experimente können wir uns hier nicht leisten, wenn auch unbedingt — schon im Interesse des deutschen Mittelstandes — erreicht werden muß, daß die Umsatzsteuer wettbewerbsneutral gestaltet wird.
    Man hat dem Bundesfinanzminister nach seinen Ausführungen über die Finanzprobleme der Gemeinden unterstellt, der Minister habe die Einführung einer Einwohnersteuer gefordert. Wer sich den betreffenden Absatz der Rede des Herrn Bundesfinanzministers einmal genau durchliest, der wird, weiß Gott nicht, behaupten können, daß da von einer Forderung die Rede war. Der Bundesfinanzminister hat lediglich eine Reihe von Möglichkeiten nebeneinandergestellt, wie den Gemeindefinanzen geholfen werden kann, wobei er sicher
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1958 2925
    Dr. Vogel
    auch gar keinen Zweifel darüber hat lassen wollen, daß man niemals allgemein von Gemeindefinanzen sprechen kann, sondern daß es sich hier um ein ungeheuer differenziertes Gebilde handelt.

    (Zustimmung des Abg. Dr. Dresbach,)

    Herr Etzel hat hier bestimmte, schon lange und sehr oft in der Öffentlichkeit diskutierte Auswege aus der Finanznot mancher Gemeinden aufgezählt, und niemand, der sich ernstlich um eine verantwortungsbewußte Mitarbeit aller Angehörigen einer Gemeinde bemüht hat, niemand, der am Wohl und Wehe des Heimatortes interessiert ist, kann an der Problematik einer Mitbeteiligung des einzelnen Gemeindeangehörigen ohne weiteres vorbeisehen. Es ist etwas unbestreitbar Wahres an der Wortprägung meines Freundes August Dresbach, wenn er in einer Gemeinde eine Art Genossenschaft der wahlberechtigten Gemeindeeinwohner sieht.
    Aber wozu eigentlich jetzt schon in diesem Zusammenhang etwas in voller Größe ausbreiten, was überhaupt nur mit einer Grundgesetzänderung begonnen werden kann? Und wir sind uns doch alle darüber im klaren, daß eine solche Grundgesetzänderung im Augenblick nicht erreichbar ist.
    Etwas anders ist es mit den Wünschen, die die kommunalen Spitzenverbände jetzt hinsichtlich einer Beteiligung an den Wegelasten der einzelnen Kreise in stärkerem Maße an uns herangetragen haben. Auch hier muß ich allerdings sagen: mein verehrter Herr Kollege Schoettle hat wohl etwas übertrieben. In unserem eigenen Heimatland fahren wir auch auf den Nebenstraßen, ohne uns das Genick zu brechen. Bei Überschreiten der bayerischen Grenze ist es manchmal etwas anders. Aber auch dort sind die Verhältnisse immerhin noch einigermaßen erträglich. Ich glaube, daß der größte Teil der deutschen Länder ganz vernünftige Kreisstraßen hat, wenn auch hier wieder die Unterschiede von Kreis zu Kreis sehr erheblich sind. Der eine Kreis meines Wahlkreises hat ein tadelloses Straßennetz, der zweite Kreis, der allerdings ein dreimal so großes Straßennetz hat, klagt sehr darüber, daß er nicht so begünstigt sei wie der andere Kreis. Man kann hier die Dinge nicht in einen Topf werfen.
    Lassen Sie mich — auch an Hand eines Beispieles — einmal von dem sprechen, was in den einzelnen Ländern getan wird, um die Differenzen zwischen den einzelnen Gemeinden noch zu steigern, statt daß man sie überbrückt. In meinem eigenen Land haben wir jüngst ein Schulgesetz beschert erhalten, das die bisherige Beteiligung des Landes von Fall zu Fall nach der Bedürftigkeit der Gemeinde aufgehoben hat. Man hat dort generell eine Beteiligung des Landes an Schulbauten in Höhe von 20 % festgesetzt. Was ist die Folge davon? Nur die reichen Gemeinden können noch Schulen bauen. Für die ärmeren Gemeinden fällt es völlig aus. Wenn die Länder mit solchem Beispiel vorangehen, brauchen wir uns natürlich nicht zu wundern, wenn die Differenzen zwischen den einzelnen Gemeinden hinsichtlich Wohlstand und Leistungsfähigkeit immer noch größer werden. Auch dieses Verhältnis
    zwischen Bund und Ländern wird, glaube ich, mein Freund Niederalt noch besonders behandeln.
    Unverkennbar rücken die Ausgaben für den Sozialhaushalt immer stärker an die erste Stelle. Ich kann meinem Freunde Schoettle einfach nicht folgen, wenn er sagt, die Verteidigungslasten seien das Beherrschende dieses Bundeshaushalts. Sie sind es nur nominell in dem Soll, aber nicht in dem Ist. Das wissen wir alle. Die Ausgaben auf dem Gebiet der Verteidigung haben bis jetzt noch keineswegs eine mit den Soziallasten irgendwie vergleichbare Höhe erreicht. Daran können wir nicht vorübergehen. Sie finden eine ganz ausgezeichnete Darstellung dieses Verhältnisses in den sehr aufschlußreichen Statistiken auf den Seiten 73 bis 86 der Allgemeinen Vorbemerkungen, die ich Ihrem bebesonderen Studium empfehle. Es ist bei der Größe und der steigenden Tendenz dieser Ausgaben meiner Überzeugung nach völlig müßig, darüber zu streiten, ob bestimmte Ausgaben hier in eine Ziffer wie 40 % hineingerechnet werden sollen oder nicht. Das spielt hier keine Rolle. Es kommt hier auf die generelle Linie an, und unverkennbar haben wir die Sozialausgaben in den letzten Jahren unverhältnismäßig viel höher gesteigert, als das bei den Verteidigungsausgaben überhaupt jemals der Fall sein konnte.
    Ich möchte dazu noch etwas sagen. Welche Regierung könnte es wohl riskieren, im Sozialhaushalt jetzt schon für bestimmte Zwecke Summen einzusetzen, wenn weder eine Gesetzesvorlage dafür da ist noch einigermaßen Klarheit über die Höhe der Forderungen besteht? Ich glaube, es heißt wohl eine Regierung etwas überfordern, jetzt von ihr zu verlangen, daß sie jetzt schon in Voraussicht bestimmter Dinge, die vielleicht einmal kommen, die und die Summen einsetzt. Die Regierung würde sich damit von vornherein festlegen in einem Streit, der innerhalb des Parlaments noch gar nicht durchgefochten worden ist. Es sind in diesem Hause auch noch keine entsprechenden Anträge in der und der Größenordnung ausdiskutiert worden. Wenn also die Regierung diese Summen noch nicht eingesetzt hat, so tut sie damit nach meinem Dafürhalten haushaltsrechtlich nichts weiter als ihre Pflicht.
    Lassen Sie mich auch hier mit aller Entschiedenheit darauf hinweisen, meine Damen und Herren, daß die Existenz der großen Kassenbestände in den bisherigen Haushalten das eigentliche Problem der Deckung in den Bundeshaushalten bis jetzt verschleiert hat. Ab Mitte des nächsten Jahres wird diese Deckungsfrage in schonungsloser Härte vor uns allen sichtbar werden, und die Probleme werden ganz anders als bisher vor uns hintreten. Dann wird das Ringen um das, was innerhalb dieses Haushalts möglich ist, wahrscheinlich zwangsläufig viel schärfere Formen annehmen als bisher. Wir haben uns bis jetzt relativ leicht getan. Aber wenn man nachher allen Ernstes gefragt wird: Bist du bereit, wenn du den und den Antrag stellst, auf der anderen Seite auch die entsprechende notwendige Steuererhöhung zu verlangen, wird die Sache etwas ernster als bisher.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    2926 Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den. 11. Dezember 1958
    Dr. Vogel
    Ich möchte noch einmal in aller Deutlichkeit auf das Problem der Rüstungsausgaben hinweisen. Herr Kollege Schoettle hat vorhin gesagt, wir hätten eine Summe von 11 Milliarden DM eingestellt. Auch er hat anerkannt, daß hier von seiten des Herrn Bundesfinanzministers etwas getan worden ist, was in der Form sicher nicht besonders geglückt erscheint, was aber aus besonderen Rücksichten wahrscheinlich notwendig war.
    Ich möchte die verklungene Debatte der vergangenen Jahre über die Notwendigkeit eines „Juliusturms" nicht von neuem aufwärmen; aber ich bin heute mehr denn je davon überzeugt, daß diese Politik der Rückstellungen zwangsläufig war und daß sie schlechthin nicht zu vermeiden war. Das einzige, was man dazu sagen könnte, ist, daß man mit diesen Rückstellungen vielleicht hätte glücklicher operieren können, als es der Fall gewesen ist. Mir scheinen diese Rückstellungen zwangsläufig gewesen zu sein, und ich freue mich, daß in die Allgemeinen Vorbemerkungen auch ein entsprechendes Zitat eines sehr bekannten Finanzwissenschaftlers zur Verteidigung dieser These eingefügt worden ist.
    In dem neuen Haushaltsplan werden zum erstenmal die mit Sicherheit zu erwartenden realen Ausgaben für Verteidigung deutlich umrissen. Daß sie in Zukunft nicht kleiner, sondern wachsend größer sein werden, weiß jeder von uns, vor allem schon im Hinblick auf die in jüngster Zeit getroffenen Entscheidungen über die Flugzeugausrüstungen. Aber
    auch hier muß ich etwas einflechten; denn mein Herr Vorredner hat auf den Aufbau einer Luftfahrtindustrie Bezug genommen. Er weiß allerdings nicht aus seiner Erinnerung — denn er war in der betreffenden Sitzung nicht anwesend —, daß wir, die Mehrheit dieses Hauses, für uns in Anspruch nehmen können, die Folgenschwere dieser Entscheidung des Aufbaues einer eigenen Luftfahrtindustrie in vollem Umfang diskutiert und herausgestellt zu haben. Wir waren uns in einer gemeinsamen Entschließung darüber im klaren, daß eine Luftfahrtindustrie in begrenztem Ausmaß absolut notwendig ist. Wir waren uns aber ebenso klar darüber, daß eine unnütze Aufblähung dieser Industrie vermieden werden sollte. Diese Entschließung ist, wie ich zu meiner Freude feststellen kann, von uns einmütig gefaßt worden.
    Meine Freunde und ich stellen mit einer gewissen Befriedigung fest, daß sich in den Reihen der Opposition im Laufe dieses Jahres offenbar eine positivere Einstellung zur Bundeswehr gezeigt hat. Ich bin niemals müde geworden, bei der Einbringung des Haushalts in den vergangenen Jahren zu unterstreichen, für wie dringend notwendig nicht nur ich selber, sondern auch meine Freunde eine gemeinsame Bejahung der Verteidigungsanstrengungen des deutschen Volkes halten. Ich habe auch immer wieder erklärt, daß wir uns sehr gefreut hätten, wenn sich die Opposition nicht nur zu einer Bejahung der Verteidigungsnotwendigkeit durchgerungen hätte, sondern von ihrer Seite aus bündig und bindend auch einen Plan darüber vorgelegt hätte, wie hoch sie sich die Kosten einer Bundeswehr vorstellt, wie die Bewaffnung aussehen soll und welche Lasten sie bereit ist, im Bundeshaushalt von sich aus positiv zuzugestehen. Ich glaube, hier besteht immer noch eine sehr große Kluft zwischen dem, was wir von prominenten Sprechern der Opposition zuweilen hören, und dem, war wir landauf landab in Versammlungslokalen, in den Betrieben etc. vorgehalten bekommen. Ich würde mich freuen, wenn Sie hier zu einer einheitlichen Auffassung gelangen würden.
    Lassen Sie mich noch einige Einzelprobleme streifen, die im Bundeshaushalt eine keineswegs unerhebliche Rolle spielen. Da ist zunächst der ERP-Haushalt, der in zunehmendem Maße als eine Art von Feuerwehr für den Bundeshaushalt dient. Meine Damen und Herren, wenn man sieht, wie sich die Dinge innerhalb des letzten Jahres gewandelt haben, kann man sich eines gewissen Schmunzelns nicht erwehren. Noch vor zwei Jahren — ich erinnere mich — wurden stets unsere Anfragen, ob nicht diese oder jene Ausgabe in den ERP-Haushalt verwiesen werden könnte, mit beiden Händen abgewehrt. ,Ein interministerieller Ausschuß hatte sich wie einasiatischer Racheengel vor den Ausgang des ERP-Fonds gestellt und verwehrte uns den Eintritt. Es wurde gesagt: Ihr kommt zu spät, über alles ist längst verfügt; und wir hatten gar keine Möglichkeit, neue Wünsche zu berücksichtigen.
    Seitdem Herr Minister Lindrath 'Sein neues Haus gebildet hat, hat sich ein völliger Wandel, ich muß sagen: ein uns durchaus erfreulich scheinender Wandel, angebahnt. Mit einem Mal ,sehen wir, was mit dem ERP-Haushalt alles gemacht werden kann und welche Möglichkeiten diese 7,1 Milliarden DM mit ,den jährlichen Rückflüssen und Zinsen in Höhe von fast 1 Milliarde DM in sich bergen. Nehmen wir uns als Beispiel nur die letzte Maßnahme der Bundesregierung etwas unter die Lupe; ich meine die Bewilligung einer Kreditaktion von 500 Millionen DM für die Deutsche Bundesbahn, um die Stahlaufträge an die deutsche Stahlindustrie entsprechend zu vergrößern, wo man Mittel in einer Größe von über 200 Millionen DM aus dem ERP-Pott herausnehmen konnte. Dazu muß ich sagen, daß sich hier doch gewisse Möglichkeiten ergeben haben, die uns früher die Lösung manchen Problems im Haushaltsausschuß erleichtert hätten, wenn wir nicht daran gehindert worden wären, hier mitzuwirken, und wenn wir unsere Wünsche in einem stärkeren Maße hätten durchsetzen können.
    Ich darf übrigens meiner Freude darüber Ausdruck verleihen, daß diese 500 Millionen DM innerhalb des Landes geblieben sind und daß dieses sagenhafte Argentinien-Geschäft nicht zustande gekommen ist. Denn ich hätte mir nichts davon versprochen, daß man einem Land, das his jetzt nicht in der Lage war, die sehr hohen Schulden an uns auch nur in etwa zu regeln, noch einen solchen Riesenbetrag von über 600 Millionen DM von neuem vorgeschossen hätte.
    Ich darf hier eine allgemeine Bemerkung anfügen. Geschäfte derart zu machen, daß man draußen abschließt, nach Möglichkeit den Gewinn einstreichen möchte, das volle Risiko aber auf den deut-
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1958 2927
    Dr. Vogel
    schen Steuerzahler abwälzt, scheint mir nicht die richtige Praxis für die Zukunft zu sein.

    (Zustimmung des Abg. Dr. Dresbach.)

    Eine solche Exportausweitung würde keinesfalls unseren Beifall finden. Die von der Bundesregierung angedeutete neue Garantie über 1 Milliarde DM sollte auch die deutsche Wirtschaft nicht zu Experimenten verführen, die einzig und ,allein auf dem Rücken des deutschen Steuerzahlers ausgetragen werden.

    (Abg. Dr. Deist: Wem sagen Sie das, Herr Vogel?)

    — Herr Dr. Deist, wir sind uns über diesen Punkt stets im klaren gewesen. Aber auch Ihnen nahestehende Leute haben, glaube ich, in dieser Beziehung etwas abweichende Ansichten geäußert.
    Ich darf noch auf etwas anderes zu sprechen kommen, nämlich auf die wachsende und von uns nicht mehr zu übersehende Problematik des Haushalts der Bundesbahn. Gestatten Sie mir hier mal ein Wort zuvor. Als der Deutsche Bundestag vor sehr vielen Jahren das Bundesbahngesetz schuf und die Sondervermögen der Bundesbahn und der Bundespost begründete, hatten wir, glaube ich, eine andere Vorstellung von den Kontrollfunktionen der in diese Gremien entsandten Mitglieder des Hoheit f Man muß feststellen, daß sich die als Kontrollgremien gedachten Beratungsausschüsse in zunehmendem Maße mehr oder weniger in Aufsichtsräte verwandelt haben.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Die Entwicklung war also bezüglich der Delegierung der Kontrollfunktionen dieses Hohen Hauses an diese Gremien nicht ganz glücklich.
    Ich halte eine Revision des Bundesbahngesetzes für beinahe unausweichlich, nicht nur wegen des genannten Punktes, sondern auch weil wir zu einer strafferen Rationalisierung innerhalb der Bundesbahn wahrscheinlich nur mit Hilfe einer solchen Änderung des Bundesbahngesetzes kommen werden. Mit einem Tagesdefizit von rund 2,5 Millionen DM ist die Bundesbahn heute ein solches Sorgenkind geworden, daß sie, wenn nicht eine grundsätzliche Sanierung durchgeführt wird, in allen Haushalten eine überragende Rolle spielen wird.
    Wir haben der Bundesbahn gewiß immer Wohlwollen entgegengebracht. Ich persönlich fühle mich da völlig frei von allen Ressentiments. Ich war es ja auch, der im vergangenen Haushaltsjahr den entsprechenden Antrag auf die Bewilligung von 500 Millionen DM gestellt hat, dessentwegen ich so beschimpft worden bin. Ich glaube aber, die Bundeshahn wird erkennen müssen, daß sie nicht mehr die Monopolstellung hat, die sie in früheren Jahren einmal gehabt hat, und daß sie aus dem Wandel des Verkehrs auch ihrerseits bestimmte Konsequenzen ziehen muß. Sie wird ebenso Konsequenzen ziehen müssen, wie sie unter Umständen auch die Ruhrkohleindustrie ziehen muß, die ebenfalls nicht mehr wie ehedem eine Monopolstellung innerhalb der deutschen Volkswirtschaft hat.
    Ich möchte hier noch einen Appell an das gesamte Hohe Haus richten: Wenn die Bundesbahn hier und da einmal den verzweifelten Ansatz machte zu rationalisieren, sind wir selber als Abgeordnete ihr häufig genug in den Rücken gefallen. Wenn es sich darum handelte, eine längst unrentabel gewordene Teilstrecke stillzulegen oder ein nicht mehr rentables Betriebswerk zusammenzulegen, kamen die kommunalen Verbände in Bewegung, beschritten die Industrie- und Handelskammern den Kriegspfad, und die Folge war meist, daß die Bundesbahn unter dem Druck dieser Körperschaften des öffentlichen Rechts den Rückzug antreten mußte und ihre Rationalisierungspläne ins Wasser fielen. Wir werden uns darüber klar sein müssen, daß es, wenn wir ernstlich eine Ermäßigung des Bundesbahnzuschusses wollen, nicht ohne Streckenstillegungen, nicht ohne Rationalisierungen in den Betrieben abgeht; das muß in Kauf genommen werden.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Lassen Sie mich noch etwas generell zum Verkehrsproblem sagen. Wir vermissen schon seit geraumer Zeit einen vom Bundesverkehrsminister aufzustellenden allgemeinen Verkehrsplan. Wir wären sehr dankbar, wenn dieser Plan, der uns schon öfter angekündigt worden ist, den wir aber noch nicht in Händen haben, zu einer wirklichen Koordinierung der Verkehrsbedürfnisse in Deutschland führte. Wir haben bis jetzt immer wieder Einzelvorstöße erlebt, die unangenehme Rückwirkungen auf andere Verkehrsträger hatten. Ich darf ein Problem besonders herausgreifen und möchte dabei meine Hamburger Freunde bitten, nicht gleich auf die Palme zu gehen. Ich möchte offen sagen, daß mir die Forcierung des Plans, einen Nord-Süd-Kanal mit einem Kostenaufwand von 700 bis 800 Millionen DM jetzt, wo wir unter dem Zwang stehen, die Mosel zu kanalisieren, zu bauen, deplaciert erscheint.

    (Abg. Wehner: Was hat der Moselkanal mit jenen anderen Dingen zu tun?)

    Entschuldigen Sie, Sie können doch nicht ein Kanalprojekt von einer solchen Größenordnung in Angriff nehmen, wenn Sie sich durch internationale Verträge verpflichtet haben, mit einem Kostenaufwand von einer Viertelmilliarde die Mosel zu kanalisieren.

    (Abg. Wehner: Das ändert nichts an der Bedeutung des Nord-Süd-Kanals!)

    — Das ändert nichts daran? Aber es muß doch überhaupt einmal geprüft werden, ob Kanäle noch die Bedeutung haben wie früher.

    (Zuruf des Abg. Wehner.)

    Ich sehe weiter neue Wolken — Wolken im buchstäblichen Sinne des Wortes - im Luftverkehr. Wenn wir die steigenden Anforderungen im Bundeshaushalt betrachten, die für die Lufthansa benötigt werden, wenn wir weiter sehen, daß die Flugsicherung sehr erhebliche neue Beträge beansprucht, sollten wir ein wenig nachdenklicher werden. Sie kennen ja meine alte Ansicht zum Projekt Lufthansa. Ich habe damals das Hohe Haus gebeten,
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    Dr. Vogel
    eine Entschließung anzunehmen - und es ist mir einmütig gefolgt —, nach Möglichkeit zu einem europäischen Verkehrspool zu kommen. Nach den letzten Informationen, die wir haben, bahnen sich sehr entscheidende Wandlungen im internationalen Luftverkehr an. Ich hoffe, daß jetzt vielleicht etwas zustande kommt, was wir uns vor Jahren hier gemeinschaftlich vorgenommen haben.
    Eine Frage in Zusammenhang mit der Verkehrspolitik ,an den Bundesfinanzminister, die er vielleicht am Schluß beantworten kann. Wie hoch sindeigentlich die in diesem Haushaltsjahr zu erwartenden Reste beim Straßenbau? Wir wissen ja, daß im vergangenen Jahr ganz erhebliche Summen übriggeblieben sind, und wenn ich die Briefe und die Denkschriften sehe, mit denen wir fortgesetzt von einer bestimmten Organisation bombardiert werden, ist die Klärung dieser Frage überaus nützlich. Wir hatten im vergangenen Jahr bereits eingewandt, daß, solange noch Reste in einer derartigen Größenordnung da sind, offenbar die Länder gar nicht in der Lage sind, mehr zu verkraften, als ihnen angeboten worden ist. Wenn wir z. B., wie ich aus der Presse entnehme, bei Ablauf dieses Jahres — die Saison ist ja im allgemeinen vorüber — mit neuen Resten in der Größenordnung von vielleicht 200 Millionen DM werden rechnen müssen, sollte man mit Forderungen an den Bundeshaushalt etwas vorsichtiger sein, neue Riesenbeträge dem ordentlichen Haushalt zu überweisen.
    In vielen Artikeln ist das Problem der Bindungsermächtigung in Höhe von 400 Millionen DM für den Straßenbau lang und breit abgehandelt worden. Das ist keine direkte Ausgabe. Aber sicherlich wird damit dem Straßenbau doch eine wesentliche Hilfe zuteil, und sicherlich kann der Straßenbau auch die gefährliche Lücke überbrücken, die sich jedes Jahr im Frühling für ihn ergibt, wenn er diese 400 Millionen DM rechtzeitig verplanen kann und er sicher ist, daß er im kommenden Haushalt diese Summen zur Verfügung haben wird. Daß diese Summen nicht kleiner werden, ich glaube, davon können wir überzeugt sein. Denn der Bundesfinanzminister hat bereits entsprechende Andeutungen gemacht, wie er mit den zu erwartenden neuen Mineralölsteuereinnahmen zu verfahren gedenkt. Ich persönlich bin keineswegs glücklich darüber, daß wir zu neuen Zweckbindungen kommen. Zweckbindungen sind auf die Dauer — das wollen wir offen aussprechen — eine Entmachtung des Parlaments und eine Einschränkung seiner finanziellen Bewegungsfreiheit.
    Wir sind dankbar für eine Reihe von Ausweitungen auf dem Gebiet der Forschung, auf dem Gebiet der Ausgaben auch für die Studentenförderung usw. Die systematische Entwicklung dieser Fonds scheint mir sinnvoller zu sein als das plötzliche Aufstocken um sehr große Summen, von denen man weiß, daß man sie doch derartig schnell nicht ohne weiteres verausgaben kann.
    Nun noch ein Wort über die vielleicht neu erwachsende Belastung des Bundeshaushalts durch die Garantie, die ich bereits ansprach, in einer Größenordnung von 1 Milliarde DM für politische Risiken in unserer Ausfuhr. Eine ganze Reihe von Möglichkeiten werden durch diese 1 Milliarde nicht gedeckt werden. Ich denke z. B. an ein Spezialproblem. Im Irak haben deutsche Baufirmen in den vergangenen fünf Jahren Objekte in einer Größenordnung von 600 Millionen DM abgewickelt. Auch in Zukunft werden da sehr erhebliche Bauvorhaben an uns herangetragen werden. Wenn aber eine Regierung wie die neue irakische Regierung von diesen Firmen neuerdings verlangt, daß sie den Gegenwert von 20 0/o des Bauvolumens bar bei der Nationalbank von Irak einzahlen, gibt es keine deutsche Baufirma, die finanziell in der Lage ist, eine solche Bedingung zu erfüllen. Aber auch diese 1 Milliarde DM wird nach dem, was wir darüber gehört haben, ein solches Vorhaben nicht decken können. Wir werden uns also den Kopf zerbrechen müssen, wie wir diese Dinge noch elastischer gestalten können und wie wir größere Schädigungen unseres Exports und unserer Bauten im Ausland verhindern können.
    . Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt zum Schluß auf einige Probleme zu sprechen kommen, die auch mein Vorredner gestreift hat. Er hat sich gewundert, warum die Bundesregierung nicht für bestimmte Zwecke mehr Geld eingesetzt und hier vorausgeplant hat. Keiner von uns weiß, was in Verfolg der Erpressungsnote von Chruschtschow über Berlin hereinbrechen kann und inwieweit wir alle hier in die Lage versetzt werden, ganz andere Summen, als sie bis jetzt für die Aufrechterhaltung der Freiheit Berlins im Bundeshaushalt stehen, zusätzlich in den Haushalt einstellen zu müssen. Ich hoffe, daß das nicht der Fall zu sein braucht, aber keiner von uns weiß es. Es gibt genug dunkle Wolken am Horizont.
    Eines sollten wir mit aller Energie tun. Wir sollten ganz andere Anstrengungen als bisher unternehmen, um die Weltöffentlichkeit, vor allen Dingen die sogenannten „non committed"-Länder draußen, über den Tatbestand des geteilten Berlins aufzuklären.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Denn nicht nur Millionen von Menschen, sondern auch führende Politiker im Ausland sind mit dieser Tatsache noch niemals konfrontiert worden. Sie wissen darüber nichts. Aber es ist nicht nur meine Überzeugung, sondern auch die Überzeugung vieler anderer Kenner, daß das Berlin-Problem möglicherweise einmal auf die UNO zukommen wird. Dann wird es sehr gut sein, wenn möglichst viele Länder, auch die Länder des sogenannten neutralen Blocks, über diesen bevorstehenden Rechtsbruch in Kenntnis gesetzt sind und genau wissen, was in Berlin für die freie Welt auf dem Spiel steht.
    Meine Freunde verschließen sich auch nicht — das möchte ich ausdrücklich sagen — bestimmten anderen Forderungen, die an uns herantreten werden. Wir wissen, daß die Kriegsopfer bestimmte Wünsche haben und daß eine siebente Novelle in Vorbereitung ist. Wir wissen, daß diese Novelle keineswegs billig werden wird. Aber wir können der Regierung keinen Vorwurf daraus machen, daß sie dafür nicht schon bestimmte Beträge in den Haushalt eingesetzt hat. Wir wissen ferner von
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    Dr. Vogel
    einer ganzen Reihe anderer Neubelastungen, die auf uns zukommen werden. Sicher werden die einzelnen Haushalte auch im kommenden Jahr immer wieder durch unvorhergesehene Ausgaben in einem Maße belastet werden, das für die Mitglieder des Haushaltsausschusses keineswegs etwa erfreulich ist.
    Aufrichtig bedauert habe ich es, daß mein Herr Vorredner den Schluß seiner sonst so sachlichen Ausführungen dazu benutzt hat, einige Breitseiten gegen den Herrn Bundeskanzler abzufeuern, die nach meinem Dafürhalten durchaus fehl am Platze waren.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Ich möchte hier einmal ein Zitat vorbringen, das Ihnen zum Teil etwas merkwürdig erscheinen mag. Wenn Sie aber nachher den Autor erfahren haben werden, werden Sie sich vielleicht andere Gedanken machen. Das Zitat lautet:
    Autokratisch soll überall regiert werden. Jede andere als eine autokratische Regierung ist machtlos und unfähig. Zu allen Zeiten haben Persönlichkeiten regiert und nicht Körperschaften. Vertrauen macht Autokratie möglich, Demokratie macht Vertrauen möglich.
    Diese Worte stammen nicht von mir, sondern von Walter Rathenau, der, glaube ich, völlig außerhalb des Verdachtes steht, etwa nicht demokratisch gedacht zu haben. Wir wollen uns doch über eines im klaren sein, meine Damen und Herren: ohne die Schaffung eines großen Vertrauens zu unseren führenden Staatsmännern kann dieses deutsche Volk in den kommenden Monaten vor der freien Welt im Kampf um die Behauptung Berlins überhaupt nicht bestehen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir sind uns ebenso völlig darüber im klaren, daß es des Einsatzes der vollen Summe des inzwischen angesamelten Vertrauens bedarf, um ein wachsendes Mißtrauen im Ausland gegenüber bestimmten deutschen Absichten niederzuhalten oder zu zerstreuen. Darüber hinaus wird es eines gesteigerten Vertrauens in Männer bedürfen, um diesen Testfall, der der schwerste Testfall der Nachkriegszeit für das deutsche Volk werden kann, zu bestehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Deshalb sind wir — das kann ich für meine Freunde sagen — glücklich, daß es gelungen ist, in den vergangenen Jahren eine solche Summe an Vertrauen im Ausland zum Nutzen des deutschen Volkes in der Gestalt des Bundeskanzlers anzusammeln.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)