Rede von
Erwin
Schoettle
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß meine Ausführungen mit einer scheinbar technischen Bemerkung beginnen, die der Herr Bundesfinanzminister mit den einleitenden Sätzen in seiner Rede vom Dienstag herausgefordert hat. Es ist richtig, daß der Haushaltsentwurf in diesem Jahr nicht wie im vergangenen — und hier muß ich mich eigentlich schon korrigieren; es war gar nicht das vergangene, es war das Frühjahr dieses
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Jahres — erst nach Beginn des neuen Haushaltsjahrs vorgelegt wird. Aber daraus zu schließen, daß er uns „vorzeitig" zugeleitet worden sei, ist doch ein etwas starkes Stück; ich muß das offen sagen.
Der 5. Januar, den die Reichshaushaltsordnung als äußersten Termin für die Einbringung des Haushalts bezeichnet, stammt — das muß man auch im Bundesfinanzministerium wissen, das ja wohl für diese Formulierung in erster Linie verantwortlich ist, weniger der Herr Minister — aus einer längst vergangenen Zeit, aus einer Zeit, als die Reichshaushalte nicht nur erheblich bescheidener, sondern auch weniger kompliziert waren als das, was wir uns heute in der Bundesrepublik leisten,
— leisten müssen, meinetwegen. Der Lorbeer, den sich Herr Etzel und sein Haus in diesem Punkte schon etwas frühzeitig aufs Haupt gelegt hat, bedeutet für das Parlament einen Zeitdruck, der schließlich zu einer absolut oberflächlichen Beratung des Haushalts führen müßte, wenn wir ihm nachgäben.
Eine wirkliche Beratung, wie sie der Aufgabe des Bundestags entspräche, ist in der Zeit zwischen der ersten Januarwoche und der ersten Märzwoche gar nicht möglich. Denn das Haus muß ja auch für die zweite und dritte Beratung im Plenum Zeit haben, und auch der Bundesrat wird nicht auf die ihm durch das Grundgesetz gegebenen Fristen völlig verzichten wollen.
Wenn man also im Bereich der Wirklichkeit bleiben will, dann muß, soll die Haushaltskontrolle des Parlaments nicht völlig zur Farce werden, schon heute damit gerechnet werden, daß auch dieser Haushalt nicht zu Beginn des Haushaltsjahrs in Kraft treten wird. Ich halte es für notwendig, schon bei diesem Punkt etwas Wasser in den Wein des Herrn Bundesfinanzministers zu gießen, damit die mit Recht so beliebte Optik nicht zu Lasten des Parlaments und womöglich des Haushaltsausschusses verschoben wird.
Die Regierungsbank hatte ja während der Rede des Herrn Bundesfinanzministers eine merkwürdig dünne Besetzung. Der Herr Bundeskanzler war entschuldigt, weil er sich erkältet hatte — in Berlin.
— Entschuldigen Sie, ich habe das völlig ohne jede böse Absicht gesagt.
Aber auch die anderen Herren Minister haben zu einem erheblichen Teil durch Abwesenheit geglänzt. Ich finde das einigermaßen merkwürdig angesichts der Tatsache, daß es sich auch um ihre Haushalte handelte, also um eine Sache, die sie angeht. Nun, wir sind ja Kummer gewohnt. Aber ich habe es für richtig gehalten, das bei dieser Gelegenheit noch einmal zu sagen. Vielleicht ergibt sich im Laufe der Jahre doch eine gewisse Besserung, auch was die Teilnahme der Regierung an diesen Beratungen betrifft. Von der Teilnahme der
Abgeordneten zu reden ist hier, glaube ich, überflüssig.
— Herr Kollege Dresbach, dieselbe Unterhaltung haben wir schon vor zwei Jahren gehabt mit demselben Hinweis auf den Bundesrat und mit meiner Retourkutsche; die will ich mir aber in diesem Augenblick sparen.
— Die sind so mit sich selber beschäftigt, daß man eigentlich nicht erwarten kann, daß sie auch noch hier ihre Zeit zubringen.
Der Herr Bundesfinanzminister hat also zu Beginn seiner Rede am Dienstag einen Rückblick auf das Programm gehalten, das er bei seinem Amtsantritt verkündet hat, und er hat mit einer gewissen Genugtuung festgestellt, daß ihm die Erfüllung dieses Programms wenigstens teilweise gelungen sei, so etwa bei der Begrenzung der Ausgaben im neuen Haushalt. Ich und meine Freunde sind gern bereit, das insoweit anzuerkennen, als der Gesamtumfang des Haushalts tatsächlich nicht, wie befürchtet werden mußte — vor allem nach den Anforderungen der Ressorts — die 40-Milliarden-Grenze weit übersteigt.
Eine andere Sache ist es freilich, daß dieses Ergebnis nicht ohne gewisse Kunststücke erreicht worden ist, wie sie der Herr Bundesfinanzminister in seiner Dienstag-Rede für die Vergangenheit gerügt hat. Denn das Wort „Kunststück" ist ja in einem Zusammenhang gefallen, wo man es als eine deutliche negative Verbeugung vor der Vergangenheit unserer Finanzpolitik betrachten mußte.
Überlegen Sie sich mal, was negative Verbeugung ist; ich kann es Ihnen nicht genau definieren. Mag sein, es ist nur eine façon de parler.
Man muß die Frage stellen, ob das Ergebnis der Bemühungen um die Niedrighaltung der Ausgabenseite des Bundeshaushalts nicht doch in erster Linie optischer Natur ist und ob es nicht erreicht wurde um den Preis des Übersehens und Beiseiteschiebens unausweichlich an den Bundeshaushalt herankommender Anforderungen und wichtigster Aufgaben, deren Vernachlässigung oder Zurückstellung uns schließlich teuer zu stehen kommen wird.
Der zweite Programmpunkt des Herrn Bundesfinanzministers, auf dessen Erfüllung er stolz ist, lautete: Steuersenkungen durch niedrigere Ausgaben — in diesem Haushalt zum erstenmal — und Vermeidung von Steuererhöhungen. In diesem Punkt möchte ich der bescheidenen Meinung Ausdruck geben, daß man den Tag nicht vor dem Abend loben und auch sich selber nicht schon in einem Zeitpunkt zufrieden auf die Schulter klopfen sollte, wo manches doch noch im Dunkeln liegt. Denn die
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Frage ist offen, meine Damen und Herren, ob die Steuersenkungen dieses Frühjahrs, so erwünscht sie auch politisch sein mochten, unter finanzpolitischen Gesichtspunkten auf lange Sicht in allen Teilen richtig waren. Gewisse Passagen in der Rede des Herrn Bundesfinanzministers, auf deren Bedeutung ich noch in einem anderen Zusammenhang zurückkommen muß, lassen überdies den Schluß zu, daß bestimmte Steuerbefreiungen bei der Einkommen- und Lohnsteuer mit dem Hintergedanken an eine anderweitige Belastung der so Befreiten vorgenommen worden sind.
Daß der Herr Bundesfinanzminister selbst nicht ganz an die Vermeidung von Steuererhöhungen glaubt, ging schließlich aus einer Bemerkung hervor, die sich auf erhöhte Einnahmeerwartungen bei der Mineralölsteuer bezog, und es ist ja kein Geheimnis, daß er selbst im heftigen Ringen mit dem Bundeswirtschaftsminister ebenfalls um steuerliche Neubelastungen kämpft, die zweifellos von den Belasteten an die Verbraucher weitergegeben würden.
In einem Punkt hat der Herr Bundesfinanzminister selbst etwas resigniert festgestellt, daß seine ursprünglichen Absichten nicht voll verwirklicht werden konnten. Er sprach von den Überbewilligungen und von der Restewirtschaft, deren Ursachen ja wohl ziemlich eindeutig in einem bestimmten Teil des Bundeshaushalts zu suchen sind, nämlich im wesentlichen im Verteidigungshaushalt. Der Komplex Rüstung ist in der Tat das Element im Bundeshaushalt, das am meisten Verwirrung stiftet und zu jener Unübersichtlichkeit und, wie wir glauben, zu jener falschen Gewichteverteilung im Bundeshaushalt führt, gegen die wir ankämpfen, weil sie zwangsläufig zur Vernachlässigung wichtiger Aufgaben von allgemeiner Bedeutung führt. Denn schließlich, meine Damen und Herren, waren es die grotesken Fehlplanungen im Bereich des Verteidigungshaushalts, deren Zeugen wir nun seit einer Reihe von Jahren sein müssen, die unter Herrn Blank angefangen haben und deren etwas robusterer Erbe der gegenwärtige Herr Bundesverteidigungsminister ist.
Herr Etzel hat in seiner Rede nichts Überzeugendes gesagt, was die Befürchtungen entkräften könnte, daß das Spiel mit den überhöhten Verteidigungskosten, die dann 'infolge von. Umplanungen oder sonstigen veränderten Verhältnissen nicht konsumiert werden können, lustig weitergehen wird: spricht man doch jetzt schon davon, daß auch die Haushaltsansätze des neuen Haushalts wie die des laufenden nur zur Hälfte ausgegeben werden können. Nun, der Herr Bundesfinanzminister hat selbst seine Erklärungen, daß eine Bildung neuer Ausgabenreste nicht wahrscheinlich sei, sofort relativiert durch einen Hinweis darauf, wie sehr alles im Bereich der Rüstung im Fluß sei. Das ist in der Tat eine Erfahrung, die wir in den letzten Jahren gemacht haben und von der ich fürchte, daß sie uns auch in der nächsten Zeit nicht erspart bleiben wird.
Hieran muß ich eine Bemerkung über die Bedeutung des Haushalts überhaupt anknüpfen. Hat der
Bundeshaushalt, den dieses Haus Jahr um Jahr verabschiedet, überhaupt noch jenen Grad von Verbindlichkeit, der ihm mindestens für ein Haushaltsjahr den Charakter eines finanziellen Grundgesetzes verleihen könnte? Es gibt eine Reihe von Tatsachen, die gegen eine solche Annahme sprechen. Der Herr Bundesfinanzminister selbst hat am 13. März dieses Jahres in diesem Hause in dieselbe Richtung gewiesen, als er sagte, in konjunkturpolitischen Zusammenhängen über mehrere Jahre komme der Entwicklung der öffentlichen Kassenverhältnisse, den öffentlichen Guthaben und den öffentlichen Kreditaufnahmen eine größere Bedeutung zu als dem mehr programmatischen Sinn der Haushaltspläne. Man muß diese Bemerkung einmal auf ihre tiefere Bedeutung hin prüfen. Ich möchte hinzufügen: wer die Entwicklung der überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben, d. h. der im Haushalt nicht veranschlagten Ausgaben, in den letzten Jahren verfolgt hat, der weiß, daß sich hinter der Kulisse deis Haushalts Verschiebungen vollziehen, die dessen Gesicht so verändern, daß es in manchen Fällen kaum wiederzuerkennen ist.
Wie hoch die über- und außerplanmäßigen Ausgaben im laufenden Haushaltsjahr sein werden, kann man heute noch nicht sagen, aber eine Vorstellung davon mögen die Zahlen für 1956 und 1957 geben. Es sind in jedem Jahre runde 5 Milliarden.
Herr Conring, auch wenn Sie bedächtig das Haupt schütteln, es bleibt dabei. Sie haben es in den Nachweisungen des Bundesfinanzministeriums doch selber festgestellt und gelegentlich bei der Mitwirkung des Haushaltsausschusses miterlebt, Welche Summen auf dem Wege über über- und außerplanmäßige Ausgaben gefordert werden. Damit Sie beruhigt sind, will ich aber noch einige Sätze hinzufügen; ich sage nichts Revolutionäres, beileibe nicht. Diese 5 Milliarden pro Haushaltsjahr in 1956 und 1957 beziehen sich auf Haushaltsvolumina von 35 bzw. 37,4 Milliarden. Sie können sich also die Relation zum tatsächlichen Umfang des Haushalts selber ausrechnen, die in diesen Verschiebungen zum Ausdruck kommt. Natürlich ist dadurch das Volumen des Haushalts nicht gesprengt worden — Herr Conring, hier haben Sie Ihre Beruhigungspille —, dafür bürgen nämlich die Minderausgaben vor allem im Verteidigungshaushalt. Man kann also Verschiebungen innerhalb des Haushalts vornehmen, ohne daß dadurch die Dinge über den Plafond hinausgehen, den das Haus durch seine Beschlüsse zum Haushalt selber gesetzt hat. Natürlich wurde auch der Haushaltsausschuß des Bundestages zugezogen und um seine Zustimmung ersucht, nicht selten, wie mir die Kollegen aus dem Haushaltsausschuß bestätigen können, nach vollbrachter Tat. Aber das Faktum bleibt, daß die Haushaltsgesetzgebung des Parlaments auf diese Weise so durchlöchert wird wie ein wohlgeratener Schweizer Käse.
Ebenfalls in die Richtung der Beschränkung der Haushaltshoheit des Parlaments weist eine andere Erscheinung, die der Haushaltsausschuß in den letzten Wochen aus gegebener Veranlassung be-
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sprochen hat: die Finanzwirtschaft der europäischen Behörden. Was darüber berichtet wurde, geht, bei voller Anerkennung besonderer Lebensbedingungen in einzelnen europäischen Hauptstädten, über das hinaus, was man mit gutem Gewissen vertreten kann. Vielleicht interessiert es die Damen und Herren, daß ich wegen des Beschlusses des Haushaltsausschusses, der eine Empfehlung an die Bundesregierung darstellte, von den maßgebenden Herren der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, d, h. der Kommission — Sie können sich denken, wer es war —, anläßlich eines Zusammentreffens in Stuttgart gekeilt worden bin und daß sie mir dort sozusagen die Hölle heiß gemacht haben, weil wir hier weit über das Ziel hinausgeschossen, und dargelegt haben, daß doch alles so verständlich und so vernünftig und gar nicht aus dem Rahmen fallend sei. Ich sage das hier zur Abrundung des Bildes. Man wird sich zu gegebener Zeit damit zu beschäftigen haben. Auf alle Fälle ist es so, daß die Finanzwirtschaft der europäischen Behörden selbst über das weit hinausgeht, was wir im Bundestag von den Bundesbehörden gewohnt sind.
Hinzu kommt, daß die Finanzwirtschaft der europäischen Institutionen weder von den ihnen nach den Verträgen zugeordneten parlamentarischen Versammlungen beeinflußt oder kontrolliert noch von den nationalen Parlamenten mitbestimmt werden kann. Wir hier sind in diesem Falle darauf angewiesen, daß die Repräsentanten der Bundesregierung, die im Ministerrat sitzen, das mehr oder weniger Richtige tun und sich in gegebenen Situationen eben einfach in eine Entscheidung fügen, die man entweder mit Mehrheit oder einstimmig trifft, ohne daß dieses Parlament noch zum Umfang der Belastungen, die uns daraus entstehen, wirklich ernsthaft Stellung nehmen kann; denn Sie wissen auch, daß bei der Ratifizierung von Verträgen keine Änderungen der Verträge vorgenommen werden können, sondern daß das Parlament zu den Ratifizierungsgesetzen nur ja oder nein sagen kann.
Ich will diese Dinge nicht überbewerten, möchte aber gerade im Zusammenhang mit der Haushaltsberatung darauf hinweisen, daß da ein Element der Auflösung der parlamentarischen Demokratie gegeben ist. Solche Betrachtungen und Beobachtungen könnten einen überzeugten Verfechter der parlamentarischen Demokratie etwas trübsinnig stimmen, wenn die ihnen zugrunde liegenden Tatbestände als der Ausdruck eines fast naturgesetzlich sich vollziehenden Vorgangs, nämlich der Entmachtung des Parlaments in der modernen Gesellschaft, angesehen werden müßten. Wer sich aber darüber klar ist, daß die Wurzel des Parlamentarismus in der Durchsetzung der Budgethoheit der Volksvertretung lag, müßte eine solche Entwicklung entschieden bekämpfen, ganz gleich, wo er politisch steht.
Im übrigen waren weite Teile der Rede des Herrn Bundesfinanzministers eine scharfe Kritik an der bisherigen Politik der Bundesregierung und der Regierungskoalition; denn die Erscheinungen, die
Herr Etzel kritisierte und zu deren Beseitigung er auch an die — ich zitiere ihn — „Verantwortung des Parlaments für das Gesamtwohl" appellierte, sind ja nicht Ergebnisse des blinden Zufalls gewesen. Sie sind schließlich die Folge von politischen Konzeptionen, von denen man kaum sagen kann, daß sie völlig überwunden seien. Die Stichworte für die Kennzeichnung dieser Konzeptionen kann man ohne Ausnahme aus der Budgetrede des Herrn Bundesfinanzministers entnehmen. Ich zitiere sie so, wie sie mir gerade in den Sinn kommen: Die Finanzpolitik aus dem Vollen, der Juliusturm, überhöhte Bewilligungen, falsche Planungen, auf denen dann falsche Haushaltsansätze aufgebaut wurden, falsche, zum Teil politisch bedingte Schätzungen, Bindungsermächtigungen, die weit über das hinausgingen, was in einer geordneten Finanzwirtschaft unter diesem Begriff zu verstehen ist, nämlich Anschlußfinanzierung für das nächste Jahr, Verschleierung der Haushaltswirklichkeit und schließlich Kapitulation vor den Interessentenforderungen ohne Maß, um auch hier mit dem Herrn Bundesfinanzminister zu sprechen.
Wer, meine Damen und Herren, wagt im Ernst heute schon zu behaupten, daß Herr Etzel im Kampf gegen die Hydra der Interessentenwünsche, die man ja gelegentlich auch als die „Herrschaft der Verbände" bezeichnet hat, Sieger bleiben und die Mehrheit dieses Hauses ihm dabei helfen wird? Das wird vielleicht bei gewissen Sozialaufgaben der Fall sein, über die an anderer Stelle noch zu reden sein wird.
Während der Rede des Herrn Ministers am Dienstag konnte man hier im Plenarsaal und draußen in der Wandelhalle die betretenen Gesichter vieler Mitglieder des Hauses betrachten, denen die Ankündigung des Herrn Bundesfinanzministers, daß er die Subventionen im Bundeshaushalt aufs Korn nehmen wolle, sichtlich aufs Gemüt geschlagen war.
Es wäre nicht fair, die Herren hier beim Namen zu nennen. Aber der Katalog, den der Herr Minister —sicher nicht ohne Absicht — aus dem Bereich des Grünen Plans zusammengetellt hatte, mag den Mitgliedern dies Hauses das dreimalige Raten ersparen.
Ich muß gestehen, ich und meine politischen Freunde haben diesen Teil der Rede des Bundesfinanzministers mit großer Aufmerksamkeit angehört; er erschien uns als ein Programm, dessen Verwirklichung dem Kampf der Götter gegen die Titanen gleichen würde. Würde dieses Programm in Angriff genommen werden — und wir glauben, daß das nötig ist —. dann könnte man sicher sein, daß auch in diesem Falle, um im Bilde zu bleibien, die Titanen, d. h. die Interessenten, den Pelion auf den Ossa türmen würden; und keineswegs sicher wäre es, daß sie nicht schließlich, zumal wenn es wieder auf Wahltermine zuginge, mit der Bundesgenossenschaft eines hochbetagten Zeus selbst den Olymp eines Herrn Etzel erstürmen und ihre Interessenwünsche durchsetzen würden.
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Wir haben ja auch in diesem Bereich Erfahrungen, wie plötzlich irgendwoher, sei es aus Rhöndorf, sei es aus dem Palais Schaumburg, ,ein Donnerkeil ins Haus geflogen kommt und alle zusammentreibt, die man zu bestimmten „Behufen" braucht.
Übrigens, Subventionen und Subventionen sind nicht immer das gleiche. Man wird auch hier das Kind nicht mit dem Bade ausschütten dürfen. Vor allem dürfte man unter dem Stichwort „Abbau der Subventionen" nicht die Lebenshaltung der breiten Schichten der Bevölkerung mit daraus sich ergebenden Preiserhöhungen belasten. Auch das ist eine Gefahr, die vielleicht in dem steckt, was d er Herr Bundesfinanzminister — etwas allgemein
als einen Versuch, die Subventionen im Bundeshaushalt abzubauen, angekündigt hat. Ich gebe gern zu, daß die Subventionen ein unerträgliches Ausmaß angenommen haben; im Interesse aller müssen sie auf das richtige Maß zurückgeführt werden, schon damit endlich auch alle diejengen, die es angeht, winsen, daß bestimmte Dinge eben nicht ohne eigene Anstrengungen, ohne eigene Leistungen erreicht werden können. Auf jeden Fall werden wir die Entwicklung ,auf diesem Gebiet mit wachem Interesse verfolgen. Der Herr Bundesfinanzminister kann unserer Sympathie bei seinen Bemühungen, soweit sie isich rechtfertigen lassen, gewiß sein.
Damit, meine Damen und Herren, bin ich bei der Betrachtung des Haushalts 1959 selbst. Zunächst einige Bemerkungen zum Haushaltsgesetz. Es hält sich mit einer Ausnahme im wesentlichen an das Schema früherer Jahre. Der § 17 des Haushaltsgesetzes bringt zum erstenmal Vorschriften über die Förderung von Kapitalanlagen im Ausland, insbesondere zur Vertiefung der wirtschaftlichen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu Entwicklungsländern. Wir begrüßen diese Neuerung, müssen uns aber vorbehalten, bei der praktischen Durchführung eigene Vorschläge zu bringen und Anregungen zu geben, bei denen nicht nur die privatwirtschaftlichen, sondern auch die politischen Gesichtspunkte eine Rolle spielen müssen. Denn schließlich sind die finanziellen und die wirtschaftlichen Beziehungen der Bundesrepublik zu den Entwicklungsländern nicht nur eine Frage von privatwirtschaftlichem Interesse, sondern sie sind auch eine politische Aufgabe, die die Bundesrepublik sich setzen muß und zu deren Erfüllung sie bestimmte Leistungen erbringen muß.
Ich will hier nicht auf die Details eingehen. Es ist wahr, daß wir heute schon — und das ist viel zu wenig bekannt - im Wege der Bürgschaftsübernahme, der Garantien für bestimmte Auslandsaufträge in einem hohen Maße Leistungen erbringen, die zum Teil auch materiell zu Buche schlagen, von denen man im allgemeinen nichts weiß und die man einmal in einer Summe sehen müßte, um zu wissen, welchen Umfang das bereits angenommen hat. Das ist wahr, das muß anerkannt werden, und niemand kann daran vorbei.
Ein anderer Punkt im Haushaltsgesetz behagt uns weniger. Wir finden es sehr bedauerlich, daß die
Bundesregierung auch in diesem Jahr wieder durch
den § 6 des Haushaltsgesetzes die Anwendung des
§ 75 Satz 1 der Reichshaushaltsordnung suspendiert. Um Ihnen klarzumachen, was das bedeutet, muß ich Ihnen diesen Satz zur Kenntnis bringen. Denn ich kann nicht annehmen, daß er jedermann bekannt ist. Er lautet:
Bleibt in einem Rechnungsjahr im ordentlichen Haushalt der Gesamtbetrag der Einnahmen hinter dem Gesamtbetrage der Ausgaben zurück, so ist der Fehlbetrag spätestens in den Haushaltsplan für das zweitnächste Rechnungsjahr als ordentliche Ausgabe einzustellen.
Die Einhaltung dieser Vorschrift der Reichshaushaltsordnung bedeutet für den Herrn Bundesfinanzminister gewiß eine Erschwerung des Haushaltsausgleichs. Sie ist ja auch nicht erfunden worden, um ihm das Leben unbedingt zu erleichtern, sondern sie hat ihre guten Gründe in den langen Erfahrungen, die man im Laufe der Entwicklung des Haushaltsrechts gemacht hat. Ihre Nichtbeachtung ist ein Stück jener Haushaltsverschleierung, die wir im ganzen beklagen und die auf die Dauer unerträglich ist. Man muß sich ernsthaft überlegen, ob man mit diesem nun seit Jahren geübten Brauch einfach so fortfahren kann, weil es bequemer ist, davon abzusehen, Haushaltsdefizite, soweit sie entstanden sind, in den Haushalt des übernächsten Jahres einzustellen.
Zum Haushalt selbst! Der Ausgleich des Haushalts ist ebenso wie die Reduzierung der Endsumme auf 39,1 Milliarden DM das Ergebnis von an sich sehr durchsichtigen Manipulationen, die alles andere als erfreulich sind und in der Hauptsache wieder einmal einen Tribut an die berühmte Optik darstellen. Wem will man eigentlich, so frage ich, Sand in die Augen streuen, wenn man z. B. den Einzelplan 14 von 10 auf 11 Milliarden DM erhöht und gleichzeitig im Haushalt der Allgemeinen Finanzverwaltung 2 Milliarden DM Minderausgaben veranschlagt, deren Zusammenhang mit dem Verteidigungshaushalt noch nicht einmal schamhaft geleugnet wird? Ich meine, auch andere Leute können Zahlen lesen. Es ist ja kein Geheimnis, daß sowohl bei den 11 Milliarden DM wie bei den 2 Milliarden DM in der Allgemeinen Finanzverwaltung die hohe Politik eine Rolle gespielt hat, die sie eigentlich gar nicht spielen müßte, wenn man davon ausginge, daß es den Bundesgenossen der Bundesrepublik viel weniger darauf ankommt, was schwarz auf weiß auf einem unverbindlichen Papier gedruckt ist, als auf das, was die Bundesrepublik im Bereich ihrer eigenen Verteidigungsanstrengungen tatsächlich leistet. Dafür soll sogar Herr Spaak als Kronzeuge gegolten haben. Aber man hat es dann, als des Kanzlers reitender Bote aus Paris angerückt kam und darauf drückte, daß man diesmal etwas höher gehen müsse als im letzten Haushaltsjahr, vorgezogen, den Verteidigungshaushalt optisch auf 11 Milliarden DM zu erhöhen, um hinterher das Kunststückchen zu machen, das der Herr Bundesfinanzminister an anderer Stelle seiner Haushaltsrede als verboten gerügt hat, das Kunststückchen, die 2 Milliarden DM hinten wieder abzusetzen. Ich frage also, wem
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will man eigentlich damit Sand in die Augen streuen?
1,2 Milliarden DM entnimmt der Herr Bundesfinanzminister aus dem Rückstellungskonto bei der Bundesbank, ein letztes Mal, wie es heißt. Es ist wohl gestattet, gerade diesem „letzten Mal" eine gewisse Skepsis entgegenzusetzen. Die Versuchung, den Haushaltsausgleich auch im nächsten Jahr auf diese Weise zu bewerkstelligen, wird um so größer sein, als mit Sicherheit anzunehmen ist, daß der Verteidigungshaushalt auch im Jahre 1959 noch eine ganze Menge Fett übriglassen und damit Raum für „letztmalige" Transaktionen geben wird. Warum ist das so? fragt eine der Regierung so wohlgesinnte Zeitung wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung", die sich auch mit dieser Frage beschäftigt hat; und sie antwortet selbst — ich könnte die Antwort nicht besser geben —: „Einfach deshalb, weil es nicht gelingt, die Verteidigungsausgaben so rasch zu erhöhen, wie es der Bundesregierung aus politischen Gründen lieb ist." Man kann dieser Charakterisierung des Tatbestandes durchaus zustimmen, auch wenn man die Gründe der Bundesregierung nicht billigt; und wir Sozialdemokraten billigen sie, wie bekannt, nicht.
Ein anderes Mittel des Ausgleichs, dem wir mit geteilter Sympathie gegenüberstehen, ist die Verlagerung wesentlicher Positionen in den außerordentlichen Haushalt, wo ihre Deckung auf die keineswegs ganz sichere Grundlage von Anleiheaufnahmen gestellt wird. Wir akzeptieren den Grundsatz, den der Herr Bundesfinanzminister in seiner Rede vom Dienstag aufgestellt hat und der auch den Prinzipien der Haushaltsordnung entspricht: daß nämlich öffentliche Investitionen, in diesem Falle mehr als vorher, durch öffentliche Anleihen und nicht durch Steuern finanziert werden sollen. Es muß aber auch sicher sein, daß die Mittel für die Bedeckung der wichtigsten Ausgabeposten im außerordentlichen Haushalt im Anleiheweg aufgebracht werden können. Wenn das nicht der Fall ist, bleiben solche Haushaltsansätze entweder leere Versprechungen, oder sie müssen trotzdem, wie bisher, aus laufenden Einnahmen bestritten werden; und das geht bekanntlich nur, wenn Geld an anderer Stelle im ordentlichen Haushalt nicht ausgegeben wird.
Der Haushaltsausgleich ist, das möchte ich zusammenfassend sagen, zwar gelungen; aber er steht keineswegs auf ganz soliden Beinen.
Hier gleich noch ein Wort zu einem anderen Problem, zu den Anforderungen der Bundesregierung für neue Planstellen und Stellenhebungen. Meine Freunde und ich haben in den vergangenen Jahren gerade bei diesem im Bewußtsein der Öffentlichkeit neuralgischen Punkt stets die Auffassung vertreten, daß man nicht in Bausch und Bogen zu solchen Anforderungen nein sagen, sondern die sachliche Berechtigung in jedem Falle prüfen müsse. Wir werden es auch diesmal so halten. Auf der anderen Seite aber ist die oft besprochene Aufblähung der Verwaltung ja nicht ein bloßes Schlagwort oder eine böswillige Erfindung. Das berühmte Parkinsonsche Gesetz, wonach sich die öffentliche Verwaltung beinahe gesetzmäßig im Wege der Zellteilung vergrößert, ist leider auch in unseren Zonen und im Bereich der Bundesverwaltung da und dort wirksam. Wir behalten uns vor, im Ausschuß dieser Frage unser Augenmerk zuzuwenden, und wir werden da sicher mit größter Sachlichkeit Forderungen entgegentreten, die nicht durch die Sache, durch neue Aufgaben oder ähnliche Verpflichtungen, bestimmt sind, sondern einfach aus dem Wunsche entstehen, da und dort eben etwas mehr Personal zu haben, die Dinge etwas leichter zu machen, als sie bisher gewesen sind.
Nun komme ich zu einem für uns Sozialdemokraten entscheidenden Gesichtspunkt für die Betrachtung dieses Bundeshaushalts. Das ist die Verteilung der Gewichte im Haushalt.
Der Herr Bundesfinanzminister hat leider auch in seiner diesjährigen Haushaltsrede das alte Spiel fortgesetzt, durch Summierung der verschiedenartigsten, der heterogensten öffentlichen Aufwendungen unter dem Titel „soziale Sicherung" die Tatsache abzuschwächen, .daß der Aufwand für die Rüstung der Bundesrepublik das beherrschende Element des Bundeshaushalts ist.
Man soll nicht immer wieder kommen mit den Vergleichen mit anderen NATO-Ländern einschließlich der Vereinigten Staaten, die bis zu 10 % des Sozialprodukts für Verteidigungs-, für Rüstungskosten aufwenden.
Man sollte auch hier in unserem eigenen Interesse klarmachen, daß die Bundesrepublik eine ganze Menge Lasten zu tragen hat, die in jedem Sinne auch in die Kategorie „Verteidigung der Freiheit, Verteidigung der Demokratie" gehören.
Man sollte nicht denjenigen, die an dein Bundeshaushalt Anforderungen stellen, welche über das tragbare Maß hinausgehen, noch Argumente dadurch liefern, daß man unsere 5 1/2 % in Vergleich setzt mit den 10 %, die die Amerikaner aus einer ganz anderen Situation heraus sich in ihrem eigenen Haushalt leisten.
— Lassen Sie mich doch ausreden, Herr Niederalt; Sie sind jaauch noch dran! Ich habe gegen niemanden polemisiert als gegen den, den es angeht.
— Das möchte ich denn doch bestreiten, Herr Kollege Niederalt,
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daß Sie in Bayern nicht politisieren.
— Dann war das ein falscher Zungenschlag, oder habe ich falsch zugehört?
— Da kann ich Ihnen nur zustimmen, Herr Dr. Aigner.
Meine eigenen Freunde möchte ich allerdings nicht unbedingt in ein Kollektiv mit einem von Ihnen bringen!
Die Verteilung der Gewichte! Der Herr Bundesfinanzminister hat, nachdem er das Generalkapitel „Soziale Sicherung" aufgeschlagen hatte, das von ihm mit 40 % ausgestattet worden ist, schließlich doch unterschieden zwischen dem vagen Begriff der sozialen Sicherung, in den er alles hineinpackte, was überhaupt hineinzupacken war, und den Sozialleistungen im engeren Sinne. Aber die Konfrontierung eines angeblichen Sozialaufwands von 40 % des Gesamthaushalts mit den 30 % für Verteidigungsausgaben hatte doch einen so eindeutigen und fatalen Beigeschmack, daß man dagegen entschieden protestieren muß, weil es einfach nicht der Wahrheit entspricht.
Übrigens hat ein Herr aus dem Ministerium des Herrn Bundesfinanzministers im Bulletin der Bundesregierung vor kurzem eine Rechnung aufgemacht, wonach der wirkliche Sozialhaushalt der Bundesrepublik insgesamt 10 Milliarden DM, d. h. rund 27 % des gesamten Haushaltsvolumens, betragen soll. Das ist zwar auch noch etwas nach oben frisiert; aber es kommt der Wirklichkeit erheblich näher, als dies bei den generellen 40 % der Fall ist, die der Herr Bundesfinanzminister am Dienstag hier genannt hat.
Ich habe zu Beginn meiner Rede davon gesprochen, daß die Niedrighaltung der Ausgaben des Bundeshaushalts möglicherweise erreicht worden sei um den Preis des Übersehens von unausweichlich an den Bundeshaushalt herantretenden Anforderungen und wichtigsten Aufgaben, deren Vernachlässigung oder Zurückstellung uns schließlich teuer zu stehen kommen wird. Unter dem Gesichtspunkt der Verteilung der Gewichte im Bundeshaushalt sind gerade hier einige Bemerkungen grundsätzlicher Art zu machen. Der Herr Bundesfinanzminister mag sich darauf berufen, daß er in seinem Entwurf nur diejenigen Aufwendungen veranschlagt habe, für die z. B. im Bereich des Sozialhaushalts eine gesetzliche Grundlage vorhanden ist. Es dürfte aber weder ihm noch der Bundesregierung ein Geheimnis gewesen sein, daß die Anpassung der Renten und die Verbesserung der Kriegsopferversorgung unausweichlich auf den Bundeshaushalt zukommt. Gewiß ist der Umfang dieser Maßnahmen heute noch nicht bekannt, und gewiß wird er schließlich Gegenstand der parlamentarischen Auseinandersetzung sein müssen. Aber ebenso gewiß ist es, daß der Bundeshaushalt in gewissem Umfange belastet werden wird, und dafür hätte der Entwurf mindestens auch in einer gewissen Höhe Vorsorge treffen müssen. Daß er das nicht getan hat, scheint mir ein Fehler, ein Versäumnis zu sein, und es ist kein Zweifel, daß das im Laufe der Haushaltsberatungen, wenn nicht vielleicht sogar später — das hängt vom Gang der Verhandlungen in diesem Hause ab —, eine Korrektur erfahren muß. Im übrigen läßt sich, wenn man die Statistiken nicht zu zweifelhaften Propagandazwecken mißbraucht, feststellen, daß die sozialen Leistungen im engeren Sinne — d. h. im wirklichen Sinne — verstanden im Verhältnis zum Gesamthaushalt eine rückläufige Tendenz haben. Parallel damit läuft auch eine wachsende Beitragsbelastung der Sozialversicherten. Dahinter steht die Tendenz, den Bundeshaushalt möglichst vor Soziallasten zu schützen, und darüber hinaus auf Grund des oft widerspruchsvollen Sozialrechts sogar noch die Chance, Einsparungen zu erzielen.
Allein auf G rund ,der Anrechnungsbestimmungen warden durch die verbesserten Sozialversicherungsrenten in der Kriegsopferversorgung und so weiter eine halbe bis eine Milliarde D-Mark jährlich gespart. Bei der Vorbereitung der Krankenversicherungsreform hebt sich ebenfalls deutlich die Tendenz ab, den Versicherten durch eine zusätzliche Beteiligung an den Kosten der Behandlung im Kranheitsfall neue Beitragslasten aufzubürden. Wir können nur sagen, daß wir uns diesen Bemühungen entschieden widersetzen werden.
Bei der Kriegsopferversorgung ,sind in diesem Jahr 240 Millionen DM weniger veranschlagt mit der Begründung, ,daß solche Einsparungen durch den natürlichen Rückgang der Zahl der Versorgungsberechtigten möglich 'seien. Ich möchte hier nicht den Eindruck erwecken, daß ich die Auffassung vertrete, daß jeder Rückgang in der Zahl der Versorgungsberechtigten sich automatisch im Wege der Neuverteilung, also sozusagen einer positiven Umlage, als Leistungserhöhung für die Übriggebliebenen auswirken müsse. Das ist nicht meine Auffassung; ich möchte das ausdrücklich betonen. Aber die Verbesserung der Versorgung der Kriegsopfer ist unausweichlich.
Darüber kann gar kein Zweifel bestehen, und das ist auch in Ihren Kreisen bekannt. Rückstellungen dafür hätten (auch von dieser Regierung mindestens im Rahmen der 240 Millionen DM erwartet werden dürfen.
Vielleicht sind diese 240 Millionen DM auch ein Element des Haushaltsausgleichs geworden.
In diesem Zusammenhang darf ich mir die Frage gestatten, wie sich die Bundesregierung eigentlich zu den Beschlüssen des Bundestags stellt, die wäh-
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rend der Haushaltsberatungen 1958 einstimmig gefaßt worden sind. Im Juli dieses Jahres — ich selber war damals nicht anwesend, habe mir aber die Akten geben lassen — wurde ein kombinierter Antrag von CDU, DP und SPD vom Hause einstimmig angenommen, in dem die Bundesregierung ersucht wurde — ich habe mir die beiden Anträge, die nachher kombiniert worden sind, noch einmalangesehen, in beiden war diese Verpflichtung für die Bundesregierung ausdrücklich enthalten —, schon im Entwurf des Haushaltsgesetzes 1959 einen angemesseenen Teilbetrag zur Abdeckung der Verpflichtungen des Bundes gegenüber den Trägern der Rentenversicherung einzustellen. Das mehr als bescheidene Ergebnis dieses einstimmigen Beschlusses des Parlaments, der sich auf rund 2 Milliarden DM bezog, ist die Einstellung von sage und schreibe 1 Million DM in dien Haushalt.
Das kann man noch nicht einmal als leine erste Rate bezeichnen; wenigstens würde ich das nicht tun.
Die Gewichtsverteilung im Bundeshaushalt, so wie sie im Entwurf vorgesehen ist, läßt auch eine andere wichtige öffentliche Aufgabe ziemlich abseits liegen: die Verkehrsprobleme. Der Herr Bundesfinanzminister hat sich in seiner Haushaltsrede mit diesem Thema länger befaßt. Man kann aber nicht sagen, daß er dabei wesentlich Neues mitgeteilt hätte, wenn man davon absieht, daß er den Entwurf eines Straßenbaufinanzierungsgesetzes noch vor Ende dieses Rechnungsjahres angekündigt hat. Daß er in diesem Zusammenhang auch entgegen seinen vorher verkündeten Antipathien gegen Steuererhöhungen — die wir übrigens teilen; wer teilte sie nicht! — eine Mehreinnahme an Mineralölsteuer von mehreren hundert Millionen D-Mark noch für das Rechnungsjahr 1959 in Aussicht gestellt hat, läßt doch wohl vermuten, daß er Steuererhöhungen durchaus für richtig und möglich hält, wenn sie nicht direkt, sondern auf Umwegen den Verbrauch belasten.
Denn daß die Mineralölsteuer auch auf den Verbrauch abgewälzt werden wird, ist so ziemlich sicher.
Der Verkehrshaushalt im übrigen ist um ganze 50 Millionen DM gestiegen. Das ist angesichts der Lage im Verkehrswesen, vor allem beim Straßenverkehr, geradezu grotesk. Der Herr Bundesminister Seebohm, der für den Verkehr zuständig ist, hat — es ist schon lange her! — Pläne für die Verkehrsfinanzierung entwickelt. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat vor längerer Zeit ein Verkehrsfinanzierungsgesetz in diesem Hause eingebracht. Es ist still geworden sowohl um den Plan des Herrn Seebohm als auch um die Behandlung unserer eigenen Vorschläge für die Finanzierung der Verkehrsprojekte. Der Vorgänger des jetzigen Bundesfinanzministers, Herr Schäffer, hat die Finanzierungspläne seines Kollegen vom Verkehr immer beiseite geschoben,
und es scheint fast so, als ob Herr Etzel in diesem Punkte den Spuren von Herrn Schäffer folgen wollte. Man hört ja so gewisse Kulissengespräche, daß der Stuhl des jetzigen Herrn Bundesverkehrsministers etwas wackele und daß man eine andere Besetzung in Aussicht genommen habe. Ob das damit zusammenhängt, daß er mit seinen Finanzierungsplänen nicht reüssiert hat, oder ob andere Gründe für ein solches Revirement vorliegen, weiß ich nicht. Ich kann auch nicht beurteilen, wieviel Realität hinter diesen Gesprächen steckt. Aber immerhin ist es doch interessant, daß man darüber spricht, und so am Rande darf man ja wohl ein solches Couloirgespräch auch hier im Hause einmal erwähnen. Vielleicht denken einige darüber nach, vielleicht sogar Kandidaten für das Amt. Wer weiß?
Dabei — um zum Ernst der Sache zurückzukommen — ist allen, die sich mit den Fragen des Verkehrs befassen, klar, daß nicht nur die Bundesbahn, deren Tarifpolitik sich als ein Fehlschlag erwiesen hat, dringend der Hilfe bedarf, sondern daß auch im Bereich des Straßenbaues weit über die Bundesautobahnen und über die Bundesstraßen hinaus die Landstraßen und die Kreisstraßen ohne eine weitreichende Leistung des Bundes nicht auf jene Höhe gebracht werden können, die der sich ständig steigernde Verkehr erfordert. Es ist witzlos, gute Bundesstraßen und gute Autobahnen zu haben, wenn man die jenseits dieser Verkehrswege liegenden Ziele nur über teilweise miserable oder sogar halsbrecherische Straßen erreichen kann.
Auch ich weiß natürlich, daß diese Probleme nicht in einem Jahreshaushalt des Bundes bewältigt werden können. Aber was wir jetzt vor uns haben, ist noch nicht einmal ein bescheidener Ansatz.
Im Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt sind auch wirtschaftspolitische Überlegungen anzustellen. Ich muß sie auf ein Minimum beschränken. Schließlich ist die öffentliche Hand sowohl im Nehmen wie im Geben ein beträchtliches Stück der Gesamtwirtschaft. In den letzten drei Jahren ging es darum, daß vom öffentlichen Haushalt keine vermeidbaren Impulse zur Steigerung der Konjunkturerhitzung ausgingen. Darum gingen bekanntlich mehrere Konjunkturdebatten in diesem Hause, die eine davon in Berlin.
Heute stehen wir vor einer etwas anderen Lage. Die jetzige Konjunkturlage kann nicht von vornherein als schlecht bezeichnet werden. Immerhin sollten die für die Wirtschaftspolitik Verantwortlichen nicht versuchen, die spürbaren Abschwächungstendenzen und Krisenerscheinungen in unserer Wirtschaft mit übertriebenem Optimismus zu umschreiben oder etwa mit moralischen Spritzen bewältigen zu wollen.
Ohne auf Einzelheiten einzugehen, muß ich doch auf die besonders alarmierende Lage in einem Industriezweig hinweisen, nämlich im Kohlenbergbau. Die Kohlenhalden sind mit 13 Millionen t zur Zeit größer als je vorher. Bisher wurden 1,9 Millio-
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nen Feierschichten gefahren. Der Rückgang in der Stahlerzeugung bedeutet Kurzarbeit für rund 50 000 Stahlarbeiter. Auch in der Textil- und in der Lederwarenindustrie machen sich Stagnation und Rückgang des privaten Verbrauchs besonders stark bemerkbar.
Die Bundesregierung sollte nach unserer Meinung nicht warten, bis es zu einem allgemeinen Konjunkturrückschlag kommt. Heute kann sie die negativen Tendenzen noch durch wirtschaftliche Maßnahmen der leichten Hand auffangen. Vom Export ist ein Auftrieb zur Zeit nicht zu erwarten. Deshalb müßte über eine Belebung des Verbrauchs ein ernster Versuch gemacht werden, die gegenwärtige Stagnation zu überwinden. Eine rechtzeitige Anpassung der Renten wäre in diesem Zusammenhang nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Beseitigung sozialen Unrechts, sondern auch zur Belebung der Binnenkonjunktur nötig gewesen.
Sie ist leider bisher nicht erfolgt.
Der Bundeshaushalt selbst kann wesentlich dazu beitragen, den wirtschaftlichen Abschwächungstendenzen entgegenzutreten. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Debatte, die in diesem Hause vor kurzem stattgefunden hat und die sich mit der Verbesserung der Lage in der Bauwirtschaft befaßte. Darin hat mein Kollege Dr. Deist zahlreiche Ansatzpunkte für eine Beeinflussung des gesamten Wirtschaftsablaufs von der Bauwirtschaft her aufgezeigt.
) Der Herr Bundesfinanzminister hat — worauf ich schon hingewiesen habe — in seinen Ausführungen über die Subventionspolitik vor allem auch auf die landwirtschaftlichen Subventionen abgehoben. Leider ist infolge der Gesetzeslage der Grüne Plan stets eine Art Nachzügler des Bundeshaushalts; man wird also bei dessen Beratungen erneut die Fragen aufgreifen müssen, die Herr Etzel am vergangenen Dienstag aufwarf. Ich will hier ganz allgemein für die sozialdemokratische Fraktion folgendes sagen. Wir werden sowohl bei der Beratung des Bundeshaushalts wie auch bei der des Grünen Plans selber — für den ja im Haushalt die gleiche Summe wie im Vorjahr angesetzt ist — keine höheren Beträge verlangen; aber wir werden uns entschieden für eine Umschichtung der Verwendung einsetzen. Wir glauben nämlich nicht, daß die Art der Verwendung dieser Mittel in den letzten Jahren der Weisheit letzter Schluß gewesen sein kann.
Mehr möchte ich zu diesem Thema nicht sagen.
Eine Bemerkung zur Frage der Eingliederung der vertriebenen Bauern sei mir noch gestattet, und zwar sowohl in bezug auf die Höhe der Mittel als auch auf deren Verweisung in den außerordentlichen Haushalt. Das letztere steht übrigens im Gegensatz zur Behandlung aller anderen Positionen des Grünen Plans. Die Behandlung der ganzen Fragen, die ich iin diesem einen Satz angedeutet habe, steht aber auch in auffallendem Gegensatz zu dem, was der Herr Bundeskanzler auf dem Ostdeutschen Bauerntag in Bad Godesberg erklärt hat, wie ja
überhaupt manchmal öffentliche Deklamationen und Deklarationen in einem sehr starken Gegensatz zur Praxis der Bundesregierung stehen.
Ich bin im allgemeinen nicht als boshaft bekannt, Herr Bundesfinanzminister; hier aber kann ich mir eine boshafte Frage an Sie nicht ganz verkneifen, nämlich die Frage, was Sie eigentlich beabsichtigt haben, als Sie die im Manuskript Ihrer Rede gestrichene Stelle über die Entstehung eines Zuckerberges im Zusammenhang mit der Erhöhung des Zuckerrübenpreises dem Parlament so einfach mit zwei blauen Strichen quer hindurch zuleiteten.
Ich weiß nicht: Wenn ich nicht boshaft bin — sind Sie ,es vielleicht gewesen? Man muß ja in diesem Zusammenhang doch daran erinnern, daß in der zweiten Legislaturperiode, unmittelbar vor den Wahlen 1957 — der Termin ist nicht ganz bedeutungslos —, in diesem Hause eine Entschließung angenommen worden ist, die die Bundesregierung aufgefordert hat, entgegen ,den Empfehlungen des Haushaltsausschusses die Preiserhöhung für die Zuckerrüben 'trotzdem vorzunehmen. Der Rest wurde dann von der Regierung und den ihr nahestehenden Parteien im Bundesrat auf dem Weg über eine Verordnung besorgt. Der gestrichene Absatz der Rede des Herrn Etzel ist immerhin für alle, die ihn gelesen haben, und darüber hinaus vielleicht für manchen andern außerordentlich aufschlußreich gewesen.
Der Verteidigungshaushalt wäre wert, in einer besonderen Rede alleinabgehandelt zu werden. Ich muß mich im Rahmen dieser Haushaltsrede j edoch auf wenige Bemerkungen beschränken, nachdem ich bereits verschiedentlich über dais Verhältnis dieses Haushalts zum Gesamthaushalt und zu anderen Größenordnungen im Haushalt gesprochen habe. Sicher ist eines: die in diesem Hause heftig bestrittenen Behauptungen der sozialdemokratischen Redner in vergangenen Debatten, z. B. in den Debatten über die Rüstungskosten Frühjahr dieses Jahres, daß im Verteidigungshaushalt eine große Marge für Manipulationen und für nicht auszugebende Dinge vorhanden sei, ist durch die Tatsachen mehr als bestätigt worden. Dabei sind wir mit unseren Schätzungen noch hinter der Wirklichkeit zurückgeblieben.
Vermerkt werden muß auch — ich tue dais ausdrücklich unter Betonung aller haushaltsrechtlichen Bedenken —, daß in den 11 Milliarden DM, die nominell in dem Einzelplan 14 eingesetzt sind, rund 4 Milliarden DM als neue Deckung für Haushaltsreste aus früheren Jahren ,enthalten sind, wobei die Deckungsmittel inzwischen für andere Zwecke verwendet wurden. Mir scheint, daß Fallein dieses Verfahren noch einer genaueren Prüfung bedarf.
Ob es möglich ist, Mittel, die schon ausgegeben worden sind — das ist auch in der Begründung für diese Ansätze klar gesagt —, noch einmal einzusetzen, ist eine offene Frage. Ich bin geneigt, sie zu verneinen. Auf alle Fälle ist das Problem der
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Haushaltsreste und ihrer Behandlung in den Haushalten .kommender Jahre, eventuell sogar ihrer wirklichen Abtötung — um einen Fachausdruck zu gebrauchen — gerade im Zusammenhang mit dem Verteidigungshaushalt erneut gestellt.
Eine Frage kann ich, so kurz ich mich auch hier bei der Behandlung des Verteidigungshaushalts fassen möchte, nicht ganz unterdrücken. Im Zusammenhang mit dem Aufbau einer Luftwaffe und dem Ankauf von Flugzeugen im Ausland ist der Gedanke aufgetaucht, ob nicht im weiteren Verlauf der Entwicklung zum Lizenzbau der im Ausland erworbenen Flugzeugtypen in Deutschland übergegangen werden soll. Der Herr Bundesverteidigungsminister scheint stark in dieser Richtung zu drängen. Und es ist ihm durchaus zuzutrauen, daß er sich damit auch im Schoße der Regierung durchsetzt.
Ich möchte aber die Aufmerksamkeit des Hauses und der Regierung auf die möglichen Konsequenzen des Aufbaus einer deutschen Luftfahrtindustrie und vor allem auf die Gefahren hinweisen, die sich daraus, d. h. von den möglichen Investitionsbedürfnissen her für die Wirtschaft, für den Arbeitsmarkt und für den Bundeshaushalt ergeben könnten. Ich glaube, die Frage sollte ernsthaft geprüft werden, ob wir uns in der Bundesrepublik in unserer Situation und angesichts der allgemeinen Möglichkeiten und Notwendigkeiten eine solche Entwicklung leisten können. Wir jedenfalls — das möchte ich heute schon sagen — werden uns in diesem Punkt mit besonderer Vorsicht verhalten, weil wir nicht wollen, daß industrielle Fehlinvestitionen auf dem Wege über den öffentlichen Haushalt, der für sie ja doch einmal in Anspruch genommen werden muß, wettgemacht werden. Denn eine Flugzeugindustrie dieser Art wird niemals aus eigener Kraft in vollem Umfang rentierlich sein, zumal nicht in unserem Bereich.
Ein ganz anderes, meine Damen und Herren — um nicht zu sagen: ein konkurrierendes —, Element des Bundeshaushalts sind die kulturellen Aufgaben. Für sie sind im Bundeshaushalt summa summarum rund 500 Millionen DM eingesetzt, und darin ist vermutlich alles enthalten, was überhaupt nur irgendwie unter das Stichwort „kulturelle Aufgaben" gebracht werden kann. Ich habe im Augenblick nicht die Möglichkeit gehabt, nachzuprüfen, inwieweit auch Institutionen des Bundes für bestimmte sachliche Zwecke unter diesem Rubrum erscheinen. Aber lassen wir das einmal dahingestellt.
Wir Sozialdemokraten glauben jedenfalls, daß diese Summe von 500 Millionen DM weit hinter den Erfordernissen zurückbleibt, die sich aus der Lage unseres Volkes, aus unserer kulturpolitischen Situation und aus den Bedürfnissen der Zukunft ergeben. Meine Partei hat seit Jahren auf diesem Gebiet Vorstöße unternommen, um den Ausbau unserer Bildungseinrichtungen von der Volksschule über das Berufsschulwesen und die technischen Lehranstalten bis hin zu den Universitäten ebenso wie die Förderung der Wissenschaften als eine
nationale Notwendigkeit nicht nur ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu bringen, sondern dafür auch die notwendigen finanziellen Mittel zu mobilisieren. Das ist bisher nur in bescheidenem Umfang gelungen. Es ist richtig, die Leistungen des Bundes sind erhöht worden. Aber sie stehen in keinem Verhältnis zu den Aufgaben.
Wir sind überzeugt, daß das Problem nicht damit abgetan werden kann, daß man es als eine Aufgabe der Länder von sich abschiebt, weil nach dem Grundgesetz die Kulturhoheit bei den Ländern liegt. Die Aufwendungen, die nötig sind, um den tatsächlichen Bedarf zu decken, können nur durch eine gemeinschaftliche Anstrengung von Bund und Ländern aufgebracht werden.
Wir sind überzeugt, meine Damen und Herren, daß ein sachliches Gespräch über dieses Problem zwischen Bund und Ländern unausweichlich ist und daß es auch zu einer Lösung führen würde, die für alle beteiligten Kostenträger vertretbar ist, zumal wenn man davon ausgeht, daß die Verwirklichung eines langfristigen Programms in den Anlaufjahren weit geringere Mittel erfordern würde, als sie sich aus einer bloßen arithmetischen Teilung des zu errechnenden Gesamtaufwandes durch die Zahl der Jahre ergeben könnten. Die Aufgabe muß gelöst werden. Ich kann ihren Umfang hier nur andeuten.
Untrennbar hängt mit diesem Problem ein anderes zusammen, nämlich der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern. Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Rede eine Rechnung aufgemacht, aus der hervorgeht, daß Länder und Gemeinden angeblich weit besser gestellt seien als der Bund. Ich gestatte mir mit allem Respekt vor dem Herrn Minister zu behaupten, daß diese Rechnung zweckbestimmt ist und im ganzen nicht aufgeht.
Die Aufgaben, die nach dem Grundgesetz den Ländern zufallen und zu denen auch die finanzielle Teilausstattung der Gemeinden über Ausgleichsstocks und ähnliche Einrichtungen gehört, ist beim gegenwärtigen Stand der Dinge und bei der jetzigen Verteilung der Finanzmasse nicht zu lösen.
Der Bundesrat hat vor kurzem eine Kommission eingesetzt, die aus dem Herrn Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, dem Herrn Finanzminister von Hessen und dem Herrn Kultusminister von Schleswig-Holstein besteht. Sie hat die Aufgabe, die Probleme eines neuen Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern zu prüfen und darüber auch mit der Bundesregierung in Verhandlungen einzutreten. Der Herr Bundesfinanzminister wird sich darauf einrichten müssen, daß auf diesem Gebiet sehr ernste Fragen an ihn herangebracht werden. Es wird nicht möglich sein, sich auf die Dauer mit Aushilfen oder sogar mit Bemerkungen zu helfen, wie sie der Herr Bundesfinanzminister leider auch in seiner Haushaltsrede gegenüber den Gemeinden und Gemeindebürgern gebracht hat.
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Schließlich ist die wahre Lage doch so, daß der Bund in den letzten Jahren im Bereich der Steuergesetzgebung immer wieder als Wohltäter gegenüber den Steuerzahlern aufgetreten ist, wobei die Hauptkosten dieser Wohltäterei infolge der Verteilung der Steuereinkünfte auf die Länder und zu einem nicht unbeträchtlichen Teil auch auf die Gemeinden entfallen sind.
Der Bund hat sich gegenüber einzelnen Ländern sogar als Bankier betätigen können. Die Gemeinden aber haben sich — ohne daß ich das auf alle erstrecken will - in einem Grade verschuldet, der für viele von ihnen bis hart an die Grenze der Belastungsmöglichkeit und bei einer ganzen Reihe schon über diese Grenze hinausgegangen ist.
Der Herr Bundesfinanzminister hat es für richtig gehalten, den Gemeinden die Einführung einer neuen Steuerquelle in Gestalt der Gemeindeeinwohnnersteuer oder eine allgemeine Erhöhung der Grundsteuer zu empfehlen, und dabei Formulierungen gebraucht, die in die Zeit des Kommunalfreisinns zurückführen, als man das Mitspracherecht in der Gemeinde an die Steuerleistung binden wollte. So geht es nicht, Herr Bundesfinanzminister!
Sie können nicht so tun, als hätten diejenigen, die bei der letzten Steuerreform von der Einkommensteuerverpflichtung befreit worden sind, überhaupt keine öffentlichen Lasten zu tragen. Das stimmt nicht, das ist einfach nicht wahr.
Diese Personengruppe trägt durchaus an den öffentlichen Lasten mit, und sei es nur über die Belastung durch die überhohen Verbrauchsteuern.
Sie können also nicht auf der Bundesebene Steuersenkungen oder Vermeidung von Steuererhöhungen predigen, aber allen anderen Trägern der öffentlichen Haushalte den schwarzen Peter zuschieben, der da heißt: Steuererhöhungen und Belastungen der Gemeindebürger.
Schließlich noch einige abschließende Bemerkungen, die sozusagen unter das Stichwort „Alle Jahre wieder" gehören. Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Haushaltsrede die Möglichkeit einer Jahressteuergesetzgebung angedeutet. Eine außerordentlich wichtige Angelegenheit! Er hat davon gesprochen, daß das Haushaltsjahr an das Kalenderjahr angepaßt werden müsse. Er hat nicht davon gesprochen, wie es mit der seit langem in Arbeit befindlichen und in der letzten Zeit eigentlich in der Versenkung verschwundenen Reform des Haushaltsrechts steht. Ich möchte die Frage aufwerfen, Herr Bundesfinanzminister: Wann wird eigentlich mit all diesen Dingen ernst gemacht? Sie sind wichtig, sie sind notwendig, seit Jahren reden wir davon; aber endlich möchte man doch auch einmal einen Schritt in der richtigen Richtung getan sehen, vor allem was die Anpassung des Haushaltsjahres an das Kalenderjahr angeht, weil das eine Reihe von Konsequenzen auch für die Finanzgebarung der
öffentlichen Haushalte hat und namentlich für die Mittel, die aus den öffentlichen Haushalten in die Wirtschaft fließen. Hier sollten wir tatsächlich einmal ernst machen und nicht immer nur den Mund spitzen, sondern auch wirklich zu pfeifen beginnen.
Ich kann mich nicht von diesem Entwurf eines Bundeshaushalts für 1959 verabschieden, ohne auch etwas gesagt zu haben über die sozialdemokratische Gesamthaltung zu diesem Haushalt und zu der Regierung, die ihn einbringt. Ich glaube, es bedarf nach den Erfahrungen dieser Jahre keiner besonderen Betonung des Umstandes, daß meine Freunde an der Erarbeitung der konkreten Daten des Haushalts, an der Durchdringung des Dickichts der Haushaltsansätze, an ihrer Korrektur womöglich, nach sachlichen Gesichtspunkten stets mitgearbeitet haben und es auch in Zukunft tun werden. Aber wir können nicht von dem Umstand absehen — und das bestimmt unsere Stellungnahme schließlich zum Gesamthaushalt —, daß es der Haushalt einer Regierung ist, die von einem Manne geführt wird, der es in all den Jahren und gerade in den letzten Jahren systematisch darauf angelegt hat, die politischen Kräfte, die in der Sozialdemokratie repräsentiert werden, in der Bundesrepublik in die Ecke zu drängen, ihnen die Möglichkeit der politischen Wirksamkeit abzuschneiden und sie, so oft er konnte, auch politisch in einer Weise zu diffamieren, die manchen von uns die Frage vorgelegt hat, ob hier Altersstarrsinn, böser Wille
oder schlechtweg Unverständnis am Werke sei.
— Ja, manchmal muß man auch ein deutliches Wort gebrauchen.
Sie sind ja gelegentlich auch etwas auf die Zehen getreten von der Art, wie der Chef Ihrer Regierung in der Öffentlichkeit umgeht,
und ich bin gewiß ein rücksichtsvoller Mann; aber es gibt Situationen, in denen sogar unsereinem der Kragen platzt. Wir können auch nicht davon absehen, daß es der Haushalt einer Regierung ist, deren Innenminister gerade in der letzten Zeit betont eine Tendenz in der Richtung auf — na, sagen wir einmal — reichlich autoritäre Vorstellungen vom Wesen des Staates und von der Stellung der Regierung im Staate an den Tag gelegt hat.
Ich brauche Sie nur an die berühmte Stuttgarter Rede des Herrn Bundesinnenministers zu erinnern, die er heute wahrscheinlich nicht in diesem Sinne gehalten haben möchte, und doch ist bekannt, daß daran eine ganze Menge Wahres ist. Wir können nicht davon absehen, daß diese Regierung einen Justizminister hat wie Herrn Schäffer, der für politische Vergehen die Todesstrafe wünscht, wobei die Frage aufzuwerfen wäre, ob er nicht einer der ersten wäre, die nach dem Standard, der hier in der politischen Auseinandersetzung in den letzten Jah-
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ren von Ihnen gesetzt worden ist, selber unter dieses Verdikt fallen würde.
Wir können auch nicht davon absehen, daß die innenpolitische Atmosphäre in der Bundesrepublik sich im Laufe der Jahre in einer Weise verdichtet hat, von der man nicht sagen kann, sie habe sich in der Richtung zu einem echten demokratischen Gemeinschaftsleben weiterentwickelt.
Die Schuld liegt nicht zuletzt bei denen, die in diesen Jahren die politische Verantwortung getragen haben und deren Gesamtverhalten schließlich dazu geführt hat, daß eine ganze Menge der Ewiggestrigen und Vorgestrigen in dieser Bundesrepublik wieder das Haupt erheben kann, sehr zum Schaden unseres Volkes und unseres Landes, Leute, von denen jeder, der hier im Hause sitzt, weiß, was sie in der Vergangenheit sich auf das Gewissen geladen haben und was sie in der Zukunft tun würden, wenn sie die Möglichkeit hätten, wieder einmal politisch wirksam zu werden.
Ich will hier nicht eine Schuldenrechnung für diese Dinge aufmachen, aber, meine Damen und Herren, klopfen Sie sich einmal an die eigene Brust und fragen Sie sich, wie weit diese Entwicklung nicht auch zu einem Teil auf das Konto der Politik geht, die die Regierung getrieben hat, in deren Auftrag Herr Bundesfinanzminister Etzel am vergangenen Dienstag den Bundeshaushalt 1959 vorgelegt hat.
Ich habe diese Bemerkungen gemacht, weil ich sie für notwendig hielt, um die Stellung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion und der Sozialdemokratischen Partei zu diesem Bundeshaushalt nicht nur von der sachlichen, sondern auch von der politischen Seite her eindeutig darzutun.