Rede von
Hellmut
Kalbitzer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion sieht sich anläßlich der Beratung dieses Zolltarifgesetzes veranlaßt, darauf hinzuweisen, daß die Verhandlungen über die Freihandelszone — in einer für uns beunruhigenden Art und Weise — festgefahren .sind und daß damit Gefahren für die wirtschaftliche und politische Einheit des westlichen Europas her aufbeschworen wenden.
Es erhebt sich die Frage, ob die Zollsenkungen, die jetzt 6 Staaten allein fur sich vornehmen — ohne daß die übrigen Staaten der westlichen Welt in gleicher Weise in die Zollsenkungsaktion einbezogen werden —, nicht zu einer Spaltung führen, die sich unsere Bundesrepublik und ganz Deutschland, wie die Lage in Deutschland heute ist, nicht leisten können.
Man hat nun in den letzten Tagen etwas von einem Kompromiß gelesen, ohne das es bisher möglich gewesen wäre, letzte Klarheit darüber zu bekommen. Dieses Parlament und die deutsche Öffentlichkeit sind nicht ausreichend darüber informiert, wie es eigentlich zu einem Kompromiß in dieser Frage kommen soll. Man hat gehört, daß auch den Ländern, die nicht zu den sechs der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft angehörenden Ländern zählen — also den übrigen Ländern der OEEC, grob gesprochen: dem westlichen Europa —, eine Zollermäßigung angeboten werden soll. Das heißt, diese Zollermäßigung soll gewährt werden, wenn es sich um Zölle handelt, die höher als der sogenannte EWG-Außenzolltarif liegen.
Wenn diese Nachricht auf Tatsachen beruht, dann ist das Ganze weiter nichts als Augenauswischerei; denn ein solcher Außenzolltarif existiert nicht. Wie wir wissen, kann es ihn frühestens 1960 oder 1961 geben. Dieser „Kompromiß" ist nur eine Umschreibung dafür, daß man den übrigen westlichen Ländern, also z. B. Großbritannien, Skandinavien, Osterreich, der Schweiz ,usw., in Wirklichkeit keine Zollsenkungen zugestehen will. Das einzige Zugeständ-
2902 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 52. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 9. Dezember 1958
Kalbitzer
nis — das man machen will, um die wirtschaftliche Spaltung nicht vollends zutage treten zu lasen — besteht darin, daß man sich bereit erklärt, die Handelskontingente — soweit solche bestehen; das ist nur ein minimaler Ausschnitt aus dem gesamten Handelsvclumen — um 10 % zu erweitern. Wir nehmen das zur Kenntnis, erklären aber, daß das ein schwacher Anfang ist.
Nach dem Entschließungsantrag, der Ihnen auf Umdruck 191 vorliegt, und dem wir zuzustimmen bitten, soll der Bundestag erklären, daß er auf dem Standpunkt beharrt, den er im Sommer 1957 vor Abschluß des Vertrages über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft einmütig eingenommen hat. Mit dem ersten Punkt unseres Entschließungsantrags weisen wir darauf hin, daß der Bundestag sich schon damals, und zwar einmütig, möchte ich betonen, dafür eingesetzt hat, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft möge in einer größeren Gemeinschaft aufgehen, damit es nicht zu einer Diskriminierung und zu einer Spaltung innerhalb Westeuropas komme.
Im zweiten Punkt des Entschließungsantrags kommt zum Ausdruck, daß man nach allem, was vorliegt, nicht die Hoffnung haben kann — wir sind über ein Jahr vertröstet worden —, daß eine größere Gemeinschaft, die OEEC, die gleichen Zollvorteile wie die EWG bekommt.
Deshalb sagen wir im dritten Punkt des Entschließungsantrags:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, sich mit aller Entschiedenheit dafür einzusetzen, daß durch multilaterale Vereinbarung eine wirtschaftliche Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsrates in Form einer Freihandelszone herbeigeführt und so die wirtschaftliche Spaltung Europas verhindert wird.
Wir legen besonderen Wert darauf, die Einmütigkeit darüber hervorzuheben, daß es sich um multilaterale Vereinbarungen handeln muß. Daraus soll hervorgehen, wir sind uns klar darüber, daß von den Ländern außerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nicht das eine Land nach dem anderen — Österreich, die Schweiz, Großbritannien, die skandinavischen Länder — gegenüber der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu Kreuze kriechen kann, daß wir vielmehr mit allen Partnern in Freundschaft und in gerechter Abwägung der Interessen zu einer gemeinsamen Vereinbarung kommen müssen.
Wir möchten das Parlament bitten, in allem Ernst die letzten Worte zu bedenken, die besagen, daß wir, wenn es nicht in absehbarer Zeit zu einer solchen Gemeinsamkeit kommt, zu der Spaltung der Welt in Ost und West noch eine zusätzliche Spaltung im Westen Europas haben werden. Sie haben lesen können, daß sich die schwedische Regierung ernsthaft mit dem Gedanken befaßt, die Zölle gegenüber der Bundesrepublik zu erhöhen als Vergeltung dafür, daß wir Schweden gegenüber nicht die gleichen Zollzugeständnisse machen wie gegenüber Frankreich und den übrigen EWG-Ländern. Viele der Anwesenden werden das als eine technische Frage auffassen. Es ist aber eine in technische Formen eingekleidete hochaktuelle politische Frage, nämlich die politische Frage, ob wir als Deutsche nicht alles daransetzen müßten, weitere Aufspaltungen des Westens zu verhindern, damit wir mit möglichster Geschlossenheit dastehen.
Als kleine Randglosse möchte ich abschließend nur bemerken, daß der Minister, der sich für die Freihandelszone angeblich mit besonderem Nachdruck einsetzt und dafür angeblich sein Letztes tut und kürzlich als Vermittler zwischen den verschiedenen Regierungsmeinungen auftreten wollte, nämlich Herr Professor Erhard, wie an vielen anderen so auch an dieser Debatte wieder nicht teilnimmt. Das kennzeichnet, wie mir scheint, sein wahres Interesse.