Rede von
Dr.
Kurt Georg
Kiesinger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich habe in diesen Tagen zwei Reden aus den Reihen der Opposition gehört, denen ich mit großer Aufmerksamkeit und mit Respekt zugehört habe, — zwei vor allem: Es waren die Rede des Herrn Kollegen Wehner und die Rede des Herrn Kollegen Carlo Schmid. Nicht deswegen, weil diese Reden etwa unseren Auffassungen näher gestanden hätten als das, was wir eben hören mußten, sondern weil da eine saubere, klare und un-demagogische Darstellung der Position der Opposition gegeben wurde.
Die Rede, die wir soeben hören mußten, war ein einziger Schmutzkübel, der ausgegossen wurde über dieses Haus.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Sonnabend, den 22. März 1958 1049
Kiesinger
Gestern sprach Herr Döring davon, daß das Problem der atomaren Aufrüstung hier im Stil von Büttenreden behandelt würde. Auf welche Rede trifft das mehr zu als auf die, die wir soeben gehört haben!
Und dazu war es noch eine schlechte Büttenrede.
Um was geht es? Ich habe es gestern gesagt — und ich habe es ernst gemeint —: Es geht um die drei großen Probleme —
und unser Volk muß es wissen, daß es darum geht —: wie wir im atomaren Zeitalter den Frieden schützen, wie wir im atomaren Zeitalter die Freiheit bewahren und wie wir dabei zur Wiedervereinigung kommen.
Darüber haben die Herren Kollegen Arndt, Wehner und Carlo Schmid gesprochen, und darüber sollten wir fortfahren zu sprechen.
Wenn die Argumente fehlen,
dann sollten wir nicht versuchen, den Gegner madig B) zu machen mit Geschichten, die Jahrzehnte zurückliegen.
Sollen wir Deutsche, meine Damen und Herren von der Opposition, heute hier der Welt das klägliche Schauspiel bieten, daß wir
in der Vergangenheit unseres Volkes, in unserer gemeinsamen Vergangenheit herumwühlen? Da ist die Rede vom Ermächtigungsgesetz. Soll ich in Ihre Erinnerung rufen, daß am 17. Mai 1933 Adolf Hitler im Deutschen Reichstag eine Rede gehalten hat, in der er die Außenpolitik der neuen nationalsozialistischen Regierung begründete und daß nach dieser Rede eine Entschließung gefaßt wurde:
Der Reichstag wolle beschließen: der Deutsche Reichstag als die Vertretung des deutschen Volkes billigt die Erklärung der Reichsregierung und stellt sich in dieser für das Leben der Nation entscheidenden Schicksalsfrage der Gleichberechtigung des deutschen Volkes geschlossen hinter die Reichsregierung
und daß diese Resolution von den Sozialdemokraten mit angenommen wurde?
Das ist so gewesen! Ich hätte das in diesem Hause und in dieser Stunde nicht erwähnt, wenn nicht der taktlose, verantwortungslose Versuch der Brunnenvergiftung von diesem Herrn gemacht worden wäre.
Ihre alte Verleumdung! Ich habe nicht eine Rede in meinem Leben zugunsten des Nationalsozialismus gehalten! Diese Lüge, die mir immer aus Ihrem Lager entgegengehalten wird! Ich habe nie für jene Partei gekämpft.
Meine Damen und Herren, ich beschwöre Sie
— ich beschwöre Sie, jawohl, kehren wir in dieser Debatte zu der Sache zurück, um die es geht!
Sie haben mit uns das gemeinsame Anliegen, den Frieden zu bewahren, die Freiheit zu schützen und unserem Volk die Einheit wiederzugeben.
Sie sind anderer Ansicht als wir über den Weg zu den Zielen. Warum können wir uns darüber nicht mit dem ganzen Ernst, den diese Fragestellung verdient, auseinandersetzen?
Geben wir dieser Debatte das Niveau zurück, das sie verdient.
Wir haben uns in diesen Tagen vor allem über zwei Themen unterhalten. Schon lange tun wir das. Wir tun es auch jetzt. Das eine ist das Thema: Was ist notwendig für unsere Sicherheit, was müssen wir tun, damit wir nicht nur für die 50 Millionen der Bundesrepublik, sondern auch für die 17 Millionen drüben, wenn sie einmal in ein gemeinsames Vaterland zurückkehren, ein Leben in Freiheit und Sicherheit garantieren können?
Die andere Frage lautet: Was können wir unsererseits dazu beitragen, daß in unserem Zeitalter der Frieden bewahrt wird?
Und die dritte Frage: Wie werden wir unsere Einheit in Frieden, in Freiheit und Sicherheit wiedererlangen können? Sie sagen — und das klingt so einfach in den Ohren der Menschen —, je mehr aufgerüstet wird, je mehr atomar aufgerüstet wird, desto größer wird die Kriegsgefahr.
— Meine Damen und Herren, Sie, die Sie heute so heftig gegen die bittere Notwendigkeit dieser Maßnahmen streiten, Sie hätten dazu beitragen können, daß es nicht so weit kam: als wir nämlich — und der Bundeskanzler voran — sagten, wir wollten ohne atomare Aufrüstung auskommen und mit europäischen konventionellen Streitkräften gegenüber
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Kiesinger
der gewaltigen sowjetrussischen Übermacht gleichziehen.
Das haben Sie mit verhindert.
— Ja, wir haben die Mehrheit gehabt, Herr Erler. Aber es gab ein Bundesverfassungsgericht, das dazu benutzt wurde, angerufen zu werden, um Entscheidungen, die in diesem Hause fallen sollten, zu verzögern. Der großartige Versuch scheiterte,
weil die Entscheidung verzögert wurde. Ich möchte Sie fragen, wo wir heute in Europa stünden, wenn wir die Europäische Verteidigungsgemeinschaft bekommen hätten!
Von Ihnen, ausgerechnet von Ihnen wird so getan, als gäbe es in unseren Reihen die Hybris einer nationalen oder gar nationalistischen Aufrüstung. Wir waren die stärksten Gegner einer solchen nationalistischen Aufrüstung. Wir wollten einen europäischen Schutzverband der Freiheit gründen.
Meine Damen und Herren, welche Reden aus jenen
3) Kampfjahren des Bundestages klangen nationalistisch, die des Bundeskanzlers oder die Dr. Schumachers?
— Ich kenne das Anliegen Dr. Schumachers. Deshalb habe ich gesagt: Welche Reden klangen so? Ich weiß, warum er meinte, man müsse gewissen nationalistischen Gefahren von vornherein den Wind aus den Segeln nehmen.
— Ach, lieber Herr Hinterbänkler Schäfer, blättern Sie lieber in der Geschichte der letzten Jahre nach, dann können Sie hier mitreden.
— Jawohl, es gibt auch andere, die von den Dingen etwas verstehen, und ich gestehe das auch denen, die in den Reihen der Sozialdemokratie stehen, zu, aber nicht denen, die mitreden, ohne wirklich die Tatsachen zu kennen.