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ID0301806700

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    Deutscher Bundestag 18. Sitzung Bonn, den 20. März 1958 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abg. Frau Dr. h. c. Weber 823 A Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) ; Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230) Dr. Gradl (CDU/CSU) 823 D Dr. Mende (FDP) 828 D Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 840 C, 893 B Dr. von Brentano, Bundesminister 847 D, 894 C Dr. Arndt (SPD) 854 D Strauß, Bundesminister 861 B Erler (SPD) 880 B Dr. Maier (Stuttgart) (FDP) 895 B Kiesinger (CDU/CSU) 902 C Nächste Sitzung 913 D Anlage 915 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. März 1958 823 18. Sitzung Bonn, den 20. März 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.03 Uhr.
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albrecht 12. 4. Dr.-Ing. e. h. Arnold 20. 3. Dr. Baade 21. 3. Bading 20. 3. Bazille * 1. 4. Dr. Becker (Hersfeld) 19. 4. Bergmann * 21. 3. Birkelbach * 21. 3. Dr. Birrenbach * 21. 3. Blachstein 29. 3. Dr. Burgbacher * 21.3. Conrad 18.4. Cramer 21. 3. Dr. Deist * 21.3. Deringer * 21.3. Dr. Elbrächter * 21.3. Engelbrecht-Greve * 21. 3. Felder 31.3. Dr. Friedensburg * 21. 3. Frau Friese-Korn 31. 5. Funk 21.3. Dr. Furler * 21. 3. Frau Dr. Gantenberg 21. 3. Gehring 22.3. Geiger (München) * 21. 3. Gottesleben 22. 3. Dr. Greve 21.3. Hahn * 21. 3. Heiland 31.3. Hellenbrock 24.3. Heye 20. 3. Dr. Höck (Salzgitter) 31. 3. Höcker 15.4. Frau Dr. Hubert 12.4. Illerhaus * 21.3. Jahn (Frankfurt) 29.3. Jürgensen 31.3. Kalbitzer * 21. 3. Frau Kipp-Kaule 29.3. Dr. Kopf * 21.3. Dr. Kreyssig * 21.3. Kunze 15.5. Leber * 21.3. Lenz (Brühl) * 21. 3. Lenz (Trossingen) 29.3. Dr. Leverkuehn * 21.3. Dr. Lindenberg * 29. 3. Logemann 20. 3. Lücker (München) * 21. 3. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 30. 4. Margulies * 21. 3. Mellies 25.4. Metzger* 21. 3. Müller (Worms) 22. 3. Müller-Hermann * 21. 3. Neumann 12.4. Frau Niggemeyer 21. 3. Dr. Oesterle * 21. 3. Paul 30.4. Pelster 1.4. Frau Dr. Probst * 21. 3. Pütz 21.3. Ramms 31.3. Dr. Ratzel* 21.3. Richarts * 21.3. Frau Rudoll 20. 3. Scheel * 21. 3. Dr. Schmidt (Gellsersen) * 21. 3. Schneider (Hamburg) 31. 3. Dr. Schneider (Saarbrücken) 21. 3. Dr. Starke 21. 3. Storch * 21.3. Storm (Meischenstorf) 20. 3. Sträter * 21. 3. Frau Strobel * 21. 3. Struve 21.3. Unertl 20. 3. Dr. Vogel 22. 3. Vogt 12.4. Wehking 20. 3 Wehr 31.3. Weinkamm 29. 3. Dr. Will 21. 3. Wittmann 20. 3. b) Urlaubsanträge Frau Dr. Steinbiß 29. 3. Dr. Zimmermann 6. 5. * Für die Teilnahme an der Tagung der Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Fritz Erler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Dieser Meinung bin ich keineswegs. Ich will Ihnen nur sagen, daß es darüber im englichen Unterhaus eine große Debatte gegeben hat, und diese Debatte führte von seiten der englischen Regierung, deren Ansichten Sie ja kennen, zu zwei Feststellungen: 1. Einen lokalisierbaren Konflikt in Europa gibt es bei der Bedeutung dieses Landes
    überhaupt nicht. Das war die erste Feststellung der britischen Regierung.

    (Bundesminister Strauß: Warum wollen Sie dann eine Entspannung, wenn es keinen Konflikt gibt?)

    Die zweite Feststellung der britischen Regierung, die in den Debatten eine große Rolle spielt, war die, daß man, wenn man taktische Atomwaffen einsetzt, damit den Weg zum allgemeinen Atomkrieg beschritten hat, von dem es bei uns hier kein Zurück mehr gibt. Die Planung der Verwendung von Atomwaffen auf dem Kontinent schließt jegliche Idee auch nur an Lokalisierung eines Konflikts aus.

    (Beifall bei der SPD.)

    In England hat es eine heftige Debatte gegeben, weil man dort begreiflicherweise bei diesen Perspektiven etwas erschrocken ist und sagt: Die Haltung der englischen Regierung läuft also darauf hinaus, bei jedem Angriff in Europa zur Vergeltung die Wasserstoffbombe einzusetzen. Damit taucht für England die schauerliche Perspektive des Selbstmordes auf.
    Ich habe Ihnen soeben klargelegt, daß die Verwendung taktischer Atomwaffen bei uns zu genau dem gleichen Ergebnis führt. Es ist vielleicht gut, in Erinnerung zu rufen, was es eigentlich mit diesen taktischen Atomwaffen, die man hier für gemütliche Dinge anzusehen scheint, auf sich hat. Jede sogenannt taktische Atomwaffe hat die Wirkung ungefähr — manche ein bißchen kleiner, andere ein bißchen größer — der Bombe von Hiroshima. Die Wirkung rechnet sich auch heute noch nach Tausenden von Tonnen Trinitrotoluol. Was gelungen ist, ist, die Waffe im Umfang kleiner zu machen; aber die Zerstörungskraft ist die gleiche geblieben, und das ist das, worauf es ankommt.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Konsequenz: Eine Verteidigung mit dem Einsatz dieser Waffen ist in dem dichtbesiedelten deutschen Land überhaupt nicht möglich.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Mit diesen Waffen können Sie unser Land nicht verteidigen, sondern nur seine Bevölkerung ausrotten, und mit der Ausrottung der Bevölkerung verliert die Verteidigung ihren Sinn.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Man sagt uns, es sei nötig, die Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen auszustatten, um damit die Überlegenheit der Sowjettruppen an Zahl und Ausstattung mit konventionellen Waffen auszugleichen. An diesen Ausgleich glaube ich nicht, weil ich mir nicht vorstellen kann, daß nicht der Gegenzug wäre, selbstverständlich die sowjetischen Truppen in genau dem gleichen Ausmaß mit Atomwaffen auszurüsten, womit dann die Überlegenheit wiederhergestellt wäre. Und so geht die Schraube weiter.
    Nun zu dem Argument, das der Herr Bundesverteidigungsminister hier gewissermaßen vom Standpunkt der Psychologie des kämpfenden Sol-



    Erler
    daten her gebraucht hat, man dürfe nicht minderen Rechtes sein. Meine Damen und Herren, muß man wirklich die gleichen Waffen haben, wenn die Waffen gar nicht schützen? Schutz ist der Sinn der Verteidigung und nicht Zerstörung des Lebens der Nation.

    (Beifall bei der SPD und der FDP. — Bundesminister Strauß: Wollen Sie kämpfen und den Krieg verhindern?)

    — Wenn die Einplanung bestimmter Waffen den Selbstmord einschließt, dann ist man nicht verpflichtet, aus Gleichberechtigung den Selbstmord mitzumachen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Da höre man auch mit dem Gerede von den Vorleistungen auf. Die Ablehnung des Selbstmordes ist keine Vorleistung.

    (Beifall bei der SPD.) Daß es besser ist — —


    (Bundesminister Strauß: Wollen Sie kämpfen oder den Krieg verhindern?)

    — Ich bin der Meinung, daß es Aufgabe ist, den Krieg zu verhindern. Durch die Art, unter dem Schlagwort des Kämpfenwollens das atomare Wettrüsten erst einmal auf die Spitze zu treiben, führen Sie genau das herbei, was es zu vermeiden gilt, nämlich die Schlußexplosion.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der FDP.)

    Eine sinnvolle Verteidigung muß die Chance des Überlebens der Nation in sich bergen.

    (Abg. Dr. Menzel: Sehr gut!)

    Wenn das mit rein militärischen Mitteln im Zeitalter des Atomwettrüstens heute nicht erreichbar ist, dann ist es unsere Aufgabe, den anderen ins Gewissen zu reden, damit überhaupt wieder Sicherheit für die Völker möglich wird, nachdem sie in dieser Weise zerstört worden ist.

    (Beifall bei der SPD und bei der FDP.)

    Ich will hier nicht die vom Minister behandelten ethischen Einwände erörtern. Auch der gerechte Krieg, Herr Minister, der Verteidigungskrieg, wird gemessen an den Mitteln, die man in ihm anwendet. Das sollte Ihnen bekannt sein. Ein Ausrottungsmittel ist keine Waffe. Aber das ist ein weites Feld; darauf will ich mich jetzt gar nicht begeben.
    Nur ein Satz verdient in diesem Zusammenhang noch eine Berichtigung. Der Terror, von dem hier gesprochen worden ist, ist die Wirkung der Atomwaffen, ist die Drohung der Vernichtung und nicht die Aufklärung über die Folgen des selbstmörderischen Wettrüstens auf allen Seiten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich sagte Ihnen schon: auf diesem Wege gibt es keine Sicherheit. Sie reden davon, aber Sie schaffen sie nicht. Im Gegenteil! Punkt 33 des englischen Weißbuches sagt: Entsprechend der vor einem Jahr bekanntgegebenen Feststellung, daß ein Versuch, das Land als Ganzes gegen Atomangriffe zu verteidigen, nicht durchführbar ist, hat das Jägerkommando jetzt die begrenztere Aufgabe, die Bomberstützpunkte zu schützen.

    (Abg. Dr. Mommer: Hört! Hört!)

    Welch eine Perversion der Verteidigung! Früher waren die Armeen dazu da, die Völker zu schützen, jetzt werden die Völker geopfert, um die Vergeltungswaffen instand halten zu können.

    (Beifall bei der SPD und bei der FDP.)

    Bei dieser Lage müssen wir alle Anstrengungen auf die Abrüstung konzentrieren, um des Überlebens der Menschheit willen. Das zwingt die Weltmächte an den Tisch, und da müssen die anderen Völker ihren Beitrag leisten durch Drängen und Fordern auf kontrollierte Abrüstung, und sie dürfen dieses Drängen nicht dadurch gefährden, daß sie zunächst einmal nach Atomwaffen für sich selber rufen, weil man dann in diesem Kampf unglaubwürdig wird.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Was die Völker quält, ist die Gefahr des Selbstmordes. Was andere Völker leider viel weniger quält als uns, das ist die Spaltung unseres Landes, — obwohl es natürlich wahr ist, was wir alle immer wieder sagen und sagen müssen: daß es in Europa und in der Welt keine dauernde Befriedung geben kann, solange Deutschland gespalten ist. Aber gerade weil wir wissen, daß eine dauerhafte Lösung ohne die Wiedervereinigung Deutschlands gar nicht möglich ist, müssen wir unseren Beitrag dazu leisten, zu dieser dauerhaften Lösung hinzukommen.
    Der Bundeskanzler hat früher gesagt, daß die Wiedervereinigung Deutschlands nur durch Fortschritte auf dem Gebiet der Abrüstung und durch eine Politik der Entspannung erlangt werden könne. Wenn das richtig ist — und ich unterstreiche das —, dann muß man im Interesse auch der deutschen Einheit für die Abrüstung arbeiten und darf nicht das Atomwettrüsten fördern.
    Bisher ist es bei den Abrüstungsverhandlungen unter den Großen zugegangen wie in einem Karussell. Sprechen wir das doch einmal offen aus. In einem jahrelangen Ringen haben beide Seiten sich nicht gerade mit Ruhm bedeckt, weil jeder zunächst einmal den anderen abrüsten, aber seine eigene Überlegenheit behalten wollte. Früher verlangte die Sowjetunion ein Atomwaffenverbot ohne Gegenleistung. Jetzt bieten die USA die Kontrolle der interkontinentalen Raketen an, möglichst ohne Verbindung mit anderen Fragen. So ähnlich geht es seit Jahren.
    Meine Damen und Herren, man muß frei werden von den Propagandavorschlägen von beiden Seiten, die noch dazu zu solchen Paketen verschnürt worden sind, daß jeder glaubte, sein Paket mit den größtmöglichen Vorteilen für sich nach Hause tragen zu können. So kommen wir nicht weiter. Man muß diese Pakete einmal aufbrechen und sich die einzelnen Teile ansehen und dann Schritt für Schritt versuchen, den Fortgang zu weiterreichenden Abrüstungsvereinbarungen zu ebnen, wozu auch regionale Abmachungen in Europa gehören können.



    Erler
    Die Völker sind der Reden und der Winkelzüge der Großmächte müde, und zwar beider.

    (Beifall bei der SPD und FDP.)

    Wir haben die Verpflichtung, das beiden zu sagen, nicht nur der einen Seite.
    Die Gefahr ist riesengroß. Da erwarten die Völker Taten und kontrollierbare Vereinbarungen und keine Propagandagefechte in Ausschüssen und Konferenzen. Der Wille dazu ist zweifelhaft, solange das Abrüstungsgespräch, selbst wenn es stattfindet und nicht gerade durch die Halsstarrigkeit der einen Seite, z. B. der Sowjetunion, monatelang unterbrochen war, auf beiden Seiten von atomaren Versuchsexplosionen begleitet wird. Das ist die schlechteste Begleitmusik zu Abrüstungsdiskussionen. Dabei hätte jede Seite — ich betone: jede! — ein Beispiel geben können, wenn sie den guten Willen dazu gehabt hätte.
    Deshalb sollen wir uns ernsthaft darum bemühen, und zwar, wie die vorliegenden Anträge aufzeigen, zusammen mit all den Völkern, die heute noch nicht am Atomwettrüsten beteiligt sind, weil man diese am leichtesten zusammenbringt, den Druck der Weltmeinung in dieser Frage auf die Großmächte auszuüben.

    (Beifall bei der SPD und FDP.)

    Der Stopp der Versuchsexplosionen könnte ein solcher Schritt sein. Denn schon im Frieden sind sie eine Gefahr für Gesundheit und Leben der Mitbürger, auch in fremden Staaten, die gar nicht beteiligt sind. Ein solcher Stopp würde auch der nuklearen Erpressung von beiden Seiten Grenzen setzen und ein besseres Klima schaffen. Die Kontrolle der Einhaltung einer solchen Vereinbarung ist möglich.
    Ich bin wirklich erschüttert gewesen über die Art, wie die öffentliche Meinung durch einige Wissende in diesen Fragen irregeführt worden ist. Erst hat man den Völkern erzählt und auch uns zu erzählen versucht, unterirdische Explosionen ließen sich nicht kontrollieren, sie seien angeblich nur in einer Entfernung bis 250 Meilen feststellbar. Jetzt weiß man, daß es in Wahrheit über 2000 Meilen sind, daß also verhältnismäßig wenige Kontrollpunkte in den Gebieten der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion zu einer lückenlosen Kontrolle der Einhaltung des Verbots von Versuchsexplosionen ausreichen würden.

    (Abg. Dr. Mommer: Auch das amerikanische Volk wird belogen!)

    Hüten wir uns vor den allzu regsamen Interessen derer, die an einer solchen Sache arbeiten, die ihren Stolz darin setzen, zu Ergebnissen zu kommen. Es ist verständlich: wer an einer solchen Waffenentwicklung beteiligt ist, wird blind und will nicht in seiner Arbeit gestört werden. Aber hier muß die Politik den Vorrang haben und das entscheidende Wort sprechen.
    Die erste Aufgabe wäre es doch wohl in dieser Lage, zunächst das Atomwettrüsten zu bremsen, und zwar dadurch, daß nicht noch weitere hineingerissen
    werden. Da haben Sie wieder einen Schritt, nämlich nach oder zusammen mit der Einstellung der Veruchsexplosionen keine weiteren Atommächte entstehen zu lassen. Mein Freund Arndt sagte es schon: Solange es nur ein paar Atommächte gibt, ist noch Hoffnung auf ein Abkommen; wenn die Atomwaffen erst allgemein verteilt sind, ist der Weg ins Verhängnis beschritten.
    Der Bundeskanzler hat diese Erkenntnis auch einmal gehabt. Im April 1957 — es ist noch gar nicht lange her — hat er ausgeführt, daß die Chancen auf eine Abrüstung der Atomwaffen schwinden müßten, wenn die atomare Rüstung um sich greife; diesem Punkte stimme er zu. Heute haben wir vom Herrn Bundeskanzler gehört: solange bestimmte Mächte nukleare Waffen hätten, drohe die Gefahr, daß sie auch gebraucht würden.
    Natürlich droht diese Gefahr, und sie ist um so größer, je mehr Mächte die nuklearen Waffen haben.

    (Beifall bei der SPD.)

    So sollten wir uns also bemühen, einen Druck auf die Weltmeinung auszuüben; und sie ist wichtig nach allen Seiten, weil sich heute beide Seiten in einem weltweiten Ringen um Sympathien für ihre eigene gesellschaftliche Ordnung befinden. Da ist auch die Sowjetunion empfindlich. Da kann man die Macht der Völker nach allen Seiten einsetzen. Da müßten wir den Großmächten zeigen — sie müßten es spüren —, daß sie in Gefahr stehen, die politische Führungsrolle — wenn Sie so wollen, auch die geistige Führungsrolle jeweils in ihrem Bereiche — zu verlieren, wenn sie die Meinung der Mehrheit der Erdbevölkerung in dieser Frage mißachten und in den Wind schlagen.
    In diesem Sinne sollte man an die Dinge herangehen und die Vorschläge der polnischen Regierung wenigstens als Verhandlungsgrundlage aufgreifen. Mittel- und Osteuropa außerhalb der Sowjetunion frei von Atomwaffen mit einer wirksamen, bereits zugestandenen Kontrolle und dann in Verbindung mit dem doch auch schon in den Erklärungen angedeuteten Truppenabzug, das ist doch schon etwas, was die Lösung sehr wesentlicher Probleme für uns are fördern könnte!
    Statt solche Vorschläge abzuwerten, sollte man sie lieber ergänzen, Vorschläge machen, darüber verhandeln und die eigene Initiative Polens auch als solche werten, statt durch stures Nein den Sowjetblock immer wieder zusammenzupressen und nicht anzuerkennen, daß es dort eigenständige Regungen gibt, die man fördern und nicht ersticken sollte.

    (Beifall bei der SPD.)

    Aber man hat ja hierzulande Angst vor Vorschlägen, welche die fortschreitende Integration des westdeutschen Potentials in die westliche Verteidigungsgemeinschaft stören könnten. Wir sollen so unlösbar in das atlantische Gewebe hineinverflochten werden, daß, auch wenn die Einheit das einmal erforderlich machen sollte, gar keine Lösung mehr möglich ist und wir uns dann vor der Barriere



    Erler
    der militärischen Tatsachen befinden, die inzwischen geschaffen sind.

    (Abg. Wehner: Das ist leider wahr!)

    Schon die Planung der Verwendung der Atomwaffen für den Fall eines Konflikts auf deutschem Boden hat eine grausige geistige Folge. Mit diesen Waffen kann man bekanntlich gar nicht auf bestimmte einzelne militärische Objekte zielen, sondern damit kann man nur Flächenzerstörungen anrichten, Bevölkerungsteile ausrotten. Was heißt das für den Fall eines Konflikts auf deutschem Boden? Die Verwendung dieser Waffen würde sich nicht etwa gegen Truppen richten, die unter Umständen unsere Freiheit bedrohen könnten über Waffen dafür läßt sich reden, Herr Minister —, sondern die Verwendung der Atomwaffen würde praktisch die eigenen Landsleute jenseits der Demarkationslinie zu einem auszurottenden feindlichen Volk stempeln; das ist das Schreckliche.

    (Beifall bei der SPD und FDP.)

    Warum haben wir es mit der Atomrüstung so eilig? Man behauptet immer, man habe es nicht eilig. Aber bis zum 3. April soll entschieden sein. Und dann hat man es angeblich nicht eilig! Kein Gefolgsstaat der Sowjetunion verfügt selbst über Atomwaffen. Die Abschreckungspotentiale befinden sich wechselseitig im Besitz der Großmächte. Dazu werden wir überhaupt nicht gebraucht. Praktisch heißt das Greifen nach den Atomwaffen doch, daß man wieder einmal zu den Insignien der Weltmächte greift.

    (Abg. Schmidt [Hamburg] : Darum geht es ja auch!)

    Daran haben wir, wie der Verteidigungsminister in richtiger Erkenntnis gesagt hat, uns schon zweimal die Finger verbrannt. Dann sollte man in diesem Falle doch die richtigen und nicht die falschen Konsequenzen ziehen.
    In Fort Knox hat der Minister — wenn ich richtig gelesen habe ausgeführt, Mittelstreckenraketen mit fahrbaren Rampen seien in Mitteleuropa zur Verteidigung notwendig. Was heißt hier Mittelstrecken? Was heißt hier Mitteleuropa? Welches Land kann damit gemeint sein, wo man sie bräuchte? Ich entdecke nur die Bundesrepublik Deutschland; denn das andere, was zur NATO gehört, ist Westeuropa. Und welche Raketen sind gemeint? Von fahrbaren Rampen ist die Rede. Dann doch wohl nur der Matador, der angeblich gar keine Rakete ist. So muß man das doch lesen, was der Minister in Fort Knox gesagt hat.
    Aber noch gefährlicher sind, wenn sie zutreffen, jene Begründungen, die uns gegeben worden sind: daß man damit Erfahrungen sammeln wolle, nicht nur für die Ausbildung der Truppe, sondern um den Anschluß an die technische Entwicklung zu finden. Das leitet also über auf das Gebiet der Produktion. Meine Damen und Herren, seien wir uns darüber ganz klar: Trotz aller Beteuerungen, die jetzt gelegentlich aus westlichen Ländern in dieser Frage zu uns hin gesprochen werden, würde die Aufnahme der Produktion solcher Waffen in West und Ost Mißtrauen gegen deutsche Absichten wecken, im Westen zusätzlich noch Zweifel an unserer Vertragstreue. Was soll das heißen: Anschluß an die Entwicklung? Ich las in der Zeitung, man wolle beantragen, die Produktionsbeschränkungen für Fernraketen nach Anlage II zu Protokoll III der Pariser Verträge mit Zweidrittelmehrheit aufheben zu lassen. Es ist darin vorgesehen, daß man das kann.
    Aber wenn man am Matador arbeitet, der nach der Definition des Vertrages, wie Kollege Arndt zutreffend ausgeführt hat, eindeutig zu den Waffen gehört, für die Atomspengköpfe bestimmt sind, dann folgt ja wohl bald eine Änderung des Vortrages, wonach sich die Bundesrepublik bisher verpflichtet hatte, Atomwaffen in ihrem Gebiet nicht herzustellen.

    (Abg. Dr. Mommer: Der nächste Schritt!)

    Die Produktion des Matador fällt unter das Verbot. Auf diesem Gebiet hat man es mit der Revision der Verträge eilig. Wenn es aber für die deutsche Einheit nötig ist, dann wird keine Initiative zur Vertragsrevision ergriffen, sondern jeder verdammt, der sie fordert.

    (Beifall bei der SPD und FDP.)

    Oder will man gar die für uns geltenden Produktionsbeschränkungen einfach umgehen, indem man sagt — was ja eine Roßtäuschermethode wäre In den Verträgen ist ja nur von der Produktion in Deutschland geredet; man kann ja deutsche Wissenschaftler und deutsches Geld auch außerhalb der Bundesrepublik Deutschland arbeiten lassen. Soll eine solche angebliche Gemeinschaftsarbeit den Sinn des Vertrages aushöhlen? Herr Minister, Dementis beruhigen uns hier nicht. Nur noch Texte können helfen. Was steht in den deutsch-französischen Vereinbarungen, welche die beiden Minister nach ihrem Besuch in Colomb-Béchar getroffen haben?

    (Sehr wahr! bei der SPD. — Lebhafte Zurufe von der SPD: Zuhören!)

    — Ich warte, bis der Herr Verteidigungsminister zuhört, weil ich dann meine Frage wiederholen kann.

    (Zuruf von der SPD: Er ist sehr dickfällig! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    — Dann werde ich so lange warten, bis der Herr Minister zuhört.

    (Abg. Rasner: Herr Erler hat das Recht verwirkt durch seine unqualifizierte Äußerung! — Abg. Wehner: Wer entscheidet das, Herr Rasner? — Abg. Rasner: Das ist meine Meinung, Herr Wehner! Meine Meinung kann ich haben! — Weitere Zurufe und Gegenrufe.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Ich bitte um Ruhe. Es steht eindeutig fest, daß der Herr Minister jetzt zuhört.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Fritz Erler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Minister, ich habe die Frage der Fortgeltung der Produktionsbeschränkungen auf dem Gebiete der Herstellung von Atomwaffen



    Erler
    angesprochen und gefragt, ob es vielleicht so sei, daß man sage, diese Beschränkung gelte nur für das Gebiet der Bundesrepublik, deutsches Geld und deutsche Forscher könnten in Gemeinschaftsarbeit mit anderen Staaten das eventuell woanders tun. Sie haben eine Reihe von Dementis in dieser Sache abgegeben. Dementis beruhigen mich nicht, nur noch Texte. Wir wollen wissen — das kann man ja im Verteidigungsausschuß behandeln —: Was steht in den deutsch-französischen Vereinbarungen drin, welche Sie nach Ihrem Besuch in Colomb-Béchar mit dem französischen Verteidigungsminister auf dem Gebiet der Gemeinschaftsproduktion für Rüstungszwecke getroffen haben, und was steht in dem Dreier-Abkommen Deutschland-FrankreichItalien drin? Ich kann mir durchaus denken, daß man dort nicht schon konkret die Herstellung von Atomwaffen aufgenommen hat. Vielleicht ist es so — aber darüber sollten Sie Klarheit schaffen —, daß man sich damit begnügt hat, die Arbeiten auf dem Gebiete der Atomwaffen von der deutsch-französisch-italienischen Gemeinschaftsarbeit nicht auszuschließen. Schon das wäre die Bereitschaft zur Verletzung der Vertragspflichten!
    Nach dieser Frage nun wieder zu den politischen Problemen zurück. Man kann nicht von Entspannung und Abrüstung reden, aber das Gegenteil tun, Matadore kaufen, sich mit ihnen so beschäftigen, daß man den Anschluß an die Entwicklung findet, also die Produktion von Atomwaffen notfalls in Gemeinschaftsarbeit vorbereiten, die Atombewaffnung der Bundeswehr im NATO-Rat billigen. Anscheinend ist das schon geschehen, obwohl man uns früher zugesichert hatte, daß derartige Entscheidungen im NATO-Rat nur nach Anhörung der Parlamentsausschüsse gefällt würden und nicht vorher.

    (Zuruf von der SPD: Was wär's ein Wunder!)

    All das ist das Gegenteil von Entspannung.
    Ich halte es auch für falsch, der anderen Seite damit zu drohen, daß man sagt: Wenn du nicht bis zu einem bestimmten Termin umfassende Abrüstungsabkommen getroffen und die deutsche Frage gelöst hast, dann werden wir auf jeden Fall zur Atombewaffnung schreiten, aber gleichzeitig ab heute schon mit der Durchführung dieser Drohung beginnen. Diese Politik ist doch bisher schon fehlgeschlagen. Das hat man erzählt bei der EVG, das hat man erzählt beim Eintritt in die NATO, das hat man erzählt bei der beginnenden Aufstellung der Bundeswehr. Inzwischen ist die sowjetische Position härter und nicht weicher geworden. Jetzt setzen Sie noch Atomwaffen drauf! Sie werden dasselbe Fiasko mit dieser Art Politik erleben.

    (Beifall bei der SPD und FDP.)

    Was soll denn dann noch kommen, wenn auch das nicht sticht, damit es für die Sowjetunion ungemütlich genug wird, damit sie endlich in die deutsche Einheit einwilligt?!

    (Zuruf von der FDP.)

    — Ja, das scheint bei manchen der Hintergrund zu
    sein. Mit Erpressungen jedenfalls ist die deutsche
    Frage bei den Machtverhältnissen in dieser Welt nicht zu lösen.
    Der Herr Bundeskanzler hat vorhin eine Parallele gezogen zu der Debatte am 15. Dezember 1954 hier in diesem Hause. An diese Debatte habe ich auch gedacht. Damals hat der Abgeordnete Kiesinger hier ausgeführt:
    „Politik der Stärke": nun ja, man wirft sie uns vor. Das ist ein Schlagwort, das in manchen Zirkeln nicht schlecht wirkt. Aber es ist doch einfach die Wahrheit! Haben wir nicht in den letzten Jahren gelernt, daß es einzig die Stärke ist, die den Sowjetrussen imponiert und die sie dazu bringt, Zugeständnisse zu machen?!
    Welche Zugeständnisse in der deutschen Frage sind denn auf Grund dieser Politik gemacht worden?

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Kiesinger: Darf ich eine Frage stellen? Herr Abgeordneter Erler, gestatten sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kiesinger? Herr Kollege Erler, glauben Sie nicht, daß die Politik der Stärke, von der Sie eben sprechen — ich mag auch lieber den Ausdruck „die Politik des Gleichgewichts" – , seitdem die Truman-Doktrin in die Welt gesetzt wurde, allerlei Zugeständnisse von den Sowjets erreicht hat? Herr Kiesinger, hier war eindeutig von der Wiedervereinigung Deutschlands die Rede, zu deren Behuf Sie die Politik der Stärke treiben wollten; und da sind wir ja nun alle Zeugen, wohin sie uns geführt hat. Das Problem ist nämlich nicht, daß der Westen insgesamt, solange sich die Sowjetunion nicht auch ihrerseits — das muß doch beiderseits geschehen — zu einem gemeinsamen Eingehen auf Abrüstungsbemühungen entschließt, ein gewisses Gleichgewicht aufrechterhält. Das Problem für die deutsche Frage ist, ob die Art der Mitwirkung der Bundesrepublik in einer bestimmten Verteidigungsorganisation die Bemühungen um die Einheit Deutschands fördert oder hindert. Das ist das wirkliche Problem. Der Herr Bundeskanzler hat vorhin erfreulicherweise einen Satz korrigiert, den er früher einmal in diesem Hause ausgesprochen hat. Heute früh hat er gesagt, wenn es einen Konflikt gebe, dann würden wir auf jeden Fall hineingerissen, ob wir nun bewaffnet seien oder nicht. Das ist eine erfreuliche Korrektur jener Sätze, die der Herr Bundeskanzler am 25. Februar 1955 dem deutschen Volke zugemutet hat. Damals hat er gesagt: Erler Deswegen will ich ganz einfach dem deutschen Volke folgendes sagen: Solange wir nicht zur NATO gehören, sind wir im Falle eines heißen Krieges zwischen Sowjetrußland und den Vereinigten Staaten das europäische Schlachtfeld, und wenn wir in der Atlantikpaktorganisation sind, dann sind wir dieses Schlachtfeld nicht mehr. Aber heute hat der Bundeskanzler das widerrufen; das nehmen wir dankbar zur Kenntnis. (Beifall bei der SPD. — Abg. Wienand: Gewichtige Kanzlerworte! — Weiterer Zuruf von der SPD: Er widerruft gleich noch mal!)