Rede:
ID0301801800

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 62
    1. der: 5
    2. Herr: 5
    3. —: 3
    4. Wort: 2
    5. Großen: 2
    6. Anfragen: 2
    7. hat: 2
    8. Bundesminister: 2
    9. für: 2
    10. die: 2
    11. Sie: 2
    12. haben: 2
    13. Abgeordneter: 2
    14. Die: 1
    15. Sitzung: 1
    16. ist: 1
    17. wieder: 1
    18. eröffnet.Das: 1
    19. zur: 1
    20. weiteren: 1
    21. Beantwortung: 1
    22. Verteidigung.: 1
    23. Der: 1
    24. Verteidigung: 1
    25. will: 1
    26. jetzt: 1
    27. nicht: 1
    28. sprechen.: 1
    29. Darf: 1
    30. ich: 1
    31. davon: 1
    32. ausgehen,: 1
    33. daß: 1
    34. dann: 1
    35. seitens: 1
    36. Regierung: 1
    37. beantwortet: 1
    38. sind?Ich: 1
    39. eröffne: 1
    40. allgemeine: 1
    41. Aussprache.: 1
    42. Das: 1
    43. Abgeordnete: 1
    44. Dr.: 1
    45. Arndt.\n: 1
    46. recht,: 1
    47. Mommer.: 1
    48. Es: 1
    49. war: 1
    50. anders: 1
    51. vorgesehen.: 1
    52. Aber: 1
    53. Präsident: 1
    54. zwingt: 1
    55. niemanden: 1
    56. zu: 1
    57. reden.: 1
    58. Bitte: 1
    59. sehr,: 1
    60. Arndt,: 1
    61. das: 1
    62. Wort.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 18. Sitzung Bonn, den 20. März 1958 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abg. Frau Dr. h. c. Weber 823 A Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) ; Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230) Dr. Gradl (CDU/CSU) 823 D Dr. Mende (FDP) 828 D Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 840 C, 893 B Dr. von Brentano, Bundesminister 847 D, 894 C Dr. Arndt (SPD) 854 D Strauß, Bundesminister 861 B Erler (SPD) 880 B Dr. Maier (Stuttgart) (FDP) 895 B Kiesinger (CDU/CSU) 902 C Nächste Sitzung 913 D Anlage 915 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. März 1958 823 18. Sitzung Bonn, den 20. März 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.03 Uhr.
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albrecht 12. 4. Dr.-Ing. e. h. Arnold 20. 3. Dr. Baade 21. 3. Bading 20. 3. Bazille * 1. 4. Dr. Becker (Hersfeld) 19. 4. Bergmann * 21. 3. Birkelbach * 21. 3. Dr. Birrenbach * 21. 3. Blachstein 29. 3. Dr. Burgbacher * 21.3. Conrad 18.4. Cramer 21. 3. Dr. Deist * 21.3. Deringer * 21.3. Dr. Elbrächter * 21.3. Engelbrecht-Greve * 21. 3. Felder 31.3. Dr. Friedensburg * 21. 3. Frau Friese-Korn 31. 5. Funk 21.3. Dr. Furler * 21. 3. Frau Dr. Gantenberg 21. 3. Gehring 22.3. Geiger (München) * 21. 3. Gottesleben 22. 3. Dr. Greve 21.3. Hahn * 21. 3. Heiland 31.3. Hellenbrock 24.3. Heye 20. 3. Dr. Höck (Salzgitter) 31. 3. Höcker 15.4. Frau Dr. Hubert 12.4. Illerhaus * 21.3. Jahn (Frankfurt) 29.3. Jürgensen 31.3. Kalbitzer * 21. 3. Frau Kipp-Kaule 29.3. Dr. Kopf * 21.3. Dr. Kreyssig * 21.3. Kunze 15.5. Leber * 21.3. Lenz (Brühl) * 21. 3. Lenz (Trossingen) 29.3. Dr. Leverkuehn * 21.3. Dr. Lindenberg * 29. 3. Logemann 20. 3. Lücker (München) * 21. 3. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 30. 4. Margulies * 21. 3. Mellies 25.4. Metzger* 21. 3. Müller (Worms) 22. 3. Müller-Hermann * 21. 3. Neumann 12.4. Frau Niggemeyer 21. 3. Dr. Oesterle * 21. 3. Paul 30.4. Pelster 1.4. Frau Dr. Probst * 21. 3. Pütz 21.3. Ramms 31.3. Dr. Ratzel* 21.3. Richarts * 21.3. Frau Rudoll 20. 3. Scheel * 21. 3. Dr. Schmidt (Gellsersen) * 21. 3. Schneider (Hamburg) 31. 3. Dr. Schneider (Saarbrücken) 21. 3. Dr. Starke 21. 3. Storch * 21.3. Storm (Meischenstorf) 20. 3. Sträter * 21. 3. Frau Strobel * 21. 3. Struve 21.3. Unertl 20. 3. Dr. Vogel 22. 3. Vogt 12.4. Wehking 20. 3 Wehr 31.3. Weinkamm 29. 3. Dr. Will 21. 3. Wittmann 20. 3. b) Urlaubsanträge Frau Dr. Steinbiß 29. 3. Dr. Zimmermann 6. 5. * Für die Teilnahme an der Tagung der Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Das Wort zur weiteren Beantwortung der Großen Anfragen hat der Herr Bundesminister für Verteidigung. — Der Herr Bundesminister für Verteidigung will jetzt nicht sprechen. Darf ich davon ausgehen, daß dann die Großen Anfragen seitens der Regierung beantwortet sind?
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Arndt.

(Zuruf des Abg. Dr. Mommer.)

— Sie haben recht, Herr Abgeordneter Mommer. Es war anders vorgesehen. Aber der Präsident zwingt niemanden zu reden. — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Arndt, Sie haben das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Adolf Arndt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese außenpolitische Debatte heute ist auf eine eigentümliche Weise eingeleitet worden. Die Bundesregierung hat durch ihre eigene Regierungspartei Fragen an sich selber gerichtet. Ungewöhnlich ist aber nicht nur diese Art des Anlasses für eine Regierungserklärung, sondern bemerkenswert ist auch der Zeitpunkt. Überprüft man die Gepflogenheiten des Herrn Bundeskanzlers, der Bundesregierung und ihrer Regierungspartei in den vergangenen Jahren, so haben sie es sich stets zur Regel gemacht, eine außenpolitische Aussprache im Bundestag und die Stellungnahme des Bundestags während des Schwebens diplomatischer Verhandlungen im Stadium der Vorbereitung einer internationalen Übereinkunft oder einer internationalen Konferenz grundsätzlich zu vermeiden oder, öfters noch, zu verhindern.
    Der Bruch mit dieser Übung, die Stunde, die man wählte, offenbaren das, was in den von der Bundesregierung sich selbst gestellten Fragen nicht zu lesen ist, ja, was darin verschwiegen wird. In Wahrheit geht es gar nicht um die Rhetorik dieser Fragen. Ich erinnere daran, daß heute morgen der Herr Abgeordnete Dr. Gradl von der CDU sagte, die Gesamtlage sei ihm unbekannt, sie sei überhaupt unbekannt, und es sei gar nicht möglich, gegenwärtig Pläne zu machen. Und ich erinnere daran, was der Herr Bundeskanzler in seinen Ausführungen dazu vermerkt hat. Er meinte, es bestehe überhaupt noch keine Klarheit über die politische



    Dr. Arndt
    Lage. Der Herr Bundeskanzler sprach von einem Wirrwarr, und er sagte, daß man über diplomatische Verhandlungen nicht auf offenem Platze reden könne. Gleichzeitig aber fuhr der Herr Bundeskanzler dann fort, es gelte, jetzt etwas einzuleiten, was er als waffentechnische und strategische Umorganisation der NATO, ich will einmal sagen, einkleidete, wobei er selbst hinzufügte, daß das für die politische Situation sehr entscheidend sein werde. Welch ein Widerspruch, welch ein Widerspruch in der ohnehin recht widerspruchsvollen Rede des Herrn Bundeskanzlers!

    (Beifall bei der SPD.)

    Dieser tollste Widerspruch, daß man eine strategische Entscheidung treffen solle, diese Entscheidung, die man als Umorganisation der NATO bezeichnet hat, bei völliger Unklarheit der politischen Situation, über die die Bundesregierung selber sagt, keine Auskunft geben zu können! Wo ist so etwas je geschehen?
    Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat zwar gemeint, er sei bereit, jede Frage präzis und genau zu beantworten. Aber auf die Fragen des Herrn Kollegen Dr. Mende — die übrigens nicht 1000, sondern nur vielleicht 12 Fragen waren — hat auch der Herr Bundesminister des Auswärtigen keine Antwort gegeben, sondern er hat sich geflissentlich bemüht, an allen Antworten vorbeizukommen. Er hat einige offene Türen eingerannt durch Zitate des Herrn Kollegen Erler und des Herrn Kollegen Mende, Äußerungen, die ja unter I uns völlig unstreitig sind, die aber offenbar großes Vergnügen bei der Regierungskoalition erregten. Aber zu den Fragen ist nicht Stellung genommen worden. Ich sage also noch einmal: Es geht in Wahrheit gar nicht um die Rhetorik dieser Fragen, die die Bundesregierung an sich selbst gerichtet hat.
    Die wirkliche Absicht zielt darauf ab, vor einer möglichen Gipfelkonferenz eine ganz bestimmte Entscheidung vorwegzunehmen, im Widerspruch mit sich selbst diese Entscheidung nach innen hin möglichst nicht in ihrem ganzen Gewicht und Ausmaß erkennen zu lassen, aber die Entschlossenheit zu dieser Entscheidung nach außen hin zu demonstrieren. Der nahezu unwiderrufliche Schritt in eigene atomare Ausrüstung der Bundesrepublik und ihrer Bundeswehr, das ist es, worum es sich hier und heute handelt.
    Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion
    bringt deshalb zu dieser Debatte vier Anträge ein, die zu begründen ich die Ehre habe. Der Sinn dieser Anträge ist es, die von der Bundesregierung und ihrer Mehrheit geplante Entscheidung in aller Eindeutigkeit kenntlich zu machen, die Sache bei ihrem Namen zu nennen, die ganze ungeheure Tragweite jener Absicht der Bundesregierung zu einer solchen Entscheidung klar aufzuzeigen, die Absicht der Bundesregierung zu einer solchen Entscheidung frontal anzugreifen

    (Beifall bei der SPD)

    und unsere Ablehnung unüberhörbar zur Geltung zu bringen.
    Als trotz unserer Warnung und gegen unseren Widerspruch im Jahre 1954 ein Teilstück des gespaltenen Deutschland in die Militärorganisation des Nordatlantikpaktes, der NATO, einbezogen wurde, suchte die Bundesregierung damals manche Besorgnis damit zu beschwichtigen, daß sie auf den feierlich erklärten Selbstverzicht hinwies: Die Bundesrepublik wird sich in ihrer besonderen Lage wenigstens nicht an der Herstellung der atomaren, biologischen und chemischen Massenvernichtungsmittel, der sogenannten ABC-„Waffen" — Waffen sind es nicht, Massenvernichtungsmittel — beteiligen. Gewiß, ausdrücklich war nur von der Herstellung dieser Massenvernichtungsmittel die Rede. Aber jedermann wußte doch damals schon, daß sowohl die Vereinigten Staaten von Amerika als unsere NATO-Bündnispartner für die Zukunft, also gegenwärtig, als auch die Sowjetunion in jenem Zeitpunkt bereits Atommächte waren, die sich in fieberhaftem Wettrüsten mit Wasserstoffsprengkörpern befanden. Die Bundesregierung hat damals kein Sterbenswort davon verlauten lassen, daß der Eintritt der Bundesrepublik in die NATO über kurz oder lang auch zu einer derartigen Ausrüstung der Bundeswehr führen könne oder solle.
    In der Folgezeit jedoch begann die Bundesregierung mit einer Taktik der halben Ankündigungen und der zwielichtigen Widerrufe, wobei man sich dann zuweilen auch zunutze machte, daß ausländische Militärs sich zu diesen Fragen äußerten. Ich will nicht alle Daten herausgreifen, ich will nur einige nennen. Im Mai 1956 gab General Gruenther vor deutschen Pressevertretern zu verstehen, auch die Bundeswehr müßte eine atomare Ausrüstung bekommen. Aber am 12. Oktober 1956 sagte der Herr Bundeskanzler in Berlin: Keine Pläne dieser Art! Aber er fügte dann sogleich, damit das alles im Zwielicht bliebe, hinzu, es werde irgendwann einmal die Zeit kommen, daß alle europäischen Armeen so bewaffnet seien.
    Am 25. Januar 1957 sagte dann der Herr Bundeskanzler auf einer Pressekonferenz, kleine atomare Waffen würden im Laufe der Entwicklung, also irgendwann dereinst, zu den konventionellen Waffen aller Armeen gehören. Ich glaube, das war jene Pressekonferenz, auf der das Wort von der „Fortentwicklung der Artillerie" fiel. Daran ist sehr bemerkenswert diese geflissentliche Verwischung eines qualitativen Gegensatzes zwischen konventionellen Waffen und atomaren Vernichtungsmitteln und diese Bemühung, ein Hineingleiten in derartige Maßnahmen als etwas mehr oder minder Selbstverständliches und Unvermeidliches schon psychologisch vorzubereiten.
    Trotzdem sagte dann am 5. April 1957 der Herr Bundesminister für Verteidigung in Dortmund, daß so etwas zumindest in diesem Jahr noch nicht in Frage komme. Im selben Monat, am 29. April 1957, sagte der Herr Bundesaußenminister, daß bis zur Stunde nicht die Absicht bestehe, die Bundeswehr auch nur mit taktischen Atomwaffen auszurüsten.
    Im Bundestagswahlkampf wurde es dann so hingestellt, daß es sich bei der Frage, ob etwas Derartiges auf uns zukomme, um nichts anderes handele als um ein schlechtes sozialdemokratisches Wahl-



    Dr. Arndt
    manöver. Ein Bundestagsabgeordneter, der der Unionspartei angehört, hat vor gar nicht langer Zeit an die Wochenschrift „Echo der Zeit" eine Zuschrift gerichtet, die dort am 2. März 1958 veröffentlicht worden ist und die sehr lesenswert erscheint. Der Herr Kollege spricht hierbei in etwas ironischer Weise von sich selbst als einem „er" — der Bundestagsabgeordnete —, und er schreibt wörtlich:
    Die Diskussion der atomaren Aufrüstung der Bundesrepublik, ihrer militärischen und politischen Konsequenzen für Sicherheit, Frieden und Wiedervereinigung ist von seinem Parteichef, Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer, als ein schlechtes sozialdemokratisches Wahlmanöver ausdrücklich abgewiesen worden, und zwar mit der entschiedenen Versicherung, dieses ernste Problem werde, wenn überhaupt, erst in zwei bis drei Jahren akut und stände zur Zeit nicht zur Debatte.
    Das ist das Selbstzeugnis eines CDU-Bundestagsabgeordneten über den Stand der Dinge zur Zeit der Bundestagswahl, die kaum ein halbes Jahr zurückliegt.
    Ich erinnere mich übrigens selber eines Erlebnisses aus den Bundestagswahlen. Es war in den ersten Septembertagen, kurz vor dem Wahltermin. Damals hatte ein Bezirksvorsitzender der CSU, Herr v o n Haniel-Niethammer, jetzt auch Bundestagskollege, die Freundlichkeit, von weither zu einer meiner Versammlungen nach Straubing zu kommen, um mit mir zu diskutieren. Am Ende der Diskussion sagte Herr von Haniel-Niethammer, ja, gewiß, auch er neige der Auffassung zu, daß eine atomare Ausrüstung der Bundeswehr für die Bundesrepublik bei der Spaltung Deutschlands und aus allen übrigen Gründen nicht gut und nicht ratsam sei; aber die Bundesregierung habe ja versichert, daß diese Frage überhaupt nicht anstehe; sie sei deshalb auch bei der Bundestagswahl gar nicht zu entscheiden und vom Wähler gar nicht zu berücksichtigen. Ich frage mich, ob Herr Kollege von Haniel-Niethammer nunmehr nach knapp sechs Monaten vor seine Wähler hintreten und sagen wird: „Ich habe mich damals geirrt, ich habe einer Zusicherung vertraut, die derselbe Bundeskanzler vor der Wahl gab, während er nach der Wahl etwas anderes sagt, und die Wahlentscheidung ist insoweit unter ganz falschen Voraussetzungen zustande gekommen."

    (Beifall bei der SPD. — Lachen bei der CDU/CSU.)

    — Ja, sehen Sie, Sie lachen. Was tun Sie denn? Sie lachen Ihre Wähler aus!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ich halte also fest: Vor der Wahl die Beschwichtigung, das sei überhaupt nicht aktuell, und nach der Wahl zwar anfangs die Beschwichtigung, das sei noch nicht entschieden — und auch heute, darauf werde ich noch kommen, kleidet man es ja in diese rhetorische Formel von der „waffentechnischen und strategischen Umorganisation der NATO" —; aber immer schon während dieser Beschwichtigungen hat man sich Tropfen für Tropfen und Stück für Stück und Schritt für Schritt vorgewagt, um die Bevölkerung einzugewöhnen und zugleich auch die parlamentarische Körperschaft und die anderen Instanzen zu binden. Darin liegt eine beachtliche Spekulation auf den Ermüdungseffekt und die bewußt herbeigeführte Suggestion des Unaufhaltsamen. Einige letzte Beispiele dafür.
    Im „Bulletin" vom 13. März 1958 erschien, zwar anonym, aber offiziös, ein Artikel, der da sagte, wir müßten jetzt auch zu den Massenvernichtungsmitteln greifen. „Wir", heißt es immer. Und auf die Frage, wer denn diese „wir" seien, sagte der Herr Bundespressechef von Eckardt: „ ,Wir' —, das sind nicht wir, sondern ,wir', das ist die NATO". Ja, ist denn die NATO irgend etwas Abstraktes irgendwo, und ist die Bundesregierung nicht gleichberechtigtes Mitglied der NATO, daß so etwas von der NATO herausgegeben werden kann, ohne daß es irgendwie die Zustimmung der Bundesregierung gefunden hat? Ich verweise darauf, daß die Empfehlungen des NATO-Rates Einstimmigkeit erfordern. Die konkrete Frage, die ich im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zu stellen habe, ist die: Welche Weisungen hatte und hat der deutsche Vertreter im Ständigen Rat der NATO, und welche Weisung wird der Bundesminister des Auswärtigen von der Regierung für seine Stimmabgabe im Ministerrat zu dieser Frage bekommen?
    Diese Taktik des allmählichen Hineingleitens — immer mit der besänftigenden Einschläferung, es sei ja eigentlich gar nichts geschehen, noch nichts unwiderruflich — steigerte sich zuletzt bis zur Erklärung des Bundesverteidigungsministers, bis zum 3. April dieses Jahres — das ist ein paar Tage hin — müsse sich der Bundestag entschieden haben, ob die von den Vereinigten Staaten angebotenen 48 „Matadore" erworben werden sollen. Auch hierbei noch wird die Taktik des unentschiedenen Entscheidens weiter gepflegt und verfeinert. Man bezeichnet die „Matadore" als „unbemannte Flugkörper", obwohl man sehr wohl weiß, daß sie in den Vereinigten Staaten von Amerika durchaus unter die Raketen eingereiht werden. Man spricht von einem besonderen Typ, der bis zu 400 km lenkbar und auch begrenzbar sei; aber man weiß doch, daß diese Geräte bis zu 1000 km maximal Reichweite haben. Man gibt sich den Anschein, als handle es sich um eine moderne Ausgestaltung schwerer Flak; in Wahrheit sind diese Geräte für atomaren Sprengstoff geplant und nur durch diesen wirkungsvoll und auf so große Entfernung treffsicher. Sie sind genau im Sinne der Definition des Brüsseler Abkommens geeignet, mit atomarem Sprengstoff versehen zu werden. Schließlich wird immer im Zuge dieser Taktik gesagt, das sei nur zur Ausbildung. Als ob Ausbildung und Ausrüstung noch unterscheidbar wären!
    So vollendet man aus einer Summe von lauter scheinbar nur unbedeutenden Splittern schließlich eine runde, riesige Tatsache und überspielt den niemals rechtzeitig vorher und niemals grundsätzlich gehörten Bundestag und lähmt und fesselt Parlament und Volk mit der glaubenslosen Vorstellung des Unvermeidlichen. Gleichzeitig läßt man jeden Ansatz dazu, auf politische Weise, im Verhand-



    Dr. Arndt
    lungswege, aus aktiver Entwicklung einer eigenen Initiative dem Absturz in das Chaos eigener, allgemeiner und grenzenloser Atomrüstung zu begegnen, außer acht, läßt außer acht, Wege der Entspannung zu öffnen, und verneint und verneint und verneint, wie das heute auch wieder durch die Erklärungen des Herrn Bundesministers des Auswärtigen geschehen ist.
    Dies geschieht insbesondere dadurch, daß die Bundesregierung den Gedanken einer atomrüstungsfreien Zone ohne auch nur den Versuch eines Verhandelns darüber verwirft, obgleich dieser Gedanke auch in Gestalt des sogenannten Rapacki-Plans — aber der Gedanke ist älter, er ist schon von vielen erörtert worden — doch Raum und Möglichkeit für solche Verhandlungen offen läßt, — solche Verhandlungen, die, um etwas Überflüssiges zu sagen, selbstverständlich nur Hand in Hand mit unseren westlichen Verbündeten geführt und selbstverständlich nur in einer Zielsetzung abgeschlossen werden können, die unser eigenes unabweisbares Bedürfnis nach Sicherheit befriedigt und zugleich einen Schritt auf die Wiedervereinigung in Freiheit zu vorbereitet.
    Dieser Taktik der Bundesregierung, durch scheinbar unscheinbare Tatsächelchen in Wahrheit die Atomaufrüstung der Bundeswehr als vollendete Tatsache zu schaffen und so Entscheidungen vorwegzunehmen, ohne erkennen zu lassen, welche außerordentliche Entscheidung sich darin verbirgt, stellen wir unsere Anträge entgegen.
    In einem ersten Antrag wird der Bundestag gebeten, zu beschließen, daß die Bundesregierung ersucht wird,
    keinerlei Verpflichtungen einzugehen und keinerlei Maßnahmen zu treffen, die die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atom- und Wasserstoffsprengkörpern, die Stationierung von Atomraketen und den Bau von Basen für diese Raketen zum Ziele haben.
    In einem zweiten Antrag wird der Bundestag gebeten, festzustellen,
    daß die Wiedervereinigung Deutschlands in gesicherter Freiheit Verhandlungen und Maßnahmen voraussetzt, die schrittweise eine Entspannung bewirken. Eine solche Politik
    — soll die Feststellung lauten —
    dient zugleich der Kriegsverhütung und vermehrt die Aussichten auf die für das deutsche Volk lebensnotwendige Sicherheit. Eine atomare Ausrüstung der Bundeswehr
    — schließt unser Antrag —
    ist abzulehnen, weil sie eine politische Lösung der deutschen Frage bis zur Hoffnungslosigkeit erschwert. Sie verschärft die Spannungen und ist der Sicherheit des deutschen Volkes abträglich.
    Dieser Antrag, den ich soeben verlesen durfte, deckt auf, daß die Rüstungsfrage, insbesondere die Frage einer eigenen atomaren Aufrüstung der Bundeswehr, unweigerlich und unlösbar mit dem Problem der deutschen Wiedervereinigung verbunden
    ist. Wer Wiedervereinigung sagt, der muß selber aktiv und ernstlich für eine Rüstungsbeschränkung und Rüstungskontrolle durch Initiative zu Verhandlungen etwas tun, und zwar konkret.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wer Wiedervereinigung sagt, der muß sich um eine atomrüstungsfreie Zone, gewiß mit allen zugehörigen Sicherungen, selbst bemühen, ehe es zu spät ist.
    Wir haben heute morgen von dieser Stelle aus eine bewegte Klage des Herrn Bundeskanzlers gehört über die Unmenschlichkeit der Lage in der Zone, über das Leiden der deutschen Männer und Frauen in der Zone, denen die Freiheit und die uns angeborene Art zu leben vorenthalten werden. Worte, Worte sind darüber viel gefallen, auch hier im Hause, seit vielen Jahren. Die Worte helfen den Menschen drüben nichts, gar nichts helfen sie ihnen,

    (Beifall bei der SPD — Gegenrufe bei der CDU/CSU)

    sondern, wenn man sich diese Worte zu Herzen nimmt, dann muß man etwas tun und tun und tun, damit es dazu kommt, daß diesen Menschen geholfen wird.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf des Abg. Dr. Bucerius.)

    — Herr Kollege Bucerius, ich bin bei der Begründung von Anträgen, und es entspricht nicht der Gepflogenheit des Hauses,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Nein, Debatte!)

    daß man eine Antragsbegründung durch Fragen unterbricht. Ich weiß, wir befinden uns in einer Aussprache.

    (Abg. Rasner: Ja!)

    Aber das ist insofern, Herr Kollege Rasner, formal, als wegen Ihres wenig guten Widerspruchs im Ältestenrat es meiner Fraktion genommen wurde, ihre seit Tagen, seit Wochen angekündigten Anträge auf die Tagesordnung zu setzen.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Nicht vorgelegen!)

    Ich nehme für meine Fraktion das Recht in Anspruch, diese Anträge genauso ununterbrochen im Zusammenhang zu begründen, wie wir heute morgen Herrn Kollegen Dr. Gradl von der CDU haben zur Begründung der Großen Anfrage sprechen lassen.
    Das Gleichgewicht des Schreckens zwischen den beiden Atomgiganten in West und Ost ist auf der ersten Genfer Konferenz, der Gipfelkonferenz, bestätigt worden. Wenn jetzt eine Hoffnung auf eine neue Gipfelkonferenz gesetzt werden soll, so muß ihr Sinn zuerst sein, den Schrecken zu vermindern. Unser Beitrag zu dieser Gipfelkonferenz kann nicht sein, sie durch Demonstration einer Atomausrüstung der Bundeswehr als gescheitert zu behandeln, bevor sie begann, ja, bevor sie überhaupt zustande kam.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wer macht denn das?)




    Dr. Arndt
    Unser Appell an die Weltmächte, endlich dem atomaren Rüstungswettlauf Einhalt zu gebieten, würde doch politisch und moralisch unglaubwürdig, wenn wir im gleichen Atemzug selbst nach atomarer Ausrüstung drängen.

    (Zurufe von der SPD: Sehr wahr!)

    Eine Aussicht, den atomaren Rüstungswettlauf zum allseitigen Selbstmord hin abzubremsen und noch abzufangen, wird nur bestehen, wenn es gelingt, zunächst den Kreis der atomar Gerüsteten zu begrenzen; denn je mehr Atommächte entstehen und je geringer die weltpolitische Verantwortung einer wachsenden Zahl immer kleinerer Atommächte ist, um so bedenklicher schwindet die letzte Hoffnung der Welt, den Schrecken zu vermindern und unter Kontrolle zu bekommen. Ein umfassendes Abrüstungsabkommen, so ersehnenswert es ist — und es wird keine Meinungsverschiedenheit unter uns entstehen, daß das ein Fernziel ist, das von jedem so nah wie möglich herbeigewünscht werden muß —, als den Anfang der Entspannung zu fordern, bedeutet in dieser Lage, die Entspannung selbst zu verhindern.

    (Beifall bei der SPD.)

    Es ist sehr preiswert, sich, wie der Herr Bundeskanzler heute morgen, hier hinzustellen und im gleichen Augenblick, in dem er mit einer Hand nach den atomaren Ausrüstungen für die Bundeswehr der kleinen Bundesrepublik Deutschland greift, mit einer großen Geste gleichzeitig an die Giganten zu appellieren, sie sollten die weltumspannende Abrüstung herbeizaubern. Das führt zu gar nichts, und wer die Dinge kennt, der weiß auch, daß das zu nichts führt. Denn Entspannung wird es nur geben, sobald man behutsam und geduldig mit regional begrenzten Beruhigungsversuchen

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    und übersehbaren Risiken beginnt. Hierin gründen Sinn und Notwendigkeit des ernsthaften Versuchs, am Gefahrenherd Mitteleuropa damit anzufangen, und zwar selber damit anzufangen. Ich warne vor dem Scheinargument, unsere Bereitschaft, keinen Schritt in die eigene atomare Ausrüstung zu tun — eine Bereitschaft, um die wir ringen und von der wir auch Sie überzeugen wollen, daß sie die notwendige Bereitschaft ist —, sei eine unentgeltliche und vergebliche Vorleistung an die Sowjetunion. Dieser billige Einwand verkennt doch in erstaunlichem Maße unser eigenes Existenzinteresse daran, um unserer Sicherheit willen den Weg zur deutschen Einheit in Freiheit nicht selber zu verschließen, sondern vorzubereiten und zu ebnen.
    Eine atomare Ausrüstung der Bundesrepublik, also in Westdeutschland, beschwört die Gefahr herauf, daß es in Osteuropa und insbesondere in Mitteldeutschland zu einer verstärkten Konzentration sowjetischer Atombewaffnung und zu einem noch härteren Druck der Sowjetunion auf die osteuropäischen Völker und auf die Deutschen in der Zone kommt. Die verhängnisvolle Folge wäre eine gewaltige militärische Aufwertung des zentraleuropäischen Raumes.
    Unsere Bereitschaft, keinen Schritt in die eigene Atomausrüstung zu tun, dient unseren Lebensinteressen und ist für uns ein Gewinn.

    (Abg. Wehner: Sehr wahr!)

    Wer dagegen meint, er müsse sich durch die sowjetische Bedrohung eine atomare Ausrüstung aufzwingen lassen, der findet sich in Wahrheit zur Kapitulation aus Ratlosigkeit bereit.

    (Beifall bei der SPD.)

    Denn könnten wir der Versuchung, uns in das waghalsige Abenteuer einer eigenen Beteiligung am atomaren Wettrüsten zu stürzen, nicht widerstehen, wer will dann jemals die atomare Sprengladung aus Mitteleuropa wieder wegräumen? Und wie? Und auf welche Weise hier am Eisernen Vorhang die Atomgiganten voneinander lösen? Darüber hat weder der Herr Bundeskanzler noch der Herr Bundesminister des Auswärtigen irgendein Wort gesagt. Wie bekommen wir die atomare Sprengladung vom Eisernen Vorhang wieder weg, wenn sie einmal da ist? Das ist die Frage, wenn Sie die Dinge zu Ende denken.
    Heute stehen wir vor der erschütternden Lage, daß wir nach Jahren einer Politik, die sich einmal die Politik der Stärke genannt hat, von der deutschen Wiedervereinigung weiter entfernt sind denn je,

    (Abg. Wehner: Sehr wahr!)

    weil die Bundesregierung entgegen den Warnungen der Sozialdemokratie annahm, die Frage der Wiederbewaffnung lasse sich von der Frage der Wiedervereinigung abtrennen.
    Darum ist es unsere Pflicht, in dieser bitterernsten Stunde uns allen, jedem von uns diese Mahnung vor Augen zu stellen und ans Herz zu legen: Die Entscheidung, ob die Bundeswehr selber atomar ausgerüstet werden sollte, ist nicht nur eine unteilbare und grundsätzliche Entscheidung, ist als Entscheidung Tiber unsere Verfassungswirklichkeit nicht nicht nur von einzigartiger Tragweite, eine Tragweite, wie sie seit 1945 nicht sonst zu sehen gewesen ist — diese Entscheidung würde nahezu mit Gewißheit zugleich eine eigenverantwortliche Entscheidung über die deutsche Wiedervereinigung sein.
    Es sollte später niemand sagen, er hätte es sich nicht denken oder dies nicht voraussehen können. Wenn in der Bundestagssitzung am 23. Januar dieses Jahres die fürchterlichen Schatten der Vergangenheit heraufbeschworen wurden, so doch nicht, um an alten Wunden zu rühren, und auch nicht, um Geschehenes ungeschehen zu machen — denn die Stunden sind versäumt, und das Geschehene läßt sich nicht mehr ungeschehen machen —, sondern um es uns zur Warnung dienen zu lassen, daß man wirklich die Möglichkeiten erschöpft und die Probleme in ihrer vollen Tragweite bis zu Ende durchdenkt. Also ich wiederhole noch einmal: Es sollte später niemand sagen, er hätte es sich nicht denken und dies nicht voraussehen können. Deshalb kann keiner von uns daran vorbei, den letzten Ernst zu erkennen und sich in seinem Gewissen



    Dr. Arndt
    zu prüfen, wovor wir stehen. Die Entscheidung für eine atomare Ausrüstung der Bundesrepublik Deutschland kann mit hoher, mit schrecklicher Wahrscheinlichkeit die eigene Entscheidung gegen die Wiedervereinigung sein.
    Unsere Überzeugung ist, daß wir nicht vor der hoffnungslosen Alternative stehen: Sicherheit gegen Wiedervereinigung oder Wiedervereinigung gegen Sicherheit, sondern daß auch der Weg zu einer wirklichen Sicherheit sich durch das ernstliche und konkrete Bemühen öffnen kann, im begrenzten mitteleuropäischen Raum schrittweise die Entspannung auszuhandeln und dadurch zugleich die Wiedervereinigung in Freiheit vorzubereiten.
    Aus diesen Gründen stellen wir weiterhin den Antrag, die Bundesregierung zu ersuchen,
    mit der Regierung der Volksrepublik Polen und den anderen beteiligten Mächten
    — nochmals, um etwas Überflüssiges zu sagen: selbstverständlich in erster Linie mit unseren westlichen Verbündeten —
    in Verhandlungen über die Verwirklichung des Planes einer atomwaffenfreie Zone in Europa einzutreten.
    Wir Sozialdemokraten haben es schließlich für unsere Pflicht angesehen, auch noch folgenden Antrag einzubringen:
    Der Bundestag wolle beschließen: der Bundestag stellt fest,
    daß atomare Sprengkörper jeder Art Werkzeuge der blinden Massenvernichtung sind und ihre Anwendung keine Verteidigung, sondern unberechenbare Zerstörung alles menschlichen Lebens bedeutet. Atomare Sprengkörper rotten unterschiedslos und unbegrenzbar Frauen und Kinder, Männer und Greise, jung und alt aus und verwandeln, das Land in eine strahlenverseuchte, unbewohnbare Wüste.
    Von der Bundesregierung wird erwartet, daß sie unter Berufung auf ihre feierliche Erklärung vom 3. Oktober 1954 — dem Vertrag über den Beitritt der Bundesrepublik zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag als Anlage I zum Protokoll Nr. III über die Rüstungskontrolle beigefügt —, in der die Bundesrepublik auf die Herstellung atomarer Sprengkörper verzichtet hat, den Staaten, die nicht über Atomwaffen verfügen, vorschlägt, ein Übereinkommen zum Verzicht auf Herstellung und Verwendung von Atomwaffen abzuschließen und dadurch zugleich den Atomweltmächten die moralische Verpflichtung aufzuerlegen, die Verhandlungen über die kontrollierte Begrenzung der Rüstungen so zu fördern, daß auch ein Abkommen über die Ausschaltung der Atomwaffen zustande kommt.
    Das Plenum des Bundestages ist kein günstiger Ort, um Fragen miteinander zu besprechen, die das Innerste im Menschen anrühren. Ich beklage es, daß dem offenen Markt dieser Auseinandersetzung bei weitem nicht genug die persönliche Fühlungnahme
    zwischen den einzelnen Politikern und Gruppen, nicht einmal die genügende Beratung, der ruhigere Gedankenaustausch in den zuständigen Ausschüssen voranging.
    Heute morgen ist schon von dem Herrn Kollegen Dr. Mende mit Recht gerügt worden, daß in den ersten sechs Monaten dieses 3. Bundestages der Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten nur dreimal zusammengetreten ist, und keiner von Ihnen wird sagen können, daß die Fragen, in die wir jetzt hineingehen sollen, auch nur annähernd ernstlich im Ausschuß beraten wurden.
    Als sich die Amerikaner entschlossen, die atomare Sprengkraft für Kriegszwecke zu entwickeln, auch an jenem Tage noch, da die „Enola Gay" unter Gebeten, die nunmehr auf uns als Lästerung wirken müssen, startete, um die erste Bombe dieser Art auf Hiroshima abzuwerfen, da wird es so gewesen sein, daß der Mensch das Unfaßliche dieses Unterfangens noch nicht begreifen konnte. Jetzt liegt das Leben der Menschheit in amerikanischer Hand und, unheimlicher noch, seit Jahren auch in sowjetischer Hand.
    Ich meine, daß es uns nicht ziemt, zu der damit verknüpften Verantwortung Ratschläge zu erteilen, außer durch den unermüdlichen Appell, auf friedliche Wege zur Kontrolle und zum Ende des Schreckens zu sinnen, außer auch unserem Beitrag, nichts zur Erschwerung eines solchen Weges zu tun.

    (Beifall bei der SPD.)

    Uns selber aber sind die Augen geöffnet, und wir können nicht mehr sagen, daß wir nicht wissen, was wir tun, wenn wir die Hand danach ausstrecken. Uns sollte auch nicht die leichte Annahme beruhigen, die Anwendung der Massenvernichtungsmittel erschöpfe sich in ihrer Unanwendbarkeit, ihr Dasein würde sich gegenseitig aufheben, als ob sie gerade deshalb nicht da wären. So billig kommen wir nicht davon. Oder weshalb behauptet man sonst die angebliche Unvermeidlichkeit, dem Gleichgewicht des Schreckens auch noch das eigene Pfund hinzuzutun? Und wer bürgt gegen die Katastrophe aus menschlichem Irrtum oder technischem Versagen?
    Der Herr Bundeskanzler hat hier heute morgen ausgeführt, Demokratien könnten keine Kriege beginner. Nun, der Herr Bundeskanzler ist doch in einem Alter, in dem er sich, wie alle Alteren unter uns, darauf müßte besinnen können, daß wir gesehen haben, wie im Jahre 1914 auch die Demokratien nicht minder leichtfertig in einen Krieg hineingegangen sind als die autoritär regierten Staaten.

    (Abg. Dr. Bucerius: Aber heute nicht mehr, Herr Arndt! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

    — Aber heute nicht mehr? Sind denn die Menschen heute auf einmal überall dort in der Welt Engel geworden, wo Demokratien sind?

    (Erneute Zurufe von der Mitte.)

    — Aber Sie können doch die Katastrophe aus menschlichem Irrtum, menschlicher Leidenschaft



    Dr. Arndt
    und technischem Versagen nicht ausschließen. Sie können doch auch nicht sagen — womit der Herr Bundeskanzler sich selber widerlegt hat; das war keine Meisterleistung, das war eine Meisterfehlleistung —: Ja, wenn die Katastrophe kommt, dann ist es sowieso ganz gleichgültig, ob wir bewaffnet sind oder nicht!

    (Beifall bei der SPD.)

    Wozu denn dann?

    (Abg. Dr. Bucerius: Um zu verhindern!)

    Die Existenz der Massenvernichtungsmittel kann doch ihren angeblichen Zweck als politisches oder militärisches Mittel nur dadurch bekommen, daß dahinter mindestens der Anschein der Drohung, sie doch anzuwenden, wenn nicht sogar die Bereitschaft dazu steht. Entweder verläßt man sich in blindem Verkennen menschlicher Schwäche darauf, daß keine Seite sich vergreifen wird, weil beide Seiten dazu in der Lage sind: ja, was hilft uns denn dann der Besitz des unanwendbaren Schreckens? Oder müßten wir nicht gerade dann und deshalb auf eine Entspannung durch Begrenzungen und Kontrollen der konventionellen Waffen, durch Verdünnung der Truppenstärke und durch alles das, was eben unter dem Namen Rapacki-Plan beschrieben wird, drängen?

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Das wollen wir auch!)

    — Sie wollen es auch? Ihre Minister, verehrte Frau Kollegin Weber, haben gerade heute morgen gesagt, sie wollen es nicht, und Sie haben dazu „Sehr wahr!" gerufen!

    (Beifall bei der SPD. — Widerspruch in der Mitte.)

    Oder aber dieses Verlassen auf die vermeintliche Unanwendbarkeit ist ein Trugschluß. Ja, was dann? Nichts erlaubt uns dann, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen, daß es hier um mehr als einen militärischen oder politischen Entschluß geht, daß es sich um unendlich mehr handelt als das, was der Herr Bundeskanzler heute als strategische und militär-technische Umorganisation der NATO umschrieben hat, daß es um ein letztes menschliches und sittliches Bekenntnis geht.
    Angesichts dieser Tiefe eines Ja oder Nein ist ein jeder unserem Volke und sich selber Rechenschaft darüber schuldig, wie er dazu steht, daß atomare Sprengkörper keine Waffen sind und auch niemals konventionell werden können, sondern Massenvernichtungsmittel sind, mit denen keine Verteidigung möglich ist, sondern im äußersten Fall nichts als der Entschluß zum Selbstmord, ein Entschluß zur Ausrottung wahllos jeden menschlichen Lebens, auch künftiger Generationen, samt aller Kreatur.
    Mit der Anwendung solcher Massenvernichtungsmittel könnte ein Verteidigungskrieg, wie Art. 26 unseres Grundgesetzes allein ihn erlaubt, nicht geführt werden. Ein solcher Krieg würde auch die nach dem Grundgesetz verbindlichen allgemeinen Regeln des Völkerrechts nicht wahren, weil nach Art. 22 der Haager Landkriegsordnung die Kriegführenden
    kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel zur Schädigung des Feindes haben. Aber bloß am Rande sei der Zweifel gestattet, ob denn das Planen oder Vorbereiten einer derartigen Kriegsmöglichkeit noch im Rahmen unserer Verteidigung liegen könnte. Nicht dieser Zweifel ist das Maßgebliche, sondern die Einsicht, daß mit solchen Massenvernichtungsmitteln kein debitus modus, keine rechte Art der Kriegführung mehr zu verwirklichen ist, weil eine Kriegführung, die sich völlig menschlicher Kontrolle entzieht, nicht mehr Verteidigung gegen Unrecht, nicht mehr Schutz des Rechts wäre, sondern bloße und einfache Vernichtung allen menschlichen Lebens in einem bestimmten Aktionsbereich.
    Es ist nicht gut, diese Wahrheit mit der Entgegnung abzutun, sie wecke die Urangst. Ich glaube, wir sollten den Mut aufbringen, dieser Wahrheit ins Gesicht zu sehen und uns bewußt zu werden, wie ursprünglich hier die Frage nach der sittlichen Bestimmung des Menschen gestellt ist. Wir sollten die Kraft haben, nicht in unserem politischen Kalkül davon auszugehen — denn das ist ja im Grunde die Unterstellung —, daß in der deutschen Frage die Sowjetunion verhandlungsunfähig und verhandlungsunwürdig sei.