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    Deutscher Bundestag 18. Sitzung Bonn, den 20. März 1958 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abg. Frau Dr. h. c. Weber 823 A Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) ; Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230) Dr. Gradl (CDU/CSU) 823 D Dr. Mende (FDP) 828 D Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 840 C, 893 B Dr. von Brentano, Bundesminister 847 D, 894 C Dr. Arndt (SPD) 854 D Strauß, Bundesminister 861 B Erler (SPD) 880 B Dr. Maier (Stuttgart) (FDP) 895 B Kiesinger (CDU/CSU) 902 C Nächste Sitzung 913 D Anlage 915 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. März 1958 823 18. Sitzung Bonn, den 20. März 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.03 Uhr.
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albrecht 12. 4. Dr.-Ing. e. h. Arnold 20. 3. Dr. Baade 21. 3. Bading 20. 3. Bazille * 1. 4. Dr. Becker (Hersfeld) 19. 4. Bergmann * 21. 3. Birkelbach * 21. 3. Dr. Birrenbach * 21. 3. Blachstein 29. 3. Dr. Burgbacher * 21.3. Conrad 18.4. Cramer 21. 3. Dr. Deist * 21.3. Deringer * 21.3. Dr. Elbrächter * 21.3. Engelbrecht-Greve * 21. 3. Felder 31.3. Dr. Friedensburg * 21. 3. Frau Friese-Korn 31. 5. Funk 21.3. Dr. Furler * 21. 3. Frau Dr. Gantenberg 21. 3. Gehring 22.3. Geiger (München) * 21. 3. Gottesleben 22. 3. Dr. Greve 21.3. Hahn * 21. 3. Heiland 31.3. Hellenbrock 24.3. Heye 20. 3. Dr. Höck (Salzgitter) 31. 3. Höcker 15.4. Frau Dr. Hubert 12.4. Illerhaus * 21.3. Jahn (Frankfurt) 29.3. Jürgensen 31.3. Kalbitzer * 21. 3. Frau Kipp-Kaule 29.3. Dr. Kopf * 21.3. Dr. Kreyssig * 21.3. Kunze 15.5. Leber * 21.3. Lenz (Brühl) * 21. 3. Lenz (Trossingen) 29.3. Dr. Leverkuehn * 21.3. Dr. Lindenberg * 29. 3. Logemann 20. 3. Lücker (München) * 21. 3. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 30. 4. Margulies * 21. 3. Mellies 25.4. Metzger* 21. 3. Müller (Worms) 22. 3. Müller-Hermann * 21. 3. Neumann 12.4. Frau Niggemeyer 21. 3. Dr. Oesterle * 21. 3. Paul 30.4. Pelster 1.4. Frau Dr. Probst * 21. 3. Pütz 21.3. Ramms 31.3. Dr. Ratzel* 21.3. Richarts * 21.3. Frau Rudoll 20. 3. Scheel * 21. 3. Dr. Schmidt (Gellsersen) * 21. 3. Schneider (Hamburg) 31. 3. Dr. Schneider (Saarbrücken) 21. 3. Dr. Starke 21. 3. Storch * 21.3. Storm (Meischenstorf) 20. 3. Sträter * 21. 3. Frau Strobel * 21. 3. Struve 21.3. Unertl 20. 3. Dr. Vogel 22. 3. Vogt 12.4. Wehking 20. 3 Wehr 31.3. Weinkamm 29. 3. Dr. Will 21. 3. Wittmann 20. 3. b) Urlaubsanträge Frau Dr. Steinbiß 29. 3. Dr. Zimmermann 6. 5. * Für die Teilnahme an der Tagung der Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    ist das auch Ihre Meinung?

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Sie haben die Begründung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP gehört.
Zur Beantwortung hat zunächst das Wort der Herr Bundeskanzler.

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    Rede von Dr. Konrad Adenauer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Es ist im allgemeinen nicht üblich — ich kann wohl sagen: sehr ungewöhnlich —, daß durch Fragen des Mitgliedes eines Parlaments der Chef der Regierung des betreffenden Landes gezwungen wird, Auskunft, und zwar genaue Auskunft, über Gespräche zu geben, die er mit dem Botschafter einer fremden Macht gehabt hat.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Ich bedauere außerordentlich, daß der Herr Abgeordnete Mende mich in diese sehr unangenehme Lage versetzt hat. Ich bedauere das um so mehr, als ich mit ihm noch vor, ich glaube, zwei Tagen eine Aussprache über diese Frage gehabt habe.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Herr Abgeordneter Mende hat behauptet, daß von der Bundesregierung eine absichtliche Irreführung, jedenfalls eine fahrlässige Falschunterrichtung der deutschen Öffentlichkeit vorgenommen worden sei. Er hat weiter gesagt, daß grob fahrlässig falsche Meldungen mit tendenziösem Hintertergrund von der Bundesregierung ausgegangen seien. Er hat endlich nach dem Aide-memoire gefragt, das mir gestern der Botschafter der Sowjetunion, Herr Smirnow, im Namen seiner Regierung überreicht hat.
    Was dieses Aide-memoire angeht, so ist zwischen dem Botschafter und mir vereinbart worden, daß bis auf weiteres beide Seiten über dieses Aide-memoire schweigen. Wer von Ihnen weiß, daß diplomatische Verhandlungen nun wirklich nicht gewissermaßen auf offenem Platz geführt werden können, wird das verstehen.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Ich kann Ihnen aber eins sagen: In diesem Aide-
    memoire steht nichts drin, was bei der heutigen De-

    Bundeskanzler Dr. Adenauer
    batte die Position der Bundesregierung stärken oder die Position der Opposition schwächen würde.

    (Lachen und vereinzelte Zurufe.)

    — Ja, meine Damen und Herren, was daran zu lachen ist, das ist Ihr Geheimnis. Meines ist es nicht. Es bezieht sich gar nicht auf die heutige Verhandlung. Es wird ja wohl auch der Tag kommen, an dem dieses Aide-memoire in beiderseitigem Einvernehmen der Öffentlichkeit übergeben wird. Dann werden Sie sich davon überzeugen können, daß ich mit dieser Erklärung recht gehabt habe. Warten Sie also mit Ihrem Urteil bitte bis dahin ab.
    Nun hat aber Herr Abgeordneter Mende geglaubt, die Geschichte mit dem Friedensvertrag, mit dem einen Friedensvertrag oder mit zwei Friedensverträgen hier anschneiden zu sollen. Das ist mir sehr unangenehm, weil ich dadurch gezwungen bin, einen Teil der beiden Gespräche, die ich mit dem Botschafter Smirnow darüber gehabt habe, Ihnen mitzuteilen. Herr Botschafter Smirnow hat mich am Tage nach meiner Rückkehr aus dem Urlaub, am 6. März, im Auftrag seiner Regierung aufgesucht. Nach dem Verlauf dieses Gesprächs konnte es keinem Zweifel unterliegen. daß er der Auffassung war, auf der Gipfelkonferenz sollten zwei Friedensverträge abgeschlossen werden. Ich habe ihm dann gesagt: Wie denken Sie sich das denn? Das ist doch für uns völlig unmöglich. Er hat darauf zur Antwort gegeben: .Sie haben ja vielleicht noch Zeit, vorher ein konföderatives Organ zu schaffen, und dieses konföderative Organ könnte dann einen Friedensvertrag mit Deutschland unterschreiben.
    Kurze Zeit darauf habe ich Herrn Kollegen Ollenhauer zu mir gebeten, und wir haben dort auch über diese Frage gesprochen. Ich habe dann den Herrn Kollegen Mende in Begleitung des Herrn Kollegen Maier vorgestern bei mir gehabt.

    (Zurufe: Umgekehrt!)

    — Also meinetwegen umgekehrt, das ist mir noch lieber.

    (Heiterkeit und Beifall in der Mitte.)

    Herr Kollege Mende hat mir dann über, das Gespräch berichtet, das er mit dem sowjetischen Botschafter über die Frage: ein Friedensvertrag oder zwei Friedensverträge? gehabt hat. Ich habe mir seine Ausführungen notiert und habe ihm gesagt: Obgleich das an sich etwas ungewöhnlich ist, nachdem Herr von Brentano Ihnen im Auswärtigen Ausschuß zugesagt hat, die Frage werde geklärt werden, werde ich Herrn Botschafter Smirnow zu mir bitten.
    Infolgedessen ist Herr Botschafter Smirnow gestern am späten Nachmittag, gegen Abend, bei mir gewesen. Ich habe ihm gesagt: Sehen Sie, Herr Botschafter, ich habe diese Auffassung über das, was Sie mir gesagt haben; Herr Mende hat etwas ganz anderes gesagt, er hat mir über das Gespräch mit Ihnen erklärt, nach Ihrer Auffassung komme nur e i n Friedensvertrag mit Deutschland in Frage, und die Verhandlungen über diesen Friedensvertrag würden nicht etwa mit der Gipfelkonferenz abgeschlossen sein, sondern sich über lange Zeit hinziehen; dann könne man ja sehen, zu welchen Ergebnissen man komme; was ist nun richtig?
    Darauf hat er mir gesagt: Ich habe mit dem Herrn Abgeordneten Mende ja doch nur ganz wenige Worte gesprochen.

    (Abg. Dr. Mende: Zweieinhalb Stunden, Herr Bundeskanzler!)

    — Dann sagen Sie ihm das! Ich kann nur wiederholen, was er mir gesagt hat.

    (Heiterkeit in der Mitte. — Abg. Dr. Mende: Vielleicht ist es wieder ein Mißverständnis?)

    — Ich will es Ihnen dann genauer sagen: „Wir haben gemeinsam gegessen und getrunken und dann einige Sätze gesprochen. Dann habe ich mich an meine Arbeit begeben." Das hat er gesagt.

    (Heiterkeit in der Mitte.) Aber das sind Nebensächlichkeiten.

    Ich will Ihnen nun kurz wiederholen, was er mir gestern gesagt hat. Er hat weder gesagt, das, was er Herrn Mende gesagt habe, sei richtig wiedergegeben, noch hat er gesagt, das, was ich Ihnen gesagt habe, sei richtig wiedergegeben, sondern er hat mir gesagt, er sei hier, um den Auftrag seiner Regierung zu erfüllen, und er müsse also erklären, es komme für die Gipfelkonferenz nur e i n Friedensvertrag in Frage, aber über die Wiedervereinigung Deutschlands dürfe auf dieser Gipfelkonferenz nicht gesprochen werden.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Ich habe ihm dann erwidert: Aber, lieber herr Botschafter, wie stellen Sie sich denn die Sache vor? Es sitzt also auf dieser Gipfelkonferenz Herr Ulbricht da, und ich sitze da! Sie sagen, wir seien zwei souveräne Staaten, und dann sollen wir einen gemeinsamen Friedensvertrag mit Ihnen schließen. Wie stellen Sie sich das technisch überhaupt vor? Darauf hat er mir erwidert: Vielleicht haben Sie vor der Gipfelkonferenz noch genügend Zeit, um eine Konföderation mit der DDR herbeizuführen.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Also dieselbe These, die sich immer in den offiziellen Schriftstücken sowohl Bulganins wie Chruschtschwos findet, die sich auch findet in dem Brief, den Herr Bulganin an Herrn Macmillan gerichtet hat.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Der betreffende Passus darin lautet — ich habe die Übersetzung erst diese Nacht bekommen —:
    Unseres Erachtens könnte auf der Konferenz auch das Problem des Abschlusses eines deutschen Friedensvertrages erörtert werden. Die Sowjetregierung schlägt vor, die Regierungen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland zur Teilnahme an der Erörterung dieser Frage einzuladen. Selbstverständlich kann, wie die Sowjetregierung wiederholt erklärt hat, das Problem des Zusammenschlusses der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland zu einem einzigen Staate — das



    Bundeskanzler Dr. Adenauer
    liegt völlig im Zuständigkeitsbereich dieser beiden deutschen Staaten — nicht Gegenstand einer Erörterung auf der bevorstehenden Gipfelkonferenz sein.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Damit kann ich, glaube ich, diese Frage verlassen und zu den sehr wichtigen Fragen übergehen, die heute und morgen vor uns liegen. Ich möchte weder mich noch meine Kollegen im Kabinett erschöpfen durch die Beantwortung der tausend Fragen, die Herr Mende soeben an uns gestellt hat. Man kann diese Fragen aus dem Protokoll heraussuchen und kann sie ihm schriftlich beantworten. Auf der Tagesordnung stehen ganz bestimmte Fragen. Auf diese Fragen werden die zuständigen Fachminister antworten, und ich behalte mir vor, auch in die Debatte einzugreifen.
    Die Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU, „betreffend die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen", die Große Anfrage der FDP und schließlich auch die Entschließungsanträge der sozialdemokratischen Fraktion, die auch zur Abstimmung kommen werden, gipfeln letzten Endes in der einen Frage: Wollen wir in der NATO bleiben oder nicht? Das ist die Frage, um die es sich handelt. Da wollen wir uns kein X für ein U vormachen, sondern ganz klar und deutlich über diese Frage vor Ihnen und damit vor dem deutschen Volke sprechen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Auf die einzelnen Pläne — Rapacki-Plan usw. — und die Vorschläge über die Tagesordnung einer Gipfelkonferenz heute einzugehen, halte ich nicht für opportun. Der Zeitpunkt dazu wird hoffentlich kommen. Ich halte es deswegen nicht für opportun, weil überhaupt noch keine Klarheit über das besteht, was von irgendeiner Seite beabsichtigt ist. Es liegen zur Zeit sieben Pläne à la Rapacki und 21 Vorschläge zur Tagesordnung einer Gipfelkonferenz vor, und fast jeder Tag bringt in einem diplomatischen Schriftstück wieder etwas Neues und wieder etwas anderes. Ich wiederhole: wenn einigermaßen zu erkennen ist, ob diese Gipfelkonferenz kommt, ob diese ganzen Fragen nun wirklich zur diplomatischen Verhandlung kommen, dann wird Ihnen die Bundesregierung ihre Stellungnahme dazu mitteilen. Wenn wir jetzt anfingen, alles das zu diskutieren, würde, wie ich fürchte, der Wirrwarr — und es ist augenblicklich ein Wirrwarr über diese Fragen in der Welt — nur noch größer werden.
    Ich habe den Stenographischen Bericht des Bundestages über die Verhandlungen, die im Dezember 1954 über den Beitritt der Bundesrepublik zum Atlantikvertrag stattgefunden haben, zur Hand genommen. Bei der Lektüre der Ausführungen, die damals gemacht worden sind, kehren einem natürlich die ganzen Tatbestände wieder sehr klar ins Gedächtnis zurück, und man stößt auf eine auffallende Parallele zur gegenwärtigen Lage. Von der damaligen Bundesregierung und der großen Mehrheit des Hauses, die hinter ihr stand, wurde seinerzeit zur Begründung des Eintritts in die NATO auf
    die Agressivität der sowjetischen Politik, auf ihr Ziel, Beherrschung der Welt durch den Kommunismus, und auf die dadurch begründete Notwendigkeit, in die politische Gemeinschaft der freien Völker des Westens mit allen Rechten und mit allen Pflichten einzutreten, hingewiesen.
    Übrigens hat Herr Mende — es sei in Parenthese bemerkt, er wird es gar nicht beabsichtigt haben — dadurch, daß er all die Äußerungen unserer früheren Gegner angeführt hat, eigentlich eine ausgezeichnete Rechtfertigung dafür gegeben, daß wir uns damals diesen unseren früheren Kriegsgegnern in der NATO angeschlosen haben, damit deren Absichten bezüglich des deutschen Volkes endgültig vom Tische herunterkamen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, dem damaligen Beschluß des Bundestages, in die NATO einzutreten, war das Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft vorangegangen. Das Scheitern ist wesentlich auf sowjetrussischen Einfluß zurückzuführen.
    Als nach dem Scheitern der EVG die Aufnahme Deutschlands in die NATO in Sicht kam — dank der Initiative des damaligen englischen Ministers des Auswärtigen Eden —, hat die Sowjetunion in Noten an Frankreich, an Großbritannien und an die Vereinigten Staaten vom 23. Oktober 1954 plötzlich wieder die Frage der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, aber in der von ihr früher auf der Berliner Konferenz entwickelten Weise, aufgegriffen. Auf der Berliner Konferenz hat sie vorgeschlagen: freie Wahlen in Deutschland nach russischem System und eine Neutralisierung Deutschlands unter ständiger intensiver Kontrolle der Vier Mächte. Sie hat die Frage der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands erst in dem Augenblick, wo es sich darum handelte, ob wir in die NATO eintreten würden, wieder aufgegriffen. Es ist klar: sie wollte damit den Eintritt der Bundesrepublik in die NATO inhibieren, stoppen.
    Wir erleben jetzt etwas ganz Ähnliches. Vielleicht kommt eine Gipfelkonferenz, und vielleicht wird auf dieser Gipfelkonferenz auch etwas Gutes für Deutschland herauskommen. Auch hier möchte ich betonen — gegenüber Zweifeln, die laut geworden sind —: die deutsche Bundesregierung wünscht dringendst das Zustandekommen einer Gipfelkonferenz, die wenigstens in einem Punkte eine Erleichterung der entsetzlichen Lage bringt, in der die gesamte Welt sich jetzt befindet.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Diese Gipfelkonferenz wird sich auf alle Fälle auch mit der Frage der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands beschäftigen. Die Ausrüstung der deutschen Wehrmacht schreitet fort. Die NATO selbst steht waffentechnisch und strategisch vor einer Umorganisation. Wiederum also, wie im Jahre 1954, sind entscheidende politische und militärtechnische Veränderungen in Sicht, und wiederum sucht auch jetzt die Sowjetunion durch eine große Anzahl sehr langer Briefe und Noten, die an
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonin, Donnerstag, den 20. März 1958 843
    Bundeskanzler Dr. Adenauer
    alle möglichen Staaten gerichtet sind, Uneinigkeit unter den Völkern des Westens und Zweifel hervorzurufen und so diese Veränderungen zu verhindern.
    Ich sagte soeben, die NATO stehe waffentechnisch und damit auch taktisch und strategisch vor einer Umorganisation. Es handelt sich um die Einführung von Raketenwaffen und die Frage der nuklearen Waffen im Bereich der NATO. Diese Anwendung — und ich wünsche, daß sehr viele Deutsche das hören — der waffentechnischen Entwicklung auch in der NATO ist für die militärische und die politische Situation in der gesamten Welt und damit auch für Deutschland entscheidend.

    (Beifall in der Mitte.)

    Gegen sie richtet sich in erster Linie die Agitation der Sowjetunion. Dabei hat die Sowjetunion selbst die Entwicklung der Waffentechnik mit allen Mitteln betrieben und sie sich in ausgedehntestem Maße zunutze gemacht.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    In der Bundesrepublik wird in bestimmten Kreisen behauptet, die Aufrüstung der deutschen Bundeswehr mit nuklearen Waffen und Raketenwaffen würde zum Untergang Deutschlands führen, vergrößere die Spannungen in der Welt, verhindere die Wiedervereinigung, führe letzten Endes zum globalen Atomkrieg und damit zu einer fürchterlichen Katastrophe. Die Kreise, die das behaupten, schlagen daher vor, daß sich die Bundesrepublik unter keinen Umständen an dieser Neuorganisation der NATO beteiligen dürfe, daß sie weder nukleare Waffen noch Raketen haben dürfe.
    Wir leben in einer grausamen Welt, in einem schrecklichen Zeitalter. Wir leben in einer Zeit, wie es sie, so glaube ich, noch niemals gegeben hat, soweit das geschichtliche Denken reicht. Ich bin aber der Auffassung, daß uns gerade diese Tatsache verpflichtet, diese ganzen Fragen mit aller Ruhe, mit aller Sorgfalt und mit aller Nüchternheit zu überlegen und zu prüfen. Wenn wir das tun, dann kommen wir nach meiner sehr, sehr sorgsam gebildeten Überzeugung zu folgenden Ergebnissen.
    Der potentielle Gegner der NATO ist die Sowjetunion, der Ostblock. Die Sowjetunion ist mit nuklearen Waffen und Raketen aufgerüstet. Wenn ein wichtiger Teil der NATO nicht Waffen gleicher Stärke wie der potentielle Gegner besitzt — der Herr Verteidigungsminister wird darüber noch sprechen —, ist sie bedeutungslos und zwecklos geworden.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Wenn es die strategische Planung der NATO — die wir natürlich nachprüfen müssen und nachprüfen werden — verlangt, daß auch wir, die Bundesrepublik, von dieser Fortentwicklung der Waffentechnik Gebrauch machen, und wenn wir uns dann weigern, das zu tun, scheiden wir damit aus der NATO aus. Um diese Frage — ich habe das schon einmal gesagt und betone es nochmals — dreht sich, wenn man die Dinge substantiell sieht, unsere ganze Diskussion, also um die Frage: Sollen und müssen
    wir im Interesse des deutschen Volkes und im Interesse des Friedens in der Welt in der NATO bleiben, auch wenn es sich als nötig erweist, die waffentechnische und strategische Entwicklung der NATO mitzumachen?

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Ich halte es wirklich für notwendig, Ihnen in all dem Wirrwarr von Briefen, von Vorschlägen, von Plänen, von Artikeln, von Drahtnachrichten usw. die Situation so klar vor Augen zu führen, daß jeder in der Lage ist, sich eine Überzeugung so oder so zu bilden, damit jeder auch im deutschen Volke in der Lage ist, sich eine Überzeugung darüber zu bilden, ob die bisher von uns geführte Politik gut war, ob wir sie fortsetzen müssen oder ob Verhältnisse eingetreten sind, die eine Änderung unseres politischen Verhaltens verlangen, ab wir aus der NATO ausscheiden sollen.
    Die deutsche Politik muß meines Erachtens zum Ziel haben: Rettung des Friedens in der Welt,

    (lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Rettung des Friedens in der Welt durch kontrollierte allgemeine Abrüstung,

    (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr gut! und erneuter Beifall)

    und zwar sowohl auf dem Gebiet der nuklearen wie der konventionellen Waffen, dadurch allgemeine Entspannung, Sicherung unserer Freiheit und Wiederherstellung . unserer Einheit.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn wir uns Rechenschaft geben über die Politik Deutschlands, wie sie war und wie sie jetzt gestaltet werden muß, dann müssen wir doch von der Lage in der Welt ausgehen. Ein Land von dem wirtschaftlichen Potential und in der geographischen Lage Deutschlands wird niemals ein isoliertes Dasein führen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das Geschick Deutschlands ist untrennbar verbunden mit dem Geschick der anderen Völker.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir werden uns mit ganzer Kraft in den Dienst der Verhütung einer Weltkatastrophe stellen müssen; denn wenn eine Weltkatastrophe käme, dann würde Deutschland in sie hineingerissen werden, gleichgültig, ob es bewaffnet ist .oder ob es nicht bewaffnet ist.

    (Lebhafte Zustimmung bei der CDU/CSU. — Bewegung bei der SPD.)

    Das ergibt sich aus der Natur eines globalen nuklearen Krieges, der weiteste Flächen umfassen würde, und aus der geographischen Lage Deutschlands.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU. — Abg. Wittrock: Wem erzählen Sie das eigentlich !)

    Wenn ein solcher Krieg jemals entbrennen sollte und wenn er allein zwischen den nuklearen Großmächten, den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Sowjetrußland, ausbrechen würde und wenn alle anderen Länder in Europa sich neutral erklä-
    844 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. März 1958
    Bundeskanzler Dr. Adenauer
    ren würden, würde trotzdem Westeuropa in den Strudel mit hineingezogen werden, weil die atomaren Explosionen in zu großer Nähe von ihm erfolgen würden und auch weil kein kriegführender Teil der anderen den Besitz so hockentwickelter Länder, wie es die westeuropäischen sind, gestatten würde.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

    Wir. haben im Interesse unserer Selbsterhaltung die Pflicht, alles zu tun, daß jede Katastrophe vermieden wird. Das können wir nur dann, wenn wir in der NATO bleiben, die NATO stärken, nicht aber durch Verweigerung sich etwa ergebender Verpflichtungen die NATO schwächen, aus ihr ausscheiden. Wir sind ein wichtiger Bestandteil der NATO und wir würden durch vertragswidriges Verhalten die NATO zerstören. Wir haben die Pflicht, alles zu tun, was wir können, um auf diese Weise die Möglichkeit eines Auswegs aus der furchtbaren Situation, in der die Welt sich befindet, mitzuschaffen.

    (Zuruf von der SPD: Die allgemeine Aufrüstung!)

    Seien Sie sich über eines klar: Die Weltlage ist, seitdem wir im Jahre 1954 .in die NATO eintraten, viel kritischer und gefährlicher geworden.

    (Widerspruch und Lachen bei der SPD. — Abg. Erler: Das ist dabei herausgekommen!)

    — Ach, meine Damen und Herren, ich wußte ja, wie Sie diesen Satz quittieren würden, aber hören Sie, was ich jetzt weiter sagen werde! Sie ist nicht durch unseren Eintritt in die NATO gefährlicher und kritischer geworden.
    Wollen wir die Dinge nun doch einmal real sehen! Glauben Sie und darin sehe ich die Zuspitzung der ganzen Lage —, daß sich Sowjetrußland seit 1954 in did Angelegenheiten des Orients hineingemischt hat, weil wir in die NATO eingetreten sind?

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich glaube, daran sind wir nun wirklich völlig unschuldig. Aber machen Sid sich bitte einmal klar, was diese politische Taktik der Russen für uns bedeutet! Sowjetrußland sucht im vorderen Orient immer mehr Fuß zu fassen und in das Mittelmeer zu kommen; ein von seinem Standpunkt aus, wenn es die Welt beherrschen will, sehr kluger Zug.
    Wenn Sowjetrußland über den Orient in das Mittelmeer kommt, dann ist Westeuropa in der Zange: einmal vom Mittelmeer aus und auf der anderen Seite hier vom Osten, von unserer Ostgrenze aus. Dadurch hat sich die Lage in der Welt seit 1954 wirklich kritischer gestaltet, als sie je vorher gewesen ist.
    Meine verehrten Damen und Herren! Wenn wir uns nun diejenigen Mächte betrachten, die im Besitz nuklearer Waffen sind — das sind die Vereinigten Staaten, das ist Großbritannien, das. ist Sowjetrußland —, dann, glaube ich, ist das eine ganz klar: weder die Vereinigten Staaten noch Großbritannien verfolgen aggressive Tendenzen..

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Diejenige nukleare Macht — es hat keinen Zweck,
    sich darüber zu streiten, wieviel nukleare Waffen
    sie hat; sie ist im Besitze eines erheblichen Teils nuklearer Waffen, das steht fest —, die aggressive Tendenzen verfolgt, das ist Sowjetrußland.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU )

    Auch daran kann doch kein Zweifel bestehen. Demokratisch regierte Länder, wie die Vereinigten Staaten, wie Großbritannien, können ja überhaupt keinen Aggressionskrieg führen,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    es hindern sie die demokratischen Einrichtungen daran.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Aber ein diktatorisch regierter Staat,

    (Abg: Dr. Mende: Suez!)

    das wissen wir doch — und Sowjetrußland ist ein diktatorisch regierter Staat —, kann ohne Rücksicht auf irgendwelche demokratische Hemmungen zu einem Angriffskrieg übergehen.

    (Abg. Dr. Mende: Die These ist durch den Suez-Fall leider erschüttert, Herr Bundeskanzler!)

    — Herr Mende, ich lasse mich durch Sie nicht herausfordern. Wenn Sie die Einzelheiten über den
    Suez-Fall wissen wollen, dann lesen Sie doch das
    bekannte Buch, das in Paris darüber erschienen ist!
    Sie werden einen vergnügten Nachmittag haben.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Diejenigen, die glaubten, daß mit dem Tode Stalins eine andere, eine nichtaggressive Ara der russischen Politik eintreten werde, sind bitter enttäuscht worden. Auf dem Kongreß der Kommunistischen Parteien der sozialistischen Länder im November 1957 ist in der Schlußdeklaration vom 16. November 1957 — sie ist am 22. November durch TASS veröffentlicht worden — ausdrücklich die Beherrschung der Welt als das Ziel des Kommunismus erklärt worden..

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Diese Erklärung des höchsten Organs der kommunistischen Länder ist bisher von niemandem widerrufen worden.
    Wir haben auch in der jüngsten Geschichte Beweise von der Aggressivität der Sowjetunion, wir haben die Unterwerfung der Satellitenstaaten. Diese Aggressivität der Sowjetunion hat sich durch das Selbstbewußtsein, das sie durch den Besitz der nuklearen Waffen bekommen hat, noch gesteigert. Das wird offenbar einmal durch die Politik im Mittleren Osten, dann aber auch durch das Verhalten Sowjetrußlands in den ganzen Bemühungen um eine kontrollierte Abrüstung.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Darauf möchte ich Ihre und der deutschen Öffentlichkeit Aufmerksamkeit einmal sehr nachdrücklich lenken.
    Der Unterausschuß der Abrüstungskommission der UNO hat vom 18. März bis zum 6. September 1957 Sitzungen abgehalten. Der Sowjetunion sind weitestgehende Angebote gemacht worden; sie sind alle veröffentlicht. Sie hat stereotyp nein gesagt. Es haben dann in der UNO Verhandlungen über die Abrüstung stattgefunden, und zwar begannen



    Bundeskanzler Dr. Adenauer
    sie unmittelbar, nachdem die Londoner Konferenz zu Ende gegangen war, am 17. September 1957. Am 14. November 1957 ist in der Vollversammlung der UNO eine Resolution zur Abrüstung angenommen worden. Bei der Abstimmung über diese Resolution haben sich 15 Staaten der Stimme enthalten. 56 Staaten haben der Resolution zugestimmt. 9 haben mit Nein gestimmt; das waren die Ostblockstaaten unter Führung der Sowjetunion.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Gerade wir in diesem Hause haben schon in früheren Diskussionen immer wieder die UNO als die höchste Autorität bezeichnet, und wir sollten diese Vorgänge in der UNO auch in diesem Falle mit der Aufmerksamkeit betrachten, die ihnen gebührt.
    Nach dieser Ablehnung — Ablehnung durch
    Sowjetrußland und Annahme durch 56 Mitglieder — wurde in der UNO eine Weiterführung der Verhandlungen durch die Abrüstungskommission der UNO vorgeschlagen. Sofort hat die Sowjetunion durch ihre Vertreter am 10. Oktober und am 4. November 1957 in der UNO erklärt, sie werde sich an den Verhandlungen der Abrüstungskommission und ihres Unterausschusses nicht mehr beteiligen.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Meine Damen und Herren, gibt es einen stärkeren Beweis dafür, von welcher von Selbstüberschätzung getragenen agressiven Gesinnung die Sowjetunion beseelt ist?
    Dann ist in der UNO am 19. November 1957 eine Resolution zur Abstimmung gestellt worden, durch die die Abrüstungskommission von 11 auf 25 Mitglieder erweitert werden sollte, und zwar waren da Mitglieder in Aussicht genommen, die der Sowjetunion sympathischer waren. Bei der Abstimmung über diese Resolution über die Erweiterung der Abrüstungskommission, die Sowjetrußland entgegenkommen wollte, haben sich 11 Staaten der Stimme enthalten, 60 Staaten haben mit Ja gestimmt, 9 Staaten mit Nein; das waren dieselben Staaten, die auch damals mit Nein gestimmt hatten: der Ostblock unter Führung der Sowjetunion.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Ich glaube, ein überzeugenderer Beweis für das intransigente Verhalten der Sowjetunion in der uns
    und die ganze Welt zutiefst berührenden Frage der
    Abrüstung ist überhaupt nicht mehr zu erbringen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Nun behaupten Vertreter der Sowjetunion, sie habe ihren Willen, abzurüsten, dadurch gezeigt, daß sie eine Anzahl von Truppen entlassen habe. Ich kann Ihnen erklären: Sowjetrußland hat in den letzten Jahren nicht nur nuklear hoch aufgerüstet, es hat auch auf dem Gebiete der konventionellen Waffen außerordentlich vieles geschaffen und aufgerüstet, so daß die Entlassung dieser Truppen keine Verminderung der Kampfkraft Sowjetrußlands in irgendeiner Weise bedeutet und nicht als Zeichen des Friedens gewertet werden kann. Ich glaube, gerade die durch das russische Nein zur Zeit sich auf dem toten Punkt befindlichen Abrüstungsverhandlungen, in London sowohl wie in der UNO, die gleichzeitig in stärkster Weise weitergetriebene Bewaffnung der Sowjetunion und die Proklamation der kommunistischen Parteien vom November 1957 zeigen — das muß ich sagen — klar und deutlich, in welcher Gefahr sich die freien Völker der Welt befinden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Nun wird von den Wortführern der Bewegung gegen eine Bewaffnung unserer Wehrmacht mit nuklearen Waffen — von der ich soeben sprach — behauptet, es gebe nur die Wahl zwischen dem Atomtod und Unterlassung der nuklearen Bewaffnung. Dieser Satz, meine Damen und Herren, ist völlig unrichtig.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Einmal glaube ich, Ihnen doch wesentliche Argumente dafür beigebracht zu haben,

    (Lachen bei der SPD — Zuruf links: „Beigebracht" ist richtig!)

    daß die Unterlassung der nuklearen Bewaffnung kein Schutz ist, und zweitens, meine Damen und Herren: wenn wir dieser Parole folgen, dann beschwören wir nach der Überzeugung der Bundesregierung geradezu die Gefahr eines grauenvollen Krieges herauf.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Es gibt nicht nur Atomtod oder Unterlassung der nuklearen Bewaffnung, es gibt ein Drittes, und dieses Dritte ist das Ziel, das wir mit unserer Politik erstreben. Dieses Dritte ist die Verhütung jedes Atomkrieges durch allgemeine und kontrollierte Abrüstung.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Nur diese allgemeine, kontrollierte Abrüstung kann
    in Wahrheit die Welt vor den furchtbaren Schrekken eines Atomkrieges bewahren. Ich habe darüber
    genug gesprochen, meine Damen und Herren, aber
    glauben Sie mir, es ist so: solange in der Welt
    Mächte im Besitz dieser nuklearen Waffen sind,
    droht immer die Gefahr, daß sie gebraucht werden

    (Abg. Wittrock: Also!)

    und daß dadurch über die ganze Welt, auch über die Nichtbewaffneten, das Unheil hereinbricht. Daher glaube ich, statt uns auseinanderzusetzen über Dinge, über die man natürlich verschiedener Meinung sein kann, sollten wir uns zusammenfinden in der Parole: Kontrollierte Abrüstung in der gesamten Welt. Das ist unser Ziel.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich habe eingangs gesagt, daß, wenn die Bundesrepublik sich weigern sollte, den zur Zeit noch nicht feststehenden, aber durch die moderne Entwicklung eventuell notwendig werdenden Umorganisationen strategischer und ausrüstungsmäßiger Art der NATO stattzugeben, damit die NATO auseinanderfällt. Dann ist die Lage unendlich viel gefährlicher, als sie zur Zeit ist. Sie ist aus zwei Gründen gefährlicher. Wenn zwei große Mächte Differenzen miteinander haben, wie die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion, dann sind Verhandlungen nur mit Erfolg zu führen, wenn die beiden Mächte entsprechend stark sind.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)




    Bundeskanzler Dr. Adenauer
    Das gilt vor allem für Verhandlungen mit der Sowjetunion. Die Aussichten, in Verhandlungen mit der Sowjetunion zu einem Ergebnis zu kommen, sind um so größer, je stärker derjenige ist, der ihr Verhandlungen vorschlägt.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Wenn aber die NATO auseinanderfällt, dann stehen sich auf der Welt nur noch gegenüber: auf der einen Seite die Vereinigten Staaten, vielleicht mit England, auf der anderen Seite die Sowjetunion. Dann sind wir, meine Damen und Herren, politisch einflußlos geworden, und dann werden wir ein Objekt — und lediglich ein Objekt — der Politik anderer Länder.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, glauben Sie nicht, daß ich Gefahren an die Wand male, die nicht bestehen! Die Gefahren bestehen.
    Ich möchte Ihnen hier eine Meldung von AP vorlesen. Der Mitverfasser des amerikanischen Rockefeller-Berichts über militärische Gesichtspunkte amerikanischer und internationaler Sicherheit, Kissinger, vertragt im „Foreign Affairs" die Ansicht, daß Europas Weigerung, amerikanische Raketen anzunehmen, nur seine Abhängigkeit von Amerika erhöhen würde. Er sagt weiter:
    Statt das amerikanische Angebot nur unter dem Gesichtspunkt des ausschließlichen Nutzens für Amerika zu betrachten, sollten Europäer verstehen, daß es das einzige Mittel darstelle, mit dem Europa die Mitbestimmung über seine Zukunft sicherstellen könne. Wenn die USA durch eine europäische Weigerung der Annahme der Raketen allein die Verantwortung für die Verteidigung der freien Welt übernehmen, dann übernehmen sie auch die Verantwortung für die Bestimmung des Casus belli. Die Entscheidung darüber, wie auf eine Aggression in Europa zu reagieren wäre, läge dann nicht mehr in Europa.

    (Abg. Schmid [Frankfurt] : Wo denn sonst?!)

    Mit der Zeit könnte diese Situation das herbeiführen, was viele Europäer am meisten fürchten.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Meine Damen und Herren, das ist logisch und richtig. Wenn wir bei großen politischen Fragen in Richtung auf eine Entspannung mitsprechen wollen, dann müssen wir auch bereit sein, die entsprechenden Lasten auf uns zu nehmen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Ich habe von der NATO bisher nur im militärischen und militärpolitischen Sinne gesprochen. Aber, da es sich hier um unser Verbleiben in der NATO handelt, bedenken Sie doch bitte auch einmal, was die NATO sonst bedeutet. Die NATO ist doch nicht nur ein militärisches Defensivbündnis, sie ist auch ein Bündnis, das sich in großem Maße mit anderen Fragen beschäftigt. Auf der Pariser Konferenz ist betont worden, daß die Signatarstaaten anstreben, Gegensätze in ihrer internationalen Wirtschaftspolitik zu beseitigen und die wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit zu fördern. Ferner ist ausdrücklich erklärt worden, daß der NATO-Vertrag nicht nur den gegenwärtigen Sicherheitsforderungen genügen solle, sondern auch den Weg aus einer verworrenen internationalen Vergangenheit in eine bessere Zukunft zeigen wolle. Die Beschlüsse, die auf der Konferenz in Paris gefaßt worden sind, auf der sämtliche Regierungschefs der NATO-Staaten anwesend waren, zeigen das sehr klar. Es wurde wiederum bekräftigt — und davon müssen Sie und muß die Weltöffentlichkeit Kenntnis nehmen —, daß das Hauptziel der westlichen Bemühungen eine umfassende kontrollierte Abrüstung bleibt.
    In Paris haben sich die westlichen Staatsmänner wieder bereit erklärt, jeden denkbaren Vorschlag zu diskutieren und jeden vernünftigen Weg zu einer allgemeinen Abrüstung zu gehen.
    Die NATO ist im Laufe der Entwicklung, wenn sie auch bei ihrer Gründung vornehmlich ein militärisches Defensivbündnis war, zu einem allgemeinen, großen politischen Bündnis geworden, das auf die gesamte Weltpolitik bestimmend einwirkt. Daher sollte man sich doch sehr gründlich die Frage überlegen: Soll dieses kleine Deutschland — meine Damen und Herren, lassen wir doch endlich einmal den deutschen Größenwahn beiseite! —

    (Beifall in der Mitte — Beifall und Zurufe von der SPD)

    sich von diesem großen Bündnis zurückziehen und seinen Einfluß in diesem Bündnis preisgeben?

    (Abg. Ehren: Wo Sozialdemokraten dabei sind!)

    Wie stark der Einfluß der NATO ist, können Sie auch daraus ersehen, daß bei allen Londoner Abrüstungsverhandlungen eine Konsultation mit allen NATO-Partnern stattgefunden hat, daß alle Vorschläge im Einverständnis aller NATO-Partner gemacht worden sind. Das gleiche gilt für alle Antworten, die jetzt auf die Briefe der sowjetrussischen Staatsmänner gegeben werden. Alle diese Fragen werden unter den NATO-Partnern in Paris in voller gegenseitiger Offenheit diskutiert, und das Ergebnis wird den Regierungen der NATO-Partner zur Genehmigung unterbreitet.
    Ich darf vielleicht auch daran erinnern, daß das Schlußkommuniqué der Pariser Konferenz ausdrücklich hervorhebt, daß die NATO-Partner die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit fordern; alle stehen hinter uns.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Sehr gut! — Vereinzelt Lachen bei der SPD.)

    — Jeder lacht, wo er es für nötig hält.

    (Beifall in der Mitte.)

    Lassen Sie mich nun noch ein Wort in eigener Sache sagen. Ich bin wegen der Erklärung, die ich in Paris abgegeben habe, in der deutschen Öffentlichkeit ganz außerordentlich gelobt worden. Ich hatte es nach meiner Meinung schon vorher verdient.

    (Heiterkeit. — Beifall in der Mitte.)

    Aber ich habe mir nun noch einmal die Erklärung,
    die ich damals abgegeben habe, genau durch-



    Bundeskanzler Dr. Adenauer
    gelesen, ob ich denn wirklich plötzlich aus einem Saulus ein Paulus geworden sei;

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Hört! Hört!)

    das ist nämlich gesagt worden. Ich finde dies nicht.
    Wenn Sie wollen, bin ich nach wie vor ein Saulus.

    (Heiterkeit. Zuruf des Abg. Dr. Schmid [Frankfurt].)

    — Was meinen Sie?

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Dann kämen Sie nicht in den Himmel! — Gegenruf des Abg. Kiesinger: Falsche Theologie!)

    Ich habe in Paris ausgeführt, was ich auch hier und was ich immer ausgeführt habe. Ich habe es wörtlich vor mir. Ich will es Ihnen nicht ganz vorlesen. Ich habe ausgeführt, daß die politische Entwicklung der letzten Monate keine Faktoren zeige, die uns zu der Hoffnung berechtigten, daß wir uns bereits auf dem Wege zu einer Entspannung befinden. Ich habe weiter ausgeführt, daß uns gar nichts dazu berechtige, mit unserer Arbeit in der NATO irgendwie nachzulassen, im Gegenteil. Ich habe ferner ausgeführt — und das sage ich auch hier, meine Damen und Herren —, daß wir jederzeit bereit sind, mit Sowjetrußland zu verhandeln.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dazu ist die Bundesregierung nach wie vor bereit. Natürlich gehören zum Verhandeln zwei. Über die Frage, die uns so sehr am Herzen liegt, über die Wiederherstellung der deutschen Einheit, bin ich noch mehr bereit zu verhandeln als über einen Friedensvertrag.
    Mir liegt am Herzen — und ich hoffe, auch Ihnen , daß wir endlich dazu kommen, daß die 17 Millionen Deutschen hinter dem Eisernen Vorhang so leben können, wie sie wollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich maße mir kein Urteil über die Regierungsmethoden Sowjetrußlands an; ich maße mir kein Urteil darüber an, was dort geschieht. Aber das eine weiß ich, meine Damen und Herren: daß die Deutschen für eine solche Regierungsmethode keine geeigneten Objekte sind.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Darum glaube ich — ich habe das auch der
    sowjetrussischen Regierung mitteilen lassen —, wir sollten diese ganze Frage nicht nur unter nationalen oder nationalistischen Aspekten oder Aspekten des Machtbereichs, sondern unter dem Gesichtspunkt betrachten, daß dort 17 Millionen Deutsche zu einer Lebens- und Denkungsweise gezwungen werden, die sie nicht wollen.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Wir würden in der Befriedung der Welt, in der Entspannung und in unserem Verhältnis zu Sowjetrußland unendlich viel weiter sein, wenn endlich einmal den Deutschen in der Sowjetzone gestattet würde, frei zu sein und frei zu leben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das ist der Wunsch, den ich habe, völlig frei von
    jedem nationalistischen Überschwang. Um die Menschen handelt es sich, und auf die Menschen kommt es an. Wenn ich mit den Leuten spreche, die von dort herüberkommen — wohl jeder von uns spricht mit solchen Leuten , und wenn ich dann höre, unter welchem Druck die Menschen leben, dann glaube ich, auch Sowjetrußland müßte doch einsehen, daß es diese Leute auch nicht mit Zwang zu Kommunisten machen kann. Sie bleiben Deutsche und sie sollen Deutsche bleiben. Es ist ein elementares Menschenrecht, um das es sich hier handelt, daß diese Menschen nach ihrem eigenen Gutdünken frei leben können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, es gibt noch einen Punkt, der, glaube ich, in der Frage der Wiedervereinigung doch einmal erwähnt werden muß, weil er nach meiner Überzeugung auf sowjetrussischer Seite eine große Rolle spielt. Das ist das Vorkommen von Uranerzen in der Ostzone. Das ist ein Punkt von außerordentlich großer Bedeutung, auch für Sowjetrußland; das gebe ich ohne weiteres zu. Aber ich bin der Auffassung: Da lassen sich doch Kautelen schaffen! Es gibt doch eine Möglichkeit, dafür zu sorgen, daß das Uranerzvorkommen nicht der Freiheit unserer Brüder und unserer Schwestern hinter dem Eisernen Vorhang entgegensteht!

    (Langanhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)