Rede:
ID0300914700

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 6
    1. Herr: 1
    2. Abgeordneter: 1
    3. Erler: 1
    4. hat: 1
    5. das: 1
    6. Wort.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 9. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1958 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Dr. Brönner 297 A Glückwünsche zum 65. Geburtstage des Abg. Dr. Baade 297 C Begrüßung des Sonderbeauftragten des Europarates für Flüchtlingsfragen, Pierre Schneiter 321 B Erklärung der Bundesregierung In Verbindung damit: Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATO-Konferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Antrag der Fraktion der SPD betr. Bemühungen der Bundesrepublik um internationale Entspannung und Einstellung des Wettrüstens (Drucksache 54 [neu]) Dr. von Brentano, Bundesminister . . . . 297 C, 311 A 399 D Dr. Mende (FDP) 304 B, 417 D Ollenhauer (SPD) 312 C Kiesinger (CDU/CSU) 321 B Dr. Maier (Stuttgart) (FDP) 333 C Schneider (Bremerhaven) (DP) . 343 C, 414 C, 418 D Dr. Gradl (CDU/CSU) 349 C Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 354 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 363 B, 375 D Erler (SPD) 368 D, 412 A Strauß, Bundesminister 376 A Dr. Dehler (FDP) 384 D Dr. Dr. Heinemann (SPD) . . . 401 A, 415 C Dr. Krone (CDU/CSU) 407 A Schmidt (Hamburg) (SPD) 408 B Höcherl (CDU/CSU) 408 D Cillien (CDU/CSU) 413 B Dr. Baron Manteuffel-Szoege (CDU/CSU) 415 A Dr. Furler (CDU/CSU) 416 A Dr. Mommer (SPD) 417 D Dr. Bucher (FDP) 418 B Nächste Sitzung 419 C Anlagen: Liste der beurlaubten Abgeordneten; Umdrucke 6 und 7, Schriftliche Erklärung des Abg. Dr. Atzenroth 420 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1958 297 9. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr.
  • folderAnlagen
    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Baade 24. 1. Dr. Barzel 24. 2. Bazille 25. 1. Bauer (Würzburg) 31. 1. Dr. Becker (Hersfeld) 8.2. Berendsen 31. 1. Bettgenhäuser 30. 1. Blachstein 24. 1. Conrad 23. 1. Dr. Deist 24. 1. Frau Döhring (Stuttgart) 31. 1. Faller 7. 2. Felder 31. 1. Dr. Friedensburg 23. 1. Gleisner (Unna) 24. 1. Graaff 23. 1. Dr. Gülich 24. 1. Heye 31. 1. Hoogen 2. 2. Dr. Jaeger 8. 2. Dr. Jordan 23. 1. Josten 31.1. Kalbitzer 25. 1. Knobloch 23. 1. Kühn (Bonn) 27. 1. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 31. 1. Majonica 15. 2. Meyer (Wanne-Eickel) 24. 1. Müller-Hermann 15. 2. Paul 28. 2. Dr. Preiß 31. 1. Probst (Freiburg) 5. 2. Rademacher 25. 1. Ramms 24. 1. Rasch 24. 1. Rehs 27. 1. Ruhnke 31. 1. Scharnowski 24. 1. Scheel 24. 1. Schoettle 24. 1. Schröder (Osterode) 31. 1. Dr. Seffrin 23. 1. Dr. Serres 31. 1. Spies (Brücken) 8. 2. Stierle 31. 1. Theis 24. 1. Wacher 3. 2. Dr. Wahl 10. 2. Dr. Weber (Koblenz) 24. 1. Anlage 2 Umdruck 6 Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATOkonferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, mit der polnischen Regierung in Besprechungen über die Herstellung diplomatischer Beziehungen zu Polen einzutreten. Bonn, den 23. Januar 1958 Ollenhauer und Fraktion Dr. Mende und Fraktion Umdruck 7 Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, DP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATOKonferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, zur Sicherung des Friedens, zur Bewahrung der Freiheit und zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands 1. sich dafür einzusetzen, daß Verhandlungen des Westens .mit der Sowjetunion fortgesetzt und nach sorgfältiger diplomatischer Vorbereitung - gegebenenfalls durch eine Konferenz der Außenminister - in einer Konferenz auf höchster Ebene durchgeführt werden, die der Entspannung der Beziehungen zwischen Ost und West und dein Ziele der Herbeiführung der deutschen Wiedervereinigung dienen, 2. darauf hinzuwirken, daß die Verhandlungen mit der Sowjetunion über eine kontrollierte Abrüstung alsbald wieder aufgenommen werden, sei es im Rahmen der Vereinten Nationen oder auf einer Konferenz auf der Ebene der Außenminister, und daß bei der Vorbereitung dieser Verhandlungen jeder ernsthafte Vorschlag zur allgemeinen oder teilweisen Abrüstung geprüft und auf seine politischen und militärischen Folgen untersucht wird, 3. dafür Sorge zu tragen, daß bei den aufzunehmenden Verhandlungen nur solche Lösungen in Aussicht genommen werden, die nicht zu einer Anerkennung des Status quo in Europa führen, sondern geeignet sind, die deutsche Teilung zu überwinden, 4. ihre Bemühungen zur Koordinierung der Außenpolitik der westlichen Verbündeten energisch fortzusetzen. Bonn, den 23. Januar 1958 Dr. Krone und Fraktion Schneider (Bremerhaven) und Fraktion 422 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1958 Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Atzenroth zu der Abstimmung über den Umdruck 6. An der Abstimmung über den Umdruck 6, Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATO-Konferenz am 16. Dezember 1957 — Drucksache 82 — habe ich mich nicht beteiligt, da ich an dem Beschluß, der die Unterschrift unter den obigen Antrag zur Folge hat, nicht mitgewirkt habe.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hermann Höcherl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Dr. Dehler, ich habe erklärt, Sie haben zum Rapacki-Plan Äußerungen gemacht und zum Jahr 1952 haben Sie eine Legende dargestellt. Ich will Ihnen das auch beweisen. Sie haben zu dem Vorgang von 1952, den Sie und Herr Dr. Heinemann zum Mittelpunkt Ihrer Ausführungen hinsichtlich der angeblichen Unglaubwürdigkeit der Bundesregierung gemacht haben, erklärt, damals sei ein Angebot von Sowjetrußland gekommen, eine einmalige Chance, die verludert worden sei. Das waren Ihre Äußerungen. Jetzt will ich Ihnen einmal sagen, wie dieses Angebot gelautet hat.
    Dieses Angebot stieß hinein in die damals laufenden EVG-Verhandlungen und enthielt u. a. folgende sowjetische Forderungen: erstens Neutralisierung Deutschlands; zweitens Anerkennung des Potsdamer Abkommens; drittens Anerkennung der Oder-NeißeLinie;

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    viertens Verbot aller politischen Parteien, die von der Sowjetunion nicht ausdrücklich als demokratisch anerkannt werden; fünftens Verbot aller Organisationen, die nach sowjetischer Terminologie friedensfeindlich, militaristisch oder nazistisch sind. Das weitere Procedere sah vor, daß ein Friedensvertrag vorbereitet werden solle. Über die Frage des Zeitpunkts und die Modalitäten der Bildung einer gesamtdeutschen Regierung sowie über freie Wahlen
    war darin kein Wort enthalten. Das war das „einmalige geschichtliche Angebot", das damals „versäumt" worden ist und dem man nicht stattgegeben hat. Ich sage: zu Recht nicht stattgegeben hat. Das wäre der Anfang vom Ende gewesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dann wurden hier große Ausführungen über unsere „Politik der Stärke" gemacht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wo ist denn die Politik der Stärke zu Hause? Wo erreicht sie in der Gegenwart ihren Höhepunkt, ihren Scheitelpunkt?

    (Zuruf von der SPD: In Bayern! — Große Heiterkeit.)

    — Der Zwischenrufer kommt sich außerordentlich humorvoll vor. Mir sind die Dinge viel zu ernst, als daß ich auf eine solche Art von Zwischenrufen überhaupt antworten möchte. Mit solchen Methoden kommen Sie nicht weit. Es steht Ihnen gut an, wenn Sie den Ernst bewahren, den Sie in der Öffentlichkeit und hier im Plenum in Anspruch nehmen, und wenn Sie sich auch in der Debatte so verhalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es war interessant, zu beobachten, als die beiden, Herr Dr. Dehler und Herr Dr. Heinemann, antraten. Sie, meine Herren von der SPD, hatten ursprünglich etwas Hemmungen. Aber Sie vermochten dann allmählich einen taktischen Vorteil darin zu sehen und spendeten Beifall selbst bei Stellen, die Ihnen sonst gar nicht so naheliegen, wie z. B. bei dem Schlagwort von Herrn Dr. Heinemann, daß Christus nicht gegen Karl Marx, sondern für uns alle gestorben ist. So kann man die Dinge auch formulieren; aber wenn das der Ernst oder die Verantwortung ist — ich habe eine andere Vorstellung davon.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Das wissen wir!)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren, darf ich Ihnen einmal sagen, was nach meiner Überzeugung überhaupt der Kern dieser Debatte ist. Der Kern dieser Debatte und der Ausgangspunkt für jede Überlegung jedes verantwortlichen Deutschen, ganz gleich welcher Couleur, muß sein: zunächst einmal die Sicherheit in Freiheit für unsere 50 Millionen Menschen. Das ist der Ausgangspunkt von allem, denn ohne diese Sicherheit in Freiheit gibt es weder eine Wiedervereinigung noch einen sozialen und wirtschaftlichen Staat, wie wir ihn haben und wie Sie ihn mit genießen.
    Vor welchen Hintergrund stellt sich diese Sicherheitsfrage? Heute ist das Wort „makaber" gefallen. Makaber ist der Hintergrund, vor dem sich diese Dinge abspielen, der Hintergrund dieser Sicherheits-, Lebens- und Existenzfrage. Auf Blut und Tränen, auf Opfer und Zwangsmaßnahmen hat Rußland ein Rüstungspotential und ein Waffenarsenal errichtet, wie es die Weltgeschichte und die russische Geschichte niemals gesehen hat. Es hat in der letzten Zeit, um auf das eigene Volk, auf seine Satelliten und — vielleicht die große Spekulation — auf die USA einen entsprechenden Eindruck zu machen, noch das spektakuläre Schauspiel des Sputnik gegeben, um vielleicht diese Zweierkonferenz, die sie wollen — sie wollen ja gar nicht mit uns reden —
    Deutscher Bundestag — 1 Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1958 411
    Höcherl
    zu erzwingen, sich zu zweit auszusprechen und etwas auszuhandeln auf der Grundlage des gegenwärtigen Zustandes. Das war der eigentliche Sinn dieses Vorgangs.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Sicherheitsfrage geht ja nicht nur uns, sondern alle europäischen Staaten und Nachbarn an. Kein einziger europäischer Staat, er mag heißen wie er will, ist in der Lage, für seine eigene Sicherheit einzustehen. Wir wären auch zusammen, wenn wir selbst die letzten Opfer brächten — ob Sie dazu bereit sind, ob Sie überhaupt zu solchen Opfern bereit sind, weiß ich nicht —, dazu nicht in der Lage; die europäischen Staaten wären nicht einmal zusammen und gemeinschaftlich in der Lage, dieses Sicherheitsbedürfnis aus eigener Kraft zu befriedigen.
    Deswegen war es die Politik der Bundesregierung, in der Erkenntnis dieser schmerzlichen und schwierigen Lage, dieser technischen Entwicklung, die weit über alle Vorstellungen hinausgegangen ist, sich rechtzeitig bei derjenigen Macht umzusehen, bei der noch die Kraft, und eine vergleichbare Kraft, war, die eigene Sicherheit Europas und die Sicherheit auch Amerikas zu garantieren.
    Nun hat man die Interessen der europäischen Nationen und die Interessen Amerikas zusammenspannen und verbinden, kombinieren können. Und das war immer die Ausgangssituation. Echte Interessenverbindung, echte Interessenlage waren die Ausgangspunkte für haltbare und sichere Abkommen und sichere Vereinbarungen.
    Es wurde von mehreren Seiten wiederholt der Vorwurf geäußert, die Bundesregierung habe jedes Jahr gesagt: „Die Lage wird schwieriger, sie wird ernster", aber sie bringe es nicht fertig, uns aus diesen Schwierigkeiten herauszubringen, und sie habe nichts geleistet. — Meine lieben Freunde, wer diese Sicherheit einem Staat in so gefährdeter Lage in einer solchen Weise verschafft, der hat sich meines Erachtens um diese 50 Millionen Menschen, um uns alle verdient gemacht!
    Das ist der wirkliche Tatbestand. Das alles wird aber vergessen, es ist vorbei, es ist eine Selbstverständlichkeit, und es werden Pläne geschmiedet. Dieses Sandkastenspiel mit außenpolitischen Plänen, das hier getrieben wird, nimmt nicht die Rücksicht und hat nicht das Verständnis für diese 50 Millionen Menschen, die ruhig, zufrieden und sicher leben wollen. Das allein ist die entscheidende Lebensfrage, auf die es ankommt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Herr Schmidt, der sich den beiden Vorrednern, dem Herrn Heinemann und dem Herrn Dr. Dehler, angeschlossen hat, meint, wir hätten kein eindeutiges Nein zu der atomaren Bewaffnung gesagt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie selber an der Regierung wären und man Ihnen eine Frage vorlegen würde, die überhaupt nicht aktuell ist, überhaupt nicht zur Debatte steht — was würden Sie denn sagen? Würden Sie vorzeitig im Rahmen Ihrer Regierungsarbeit eine Antwort erteilen — ja
    oder nein? Sie dürften es nicht, wenn Sie echte Interessenwahrer Ihres Volkes wären und Ihre Regierungsarbeit mustergültig auffassen würden.
    Herrn Dr. Dehler, hat der Herr Schmidt erklärt, sei kein einziger Punkt widerlegt worden. — Seine ganze Rede ist — wie es von mir noch an einzelnen Punkten nachgewiesen worden ist,

    (Abg. Wehner: 150 % haben Sie widerlegt!)

    nichts anderes als die Ausgeburt eines unauslöschlichen Hasses gegenüber einem einzigen Mann.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Herr Schmidt brachte es fertig, zu sagen, die Methoden der CDU und CSU denaturierten das Parlament. — Was sich heute mit diesen beiden Rednern abgespielt hat, das ist eine Denaturierung des Parlaments!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Diese beiden Redner brauchen auf diese parlamentarische Leistung nicht stolz zu sein. Wir müssen vieles tun, um diesen Verlust an Ansehen und Würde im Parlament wieder aufzuholen, den diese zwei Männer verschuldet haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

    Zum Schluß, meine Damen und Herren, ein recht ernstes Wort. Die Fragen der Sicherheit sind nicht nur eine Sache der Regierung, sondern auch eine Sache des ganzen Parlaments, wenn die Definition der repräsentativen Demokratie, wie sie Herr Professor Schmid gegeben hat, richtig ist, und sie ist zweifellos richtig. Alle zusammen drückt uns die Verantwortung. Gemeinsam haben wir sie zu tragen. Sie dürfen nicht glauben, daß es Ihnen verstattet ist, entgegen dem Interesse unseres Volkes, dieser 50 Millionen Menschen, und entgegen einer echt gewollten Wiedervereinigung so leichtfertige Behauptungen, die uns im Inland und noch mehr im Ausland schädigen, aufzustellen, wie sie z. B. auch Herr Dr. Maier vorgebracht hat, der im Rahmen seiner geschichtlichen Ausführungen z. B. erklärt hat, wir müßten uns „desdullesionieren". Ein sehr gefährliches Wort! Ich halte es schlechterdings für staatsabträglich, wenn wir in unserer Situation uns mit so leichtfertig hingeworfenen Formulierungen an einer Person vergreifen, die uns seit Jahren in unermüdlicher Arbeit im Eintreten für die Wiedervereinigung politisch und wirtschaftlich Unterstützung zukommen läßt. Wenn das der Dank ist — und die Dankbarkeit ist ein wesentlicher Faktor auch im politischen Leben —, dann, glaube ich, wäre eine sehr, sehr schlimme Periode eingeleitet.
    Dasselbe gilt für die Frage der NATO. Kaum ist die Tinte trocken, kommen Leute daher, die selber diesen Federzug geführt haben: Nein, wir wollen diesen Vertrag ändern. Wir sind darauf bedacht, durch Vertragsehrlichkeit — und so hat es die Bundesregierung acht Jahre hindurch gemacht — unser Ansehen wiederherzustellen, und bei dieser Methode bleiben wir im Interesse der Regierung, im Interesse des Volkes und im Interesse der Wiedervereinigung, die nur durch Vertragstreue und
    412 Deutscher Bundestag — 3, Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1958
    Höcherl
    durch Hilfe unserer Freunde möglich ist, aus eigener Kraft aber ebensowenig wie unsere eigene Sicherheit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der DP.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Abgeordneter Erler hat das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Fritz Erler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Natürlich müssen ernste Fragen — und um solche geht es — auch mit dem gebührenden Ernst behandelt werden. Aber ich habe mir sagen lassen, daß ihr Heimatland, Herr Kollege Höcherl, eigentlich ein recht humorbegabtes Land ist. Deswegen war ich sehr erstaunt über Ihre Reaktion auf einen wohlgelungenen und nicht einmal allzu bösartigen Zwischenruf.

    (Abg. Kiesinger: Dabei hat die CSU in Bayern so gut abgeschnitten!)

    Ich fürchte, der „Orden wider den tierischen Ernst"
    wird Ihnen in diesem Jahre kaum verliehen werden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ist schon vergeben!)

    Doch nun zu einigen Punkten, die Sie in Ihren Schlußausführungen noch behandelt haben. Es hat heute — und niemand von uns wird sich dem starken Eindruck dieser Ausführungen entziehen; das ist ja auch der Grund, warum wir zu so später Stunde noch beisammensitzen — einige sicher für manche Persönlichkeiten peinliche interne Darstellungen aus der Geschichte der Politik der jüngsten Jahre der Bundesrepublik Deutschland gegeben. Nun sind wir hier vom Kollegen Höcherl beschworen worden, wir sollten es doch etwa mit dem Carlyleschen Essay über Helden und Heldenverehrung und das Heldische in der Geschichte halten und die Forschung dann, wenn es sich um einen solchen Helden handle, nicht im einzelnen allzu sehr betreiben.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Ich kann diese Auffassung nicht ganz teilen. Verehrter Kollege Höcherl, sicher verlangen die Würde des Amtes und das Alter den gebührenden Respekt; aber die Wahrheit macht weder vor der Würde des Alters noch vor der Würde des Amtes halt,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    sondern folgt ihren eigenen Gesetzen und muß ihnen folgen.
    Meine Damen und Herren, wir können hier nicht einfach mit allgemeinen Erklärungen zu ganz konkreten Tatbeständen Stellung nehmen, sondern ich möchte doch wohl meinen, daß, wenn wir diesen Dingen auf den Grund gehen und wissen wollen, wie es z. B. damals mit der Bindungsklausel gewesen ist, niemand anders dem deutschen Volk darüber an Hand der einzelnen Sätze Aufschluß geben kann als der Bundeskanzler Dr. Adenauer. Wer soll uns denn das sonst sagen können?
    In den Schlußbemerkungen ist davor gewarnt worden, ein Vertragswerk, kaum daß die Tinte trocken sei, hier sogar von denen, die daran mitgearbeitet hätten, in Zweifel zu ziehen. Bei vielen, die damals an der Ausarbeitung ursprünglich des EVG-Vertrages und später der Pariser Verträge mitgewirkt haben — ich gehöre gar nicht zu ihnen —, ist die Vorstellung mit vorhanden gewesen, daß es sich bei diesen Verträgen nicht um einen Selbstzweck handelte, sondern um ein Mittel zu einem bestimmten Zweck. So muß man wohl das deuten, was Kollege Kiesinger hier gesagt hat. Die einen meinten, die Sicherheit der Bundesrepublik — das sagen Sie — stehe dabei im Vordergrund. Aber viele andere sagten doch, daß darüber hinaus diese Verträge auch ein Mittel seien, das als diplomatische Münze eingesetzt werden könne, um die Wiedervereinigung unseres Landes zu erreichen. Und sehen Sie: sobald wir diese Verträge auf alle Fälle nach unseren eigenen Vorstellungen für das wiedervereinigte Deutschland, das die Freiheit haben müsse, sich dafür zu entscheiden, sakrosankt sprechen, verlieren sie diesen Charakter. Sie können nicht ein Ziel erlangen, eine Ware bekommen, wenn Sie gleichzeitig feierlich versichern, daß Sie das Geld dafür auch behalten wollen. Das geht nicht. Da muß man sich dann einmal entscheiden, und an dieser Entscheidung kommen wir nicht vorbei.
    Kollege Kiesinger ist wenigstens bereit, sich einmal zu entscheiden. Er sagt nur, der Tag sei noch nicht gekommen.

    (Abg. Kiesinger: Vor allen Dingen wollen die Russen nicht!)

    — Aber ein Großteil Ihrer Freunde, Kollege Kiesinger — das hat die Debatte heute bewiesen —, ist überhaupt nicht, ist nie und zu keiner Stunde bereit, eine solche Entscheidung zu fällen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Hier ist der Vorwurf erhoben worden, man schenke auf manchen Seiten dieses Hauses sowjetischen Angeboten ein übergroßes Maß an Glaubwürdigkeit. Nun, sowjetische Noten teilen manches mit dem, was Talleyrand von diplomatischen Schriftstücken und Akten einmal behauptet hat: mancher Gedanke wird darin sicher nur verborgen, verhüllt, anders dargestellt, aber manches findet darin auch einen sehr klaren Ausdruck. Und lange genug hat man Noten der anderen Seite einfach in den Wind geschlagen. Haben wir nicht bitter dafür bezahlen müssen? Was wir uns vornehmen müßten, ist doch das Minimum, nämlich sie in Zukunft ernster zu prüfen als bisher. Hier ist von der Note von 1952 gesprochen worden. Gut, es mögen alle möglichen zusätzlichen Forderungen und Bedingungen der Sowjets über das hinaus, was vorhin hier vom Kollegen Heinemann vorgetragen worden ist, in der Note enthalten gewesen sein — das mit dem Verbot der Parteien z. B. steht gar nicht darin; das haben Sie bloß hineininterpretiert; das müssen Sie noch einmal nachlesen; der Kommentar auf unserer Seite ersetzt la nicht den Wortlaut —, aber selbst wenn das stimmt, so war andererseits dort auch so viel an interessanten Punkten für uns

    Erler
    darin, daß es eine nationale Pflicht gewesen wäre, diese Stunde nicht einfach ungenutzt und die Note nicht ungeprüft vorbeigehen zu lassen.

    (Beifall bei ,der SPD.)

    Das ist das, was man zu dieser alten Sache noch einmal sagen muß, obwohl ja leider diese Diskussion etwas Unfruchtbares an sich trägt; denn diese Chance ist vertan. Worauf es ankommt, ist aber, daß wir nicht künftig in ähnlichen Situationen —und eine solche steht bei der Prüfung des RapackiPlans wiederum vor uns — in den gleichen Fehler verfallen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Man sollte nicht denselben Fehler zweimal begehen.
    Dann ist hier das Wort von der Sicherheit für die 50 Millionen gefallen. Auch da scheiden sich unsere Auffassungen. Sicherheit für diese 50 Millionen gibt es nach meiner Überzeugung überhaupt nicht.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Solange Deutschland gespalten ist, solange uns die politischen Risiken aus dieser Spaltung jederzeit in eine Auseinandersetzung hineinreißen können, solange dann dieses Land dazu noch von beiden Seiten zum atomaren Pulverfaß gemacht wird und die sowjetischen Truppen ihre ersten Ausgangspositionen im Thüringer Wald haben, solange ist die Sicherheit für die 50 Millionen dieser Bundesrepublik ein Traum und keine Realität.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der Kampf für die deutsche Wiedervereinigung ist kein Kampf, dem man den Verlust der Sicherheit gegenüberstellen kann, sondern der einzige Weg, um überhaupt zu Sicherheit für unser Volk zu kommen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Als letztes danke ich dem Kollegen Höcherl für die Bestätigung der Zweifel, die wir zu den Erklärungen der Bundesrepublik zu dem Fortbestand des Verzichts geäußert haben, der in den WEU-Verträgen ausgesprochen worden ist, daß die Bundesrepublik Deutschland keine ABC-Waffen herstellen wolle. Ich habe gefragt, ob ,die Unterschrift nicht nur heute, sondern auch morgen gilt. Diese Unterschrift ist nicht schneller und nicht später trocken als die unter dem Atlantikvertrag, und heute ist sie von Ihnen in Zweifel gezogen worden. Denn uns ist gesagt worden, für die Zukunft könne man sich nicht festlegen. Wir sind gewarnt.

    (Beifall bei der SPD.)