Rede von
Hermann
Höcherl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Dr. Dehler, ich habe erklärt, Sie haben zum Rapacki-Plan Äußerungen gemacht und zum Jahr 1952 haben Sie eine Legende dargestellt. Ich will Ihnen das auch beweisen. Sie haben zu dem Vorgang von 1952, den Sie und Herr Dr. Heinemann zum Mittelpunkt Ihrer Ausführungen hinsichtlich der angeblichen Unglaubwürdigkeit der Bundesregierung gemacht haben, erklärt, damals sei ein Angebot von Sowjetrußland gekommen, eine einmalige Chance, die verludert worden sei. Das waren Ihre Äußerungen. Jetzt will ich Ihnen einmal sagen, wie dieses Angebot gelautet hat.
Dieses Angebot stieß hinein in die damals laufenden EVG-Verhandlungen und enthielt u. a. folgende sowjetische Forderungen: erstens Neutralisierung Deutschlands; zweitens Anerkennung des Potsdamer Abkommens; drittens Anerkennung der Oder-NeißeLinie;
viertens Verbot aller politischen Parteien, die von der Sowjetunion nicht ausdrücklich als demokratisch anerkannt werden; fünftens Verbot aller Organisationen, die nach sowjetischer Terminologie friedensfeindlich, militaristisch oder nazistisch sind. Das weitere Procedere sah vor, daß ein Friedensvertrag vorbereitet werden solle. Über die Frage des Zeitpunkts und die Modalitäten der Bildung einer gesamtdeutschen Regierung sowie über freie Wahlen
war darin kein Wort enthalten. Das war das „einmalige geschichtliche Angebot", das damals „versäumt" worden ist und dem man nicht stattgegeben hat. Ich sage: zu Recht nicht stattgegeben hat. Das wäre der Anfang vom Ende gewesen.
Dann wurden hier große Ausführungen über unsere „Politik der Stärke" gemacht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wo ist denn die Politik der Stärke zu Hause? Wo erreicht sie in der Gegenwart ihren Höhepunkt, ihren Scheitelpunkt?
— Der Zwischenrufer kommt sich außerordentlich humorvoll vor. Mir sind die Dinge viel zu ernst, als daß ich auf eine solche Art von Zwischenrufen überhaupt antworten möchte. Mit solchen Methoden kommen Sie nicht weit. Es steht Ihnen gut an, wenn Sie den Ernst bewahren, den Sie in der Öffentlichkeit und hier im Plenum in Anspruch nehmen, und wenn Sie sich auch in der Debatte so verhalten.
Es war interessant, zu beobachten, als die beiden, Herr Dr. Dehler und Herr Dr. Heinemann, antraten. Sie, meine Herren von der SPD, hatten ursprünglich etwas Hemmungen. Aber Sie vermochten dann allmählich einen taktischen Vorteil darin zu sehen und spendeten Beifall selbst bei Stellen, die Ihnen sonst gar nicht so naheliegen, wie z. B. bei dem Schlagwort von Herrn Dr. Heinemann, daß Christus nicht gegen Karl Marx, sondern für uns alle gestorben ist. So kann man die Dinge auch formulieren; aber wenn das der Ernst oder die Verantwortung ist — ich habe eine andere Vorstellung davon.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, darf ich Ihnen einmal sagen, was nach meiner Überzeugung überhaupt der Kern dieser Debatte ist. Der Kern dieser Debatte und der Ausgangspunkt für jede Überlegung jedes verantwortlichen Deutschen, ganz gleich welcher Couleur, muß sein: zunächst einmal die Sicherheit in Freiheit für unsere 50 Millionen Menschen. Das ist der Ausgangspunkt von allem, denn ohne diese Sicherheit in Freiheit gibt es weder eine Wiedervereinigung noch einen sozialen und wirtschaftlichen Staat, wie wir ihn haben und wie Sie ihn mit genießen.
Vor welchen Hintergrund stellt sich diese Sicherheitsfrage? Heute ist das Wort „makaber" gefallen. Makaber ist der Hintergrund, vor dem sich diese Dinge abspielen, der Hintergrund dieser Sicherheits-, Lebens- und Existenzfrage. Auf Blut und Tränen, auf Opfer und Zwangsmaßnahmen hat Rußland ein Rüstungspotential und ein Waffenarsenal errichtet, wie es die Weltgeschichte und die russische Geschichte niemals gesehen hat. Es hat in der letzten Zeit, um auf das eigene Volk, auf seine Satelliten und — vielleicht die große Spekulation — auf die USA einen entsprechenden Eindruck zu machen, noch das spektakuläre Schauspiel des Sputnik gegeben, um vielleicht diese Zweierkonferenz, die sie wollen — sie wollen ja gar nicht mit uns reden —
Deutscher Bundestag — 1 Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1958 411
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zu erzwingen, sich zu zweit auszusprechen und etwas auszuhandeln auf der Grundlage des gegenwärtigen Zustandes. Das war der eigentliche Sinn dieses Vorgangs.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Sicherheitsfrage geht ja nicht nur uns, sondern alle europäischen Staaten und Nachbarn an. Kein einziger europäischer Staat, er mag heißen wie er will, ist in der Lage, für seine eigene Sicherheit einzustehen. Wir wären auch zusammen, wenn wir selbst die letzten Opfer brächten — ob Sie dazu bereit sind, ob Sie überhaupt zu solchen Opfern bereit sind, weiß ich nicht —, dazu nicht in der Lage; die europäischen Staaten wären nicht einmal zusammen und gemeinschaftlich in der Lage, dieses Sicherheitsbedürfnis aus eigener Kraft zu befriedigen.
Deswegen war es die Politik der Bundesregierung, in der Erkenntnis dieser schmerzlichen und schwierigen Lage, dieser technischen Entwicklung, die weit über alle Vorstellungen hinausgegangen ist, sich rechtzeitig bei derjenigen Macht umzusehen, bei der noch die Kraft, und eine vergleichbare Kraft, war, die eigene Sicherheit Europas und die Sicherheit auch Amerikas zu garantieren.
Nun hat man die Interessen der europäischen Nationen und die Interessen Amerikas zusammenspannen und verbinden, kombinieren können. Und das war immer die Ausgangssituation. Echte Interessenverbindung, echte Interessenlage waren die Ausgangspunkte für haltbare und sichere Abkommen und sichere Vereinbarungen.
Es wurde von mehreren Seiten wiederholt der Vorwurf geäußert, die Bundesregierung habe jedes Jahr gesagt: „Die Lage wird schwieriger, sie wird ernster", aber sie bringe es nicht fertig, uns aus diesen Schwierigkeiten herauszubringen, und sie habe nichts geleistet. — Meine lieben Freunde, wer diese Sicherheit einem Staat in so gefährdeter Lage in einer solchen Weise verschafft, der hat sich meines Erachtens um diese 50 Millionen Menschen, um uns alle verdient gemacht!
Das ist der wirkliche Tatbestand. Das alles wird aber vergessen, es ist vorbei, es ist eine Selbstverständlichkeit, und es werden Pläne geschmiedet. Dieses Sandkastenspiel mit außenpolitischen Plänen, das hier getrieben wird, nimmt nicht die Rücksicht und hat nicht das Verständnis für diese 50 Millionen Menschen, die ruhig, zufrieden und sicher leben wollen. Das allein ist die entscheidende Lebensfrage, auf die es ankommt.
Herr Schmidt, der sich den beiden Vorrednern, dem Herrn Heinemann und dem Herrn Dr. Dehler, angeschlossen hat, meint, wir hätten kein eindeutiges Nein zu der atomaren Bewaffnung gesagt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie selber an der Regierung wären und man Ihnen eine Frage vorlegen würde, die überhaupt nicht aktuell ist, überhaupt nicht zur Debatte steht — was würden Sie denn sagen? Würden Sie vorzeitig im Rahmen Ihrer Regierungsarbeit eine Antwort erteilen — ja
oder nein? Sie dürften es nicht, wenn Sie echte Interessenwahrer Ihres Volkes wären und Ihre Regierungsarbeit mustergültig auffassen würden.
Herrn Dr. Dehler, hat der Herr Schmidt erklärt, sei kein einziger Punkt widerlegt worden. — Seine ganze Rede ist — wie es von mir noch an einzelnen Punkten nachgewiesen worden ist,
nichts anderes als die Ausgeburt eines unauslöschlichen Hasses gegenüber einem einzigen Mann.
Herr Schmidt brachte es fertig, zu sagen, die Methoden der CDU und CSU denaturierten das Parlament. — Was sich heute mit diesen beiden Rednern abgespielt hat, das ist eine Denaturierung des Parlaments!
Diese beiden Redner brauchen auf diese parlamentarische Leistung nicht stolz zu sein. Wir müssen vieles tun, um diesen Verlust an Ansehen und Würde im Parlament wieder aufzuholen, den diese zwei Männer verschuldet haben.
Zum Schluß, meine Damen und Herren, ein recht ernstes Wort. Die Fragen der Sicherheit sind nicht nur eine Sache der Regierung, sondern auch eine Sache des ganzen Parlaments, wenn die Definition der repräsentativen Demokratie, wie sie Herr Professor Schmid gegeben hat, richtig ist, und sie ist zweifellos richtig. Alle zusammen drückt uns die Verantwortung. Gemeinsam haben wir sie zu tragen. Sie dürfen nicht glauben, daß es Ihnen verstattet ist, entgegen dem Interesse unseres Volkes, dieser 50 Millionen Menschen, und entgegen einer echt gewollten Wiedervereinigung so leichtfertige Behauptungen, die uns im Inland und noch mehr im Ausland schädigen, aufzustellen, wie sie z. B. auch Herr Dr. Maier vorgebracht hat, der im Rahmen seiner geschichtlichen Ausführungen z. B. erklärt hat, wir müßten uns „desdullesionieren". Ein sehr gefährliches Wort! Ich halte es schlechterdings für staatsabträglich, wenn wir in unserer Situation uns mit so leichtfertig hingeworfenen Formulierungen an einer Person vergreifen, die uns seit Jahren in unermüdlicher Arbeit im Eintreten für die Wiedervereinigung politisch und wirtschaftlich Unterstützung zukommen läßt. Wenn das der Dank ist — und die Dankbarkeit ist ein wesentlicher Faktor auch im politischen Leben —, dann, glaube ich, wäre eine sehr, sehr schlimme Periode eingeleitet.
Dasselbe gilt für die Frage der NATO. Kaum ist die Tinte trocken, kommen Leute daher, die selber diesen Federzug geführt haben: Nein, wir wollen diesen Vertrag ändern. Wir sind darauf bedacht, durch Vertragsehrlichkeit — und so hat es die Bundesregierung acht Jahre hindurch gemacht — unser Ansehen wiederherzustellen, und bei dieser Methode bleiben wir im Interesse der Regierung, im Interesse des Volkes und im Interesse der Wiedervereinigung, die nur durch Vertragstreue und
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durch Hilfe unserer Freunde möglich ist, aus eigener Kraft aber ebensowenig wie unsere eigene Sicherheit.