Rede von
Fritz
Erler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Natürlich müssen ernste Fragen — und um solche geht es — auch mit dem gebührenden Ernst behandelt werden. Aber ich habe mir sagen lassen, daß ihr Heimatland, Herr Kollege Höcherl, eigentlich ein recht humorbegabtes Land ist. Deswegen war ich sehr erstaunt über Ihre Reaktion auf einen wohlgelungenen und nicht einmal allzu bösartigen Zwischenruf.
Ich fürchte, der „Orden wider den tierischen Ernst"
wird Ihnen in diesem Jahre kaum verliehen werden.
Doch nun zu einigen Punkten, die Sie in Ihren Schlußausführungen noch behandelt haben. Es hat heute — und niemand von uns wird sich dem starken Eindruck dieser Ausführungen entziehen; das ist ja auch der Grund, warum wir zu so später Stunde noch beisammensitzen — einige sicher für manche Persönlichkeiten peinliche interne Darstellungen aus der Geschichte der Politik der jüngsten Jahre der Bundesrepublik Deutschland gegeben. Nun sind wir hier vom Kollegen Höcherl beschworen worden, wir sollten es doch etwa mit dem Carlyleschen Essay über Helden und Heldenverehrung und das Heldische in der Geschichte halten und die Forschung dann, wenn es sich um einen solchen Helden handle, nicht im einzelnen allzu sehr betreiben.
Ich kann diese Auffassung nicht ganz teilen. Verehrter Kollege Höcherl, sicher verlangen die Würde des Amtes und das Alter den gebührenden Respekt; aber die Wahrheit macht weder vor der Würde des Alters noch vor der Würde des Amtes halt,
sondern folgt ihren eigenen Gesetzen und muß ihnen folgen.
Meine Damen und Herren, wir können hier nicht einfach mit allgemeinen Erklärungen zu ganz konkreten Tatbeständen Stellung nehmen, sondern ich möchte doch wohl meinen, daß, wenn wir diesen Dingen auf den Grund gehen und wissen wollen, wie es z. B. damals mit der Bindungsklausel gewesen ist, niemand anders dem deutschen Volk darüber an Hand der einzelnen Sätze Aufschluß geben kann als der Bundeskanzler Dr. Adenauer. Wer soll uns denn das sonst sagen können?
In den Schlußbemerkungen ist davor gewarnt worden, ein Vertragswerk, kaum daß die Tinte trocken sei, hier sogar von denen, die daran mitgearbeitet hätten, in Zweifel zu ziehen. Bei vielen, die damals an der Ausarbeitung ursprünglich des EVG-Vertrages und später der Pariser Verträge mitgewirkt haben — ich gehöre gar nicht zu ihnen —, ist die Vorstellung mit vorhanden gewesen, daß es sich bei diesen Verträgen nicht um einen Selbstzweck handelte, sondern um ein Mittel zu einem bestimmten Zweck. So muß man wohl das deuten, was Kollege Kiesinger hier gesagt hat. Die einen meinten, die Sicherheit der Bundesrepublik — das sagen Sie — stehe dabei im Vordergrund. Aber viele andere sagten doch, daß darüber hinaus diese Verträge auch ein Mittel seien, das als diplomatische Münze eingesetzt werden könne, um die Wiedervereinigung unseres Landes zu erreichen. Und sehen Sie: sobald wir diese Verträge auf alle Fälle nach unseren eigenen Vorstellungen für das wiedervereinigte Deutschland, das die Freiheit haben müsse, sich dafür zu entscheiden, sakrosankt sprechen, verlieren sie diesen Charakter. Sie können nicht ein Ziel erlangen, eine Ware bekommen, wenn Sie gleichzeitig feierlich versichern, daß Sie das Geld dafür auch behalten wollen. Das geht nicht. Da muß man sich dann einmal entscheiden, und an dieser Entscheidung kommen wir nicht vorbei.
Kollege Kiesinger ist wenigstens bereit, sich einmal zu entscheiden. Er sagt nur, der Tag sei noch nicht gekommen.
— Aber ein Großteil Ihrer Freunde, Kollege Kiesinger — das hat die Debatte heute bewiesen —, ist überhaupt nicht, ist nie und zu keiner Stunde bereit, eine solche Entscheidung zu fällen.
Hier ist der Vorwurf erhoben worden, man schenke auf manchen Seiten dieses Hauses sowjetischen Angeboten ein übergroßes Maß an Glaubwürdigkeit. Nun, sowjetische Noten teilen manches mit dem, was Talleyrand von diplomatischen Schriftstücken und Akten einmal behauptet hat: mancher Gedanke wird darin sicher nur verborgen, verhüllt, anders dargestellt, aber manches findet darin auch einen sehr klaren Ausdruck. Und lange genug hat man Noten der anderen Seite einfach in den Wind geschlagen. Haben wir nicht bitter dafür bezahlen müssen? Was wir uns vornehmen müßten, ist doch das Minimum, nämlich sie in Zukunft ernster zu prüfen als bisher. Hier ist von der Note von 1952 gesprochen worden. Gut, es mögen alle möglichen zusätzlichen Forderungen und Bedingungen der Sowjets über das hinaus, was vorhin hier vom Kollegen Heinemann vorgetragen worden ist, in der Note enthalten gewesen sein — das mit dem Verbot der Parteien z. B. steht gar nicht darin; das haben Sie bloß hineininterpretiert; das müssen Sie noch einmal nachlesen; der Kommentar auf unserer Seite ersetzt la nicht den Wortlaut —, aber selbst wenn das stimmt, so war andererseits dort auch so viel an interessanten Punkten für uns
Erler
darin, daß es eine nationale Pflicht gewesen wäre, diese Stunde nicht einfach ungenutzt und die Note nicht ungeprüft vorbeigehen zu lassen.
Das ist das, was man zu dieser alten Sache noch einmal sagen muß, obwohl ja leider diese Diskussion etwas Unfruchtbares an sich trägt; denn diese Chance ist vertan. Worauf es ankommt, ist aber, daß wir nicht künftig in ähnlichen Situationen —und eine solche steht bei der Prüfung des RapackiPlans wiederum vor uns — in den gleichen Fehler verfallen.
Man sollte nicht denselben Fehler zweimal begehen.
Dann ist hier das Wort von der Sicherheit für die 50 Millionen gefallen. Auch da scheiden sich unsere Auffassungen. Sicherheit für diese 50 Millionen gibt es nach meiner Überzeugung überhaupt nicht.
Solange Deutschland gespalten ist, solange uns die politischen Risiken aus dieser Spaltung jederzeit in eine Auseinandersetzung hineinreißen können, solange dann dieses Land dazu noch von beiden Seiten zum atomaren Pulverfaß gemacht wird und die sowjetischen Truppen ihre ersten Ausgangspositionen im Thüringer Wald haben, solange ist die Sicherheit für die 50 Millionen dieser Bundesrepublik ein Traum und keine Realität.
Der Kampf für die deutsche Wiedervereinigung ist kein Kampf, dem man den Verlust der Sicherheit gegenüberstellen kann, sondern der einzige Weg, um überhaupt zu Sicherheit für unser Volk zu kommen.
Als letztes danke ich dem Kollegen Höcherl für die Bestätigung der Zweifel, die wir zu den Erklärungen der Bundesrepublik zu dem Fortbestand des Verzichts geäußert haben, der in den WEU-Verträgen ausgesprochen worden ist, daß die Bundesrepublik Deutschland keine ABC-Waffen herstellen wolle. Ich habe gefragt, ob ,die Unterschrift nicht nur heute, sondern auch morgen gilt. Diese Unterschrift ist nicht schneller und nicht später trocken als die unter dem Atlantikvertrag, und heute ist sie von Ihnen in Zweifel gezogen worden. Denn uns ist gesagt worden, für die Zukunft könne man sich nicht festlegen. Wir sind gewarnt.