Rede von
Erich
Ollenhauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich bedaure das deshalb, weil wir alle eine gemeinsame Erfahrung haben, von der wir eigentlich annehmen sollten, daß sie uns gerade bei dieser Debatte noch vor Augen isst. Wir haben bei der Entscheidung über die Einbeziehung der Bundesrepublik in NATO hier die Frage der Rückwirkungen einer solchen Einbeziehung in die westliche Militärallianz für die Wiedervereinigung leidenschaftlich diskutiert. Wir haben damals die Meinung vertreten, man solle Warnungen der Sowjetunion in dieser Frage nicht auf die leichte Schulter nehmen, man solle hier nichts tun, um die Lage so zu verhärten, daß spätere Verhandlungen noch mehr erschwert würden. Sie haben anders entschieden, und Sie müssen doch zugeben, daß uns dieser Schritt der militärischen Aufrüstung der Bundesrepublik in NATO der Wiedervereinigung entgegen Ihrer Vorstellung nicht nähergebracht, sondern eher weiter von der Wiedervereinigung entfernt hat.
Sie sind bereit, in diesem Augenblick im Zusammenhang mit der atomaren Aufrüstung dieselbe, ich möchte sagen, nach meiner Überzeugung bedauerliche Fehlentscheidung zu fällen.
Ein letztes Wort zu zwei Punkten in bezug auf die Entscheidungen, die Sie offensichtlich getroffen haben. Sie sagen: Die Aufrüstung ist notwendig für die Sicherheit der Menschen in der Bundesrepublik. Gestatten Sie, daß ich gegenüber einer solchen Formulierung nach dem, was wir im Zusammenhang mit Ihrer bisherigen Aufrüstungspolitik erlebt haben, mehr als skeptisch bin. Sehen Sie, 'damals bei der ersten Entscheidung über EVG und später über die Pariser Verträge war Ihr Argument: Die Aufrüstung der Bundesrepublik wird die Chancen für die Wiedervereinigung vergrößern und die Sicherheit unseres Volkes in der Bundesrepublik erhöhen. Das war damals. Dann haben wir Argumente von Ihrer Seite gehört: Die Sicherheit der Bundesrepublik ist nur denkbar, wenn die Bundesrepublik auch exakt die zwölf
Divisionen aufstellt, die ursprünglich vorgesehen waren. Nächstes Argument: Es müssen mindestens 500 000 Mann sein. Nächstes Argument: Es geht nur mit einer Dienstzeit von 18 Monaten. Am nächsten Tag ging es mit 12 Monaten. Heute ist eine ganz andere militärorganisatorische und technische Lage. Alle Ihre Argumente, die Sie jeweils zur Verteidigung Ihres jeweiligen Standpunktes in solchen Fragen vorgebracht haben, haben sich als nicht stichhaltig erwiesen;
denn es ist tatsächlich so, daß ein größeres Maß von Sicherheit durch diese Aufrüstung nicht erreicht worden ist. Deswegen unsere Skepsis; noch in 'größerem Maße deshalb, weil wir uns nicht vorstellen können, daß dieser Weg, wenn ihn die Bundesrepublik, dieser Teil Deutschlands im Herzen Europas, ohne Rücksicht auf die Rückwirkungen auf den anderen Teil Deutschlands geht, zur Sicherheit und zum Frieden führen kann.
Unsere Sorge ist, daß wir mit der atomaren Aufrüstung der Bundeswehr und allen sich daraus ergebenden Konsequenzen einen Weg gehen, auf dem wir Gefahr laufen, nicht nur die Freiheit, von der immer die Rede war, sondern auch die nackte Existenz unseres Volkes zu verlieren und alle Aussichten für eine Wiedervereinigung unseres Vaterlandes ebenfalls in Schutt und Asche untergehen zu lassen.
Was wir wollen, ist keine Phantasie und keine Utopie, nicht mehr als das, daß wir uns darauf besinnen, daß wir in dieser Lage als Teil des deutschen Volkes mit dem anderen Teil in der Lage, in der er sich befindet, es als unsere Aufgabe ansehen sollten, nicht zuerst zu prüfen: welchen Beitrag können wir zur Politik der Stärke, sondern: welchen Beitrag können wir zur Politik der Entspannung und der Abrüstung leisten?