Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Herr Kollege Ollenhauer hat seine Ausführungen damit geschlossen, daß er gesagt hat, alle unsere Argumente, die wir bisher im Laufe der langen Jahre hier vorgetragen hätten, um unsere Sicherheit zu erhöhen, hätten sich als nicht stichhaltig erwiesen. Meine Damen und Herren, es ist zu spät, die Stunde ist zu weit vorgeschritten, als daß ich die ganze, ganze Liste der Fehlentscheidungen der Sozialdemokratischen Partei auf außenpolitischem Gebiete hier aufführen könnte.
Aber ich möchte noch etwas anderes ausführen. Ich fürchte, daß Herr Kollege Ollenhauer die ganze Situation unter einem nicht zutreffenden Aspekt sieht. Es handelt sich bei der gegenwärtigen Spannung in der Welt, Herr Kollege Ollenhauer, doch nicht um eine Spannung zwischen der Sowjetunion und uns.
Es handelt sich auch nicht um eine Spannung zwischen der Sowjetunion und Frankreich oder Italien
oder Benelux; denn wir alle zusammen, Herr Kollege Ollenhauer, sind gegenüber der Macht der Sowjetunion klein. Deswegen ist es auch gar nicht richtig, zu sagen, daß wir oder daß ich vom Standpunkt der Stärke aus sprächen. Nein, ich spreche nicht und habe niernals vom Standpunkt der Stärke aus gesprochen.
— Nun, dann lassen Sie es mich so ausdrücken: vom Standpunkt der Stärke der Bundesrepublik Deutschland aus gesprochen.
Das habe ich niemals getan; denn das wäre ja doch ein kompletter Irrsinn.
Meine Damen und Herren, die Dinge haben sich doch auf der Welt so zugespitzt, seitdem unter den ehemaligen Verbündeten und Siegermächten, insbesondere zwischen den beiden größten Mächten, der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten, diese Differenzen aufgetreten sind. Das ist doch der Kern des ganzen Unglücks. Und daß wir, Herr Ollenhauer, alles tun werden, was irgendwie möglich ist, um diese Spannung auszugleichen, das ist doch nichts anderes als einfach unsere Menschenpflicht, und dafür treten wir doch jederzeit mit ganzer Kraft ein. Aber sehen Sie, wie die Situation augenblicklich ist, Herr Kollege Ollenhauer: In London finden Verhandlungen über eine allgemeine kontrollierte Abrüstung statt. Ob diese Verhandlungen zum Erfolge führen werden, zunächst vielleicht zu einem kleineren Erfolg — denn es
wird, das ist mehrfach und nach meiner Meinung mit Recht gesagt worden, alles nur schrittweise gehen —, das kann zur Zeit keiner von uns beurteilen; wir können nur hoffen.
Aber davon bin ich fest überzeugt, Herr Kollege Ollenhauer, wenn jetzt die Bundesrepublik und andere Länder Westeuropas ihren bisherigen Standpunkt irgendwie wechselten, dann täten wir dem Frieden in der Welt den denkbar schlechtesten Dienst.
Sie werden das bezweifeln; es ist Ihr gutes Recht, das zu bezweifeln. Aber ebenso ist es ja auch unser Recht und mein Recht, den Versuch zu machen, Ihnen und der deutschen Öffentlichkeit klarzumachen, warum wir diese Politik treiben.
Sehen Sie, Herr Kollege Ollenhauer, kein Mensch, auch hier im Saale niemand, wird bezweifeln können, daß die Vereinigten Staaten zu einem Abkommen b e reit sind. Ich habe heute morgen schon gesagt, daß seit 1953 — ich habe es zählen und aufschreiben lassen — die Vereinigten Staaten Sowjetrußland 20 Abrüstungsvorschläge gemacht haben. Aber ebenso, glaube ich, werden wir doch bei völlig ruhiger Überlegung zu dem Ergebnis kommen, daß Sowjetrußland — ich will mich jetzt ganz vorsichtig ausdrücken — bei weitem nicht in dem Maße geneigt ist, einer kontrollierten allgemeinen Abrüstung zuzustimmen, wie das die Vereinigten Staaten sind.
Das ist die Situation, in der wir stehen. Und sollen wir denn nun in dieser Situation, meine Damen und Herren, dazu beitragen, daß die Sowjetunion in ihrer Hoffnung, schließlich im Wege der Ausdauer doch zu ihrem Ziele zu kommen, noch gestärkt wird?
Ich meine, das können wir vor niemandem in der
Welt verantworten. Und deswegen — im Gegensatz
zu Ihnen, ich habe es ja von Ihnen eben gehört
— bin ich der Auffassung, daß unsere Politik dem Frieden der Welt und der kontrollierten Abrüstung mehr dient, als wenn wir jetzt voreilige Beschlüsse fassen.
Wir haben heute — ich meine: namens der Bundesregierung — ausdrücklich erklärt, daß wir bereit sind, uns jedem dort geschlossenen Abrüstungsabkommen anzuschließen.
— Ja, jetzt sagen Sie: Das ist selbstverständlich.
Ja, meine Damen und Herren, ich sage ja, wir können aber doch nicht jetzt das andere sagen. Das können wir eben noch nicht tun, weil wir dann doch diejenige Weltmacht, die weniger geneigt ist als die andere Weltmacht, die Vereinigten Staaten, die Sowjetunion in ihrem Zögern — ich will mich sehr vorsichtig ausdrücken —, in ihrem Zögern, zuzustimmen, bestärken.
Noch ein Wort zu der Frage der atomaren Aufrüstung der Bundeswehr. Wenn man das hört, sollte man glauben, morgen oder übermorgen werde unsere ganze Bundeswehr mit Atomwaffen bis dort hinaus bewaffnet. Keine Silbe ist von einer solchen Vorstellung richtig. Die Frage ist überhaupt noch nicht spruchreif; sie hat sich noch gar nicht gestellt.
— Nein, meine Damen und Herren, und, verzeihen Sie, daß muß ich doch schließlich wissen.
— Meine Herren, nun lassen Sie uns doch mal in Ruhe miteinander sprechen. Es handelt sich doch wirklich um ein Problem, das so wichtig und so bedeutungsvoll für das gesamte deutsche Volk und für Europa ist, daß wir uns gegenseitig schulden, die Argumente in Ruhe anzuhören.
Ich wiederhole und sage das auch der deutschen Öffentlichkeit: Die Frage, ob wir Atomwaffen bekommen werden oder ob wir sie nicht bekommen werden, ist noch gar nicht spruchreif. Und sollen wir in diesem Augenblick, wo diese Frage gar nicht spruchreif ist, die erst in zwei, drei Jahren spruchreif sein wird, sollen wir da, während in London die Balance so ist, dieses Gewicht in die Waagschale der Sowjets legen?
So stellt sich die Frage. Ich bin allerdings, meine Damen und Herren, der Auffassung: Das dürfen wir nicht tun.
Das dürfen wir nicht tun, weil wir den Frieden retten wollen.
Denn Frieden in der Welt bekommen wir nur dann, wenn dort ein Abkommen geschlossen wird. Ich fürchte, es wird nicht geschlossen werden, wenn wir durch diese oder ähnliche Beschlüsse einfach den Sowjets zeigen, daß wir nicht mehr wie bisher bereit sind, uns im Falle des Angriffs zu verteidigen.
Ich weiß, daß ich Sie nicht überzeugt habe. (Zuruf von der SPD: Nein!)
— Ich wußte das von vornherein. Aber ich bitte Sie doch, meine Damen und Herren, die Worte, die ich gesagt habe, so entgegenzunehmen, wie ich sie zu Ihnen spreche: als die ehrliche Überzeugung eines Mannes, der es mit dem deutschen Volk und mit dem Frieden in der Welt genauso gut meint wie Sie.