Rede von
Robert
Margulies
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der Freien Demokraten möchte ich ihrer Befriedigung darüber Ausdruck geben, daß sich die Bundesregierung in der heutigen Regierungserklärung mit den Bedenken auseinandergesetzt hat, die wir in der Öffentlichkeit zum Plan einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft erhoben haben. Dieser Versuch ist nicht ganz vergeblich gewesen; mindestens in einem Punkte konnte eine Annäherung der gegensätzlichen Standpunkte erreicht werden. Freilich, alle Sorgen hat uns die Regierungserklärung nicht nehmen können, und leider konnten das natürlich auch nicht die Ausführungen meines sehr geehrten Herrn Vorredners, die ganz getragen waren von der gläubigen Hoffnung, die in der milden Bonner Luft so gut gedeiht: es wird schon alles gut gehen. Ich weiß aus 30jähriger Berufspraxis, daß in der harten, aber klaren Luft der internationalen Verträge handfeste Abmachungen doch eine sicherere Basis sind.
In einem Punkte, Herr Professor Furler, darf ich Ihnen aber zustimmen. Soweit Sie die europäischen Ziele, den Willen zu einer europäischen Gemeinschaft, den Willen zu einem größeren europäischen Markt bekundet haben, sind wir mit Ihnen und damit auch mit der Bundesregierung völlig einer Meinung. Nur sind wir von der Sorge erfüllt, daß dieses Ziel auf diesem Wege nicht erreicht werden kann.
— Ja, das kann man natürlich haben. Aber ich sagte schon: wir stützen uns lieber auf feste Abmachungen. Nach Lage der Dinge müssen wir voraussetzen, daß, wenn dieser Vertrag überhaupt das Ziel erreicht, das man sich mit ihm gesteckt hat, ein kleineuropäischer Wirtschaftsraum zusammenwächst, der sich durch Zollmauern nach außen abschirmt, daß es also in Zukunft zwei Sorten Europäer geben wird: die einen, die in der Zollunion sind, und die anderen, die draußen sind. Diese
Spaltung des derzeitigen europäischen Marktes sehen wir als die größte Gefahr an; das ist unsere Hauptsorge. Wenn wir Herrn Professor Erhard hören, werden unsere Sorgen nicht weniger. Was Herr Professor Erhard täglich zu diesem Thema von sich gibt, ließe eigentlich erwarten, daß er sich — mit „brutaler Gewalt" meinetwegen —
im Bundeskabinett oder in seiner Fraktion einmal durchsetzt. Ich bewundere aufrichtig die Elastizität, mit der er sich immer wieder vom Rednerpult auf den Sessel des durch Kabinettsbeschluß gebundenen Ministers begibt.
Hier handelt es sich doch urn ein wirtschaftliches Projekt. Das kann entweder richtig oder falsch sein; es ist keine Frage der Weltanschauung, der Konfession oder der Parteizugehörigkeit. Wenn Herr Professor Erhard aber sagt, es handle sich um einen volkswirtschaftlichen Unsinn — und ich bin bereit, mich seinem sachkundigen Urteil zu beugen —,
dann ist es eben falsch, und dann ist er uns doch die Erklärung schuldig, warum er uns empfiehlt, etwas Falsches zu tun. Denn das kann man nicht allein mit dem Glauben rechtfertigen.
Ich darf in diesem Zusammenhang Herrn Professor Röpke zitieren, der gesagt hat: „Es ist für einen Nationalökonomen schwer, ein guter Europäer zu sein und gleichzeitig den Ruf eines solchen zu haben." Meine Freunde und ich glauben aber, sich den Ruf, gute Europäer zu sein, verdient zu haben. Wir haben uns seinerzeit für den Europarat entschieden und seine Bemühungen hier im Hause jederzeit unterstützt. Wir haben für die Montanunion und für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft gestimmt, welch letztere leider nicht zustande kam, weil die guten Europäer in Europa leider nicht gleichmäßig verteilt sind.
Bei diesen Institutionen handelt es sich freilich nicht um vergleichbare Tatbestände, jedenfalls nicht um Tatbestände, die mit einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vergleichbar sind. Jeder Bereich hat eine gewisse Eigengesetzlichkeit. Man kann das eine auf einem dafür vielleicht besonders geeigneten Raum durchaus erfolgreich praktizieren, ohne daß der gleiche Raum für ein anderes Unternehmen geeignet sein muß. Oder präziser ausgedrückt: die Interessen, die in einer Montanunion der sechs Länder vereinigt sind, können durchaus erfolgreich verfolgt werden — ich kann über dieses Gebiet nicht sprechen —, aber das braucht noch lange nicht für eine wirtschaftliche Integration auf allen anderen Gebieten so zu sein. Man kann das jedenfalls nicht einfach im Analogieschluß unterstellen.
Solche Vergleiche, auch solche mit dem Zollverein, der uns einmal zu einer kleindeutschen Lösung geführt hat, sind immer gefährlich. Ich darf mich da auf das Wort eines großen Historikers beziehen, der gesagt hat: „Historische Analogien sind ein anmutiges Spiel, welches aber durchaus darauf beruht, daß ,die Bedingungen der einen oder beider Tatsachen nicht mit völliger Deutlichkeit erkannt werden."
Die Tatsachen, um die es sich hier handelt, können überhaupt noch nicht mit völliger Deutlichkeit erkannt worden sein, weil wir die Vertragstexte erst seit wenigen Tagen kennen. So wird die Entscheidung über die Verträge von uns ja auch erst mit der Vorlage des Ratifikationsgesetzes verlangt. Heute handelt es sich nur darum, zu den Absichten Stellung zu nehmen, die uns die Regierung mit ihrer Erklärung vorlegt. Das aber hätte sie schon viel früher tun sollen; denn dann hätten wir beizeiten Gelegenheit gehabt, hier zu den Absichten Stellung zu nehmen und zu sagen, wieweit wir bereit sind, den Vorschlägen zu folgen, wo wir Verbesserungen wünschen und wo wir aus unserer Verantwortung heraus glauben eine Grenze ziehen zu müssen.
Hoffen wir, daß es dazu heute noch nicht zu spät ist.
Es verträgt sich nicht mit unserer Vorstellung von der Würde dieses Hauses, wenn man sich die Vertragstexte von französischen Kollegen besorgen lassen muß.
Es ist auch nicht gut, wenn Spitzenorganisationen der Wirtschaft ihre Zustimmung schon geben müssen, bevor sie die Vereinbarungen überhaupt kennen.
Es wäre vielleicht für den Herrn Staatssekretär — wenn er einmal zuhören wollte —
der Überlegung wert, ob man nicht wenigstens
jetzt die Verträge schnellstens drucken und allen
Abgeordneten dieses Hauses zustellen sollte, damit
Debatten über diesen Punkt auf Grund fundierter
Kenntnis der Vertragstexte geführt werden können.
Doch, seit Freitag, soviel ich weiß.
Soweit die Regierung sich bemüht, einen größeren europäischen Markt zu schaffen, wollen wir ihr uneingeschränkt folgen. Wir sind immer Anhänger der OEEC gewesen. Zu dem, was hier vorhin Herr Professor Erhard ausgeführt hat, könnte ich eigentlich nur sagen, daß ich mich den Ausführungen dieses geehrten Herrn Vorredners anschließe. Wir haben immer die Bemühungen um die fortschreitende Liberalisierung gutgeheißen. Wir sind bereit, die angeglichene europäische Zollnomenklatur zu ratifizieren. Wir hätten sehr gern die Bestrebungen mitgetragen, durch allmählichen Abbau der Zölle zu einer europäischen Freihandelszone zu kommen.
Nachdem das französische Parlament bereits vor acht Wochen die Absichten der Regierung sechs Tage lang diskutierte, haben nun wir Gelegenheit, uns etwa ebenso viele Stunden mit der Angelegenheit zu befassen, reiner Angelegenheit, deren Tragweite sich auch jetzt noch gar nicht voll übersehen läßt und zu der wir uns deshalb die endgültige Entscheidung bis nach gründlichem Studium vorbehalten müssen. Wir werden aber die Sorge nicht los — ich muß das noch einmal sagen —, daß dieser Weg nicht richtig ist, daß es nicht der Weg ist, der uns nach Europa führt. Wenn der Vertrag wirklich das Ziel erreicht, das im Vertragstext gesetzt ist, bildet sich eine kleineuropäische Gemeinschaft; es wird also genau das erreicht, was auch die Bundes-
regierung ablehnt, und es wird die Gefahr heraufbeschworen, daß wir zu einer kleineuropäischen Autarkie kommen.
Die Mäglichkeit, davon loszukommen, ist zweifellos in der vorgesehenen Schaffung von Freihandelszonen gegeben. Auch wir würden es für richtig halten, wenn man sehr bald mit den übrigen OEEC-Staaten zum Freihandel käme und sich mit der Unterzeichnung des Vertrages über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft etwas mehr Zeit ließe, damit die Verträge gleichzeitig in Kraft treten können. Nach meiner Überzeugung könnten die Schwächen und Fehler dieses Vertragswerkes weitgehend gemildert werden durch das gleichzeitige Inkrafttreten von Verträgen über Freihandelszonen innerhalb der europäischen Staaten, die heute zum OEEC-Bereich gehören.
Wir müssen uns einmal .die gegenwärtige Situation vor Augen führen. Herr Professor Erhard hat vorhin schon die Entwicklung dargelegt. Wir haben etwa 25 % unseres Außenhandels mit den fünf Staaten, mit denen wir eine Europäsche Wirtschaftsgemeinschaft bilden wollen, etwa 30 % mit den übrigen OEEC-Staaten, und der Rest entfällt auf den Überseehandel. Der Überschuß im Außenhandel, der es uns ermöglicht, unser Defizit im Überseehandel zu bezahlen, fällt im Handel mit den übrigen OEEC-Staaten an. Hier sehen Sie die ganze Gefahr, in die wir uns hineinbegeben, wenn es nicht gelingt, gleichzeitig mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Freihandelszonen zu bekommen. Das ist einer der wichtigsten Punkte, und seine Regelung wird für uns für die Beurteilung des Vertrages von ausschlaggebender Bedeutung sein.
Ein großer Teil der Sorge, die sich an die Frage der Wiedervereinigung knüpft, ist für meine Begriffe behoben. Im Gegensatz zu Herrn Dr. Deist bin ich der Meinung, daß der Text des Protokolls nach der Richtung befriedigend ist. Man wird zwar dias ungute Gefühl nicht los, daß sich durch den Beitritt des einen Teils Deutschlands zu einer westeuropäischen Gemeinschaft die beiden Teile Deutschlands auseinanderentwickeln werden. Aber man wird auch nicht verkennen dürfen, daß der andere Teil Deutschlands bereits seit langem zu einer Ostwirtschaftsvereinigung, zu einem Ostwirtschaftsblock gehört. Wir würden es begrüßen, wenn es der Bundesregierung gelänge, die Feststellung noch zu präzisieren, daß der Waren- und Zahlungsverkehr zwischen den beiden Teilen Deutschlands eine rein innerdeutsche Angelegenheit bleibt, die vom Vertrag nicht berührt wird. Aber ich möchte doch anerkennen, daß das, was im Protokoll von der Bundesregierung zu diesem Punkte erreicht worden ist, unsere Bedenken weitgehend beseitigt hat.
Nun, meine Damen und Herren, zu der schon viel besprochenen Frage der überseeischen Gebiete. Auch hier muß man anerkennen, daß der zuständige Minister hartnäckig gegen das Projekt gekämpft hat, und es ist also — wie wir das gehört haben — erst in letzter Stunde von übergeordneter Stelle entschieden worden. Wir hätten gewünscht, daß der zuständige Minister die Sache hätte zu Ende führen können.
Leider ist es auch hier so, daß die besten Absichten in der Welt gar zu oft verkannt werden. Ich darf hier den gewiß unverdächtigen Präsidenten der Europa-Union, Herrn Friedländer, zitieren, der im „Hamburger Abendblatt" vom 23. Februar schrieb:
Es liegt nahe, daß in dieser Idee der beiden Kolonialmächte die Hoffnung enthalten ist, die eigenen afrikanischen Positionen zu stärken, nicht allein wirtschaftlich, sondern auch politisch. In Wahrheit ist eine klare Grenze zwischen sozialen, wirtschaftlichen, politischen Investitionen in Afrika überhaupt nicht zu ziehen. Politisch aber haben die anderen vier Vertragspartner dort nichts zu sagen. Wird die Hilfe gewährt, um damit Ruhe zu erkaufen, Ruhe für die Kolonialherrschaft, so ist alles vergeblich, weil dies doch nur ein mäßiger Versuch wäre, gegen den historischen Strom zu schwimmen.
Soweit Herr Friedländer.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie daran erinnern, daß die Motive zum Abschluß des IsraelAbkommens weiß Gott nirgendwo verkannt werden konnten, daß uns gleichwohl im arabischen Raum allerhand Schwierigkeiten daraus erwachsen sind, weil es uns eben nicht gelungen ist, diese Motive auch jedem deutlich zu machen. Ich fürchte sehr, daß auch die guten Motive, die wir hinsichtlich der Entwicklung der überseeischen Gebiete anführen könnten, draußen eben nicht ankommen, sondern daß man nur das Faktum sieht, daß wir die französische Kolonialpolitik unterstützen, mit der Konsequenz, daß man uns die Folgen der französischen Kolonialpolitik zur Last legt.
Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, diesen Anschein zu vermeiden, indem man die souveränen nordafrikanischen Staaten zu einer gleichberechtigten Mitarbeit heranzieht und damit den Verdacht ausräumt, daß man sich in Kolonialgedanken bewege. Ich habe aber leider in den Artikeln über die Institutionen nichts darüber gefunden, wie die Mitarbeit der souveränen nordafrikanischen Staaten sich vollziehen soll. Im Ministerrat ist jedenfalls kein Platz gelassen, in der Kommission auch nicht; im Parlament wird es vielleicht die geringsten Schwierigkeiten machen. — Aber immerhin würde mir dies ,als eine Möglichkeit erscheinen, den Verdacht abzuwehren, daß auch wir uns etwa kolonialen Gedankengängen bewegten.
Nun ist auch hier schon sehr viel davon gesprochen worden, wie die Institutionen arbeiten, und es war da immer von einer parlamentarischen Kontrolle die Rede. Meine Damen und Herren, das ist ein sehr ernster Punkt. Ich habe das Gefühl, bei Festlegung der Bestimmungen über die Institutionen dieser Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist geflissentlich dafür gesorgt worden, daß überhaupt keine parlamentarische Kontrolle vorhanden sein wird.
Das Recht der Versammlung ist derart eingeengt! Wenn Sie die Klauseln lesen, dann finden Sie, daß die Versammlung einmal im Jahre zusammentreten darf, um einen Bericht entgegenzunehmen, daß sie diesen Bericht kritisieren darf, aber eigentlich keinen Beschluß darüber fassen kann, es sei denn den mit qualifizierter Mehrheit zu fassenden Beschluß, der einer Revolution gleichkäme, die Kommission ablösen zu lassen. Ein solcher Ministersturz wäre annähernd mit einer Revolution zu vergleichen und müßte derart tiefführende Beweggründe haben, daß er jedenfalls nicht als Regel angesehen werden kann, also auch nicht als eine Möglichkeit der Einflußnahme.
Herr Furler hat vorhin von einem Budgetrecht gesprochen. Das gibt es leider auch nicht. Die Versammlung hat die Mäglichk den Haushalt der Europäischen Wirtschaftsgen einshaft zu prüfen und dem Ministerrat Vorschläge für eine Änderung zu unterbreiten, und der Ministerrat befindet dann darüber. Die Versammlung hat also für meine Begriffe gar nichts zu sagen.
Es wäre die Frage, inwieweit die nationalen Parlamente in dieser Sache ein Kontrollrecht ausüben können. Ein wenn auch beschränktes Kontrollrecht haben wir ja bei der Montanunion. Alle Zollvorlagen — allerdings sind sie dann schon in Kraft — werden hier im Parlament noch einmal verabschiedet. Es ist bis heute noch nicht vorgekommen, daß eine solche Zollvorlage abgelehnt worden ist. Wir können also nicht wissen, was in einem solchen Falle geschehen wird. In allen Fällen sind die Zölle, wenn wir hier darüber beschließen, schon lange Zeit in Kraft. Die einzige Kontrolle, die ich mir vorstellen kann, ist dann wieder die, daß wir den Beitrag zur Montanunion bei den Haushaltsberatungen zwar bewilligen, ihn aber einer Kritik unterziehen, oder ihn ablehnen.
Dann wurde uns gesagt — nicht heute, nicht hier im Hause, aber es wurde gesagt—,daß die Minister, die dem Ministerrat angehören, dem nationalen Parlament verantwortlich sind. Mit diesem Einwand wurde unser Bedenken beschwichtigt, zumal die französische Nationalversammlung, die eifersüchtig über ihre Rechte wacht, in diesem Punkte keine Einwendungen erhoben hat.
Aber, meine Damen und Herren, wir wissen doch, daß es bei uns eine Ministerverantwortlichkeit überhaupt nicht gibt. Wir können mit Hilfe ') des konstruktiven Mißtrauensvotums doch nur die ganze Regierung ablösen, ein Fall, der noch nicht vorgekommen ist, und auf den einzelnen Minister, der uns in dieser Versammlung vertritt, haben wir gar keinen Einfluß. Die Tatsache, daß der Bundesrat hier aus der Legislative ausgeschaltet worden ist, muß er selbst werten, und er wird das zu vertreten haben. Ihm brauchen wir, glaube ich, in dieser Hinsicht keine Ratschläge zu geben. Ich würde aber sehr gern von der Bundesregierung hören, wie sie diesem Mangel abzuhelfen gedenkt, zumal sie nach den Erklärungen nicht die Absicht hat, die parlamentarische Kontrolle 'auszuschalten. Ich bezweifle — ich habe vorhin schon darauf hingewiesen —, daß dieser Vertrag überhaupt zum Tragen kommt, daß das Ziel überhaupt erreicht werden wird. Herr Professor Erhard hat ja dieses Unternehmen als einen schwer gepanzerten Wagen mit zu kleinem Motor und überdimensionierten Bremsen bezeichnet,
womit er doch sagen wollte, daß es kaum möglich ist, mit der gefundenen Konstruktion, mit der Vielzahl von Ausweichklauseln und mit all dem, was darin verankert ist, das gewünschte Ziel überhaupt zu erreichen. Die schönste Formulierung, die ich dazu gehört habe, ist die, daß sich der Vertrag selbst im Wege stehe.
Das scheint mir weitgehend der Fall zu sein. Auch hier würde es nötig sein, in neuen Verhandlungen den Versuch zu machen, die schlimmsten Tücken auszuräumen, wenn überhaupt der Wille besteht, zu einer Gemeinsamkeit der Wirtschaft dieser sechs
Staaten zu kommen. Wenn Sie davon ausgehen, daß das Vertragsziel nur im Wege eines Anpassungsprozesses erreicht werden kann, indem sich die Produktion nach dem kostengünstigsten Standort hin verlagert, dann muß ich sagen: all die Klauseln des Vertrages, die für den Fall, daß der eine oder andere von diesem Verlagerungsprozeß betroffen wird, eine Hilfe vorsehen, sind doch ein Hindernis gegenüber diesem Anpassungsprozeß. Ich fürchte sehr, daß die Bremsen stärker sind als der Motor; denn wir haben so viel Schutzklauseln, Anpassungshilfen und Ausgleichskassen, die dem Anpassungsprozeß entgegenstehen, daß dadurch zum mindesten der Anpassungsprozeß entscheidend verlangsamt wird.
Die zweite Frage zu diesem Thema ist die Harmonisierung der Soziallasten. Auch hier muß ich anerkennen, daß es der Bundesregierung gelungen ist, die ursprüngliche Forderung entscheidend zu reduzieren. In den Vertrag selbst sind nur noch zwei Punkte aufgenommen, die wir glauben verkraften zu können. Aber in dem Vertragswerk steht doch auch der allgemeine Grundsatz, daß die Harmonisierung der Soziallasten im Laufe der Übergangszeit durchgeführt werden muß, und wir kennen doch die ursprüngliche Forderung. Das, was seinerzeit der Conseil Economique in Frankreich als Voraussetzung für das Zustandekommen des Vertrages gefordert hat, geht ja weit, weit über das hinaus, was jetzt im Augenblick zur Diskussion steht. Wir wissen auch, und zwar aus der französischen Parlamentsdebatte, daß die französische Regierung die Forderung jeweils bei jeder Etappe wieder anmelden wird und daß sie — und das ist ausgesprochen worden — die Zustimmung zum Weiterschreiten von der ersten zur zweiten Etappe und sicher auch von der zweiten zur dritten Etappe von unserem Willen abhängig machen wird, die viel weitergehenden sozialen Lasten, dieses ganze Gestrüpp von Sozialversicherungen, Beihilfen, Fürsorgen und dergleichen, das es heute in Frankreich gibt, zu übernehmen. Im Augenblick steht davon noch nichts im Vertrag, aber wir werden diesem Problem spätestens in vier Jahren nach dem Inkrafttreten der Verträge wieder begegnen. Und da ist dann doch die ernste Sorge berechtigt, ob hier nicht einfach durch die Addition der sehr viel höheren Soziallasten zu unseren sehr viel höheren Löhnen ein Kostenvorsprung für die französische Industrie geschaffen werden soll, der nun wiederum den gewünschten und als Ziel angesehenen Anpassungsprozeß verhindert.
Der dritte Punkt zu diesem Thema ist die Frage der Währungsrelationen. Auch das ist hier schon ausgiebig besprochen worden. Trotzdem muß ich noch einmal darauf hinweisen, daß ja die verzerrten Währungsrelationen das Hindernis sind, weshalb die OEEC mit ihren Bestrebungen nicht mehr weitergekommen ist.
Und dieses entscheidende Hindernis baut man jetzt in das neue Unternehmen ein. Man zementiert es dort nach dem Vertragstext. In der Debatte der französischen Nationalversammlung ist nämlich die beruhigende Erklärung abgegeben worden, daß man zwar alle Jahre mal darüber sprechen werde, wie man diese Dinge handhaben könne, daß aber doch im ganzen gesehen während der ganzen Dauer der Übergangszeit keine Möglichkeit bestehe, die Ausgleichsmaßnahmen, also die Einfuhrsteuern und
die Exportsubventionen, anzugreifen und sie ohne die Zustimmung der französischen Regierung abzubauen.
Meine Damen und Herren, ich würde über diese Sache gar nicht sprechen — sie wäre vielleicht gar nicht so furchtbar wichtig —, wenn sie nicht ein entscheidendes Hindernis für den Erfolg des Vertrages darstellte. Was hat es denn für einen Sinn, eine solche Sache in Gang zu setzen, wenn man von vornherein mit der großen Gefahr rechnen muß, daß die Opfer, die wir an sich für einen größeren europäischen Markt zu bringen bereit sind, womöglich vertan sind, daß sie gar nicht zur Geltung kommen können?
Ich habe bisher noch nicht darüber gesprochen, wie sich die ganze Sache auf die deutsche Wirtschaft auswirken wird. Wenn hier gesagt worden ist: die höheren Außenzölle werden keine Preissteigerung zur Folge haben, — also, meine Damen und Herren, das ist ein vergleichsweise einfaches Rechenexempel! Der Herr Staatssekretär hat dagegengehalten, daß im internen Verkehr der sechs Mächte durch den Zollabbau Preisermäßigungen eintreten können. Ich fürchte, das ist ein Irrtum; denn der Warenverkehr zwischen den sechs Staaten bezieht sich ganz überwiegend auf Agrarprodukte, die ja von einer Zollsenkung nicht betroffen werden, und auf Waren, die Verbrauchsteuern bzw. zur Zeit Finanzzöllen unterliegen, also ebenfalls von der Zollsenkung nicht betroffen werden.
Etwas anderes ist die Frage, ob sich nicht durch das Ausräumen der Zölle andere Warenströme ergeben, die wir im Augenblick noch nicht übersehen können. Aber davon kann man sich jedenfalls für den Moment auf Grund der vorliegenden Unterlagen eben noch keine Senkung der Preise versprechen, wohl aber umgekehrt von den Außenzöllen eine recht massive Erhöhung der Preise; denn wir müssen für etwa 70 % unseres derzeitigen Warenverkehrs etwa 60 % der Zölle, im Schnitt also 40 % unserer Zölle erheblich anheben.
Gewiß hat die Bundesregierung um diese Sache gekämpft, und sie hat nicht ohne Erfolg gekämpft; auch das müssen wir zugestehen. Aber das ändert doch auch nichts daran, daß bei uns der Trend, die Zölle zu senken und allmählich abzuschaffen, abgestoppt wird, daß wir mit dem Zollniveau nach draußen hinauf müssen — von den Konsequenzen gegenüber unseren Handelspartnern will ich jetzt noch gar nicht sprechen —, daß wir aber hier zu Preiserhöhungen kommen müssen, die sich vielleicht — jedenfalls nach vier Jahren — durch die höheren Soziallasten verstärken werden.
Wir müssen ja auch die französischen Kolonialprodukte zu einem sehr viel höheren Preis einführen, als sie am Weltmarkt gekauft werden können. Das läßt sich aus dem Vertrag im Moment noch gar nicht herauslesen, weil ja zunächst nur Generalklauseln über den Verkehr der Agrarprodukte beschlossen worden sind, die der Ministerrat erst mit Leben zu erfüllen hätte. Aber der Wille der französischen Regierung, unter allen Umständen das in ihren überseeischen Gebieten weit über den Weltmarktpreisen liegende Preisniveau für die Einfuhren nach Deutschland zugrunde zu legen, steht nun allerdings fest, und wir werden dem nach den Vertragsklauseln kaum ausweichen können.
Ich darf Sie auf die Auswirkung einer Klausel aufmerksam machen, die sich ganz harmlos liest.
Da steht, daß die Einfuhrländer künftig ihre im Inland geltenden Preise für die Einfuhren zugrunde legen werden. — Wir kaufen im Jahre 500 000 t Weizen von Frankreich, für die wir bisher den Weltmarktpreis bezahlt haben und für die wir künftig unseren hochgeschleusten Preis bezahlen müssen. Das macht eine Differenz von 80 Millionen Mark aus, die Herr Schäffer weniger an Abschöpfungsbeträgen in der Kasse haben wird. Mit dieser Summe werden wir also den französischen Weizenanbau subventionieren.
Gut, es ist kein ausschlaggebender Betrag; aber es ist e i n Artikel. Für die anderen kann ich es leider nicht ausrechnen. Von dem weiß ich's. So wird es noch eine ganze Menge Dinge geben, bei denen Preissteigerungen auf uns zukommen. Wir haben, glaube ich, die künftige Produktivitätssteigerung in Deutschland schon bis an die äußerste Grenze belastet. Dazu kommen nun die hier in dem Vertrag liegenden Lasten. Ob wir sie weiter mit Produktivitätssteigerungen auffangen können, wage ich zu bezweifeln. Ich würde gerne von der Bundesregierung hören, wie sie dieses Bedenken ausräumt. Aber einfach zu negieren und festzustellen: Aus Zollerhöhungen werden sich keine Preiserhöhungen ergeben, — so leicht kann man sich die Sache nicht machen!
Ich komme zu einem zweiten bedenklichen Punkt. Den Erfolg unserer Wirtschaft verdanken wir doch in erster Linie der wirtschaftlichen Auffassung — die der Herr Bundeswirtschaftsminister immer vertreten hat — der freien Marktwirtschaft, die ja das Ziel der Freien Demokraten ist. Der Erfolg liegt auf der Hand und wird kaum mehr bestritten. Nun nähern wir uns leider dem Ende der Marktwirtschaft; denn gerade das, was uns die Bundesregierung bei den Zöllen als Ausweichmöglichkeit preist — die Zollkontingente —, führt ja sofort zum Dirigismus. Da eine begrenzte Menge gegeben ist, stürzt sich alles auf diese Menge, und sofort haben Sie wieder Quoten und den ganzen Zirkus, den wir ja aus der Vergangenheit kennen. Es gibt im Vertrag so viele solche Vorschriften, daß ich nicht glauben kann, daß sich die freiheitliche Auffassung gegenüber der dirigistischen durchsetzen kann.
Die letzte Frage, die im Zusammenhang mit den Folgen dieses Unternehmens zu behandeln ist, ist die Frage der Abkehr vom Weltmarkt. Ich sagte vorhin schon, daß wir etwa 45 % unseres Außenhandels mit überseeischen Gebieten betreiben und daß wir in diesem Bereich leider mit etwa 3 Milliarden DM defizitär sind, daß wir also doch versuchen müßten, unser Gewicht etwas mehr in diesen Bereich — auch zur Entlastung des europäischen Marktes — hineinzuverlegen. Aber nach den nun getroffenen Abmachungen wird es mit dem Welthandel und mit der auch hier im Hause vorhin noch so gepriesenen Unterstützung der Entwicklungsländer ja dann wohl sein Ende haben; denn wenn wir den Großteil der Kolonialprodukte in den überseeischen Gebieten Frankreichs und Belgiens kaufen müssen und kaufen werden — denn das ist ja der Sinn dieser Zusammenarbeit —, dann wird für den Rest nicht mehr viel übrigbleiben.
Ich habe hier eine Reihe von Bedenken aufgezählt, und ich glaube, es sollte das Anliegen der Bundesregierung sein, diese Bedenken auszuräumen. Aber man kann das nicht einfach tun, indem
man von der Dynamik der Entwicklung spricht. Soviel Glauben an die Dynamik der Entwicklung habe ich nicht mehr, und ich will Ihnen auch sagen warum. Wir haben bei uns zu Hause — Herr Professor Furler kennt das genau — aus vier Ländern durch eine Volksabstimmung mit einer ausreichenden Mehrheit, aber gegen den Willen eines Teiles dieses Bereiches, ein einziges Gebilde geschaffen. Man hätte doch annehmen sollen, daß in den Jahren, die seitdem vergangen sind, ein Zusammenwachsen stattgefunden hätte, daß also die Dynamik der Entwicklung die Widerstände überwunden hätte. Aber ich sehe da leider nichts von Ergebnissen der Dynamik der Entwicklung. Es ist weder gelungen, zu einer vernünftigen Bezirkseinteilung zu kommen, noch ist es gelungen, die Landkreise etwas rationeller zu gestalten. Also hier kann von einer Dynamik der Entwicklung überhaupt keine Rede sein.
Denn das ist doch die Frage, wie weit die einzelnen Teilnehmer sich an der Dynamik der Entwicklung beteiligen wollen. Wir wissen doch, daß Frankreich ein sehr reiches Land ist; es ist nicht nur ein schönes, sondern auch ein außergewöhnlich reiches Land mit einer sehr geschickten und fleißigen Bevölkerung. Es sind also alle Voraussetzungen für eine gesunde und ertragreiche Wirtschaft gegeben. Schon allein die Sprache des französischen Volkes! In keiner Sprache können Sie die unangenehmsten Dinge so charmant sagen, daß sie nicht verletzen. Mit welcher Geschicklichkeit gibt man eine verheerende Wirtschaftspolitik als sozialen Fortschritt aus.
Wie schön klingt ein Preisen irgendeiner Idee in der französischen Sprache. Also nur im Französischen ist so etwas möglich. Und dieses Volk sollte nicht können, wenn es wollte? Ich wage das zu bezweifeln.
Die in den letzten Tagen verhängten Importrestriktionen und Erhöhungen der Einfuhrabgaben sind eigentlich kein guter Auftakt, kein Beweis des guten Willens zur Zusammenarbeit, wie Herr Hallstein es hier ausgedrückt hat.
Er sagte, daß das künftige Wirken in der Gemeinschaft immer von dem Geist echter Zusammenarbeit der beteiligten Staaten getragen sein werde. Wenn aber diese beteiligten Staaten derartige Extratouren unternehmen, solange sie gerade eben noch die Möglichkeit dazu haben, was wollen wir dann von diesem Geiste echter Zusammenarbeit halten?
Ich bitte also, nicht alles, was an Schwächen und Mängeln in diesem Vertrag enthalten ist, mit dem Glauben an die Zukunft und mit der Dynamik der Entwicklung zu entschuldigen. Wir möchten gern genaue Fakten haben, die man kritisch prüfen kann, zu denen man dann ja oder nein sagen kann, je nach dem, ob sie zu einer befriedigenden Regelung führen oder nicht.
Es ist auch noch eines zu bedenken. Es würde der internationalen Höflichkeit entsprechen, dieses Vertragswerk vor der Ratifizierung in dem von uns anerkannten GATT — dem General Agreement on Tariffs and Trade — prüfen zu lassen, sich mit den anderen GATT-Teilnehmern darüber zu unterhalten, ob sie Bedenken haben oder nicht, und wenn ja, diese Bedenken auszuräumen. Ich fürchte sehr, wenn man das nach der Ratifizierung macht, wird es sehr teuer kommen. Es ist eine alte Erfahrung, daß, wenn die Dinge einmal beschlossen sind und man die Zustimmung eines Dritten haben muß, das nicht billig wird. Aber es würde auch dem Ansehen der Bundesrepublik in den internationalen Gremien durchaus dienen, wenn das GATT vor Ratifizierung der Verträge befragt würde.
Ich sehe überhaupt keinen Grund zu dieser schrecklichen Eile. Warum muß jetzt die Ratifizierung hier in den letzten Wochen dieses Parlaments, das kaum noch legitimiert ist, so etwas zu machen, durchgepeitscht werden?
— Sicherlich, staatsrechtlich bin ich völlig Ihrer Meinung, aber es gibt ja doch noch politischen Anstand!
— Jawohl, Herr Dr. Hellwig, das habe ich Ihnen zugestanden: staatsrechtlich sind Sie im Recht; aber ob es geschickt und klug ist, dieses Vertragswerk mit Methoden durchzupeitschen, Herr Dr. Hellwig, die mich sehr daran erinnern, wie seinerzeit Bonn Bundeshauptstadt geworden ist, und dabei die Gesetze internationaler Höflichkeit zu verletzen, das halte ich doch für fraglich.
Außerdem würde ich es für richtig ansehen, wenn die Bundesregierung die hier vorgetragenen Bedenken in Verhandlungen mit den übrigen Mitgliedstaaten noch einmal prüfte und versuchte, sie auszuräumen. Meine Fraktion würde es begrüßen, wenn es der Regierung gelänge, unsere Bedenken bis zu der Entscheidung zu zerstreuen. Ich darf nochmals darauf hinweisen, daß der gleichzeitige Abschluß von Vereinbarungen über Freihandelszonen mit den übrigen Ländern des OEEC-Raums manche der hier vorgetragenen Bedenken für uns etwas weniger deutlich hervortreten ließe, daß also, rundheraus gesagt, wenn die Vereinbarungen über die Freihandelszonen gleichzeitig abgeschlossen werden könnten, wir die hier vorgetragenen Bedenken weniger wichtig nähmen.