Rede:
ID0220001000

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 2200

  • date_rangeDatum: 21. März 1957

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    -2. Deutscher Bundestag — 200. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. März 1957 11327 200. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 21. März 1957. Erklärung der Bundesregierung 11327 D Dr. Hallstein, Staatssekretär des Auswärtigen Amts 11327 D Dr. Deist (SPD) 11334 C, 11338 A, 11361 D, 11363 C, D Dr. Hellwig (CDU/CSU) 11338 A, 11361 A, D, 11363 C, D Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 11342 B Dr. Furler (CDU/CSU) 11345 B Margulies (FDP) 11350 C Dr. Elbrächter (DP [FVP]) 11355 D Stegner (GB/BHE) 11366 B Dr. Arndt (SPD) 11370 A Zur Geschäftsordnung: Dr. Lenz (Godesberg) (CDU/CSU) . . 11372 D Dr. Bucher (FDP) 11373 A Schoettle (SPD) 11373 B Überweisung des Entschließungsantrags der Fraktion der SPD betr. Europäische Wirtschaftspolitik und Euratom (Drucksache 3311) an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten, an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik und an den Ausschuß für Außenhandelsfragen 11373 B Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften (Drucksache 3282) 11373 C Dr. h. c. Veit, Stellv. Ministerpräsident und Wirtschaftsminister des Landes Baden-Württemberg, Berichterstatter 11373 C, D Abstimmung 11375 A Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Euratom (Drucksache 3101) . . . . 11375 B Dr.-Ing. Drechsel (FDP) 11375 B Dr. Hallstein, Staatssekretär des Auswärtigen Amts 11379 C Mellies (SPD) 11379 C Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . 11379 D Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung: Dr. Bucher (FDP) 11380 A Nächste Sitzung 11380 C Berichtigung zum Stenographischen Bericht der 193. Sitzung 11380 Anlage 1: Liste der beurlaubten Abgeordneten 11381 A Anlage 2: Entschließungsantrag der Fraktion der SPD betr. Europäische Wirtschaftspolitik und Euratom (Drucksache 3311) 11381 C Anlage 3: Stellungnahme der Bundesregierung zu der Anfrage der Fraktion der FDP (Drucksache 3101) betr. Euratom . . 11382 A Die Sitzung wird um 14 Uhr 1 Minute durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier eröffnet.
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    Berichtigung zum Stenographischen Bericht der 193. Sitzung Es ist zu lesen: Seite 11010 C Zeile 7 von oben „(Zuruf von der Mitte: Siehe Antrag!)" statt „(Abg. Dr. Czaja: Siehe Antrag!)". Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Baade 22. 3. Bauer (Wasserburg) 22. 3. Becker (Hamburg) 12. 4. Dr. Becker (Hersfeld) 23. 3. Frau Beyer (Frankfurt) 21. 3. Blachstein 22. 3. Brandt (Berlin) 22. 3. Brese 22. 3. Brookmann (Kiel) 22. 3. Dr. Bucerius 22. 3. Dr. Bürkel 21. 3. Caspers 22. 3. Cillien 23. 3. Dr. Conring 21. 3. Dr. Dehler 21. 3. Demmelmeier 22. 3. Dr. Dollinger 22. 3. Ehren 21. 3. Feldmann 6. 4. Franke 21. 3. Dr. Friedensburg 21. 3. Glüsing 22. 3. Dr. Greve 23. 3. Häussler 22. 3. Heiland 22. 3. Höfler 21. 3. Horn 22. 3. Illerhaus 21. 3. Kahn 21. 3. Kalbitzer 3. 5. Keuning 21. 3. Klingelhöfer 30. 3. Dr. Kähler 30. 4. Frau Korspeter 22. 3. Kunze (Bethel) 21. 3. Dr. Leverkuehn 24. 3. Frau Lockmannn 23. 3. Mauk 21. 3. Dr. Menzel 21. 3. Moll 1. 4. Morgenthaler 30. 4. Müller (Worms) 21. 3. Frau Nadig 30. 3. Ollenhauer 26. 3. Onnen 23. 3. Pelster 20. 4. Raestrup 31. 3. Frau Dr. Rehling 21. 3. Dr. Reif 22. 3. Sabel 22. 3. Dr. Schild (Düsseldorf) 21. 3. Schmücker 22. 3. Schneider (Hamburg) 22. 3. Dr. Schöne 29. 4. Frau Schroeder (Berlin) 31. 5. Frau Dr. Schwarzhaupt 21. 3. Dr. Serres 31. 3. Frau Dr. Steinbiß 21. 3. Unertl 6. 4. Wacher (Hof) 21. 3. Wagner (Ludwigshafen) 22. 3. Dr. Welskop 21. 3. Frau Welter (Aachen) 21. 3. Wittrock 21. 3. Frau Wolff (Berlin) 21. 3. Anlage 2 Drucksache 3311 C (Vgl. S. 11372 C) Entschließungsantrag der Fraktion der SPD betr. Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und Euratom. Der Bundestag wolle beschließen: Der Bundestag begrüßt die Anstrengungen, durch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und Euratom zu einer Zusammenfassung der europäischen Wirtschaftsräume in einem Gemeinsamen Markt und zur gemeinsamen Entwicklung der Atomwirtschaft zu gelangen. Er begrüßt, daß die Zusammenarbeit nicht mehr auf einzelne Wirtschaftszweige beschränkt bleiben soll, sondern versucht wird, die gesamte Wirtschaft der beteiligten Staaten zu umfassen, daß eine Koordinierung der Wirtschaftspolitik vorgesehen ist, daß die Europäische Atomgemeinschaft ausschließlich der Entwicklung der Atomwirtschaft für friedliche Zwecke dienen soll und daß das öffentliche Eigentum am spaltbaren Material als Voraussetzung für eine wirksame Kontrolle und damit für die Sicherheit der Menschen gewährleistet wird. Der Bundestag erwartet, 1. daß die Mitgliedstaaten zu einer Politik der Steigerung des allgemeinen Lebensstandards, der ständigen Ausweitung der Wirtschaft und der Vollbeschäftigung verpflichtet werden und zu diesem Zweck eine gemeinsame Währungs- und Wirtschaftspolitik entwickeln, insbesondere die Grundlage für eine planmäßige Investitionspolitik und für eine wirksame Konjunkturpolitik schaffen; 2. daß der freie Handelsverkehr und eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den europäischen Staaten, die sich zunächst der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nicht anschließen, durch die Bildung einer Freihandelszone, die zu gleicher Zeit wie die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in Kraft treten sollte, gesichert werden; 3. daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft alle Maßnahmen trifft, um eine stetige Vergrößerung des Handelsverkehrs mit den übrigen Ländern der Welt - insbesondere durch Senkung der Zölle und Abbau sonstiger Handelsbeschränkungen - zu ermöglichen; 4. daß der gemeinsame Außenzoll nicht zu einer Erhöhung der Lebenshaltungskosten in der Bundesrepublik Deutschland führt; 5. daß klare vertragliche Abmachungen getroffen werden, die sicherstellen, daß die Zonengrenze nicht zur Zollgrenze wird und die freie Entwicklung des innerdeutschen Handelsverkehrs keinen Bindungen durch die Partnerstaaten und die Organe der Gemeinschaft unterliegt; 6. daß jede Belastung durch die Kolonialpolitik abgelehnt, die Selbstbestimmung der überseeischen Gebiete im Sinne der Satzung der UNO gefördert und die Hilfe für die Entwicklungsländer der übrigen Welt nicht beeinträchtigt werden; 7. daß die Bundesregierung rechtzeitig alle Vorkehrungen trifft, um Arbeitnehmer vor den un- günstigen Auswirkungen der durch den Gemeinsamen Markt zu erwartenden Umschichtungen zu schützen, ihre Beschäftigung zu sichern und ihren sozialen Stand zu erhalten; 8. daß bei dem Aufbau der Organe und der Regelung ihrer Zuständigkeiten die Grundsätze der parlamentarischen Demokratie beachtet werden, insbesondere der Ministerrat auf Fragen der Koordinierung beschränkt wird, der Europäischen Kommission die Exekutivbefugnisse der Gemeinschaft übertragen und der parlamentarischen Versammlung wirksame Entscheidungs- und Kontrollrechte gegeben werden. Der Bundestag verlangt, daß die Entscheidungsfreiheit des wiedervereinigten Deutschland über seine Zugehörigkeit zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und zur Europäischen Atomgemeinschaft ausdrücklich vertraglich anerkannt wird. Bonn, den 20. März 1957 Mellies und Fraktion Anlage 3 (Vgl. S. 11379 C) Stellungnahme der Bundesregierung zu der Großen Anfrage der Fraktion der FDP (Drucksache 3101) betreffend Euratom. Die Bundesregierung nimmt zu den vorgelegten Fragen Stellung wie folgt: 1. Welche Organisationsform soll Euratom haben? Die Bundesrepublik verpflichtet sich durch den vorgesehenen Vertrag zur Beteiligung an einer Gemeinschaft teils übernationalen, teils zwischenstaatlichen Rechts. Die Verfassung dieser Gemeinschaft wird in ihren wesentlichen Teilen im Vertrag niedergelegt sein. Für notwendige Ergänzungen und Änderungen ist Raum. Zur Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben wird 'die europäische Atomgemeinschaft über 4 Hauptorgane — eine Versammlung — einen Rat (Ministerrat) — eine Kommission — einen Gerichtshof verfügen. Der Rat und die Kommission werden durch einen Wirtschafts- und Sozialausschuß mit beratender Funktion unterstützt werden. Ferner steht ihnen ein Beirat für Wissenschaft und Technik — ebenfalls mit beratender Funktion — zur Verfügung. Zur Versorgung der Verbraucher innerhalb der Gemeinschaft mit Erzen, Ausgangsstoffen und besonderem spaltbarem Material wird eine Agentur geschaffen, welche Rechtspersönlichkeit hat und finanziell unabhängig ist, jedoch der Aufsicht der Kommission untersteht. 2. Welche europäischen und außereuropäischen Staaten und Gebiete sollen beteiligt werden? Grundsätzlich findet der Vertrag auf die europäischen Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten Belgien — Deutschland — Frankreich — Italien — Luxemburg — Niederlande sowie auf die ihnen unterstehenden außereuropäischen Gebiete Anwendung. Der Vertrag findet darüber hinaus auf die europäischen Gebiete Anwendung, deren auswärtige Angelegenheiten ein Mitgliedstaat wahrnimmt. Jeder europäische Staat kann den Antrag stellen, Mitglied der Gemeinschaft zu werden. Die Gemeinschaft kann auf einstimmigen Beschluß des Rates mit einem dritten Staat, einem Zusammenschluß von Staaten oder einer internationalen Organisation Abkommen schließen, durch welche gegenseitige Rechte und Pflichten, ein gemeinsames Vorgehen oder besondere Verfahren begründet werden. 3. Welche Bindungen wird die Bundesrepublik im Rahmen des vorgesehenen Vertrages übernehmen, und welche finanziellen Belastungen werden für die Bundesrepublik damit verbunden sein? Verpflichtungen der Bundesrepublik aus dem vorgesehenen Vertrage werden — zusammengefaßt und ohne hier der künftigen Beratung der Einzelheiten in den Ausschüssen vorgreifen zu wollen — in Betracht kommen im Hinblick auf - die Förderung der Forschung und die Verbreitung der besonderen Kenntnisse auf dem Atomgebiet, — den Gesundheitsschutz für die mit der Entwicklung und Anwendung der Kernenergie betrauten Arbeitskräfte und für die Gesamtbevölkerung, — die Ermöglichung einer Förderung der Investitionen auf dem Kerngebiet durch die Gemeinschaft, — die Schaffung sich gegebenenfalls als notwendig erweisender gemeinsamer Unternehmen, — eine zentrale und nichtdiskriminatorische, zunächst für 7 Jahre festgelegte Versorgungsregelung für alle Verbraucher innerhalb der Gemeinschaft mit Erzen, Ausgangsstoffen und besonderem spaltbarem Material, — die Ermöglichung einer ausreichenden Sicherheitskontrolle im Interesse der Mitgliedstaaten und ihrer Bevölkerung durch die Gemeinschaft unter Mitwirkung der Mitgliedstaaten, - die Herstellung eines Gemeinsamen Marktes auf dem Gebiet der Kernenergie, — eine begrenzte Koordinierung der Außenbeziehungen, — eine Beteiligung an der Finanzierung der Aufgaben der Gemeinschaft. Der deutsche finanzielle Beitrag zum Verwaltungshaushalt der Gemeinschaft wird mit 28 %, der deutsche finanzielle Beitrag zum Forschungs-und Investitionshaushalt der Gemeinschaft wird 30 % der Gesamtbeiträge ausmachen. Die Stimmen der Mitglieder des Ministerrats werden entsprechend dem finanziellen Beitrag der Mitgliedstaaten gewogen. Ein erstes Forschungs- und Ausbildungprogramm der Gemeinschaft, welches sich über fünf Jahre erstreckt, wird auf 215 Millionen EZU-Rechnungseinheiten geschätzt. Die dafür bereitgestellten Mittel werden jährlich in den Haushalt der Gemeinschaft eingesetzt. 4. Welche Verpflichtungen wird die Bundesrepublik für die Betätigung der deutschen Wirtschaft in der Bundesrepublik und im Rahmen von Euratom übernehmen? Das Ziel der Gemeinschaft ist nicht eine Ersetzung oder Hemmung, sondern im Gegenteil eine Förderung der wirtschaftlichen Initiative auf dem Kerngebiet. Dieser wirtschaftlichen Initiative sollen durch den Vertrag keine anderen Schranken gesetzt werden, als diejenigen, welche im Interesse des Gesundheitsschutzes gegenüber den schädlichen Auswirkungen der Radioaktivität und wegen der bebesonderen Gefährlichkeit der zur Nutzung der Kernenergie verwendeten Stoffe erforderlich sind. Darüber hinausgehende Verpflichtungen dienen ihrer Zwecksetzung nach ausschließlich dazu, eine raschere und fruchtbringendere Entwicklung der friedlichen Nutzung der Kernenergie im Gebiete der Gemeinschaft durch Zusammenwirken und Harmonisierung der beteiligten Kräfte zu ermöglichen. Dies gilt insbesondere für die Gebiete — Förderung der Forschung und Austausch der Kenntnisse, — Investitionen und gemeinsame Unternehmen, — Gemeinsamer Kernmarkt, zentrale Versorgung und Koordinierung gewisser Teile der Außenbeziehungen, soweit sie in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinschaft fallen. Soweit auf diesen Gebieten Verpflichtungen der Bundesrepublik für die deutsche Wirtschaft eingegangen werden, geschieht dies auf der Grundlage der Gegenseitigkeit. 5. Wie soll ,die Zusammenarbeit zwischen Euratom und OEEC und im Rahmen sonstiger internationaler Abkommen gestaltet werden? Ausgehend von der Erkenntnis und dem Grundsatz, daß der engere Zusammenschluß der 6 Mitgliedstaaten von Euratom und die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der OEEC auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung Kernenergie einander nicht ausschließen, sondern sich in sinnvoller Weise ergänzen und gegenseitig fördern, ist vorgesehen, daß die europäische Atomgemeinschaft eine enge Zusammenarbeit mit dem europäischen Wirtschaf tsrat herbeiführen soll. Die nähere Regelung soll im gemeinsamen Einvernehmen getroffen werden. Ein Verbindungsausschuß zwischen den beiden Verhandlungsgremien ist bereits tätig. 6. Beeinflussen die im Rahmen von Euratom zu übernehmenden Verpflichtungen den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur friedlichen Nutzung der Kernenergie? Zwischen den im Rahmen von Euratom zu übernehmenden Verpflichtungen und dem von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur friedlichen Nutzung der Kernenergiebestehen keine Unvereinbarkeiten. Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Kernenergie-Gesetzes würde im Falle seiner Annahme die Bundesregierung nicht nur an der Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Euratom-Vertrag nicht hindern, sondern im Gegenteil die Erfüllung dieser Verpflichtungen ermöglichen. Soweit im Euratom-Vertrag Rechte und Pflichten für den einzelnen oder für Unternehmen statuiert sind, stehen dem die Bestimmungen des von der Bundesregierung vorgelegten Entwurfs des Kernenergie-Gesetzes nicht entgegen.
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    Rede von Dr. Ludwig Erhard


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß mir diese Debatte die Möglichkeit gibt, vor der deutschen und vor der internationalen Öffentlichkeit folgendes mit aller Klarheit auszusprechen.
    Es hat in Europa in den letzten neun Jahren wohl kaum einen Staatsmann gegeben, der auf dem wirtschaftlichen Felde so konsequent eine europäische Politik eingeleitet und fortgeführt hat, wie ich das für mich in Anspruch nehme.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Deutschland war das erste Land, und zwar in einer fast ausweglosen Situation, das den Weg der Liberalisierung gegangen ist und das in allen europäischen Gremien, sei es bei der OEEC oder bei der Zahlungsunion, beim GATT oder beim Währungsfonds immer in der Richtung umfassenderer Freiheiten operiert hat. Deutschland war von Anbeginn an bemüht, den Protektionismus zwischen den einzelnen Ländern niederzulegen und den Geist des nationalistischen Egoismus zu überwinden. Wir haben im internationalen Waren-, Dienstleistungswie auch im Geld- und Kapitalverkehr immer größere Freiheiten gesetzt; wir sind in Europa vorangegangen. Aus diesem Grunde kann ich mich füglich mit reinem Gewissen und mit freier Stirne als einen Bekenner Europas ¡bezeichnen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das schließt allerdings nicht aus, daß man an manchem Projekt und an manchen Plänen allenthalben .auch einmal die kritische Sonde anlegt. Es ist aber eine Sache noch nicht geheiligt, wenn sie das Adjektiv „europäisch" trägt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien, bei der SPD, beim GB/BHE und bei der FDP.)

    So war es meiner Ansicht nach für mich als Wirtschaftsminister eine Pflicht, ,auch dieses Vertragswerk vor allen Dingen auf seinen volkswirtschaftlichen Inhalt hin zu prüfen. Das habe sich getan, und ich babe auch freimütig vor der Öffentlichkeit meine Meinung dazu gesagt.
    Das ist ganz sicher: Wenn ich den Vertrag zum Gemeinsamen Markt nur vom ökonomischen Standpunkt aus zu prüfen hätte, müßte ich vorher fragen, ob denn die bisherigen Anstrengungen zur Zusammenfügung der Länder Europas nicht schon so große Erfolge gezeitigt hätten, daß man vielleicht auf eine besondere Konstruktion hätte verzichten können. Es ist unbestreitbar, daß im Rahmen der OEEC und der EZU überraschend große Erfolge erzielt worden sind, nicht nur was die Steigerung des Handelsvolumens, sondern auch was die Methoden und die Qualität der Zusammenarbeit anlangt.
    ,(Abg. Stegner: Sehr richtig!)

    haben innerhalb der OEEC die Diskriminierungen beseitigt, den Protektionismus überwunden, die Liberalisierung auf eine hohe Stufe gebracht, wir haben das multilaterale System der Verrechnungaufgebaut. Kurz und gut: Innerhalb der OEEC war die europäische Zusammenarbeit in gutem Fluß und in stetem Fortschreiten. Aber damit ist die Problematik des vorliegenden Vertrags nicht erschöpft. Es ist ja auch deutlich zum Ausdruck gekommen — sowohl in den Ausführungen von Herrn Staatssekretär Hallstein wie auch in den Ihren, Herr Dr. Deist —, daß ein Vertrag über eine Europäische Gemeinschaft auch politische Aspekte hat; ja, ich bin der Meinung, daß diese sogar obenan stehen, daß sie zumindest von den anderen nicht zu trennen sind. Das ist auch der Grund, warum ich in Abwägung aller Gesichtspunkte und in Würdigung aller positiven oder meinetwegen sogar negativen Elemente eindeutig zu dem Schluß gekommen bin, daß dieser Vertrag die Zustimmung dieses Hohen Hauses und die Anerkennung der europäischen Völker finden sollte.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



    (Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard)

    Zu dieser Überzeugung stehe ich auch heute, und ich werde das im einzelnen noch begründen.
    Um mir aber nicht vorwerfen zu lassen, daß ich hier irgend etwas verschweigen wollte, was ich draußen in der Öffentlichkeit gesagt habe, möchte ich meine kritischen Anmerkungen wiederholen. Damit beleuchte ich noch einmal, daß das Eigentliche, was meine Aussetzungen ausmachen, nicht eine Kritik gegenüber der europäischen Idee, nichtetwa ein Zurückweichen vor einer europäischen Konstruktion bedeutet, sondern daß meine Bedenken umgekehrt von der Sorge getragen sind, ob die Bestimmungen des Vertrages geeignet sind, rasch und wirksam genug das gesteckte Ziel zu erreichen.

    (Beifall in der Mitte und bei Abgeordneten ,der SPD.)

    Nicht als ein schlechter Europäer bin ich also an den Vertrag herangegangen, sondern, wie ich glaube, als ein besonders guter Europäer.
    Wenn ich glaubte und noch immer glaube, daß man das Ziel rascher erreichen könnte, dann mag der Politiker vielleicht meinen, das sei illusionistisch. Aber man kann mir auf keinen Fall vorwerfen, daß ich meine Kritik aus mangelnder europäischer Gesinnung geübt habe.

    (Zuruf von der SPD: Das hat niemand gesagt! — Abg. Dr. Kreyssig: Bleiben Sie bei der ,Sache!)

    Der Gemeinsame Markt, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft scheint mir vor allem deshalb notwendig zu sein, um fernab von weiterreichenden Zielen — etwa. dem einer europäischen Konföderation — bei den europäischen Völkern zunächst einmal idas Bewußtsein einer unlöslichen Schick» salsgemeinschaft zu wecken, ihnen ihre gemeinsame Zukunft vor Augen zu führen und vor :allem in der europäischen Jugend eine Gläubigkei t zu erwecken, daß ein glücklicheres Europa im Werden ist. Und dazu sagte ich, ,daß ein Vertrag, der das alles — zuerst nur auf der ökonomischen Ebene — erst in 12 bis 15 Jahren erreicht, ,die Geister vielleicht nicht bewegen und entzünden könne. Ich hätte also gewünscht, daß der Prozeßschneller vor sich ginge, daß man die Etappen kürzer gesetzt hätte. Da ich in Deutschland in bezug auf wirtschaftlichen Aufbau immerhin einige Erfahrungen habe, wie man sich selbst aus der schlimmsten Situation relativ rasch befreien kann, war ich der Meinung, daß auch jene Länder, 'die heute aus subjektiv begreiflichen Gründen zögern, den Weg etwas schneller hätten durcheilen sollen, — wahrscheinlich zu ihrem eigenen Glück. Das war also einer der Punkte dies Viertrages, die ich kritisch beleuchtet habe.
    Das andere Argument wurzelt eigentlich in der gleichen Haltung. Ich sagte und wiederhole es hier: In diesem Vertrag ist ebenso viel von der Angst vor dem Wettbewerb oder von der Furcht, in den Gemeinsamen Markt einzugehen, .erkennbar, als er Bestimmungen enthält, die diesen Gemeinsamen Markt erreichen oder 'erzwingen wollen. Er atmet auf der einen Seite ,die Sorge, was ida alles passieren kann, wenn der Gemeinsame Markt Wirklichkeit wird, und auf der anderen Seite setzt er selbstverständlich die Verpflichtung, allerdings recht. behutsam, in den Gemeinsamen Markt einzugehen. Nach dieser Richtung scheint er mir etwas perfektionistisch zu sein, weil man natürlich nicht alles voraussehen kann, was sich in 15 Jahren ereignen mag. Ja, man hat eigentlich nur voraussehen wollen, was sich nach der negativen Seite hin ereignen
    könnte. Es ist nun in idem Vertrag zu wenig Dynamik und zu wenig Überzeugung zu spüren, daß sich die Dinge, wenn wir diesen Weg gehen, sehr viel positiver und fruchtbarer entfalten werden, als das aus dem zaghaften Geist, aus den Buchstaben dies Vertragswerkes ersichtlich wird. Aus diesem Grunde bedaure ich, daß so viele Ausweichklauseln bzw. Ausweichmöglichkeiten in diesem Vertrag enthalten sind und daß er nicht mehr europäische Gläubigkeit setzt.
    Dann kommt natürlich hinzu, daß jede Zusammenfassung von einer Reihe von Ländern — hier also von jenen sechs Ländern, die schon in der Montanunion eine erste Verankerung gefunden haben — naturgemäß und ohne es zu wollen, einen gewissen Kontrast nach außen setzt und damit allzuleicht die Gefahr heraufbeschwört, daß sich andere europäische Länder, die auch zu dem freien Europa gehören, diskriminiert fühlen. Diese Sorge ist uns ja allenthalben begegnet. Aus diesem Grunde begrüße ich es besonders, daß hier ausdrücklich erklärt wurde, wie wichtig es ist, neben der Schaffung dieses Gemeinsamen Marktes gleichzeitig möglichst schnell auch zu der Konstruktion einer Freihandelszone hinzufinden, weil damit die Gefahr einer Diskriminierung, oder wäre es auch nur das Gefühl einer Diskriminierung, von den übrigen europäischen Ländern genommen wird. Im übrigen ist natürlich das eine mit dem anderen zwangsläufig verbunden. Ich muß Ihnen ehrlich sagen: auch ich hätte keinen Vertrag machen können, der zwischen jenen sechs Ländern, wenn auch stufenweise, völlige Zollfreiheit setzt, ohne nach außen — das ist das innerste Wesen einer Zollunion — einen gemeinsamen Zolltarif aufzubauen. Es kommt eben nur darauf an, wie hoch dieser Zolltarif dann ist. Ich glaube, da bin ich mit Ihnen, Herr Dr. Deist, einig, aber wohl auch mit allen Persönlichkeiten, die den Vertrag im einzelnen gestaltet haben; d. h. der gemeinsame Zoll darf kein Hochschutzzoll sein.
    Ich hätte es auch gerne gesehen, wenn der Vertrag eine Bestimmung enthalten hätte, die besagt, daß in dem gleichen Rhythmus, in dem die Zölle zwischen den sechs Mitgliedstaaten gesenkt werden, zugleich oder doch von der ersten Übergangsperiode an auch eine Senkung der Zölle nach außen, d. h. gegenüber dritten Ländern, Platz greifen müsse. Wir haben diesen Grundsatz aber immerhin in Art. 110 zum Postulat erhoben, in dem es heißt:
    Durch die Schaffung einer Zollunion beabsichtigen die Mitgliedstaaten, im gemeinsamen Interesse zur harmonischen Entwicklung des Welthandels, zur schrittweisen Beseitigung der Beschränkungen im internationalen Warenverkehr und zum Abbau der Zollschranken beizutragen.
    Dort ist also mindestens der Grundsatz verankert, wenn er auch nicht in Zahlen der Relationen Ausdruck gefunden hat.
    Die Gefahr, daß eine Diskriminierung Platz greifen könnte, wird natürlich um so größer, je mehr die Zölle zwischen den sechs Ländern in der vorgesehenen Stufenfolge abgebaut werden.
    Darum insbesondere sind wir alle für die Schaffung einer Freihandelszone eingetreten. Aus der Wirtschaftsgemeinschaft kann die Gefahr erwachsen — und dem habe ich Ausdruck gegeben —, daß sich zwischen den sechs Ländern ein besonderer,


    (Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard)

    ein bedenklicher Geist entwickelt, der zwar nach innen Freiheit setzt und setzen muß, der aber bemüht ist, sich nach außen abzuschirmen. Das habe ich unter der Gefahr einer möglichen europäischen Inzucht verstanden. Sie wird indessen wesentlich gemindert und schließlich behoben, wenn es uns gelingt, das System der Freihandelszone zu errichten.
    Was die Assoziierung der Überseegebiete anlangt, so möchte ich eine politische Betrachtung hier außer acht lassen. Selbstverständlich ist damit — wieder aus dem System heraus — die Schaffung einer Art von Präferenzsystem notwendig geworden, und es wird sehr darauf ankommen, in welchem Geist man diese Ordnung handhabt. Daß es nicht gerade ein Vorteil ist, wenn wir die freie Welt noch einmal in Großräume auf teilen und ein Präferenzsystem europäisch-afrikanischer Konvenienz schaffen, bedarf wohl keiner besonderen Unterstreichung. Die möglichen handelspolitischen Schäden sind unverkennbar. Aber auch diese Gefahr kann auf ein Minimum herabgedrückt werden, wenn auch innerhalb dieses umfassenderen Raums eine möglichst liberale Politik getrieben wird, die kein fühlbares Gefälle auftreten läßt.
    Im ganzen ist noch folgendes zu sagen. Jedes Land, das einen solchen Vertrag unterzeichnet, muß selbstverständlich auch von einem ganz bestimmten Wollen erfüllt sein und ein ganz bestimmtes Verhalten in seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik an den Tag legen. Wir haben eine „Koordinierung" der Wirtschaftspolitik deshalb gewünscht — ich sage das, weil es Herr Dr. Deist beanstandete —, weil eine gemeinsame, d. h. einheitliche Wirtschaftspolitik meiner Ansicht nach überhaupt erst dann möglich wäre, wenn diese sechs Länder auch schon zu einer gemeinsamen politischen Form hingefunden hätten oder wenn, wie es Staatssekretär Hallstein vorgetragen hat, bereits eine echte parlamentarische Verantwortung für die Entscheidungen dieser europäischen Gemeinschaft gegeben wäre. So lange kann es sich tatsächlich nur um eine „Koordinierung" der Wirtschaftspolitik handeln. Das gilt vor allem auch deshalb, weil, wie wir alle wissen, die wirtschafts-, finanz- und währungspolitischen Prinzipien in den einzelnen Ländern zunächst durchaus nicht gleichartig sind, sondern sogar sehr erhebliche Unterschiede aufweisen.
    Die mangelnde intervalutare Ordnung nicht nur zwischen den sechs Ländern, sondern leider auf weltweiter Grundlage kann man selbstverständlich auch nicht durch eine Vielzahl von Paragraphen ersetzen. Das ist ein Problem, das nicht insonderheit den Gemeinsamen Markt auszeichnet, sondern die ganze freie Welt und ihre Ordnung angeht. Dieses Problem ist also letzten Endes auch nicht innerhalb des Gemeinsamen Marktes zu lösen, wenn durch ihn auch manches Übel geheilt werden könnte.
    Aus diesem Grunde bin ich hier auch völlig anderer Meinung als Sie, Herr Dr. Deist. Sie meinten, eine ausgeglichene Zahlungsbilanz sei in unserer Zeit nicht mehr der rechte Ordnungsmaßstab, nicht mehr das rechte Ordnungsprinzip, sondern es müßten durch eine „aktive Wirtschaftspolitik" ein wirtschaftliches Gleichgewicht, Preisstabilität, Sicherheit des Arbeitsplatzes, Sicherung des Lebensstandards erstrebt werden. Ja, diese Forderungen können unter Umständen sehr gegensätzlich in sich selbst werden, wenn Sie alles zugleich mittels einer aktiven Wirtschaftspolitik erreichen wollen, die nicht auf eine ausgeglichene Zahlungsbilanz, auf eine gleichgewichtige wirtschaftliche Ordnung hintendiert. Was dabei herauskommt, ist mit absoluter Sicherheit Dirigismus, so wie alle Länder dirigistische Maßnahmen ergreifen müssen, deren Währung nach außen nicht gesund und im Gleichgewicht ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Kreyssig: Lassen Sie sich doch mal was Neues einfallen!)

    Eine meiner kritischen Anmerkungen zum Vertrag war weiter, daß hierin von „Zahlungsbilanzkrisen" gesprochen wird und daß Zahlungsbilanzkrisen automatisch die Möglichkeit eröffnen, Schutzklauseln zur Anwendung zu bringen. Meine Damen und Herren, Zahlungsbilanzkrisen fallen nicht vom Himmel, sondern sie erwachsen aus dem Verhalten der nationalen Volkswirtschaften. Deshalb müßte in einem solchen Vertrag nach meiner Ansicht mehr Bestimmtheit, mehr Kraft auf die Einhaltung gesunder Prinzipien gelegt werden als auf die Möglichkeit, diesen gesunden Prinzipien entweichen zu können und Schutzklauseln dafür in Anspruch nehmen zu dürfen.
    Das ist eigentlich das Kernstück meiner Kritik. Aber ich füge gleich hinzu: Ein solcher Vertrag ist ein Kompromiß zwischen sechs Ländern. Ich hätte mir beileibe auch nicht eingebildet, daß ich es zuwege gebracht hätte, alles durchzusetzen, was ich aus der Vorstellung einer idealen Norm heraus an volkswirtschaftlichen Einsichten hätte verwirklicht sehen wollen. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit.
    Im übrigen verwahre ich mich aber — und da spreche ich für die ganze Bundesregierung — gegen den Vorwurf, daß wir bei internationalen Verträgen sozusagen immer eine Politik des sozialen Rückschritts betrieben. Das ist einfach nicht wahr. Das ist eine Verleumdung; ich kann es nicht anders bezeichnen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

    Der Sozialrat ist in diesem Vertrag als ein beratendes Gremium enthalten, und mehr kann er auch nicht sein. Im übrigen würde meiner Ansicht nach ein Sozialrat seine Funktion — auch nur eine beratende Funktion — nur dann recht erfüllen können, wenn er nicht etwa nur paritätisch aus den Sozialpartnern zusammengesetzt wäre, sondern wenn er alle Volkskreise einschlösse. Denn es gibt in jeder Volkswirtschaft nicht nur Ange- hörige der beiden Sozialpartner, sondern auch noch sehr viele andere Volkskreise wie die freien Berufe, die Rentner; diese gehören dazu.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wenn Sie einem Sozialrat weitergehende Vollmachten geben wollten und das für richtig hielten, müßten Sie ein frei gewähltes Parlament setzen; das wäre dann echte Demokratie.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich darf noch einen anderen Punkt erwähnen; aber ich glaube, Herr Deist, das war nur ein Irrtum Ihrerseits. Die Zölle nach außen sind keine gewogenen Zölle, die zu der Menge der Einfuhr in Beziehung stehen; die Zollsätze wurden einfach addiert und dividiert. Es ist also ein reines


    (Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard) arithmetisches Mittel, kein gewogenes Mittel, das da zustande gekommen ist.

    Ich glaube also, ganz deutlich gemacht zu haben, wo ich stehe und daß meine Kritik, wo immer ich sie geübt habe, nicht etwa als eine Flucht aus Europa, als eine Angst vor Europa gedeutet werden kann und nicht etwa von einem deutschen wirtschaftspolitischen Egoismus getragen war, sondern umgekehrt: von der Sehnsucht und dem Verlangen — so wie ich seit neun Jahren praktisch gehandelt habe —, dieses Europa schneller und wirksamer zu bauen und möglichst schnell auf eine gesunde freiheitliche Grundlage zu stellen.
    Ich habe nicht von Romantikern gesprochen, sondern ich habe gesagt, es sei eine romantische Vorstellung, zu glauben, daß jeder Vertrag, gleichgültig wie er auch aussehe, dieses Ziel — und im Ziel sind wir uns ganz bestimmt einig — erreichen würde.
    Es wird meiner Ansicht nach darauf ankommen — und diese Frage wird die Regierung und dieses Hohe Haus noch zu beschäftigen haben —, daß dieser Vertrag im rechten Geiste, aus der gemeinsamen Verantwortung heraus gehandhabt wird. Wenn Sie nur die Paragraphen nehmen, dann liegen das Gute und das Böse nahe beieinander. Man kann aus einem solchen Vertragswerk dieses oder jenes machen. Aber wenn wir ein freiheitliches Europa bauen wollen — und dieser Wille steht am Anfang —, wird es darauf ankommen, daß die richtigen Menschen mit der richtigen Haltung an dieses Vertragswerk herangehen.
    Noch eine Schlußbemerkung, meine Damen und Herren. Wenn ich, der ich, wie gesagt, manche Kritik geübt habe — und ich habe hier nichts von meiner Kritik verschwiegen, ich habe die einzelnen Punkte dieser Kritik hier vor diesem Kreise lückenlos aufgezählt, um deutlich zu machen, was mich zu dieser Kritik bewogen hat —, trotzdem, weil ich zu der Idee des Gemeinsamen Marktes stehe und weil ich vor allen Dingen zutiefst davon überzeugt bin, daß es unser Schicksal ausmacht, auch politisch zusammenzufinden, — wenn ich also trotz mancher kritischen volkswirtschaftlichen Anmerkungen ja sage, dann gilt dieses Bekenntnis, dieses Ja mehr als die Zustimmung von irgendeinem, der sich nicht diese Sorge und so viele Gedanken um das Zustandekommen dieses Vertrages gemacht hat.

    (Anhaltender Beifall bei den Regierungsparteien. — Beifall bei Abgeordneten der FDP.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Furler.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans Furler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nicht die wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen zwischen Herrn Dr. Deist ,und dem Herrn Bundeswirtschaftsminister fortsetzen; das wird für meine Fraktion nachher mein Freund Dr. Hellwig tun. Ich mußaber doch, bevor ich mich einigen politischen Grundproblemen zuwende, Bemerkungen zu einleitenden Ausführungen des Herrn Dr. D eis t machen, die miteiner Grundfrage in der Bewertung unserer europäischen Politik zusammenhängen.
    Herr Dr. Deist meinte, die Montanunion habe ihre Aufgabe nicht erfüllt. Er meinte auch — wenn ich ihn recht verstanden habe —, die jetzt so verspätet vorgelegten Verträge, also die Verträge übereine Erweiterung der Gemeinschaft auf die gesamte Wirtschaft,stellten so eine gewisse Rechtfertigung der Politik der SPD gegenüber der Entstehung der Montanunion dar. Da muß ich doch erwidern, daß ich diese Rechtfertigung nicht begreife und sie auch nicht billigen kann. Sicher ist doch das eine. Die Montanunion wurde geschaffen. Wir kennen ihre Grenzen. Wir wissen genau, daß sie als Teilintegration natürlich nicht das durchsetzen konnte, was wir nunmehr von der großen Wirtschaftsgemeinschaft erwarten. Aber ich frage: Glauben Sie, daß wir ohne die Schaffung der Montanunion, ohne diesen damals möglichen Schritt heute so weit wären, zu dem großen Werkeiner allgemeinen Wirtschaftsgemeinschaft der sechs Montanstaaten zu kommen? Ich glaube, daß die durch die Montanunion geschaffene Gemeinschaft nicht nur äußerlich, sondern Jauch innerlich dazu beigetragen hat, daß wir jetzt dieses Werk, so hoffen wir, zur Vollendung bringen können.
    Über die Aufgaben der Montanunion und ihre Erfüllung haben wir, Herr Dr. Deist, uns doch im Montanparlament schon eingehend unterhalten, die Grenzen und die positiven Dinge gesehen. Ich glaube, der Bericht ,des Herrn Wigny, dem man ja allgemein eine große Verbreitung gewünscht hat, bildet ein großes Dokument dafür, daß es selbst innerhalb dieser schwierigen Teilintegration gelungen ist, bedeutende Aufgaben zu erfüllen.
    Ich sage also: Man darf nicht immer deshalb nichts tun, weil es nicht möglich ist, sofort die Vollendung zu erreichen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Darauf geht die von mir kritisierte Argumentation hinaus. Wenn wir nämlich immer vor lauter Bedenken zunächst nein sagen, dann kommen wir überhaupt nicht in eine lebendige Entwicklung hinein.
    Ich freue mich, daß Sie, Herr Dr. Deist, heute in der Konsequenz anderer Auffassung sind als damals. Ichhabe mit gewissen Bendenken etwa 50 Minuten lang gehört, wie scharfe Angriffe Sie vortrugen. Aber ich war doch beruhigt, als Sie am Ende in der Zusammenfassung sagten, daß Sie im Prinzip doch das. was hier die Sechs unternehmen, billigen, also billigen, daß wir jetzt wenigstens handeln. Das finde ich einen großen Fortschritt gegenüber der damaligen Situation, in der Sie schon die Entstehung der Montangemeinschaft 'abgelehnt haben.
    Was ichaber noch sagen muß und was mich eigentlich sehr betrübt hat, ist das: Sie meinten, die Montanunion und auch wohl die neuen Gemeinschaften hingen irgendwie mit einer militärischen oder machtpolitischen Blockpolitik zusammen. Dem muß ich entschieden widersprechen. Ich glaube, niemand. der an dem Vertragswerk, das hier in der Entstehung ist, mitgearbeitet hat, verfolgte den Gedanken, dies aus militärischen oder machtpolitischen Gesichtspunkten zu tun, aus einer Blockbildung heraus, die Sie im Prinzip ablehnen. Das Montanparlament hat ja die ersten Gedanken hierzu entwickelt. Wir waren doch alle der Meinung, daß es ausschließlich im Interesse der Wirtschaft unserer Staaten, ausschließlich im Interesse der Hebung des Lebensstandards lieg t, ausschließlich auch dem Zweck dient, soziale Dinge verwirklichen zu können, wenn wir uns zu einer größeren Gemeinschaft zusammenfinden. Also ich glaube, so dürfen wir nicht argumentieren.
    Nun aber wieder zur Frage: was tun? Wir sind doch in diesem Hause alle darüber einig, daß die


    (Dr. Furler)

    weltpolitische und ,die wirtschaftspolitische Situation zwingend dafür sprechen, dieses Europa enger zusammenwachsen zu lassen. Wer eine politische Bilanz zieht, sieht, wie weit Europa in seiner Stellung in der Welt zurückgekommen ist. Ich glaube, jener tragische 6. November 1956 hat zur Evidenz bewiesen, wie schwach und verwundbar — auch wirtschaftlich — dieses Europa geworden ist, dem man plötzlich eine Kraftzufuhrabsperren konnte, auf die es auf das vitalste angewiesen ist. Wir sind auch der Meinung — und niemand widerspricht dem —, daß die Zeit, daß die moderne technische Entwicklung dazu zwingt, große Räume zu schaffen, daß wir einfach nicht mehr durchkommen, wenn wir in den kleinen getrennten Nationalwirtschaften weiterleben. Die Entwicklung der Atomkraft, die moderne Technisierung, die Automation, all ,die Dinge, die damit zusammenhängen, sind in kleinen Räumen nicht realisierbar. Man täusche sich durch die gegenwärtige gute Konjunktur in den europäischen Ländern nicht darüber hinweg, daß auf lange Sicht gesehen ohne die Schaffung eines größeren Wirtschaftsraumes Europa hinter den politisch-wirtschaftlichen Großräumen immer weiter zurückbleibt

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    und daß es auf die Dauer einfach nicht in der Lage ist, seine Freiheit und seine kulturellen Güter zu bewahren.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Da stehen wir wieder vor dem Problem: was tun? Die Erfahrung der letzten Jahre hat gelehrt, daß zwei Dinge nicht möglich sind. Einmal ist es offensichtlich nicht möglich, in diesem Europa eine politisch, auch institutionell, gegründete engere Verbindung zu schaffen. Dazu sind die europäischen Staaten noch nicht reif. Das wurde versucht — erfolglos. Aber es hat sich gezeigt, daß es auch noch nicht möglich ist, dieses Europa in einem Zuge wenigstens wirtschaftlich zusammenzuführen, und zwar — und das ist sehr entscheidend — in einer endgültigen und unwiderruflichen Form. Ich muß darauf besonders hinweisen. Das ist ja der entscheidende Unterschied zu dem, was in der OEEC und der EZU usw. geschieht. Diese sechs Staaten wollen ein Gebiet mit 150 bis 160 Millionen wirtschaftlich endgültig so zusammenfassen, daß sie nicht morgen wieder anders können, sondern daß sie gezwungen sind, auf diesem Wege zubleiben. daß es hiervon kein Zurück gibt. Das is t ein ganz entscheidender Punkt für die Beurteilung der Verträge, auch ein entscheidender Punkt. wenn man abwägt, ob ,die Verhandlungen mit Erfolg oder mangelhaft geführt worden Mind. Dieses Prinzip der Unwiderruflichkeit war außerordentlich umkämpft.
    Ich gebe zu, es wäre schön, den Gemeinsamen Markt früher zur Vollendung zu bringen und nicht 12 oder 15 Jahre warten zu müssen. Ich muß aber dem Herrn Wirtschaftsminister sagen, daß alle, die sich eingehend mit diesem Problem befaßt haben, zu dem Ergebnis gekommen sind: Es ist einfach weder möglich noch allen Staaten zumutbar, Zollschranken und Handelsbeschränkungen, die eine Wirtschaftsstruktur in den einzelnen Ländern geschaffen haben, die auf Jahrzehnte, zum Teil auf Jahrhunderte zurückgeht, in fünf oder sechs Jahren endgültig zu beseitigen. Eine Übergangszeit ist also unvermeidlich, und niemand hat angenommen, daß wir in weniger als zwölf Jahren durchkommen.
    Das Entscheidende aber ist, daß es keine endgültige Blockierung gibt, daß es kein Veto gibt, sondern daß das Vorhaben zwangsläufig bis zum Ende durchgeführt werden muß. Das ist nicht allein politisch wichtig, das ist auch wirtschaftlich entscheidend. Ich glaube, daß die notwendigen Umstellungen, Investitionen usw., nur dann sofort begonnen und durchgeführt werden, wenn jeder Beteiligte weiß: Wir sind auf einem endgültigen Weg, und ich kann nach vier oder acht Jahren nicht umkehren und mich bis dahin von dem Zwang zum Zusammenschluß ausnehmen — gewissermaßen drücken. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, der für das Vertragswerk spricht, das vor uns liegt.
    Ich will nun einige Probleme, die in den Verhandlungen eine große Rolle gespielt haben, ganz kurz behandeln, weil die Kritik immer wieder dahin geht, es sei vielleicht doch nicht so erfolgreich verhandelt worden und man habe in verschiedenen Punkten allzu große Konzessionen gemacht. Zunächst zur sozialen Harmonisierung. Sie wissen, daß Frankreich diese Forderung sehr stark erhoben hat und daß es sehr schwer war, zunächst die Franzosen von der Idee abzubringen, die soziale Harmonisierung aal s Vorausbedingung aufzustellen. Wir wären dann nie zum Abschluß eines Vertrags gekommen. In den weiteren Verhandlungen waren die Gegensätze oft sehr groß. und es hat des Eingreifens des Herrn französischen Ministernräsidenten und ,des Herrn Bundeskanzlers bedurft. um die Schwierigkeiten zu überwinden. Aber — das muß ich doch sagen, Herr Deist — nicht deshalb, weil sich die Bundesrepublik geweigert hätte, eine fortschrittliche Sozialpolitik zu treiben! Sie wissen, daß wir nicht nur hier. sondern auch im Montanparlament immer wieder betont haben: Wir denken nicht daran, uns wettbewerbliche Vorteile durch eine rückschrittliche Sozialpolitik oder eine schtechte Lohnpolitik oder die Erhaltung eines niedrigen Lebensstandards zu sichern. Das haben wir ständig abgelehnt. Es ging im Grunde nur um die Frage, ob es richtig ist, sich von einem Partner ein von vielen Seiten, auch von Ihnen, angegriffenes System der Lohnberechnung aufzwingen zu lassen. Wir waren immer bereit, in der Lohnentwicklung, in der sozialen Entwicklung vorwärtszuschreiten. Wir waren aber nicht bereit, veraltete, vielleicht falsche Systeme zu übernehmen.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Ich finde, es ist ein großer Fortschritt, daß es gelungen ist, hier einen Kompromiß zu erzielen, der keinen zu etwas zwingt, was ihm formal und technisch nicht richtig erscheint, der aber alle, auch uns, dazu veranlaßt, in sozialer Richtung weiterzukommen. Wir wissen, daß der Montanvertrag in dieser Beziehung viel zuwenig bringt. Aber in den neuen Verträgen hat man sich doch dieser Dinge stärker angenommen. Wir glauben sogar, daß die Entwicklungen bei uns ganz von selbst viel schneller zu dem gemeinsamen Ziele führen werden, als wir heute noch annehmen. Betrachten Sie nur einmal, was in den letzten zwei, drei Jahren auf diesem Gebiet bei uns geschehen ist.
    Ein zweites Problem, das auch einen großen Schrecken erregt hat: die Hereinnahme der Landwirtschaft — ein französischer Wunsch; ein verständlicher Wunsch. Wenn sie sehen, was sich daraus entwickelt hat, glaube ich, daß auch bei uns die Landwirte zufrieden sind mit dem, was geschehen soll. Die Landwirtschaft soll nämlich nicht plätzlich ungeschützt in den freien Markt hineingehen, sondern die nationalen Besonderheiten blei-


    (Dr. Furler)

    ben aufrechterhalten. Das Ziel ist eine gemeinsame Agrarpolitik moderner Art. Man will die nationalen Marktordnungen in europäische Marktordnungen umwandeln. Wenn ich mir die Ziele ansehe, die der Vertrag setzt, so muß ich sagen, daß eigentlich die Landwirtschaft jedes der sechs Länder mit dem, was beabsichtigt und was gewollt ist, einverstanden sein wird.
    Es war immer ein sehr schwieriges Problem, die Institutionen, die Organe dieser Gemeinschaft zu gestalten. Wir geben zu, daß wir mit dem, was auf diesem Gebiet endgültig Vertragstext wurde, auch nicht voll zufrieden sind. Wir hätten es lieber gesehen, man hätte der Europäischen Kommission größere Vollmachten gegeben. Wir hätten es auch lieber gesehen, man hätte den Ministerrat stärker eingeschränkt. Aber die Widerstände waren außerordentlich stark, und Sie wissen auch, daß der Gedanke der Supranationalität, wie er — wenigstens stückweise — in der Montanunion entwickelt worden war, für die Franzosen einen Stein des stärksten Anstoßes gebildet hat.
    Aber wir müssen an dem Ergebnis auch das Positive sehen. Zwar dominiert der Ministerrat. Aber immerhin verzichtet er während der tbergangszeit überwiegend auf das Prinzip der Einstimmigkeit. Die Kommission hat doch weite Befugnisse. Bei genauer Prüfung sieht man, daß ihre Stellung bedeutender, nach meiner Überzeugung zumindest entwicklungsfähiger ist, als man angenommen hatte.
    Man muß hier zwei Dinge betrachten. Einmal wird das Gewicht der Kommission steigen, wenn die richtigen Persänlichkeiten in sie hineinberufen werden. Der Einfluß der Kommission wird auch dadurch stärker, daß sie alle europäischen Fragen detailliert und ständig behandelt und mit dem Gewicht ihrer Sachkenntnis, ihres Spezialistentums besser vorwärtskommen wird, als der Vertragstext annehmen läßt. I m übrigen möchte ich sagen: ein Ministerrat in einer Gemeinschaft, die an konkrete Ziele gebunden ist, die bestimmte Aufgaben hat, wird wohl leichter selbst zu einstimmigen europäischen Beschlüssen kommen ,als sechs Minister an sich völlig differierender Staaten, die auf einer Konferenz zusammenkommen, wo ausschließlich nationale Interessen im Vordergrund stehen.
    Und vergessen Sie nicht, daß gerade die Kritiker der Vertragswerke, die Anhänger einer ausschließlichen OEEC-Politik, sich doch darauf berufen, daß man auch mit der OEEC-Organisation vorwärtsgekommen ist. Diese Organisation baut aber ausschließlich auf dem Prinzip der Einstimmigkeit auf.
    Nun aber zu den parlamentarischen Institutionen. Sie wissen, daß sich die Minister während der Verhandlungen wegen gewisser Ressentiments gegen die Montangemeinschaft entschlossen hatten, ein neues Wirtschaftsparlament zu schaffen und es mindestens die erste Zeit und, wenn es einmal dagewesen wäre, wahrscheinlich lange Zeit neben die Gemeinsame Versammlung der Montanunion zu stellen. Ich habe mich sehr entschieden gegen eine solche Lösung ausgesprochen, und der Vertrag akzeptiert auch ,das, was ich vorgeschlagen habe, nämlich die sofortige Fusionierung des Montanparlaments in die neue Versammlung. Das Prinzip ist durchgeführt. Es wird ein einheitliches Parlament gegenüber allen drei Institutionen geben.
    Diese Entscheidung ist nicht nur deshalb bedeutsam, weil sie das Nebeneinanderbestehen zweier Parlamente verhindert. Diese Lösung garantiert — und das ist mir wichtig —, daß die drei Gemeinschaften unter einer einheitlichen parlamentarischen Kontrolle stehen, womit ein Zwang zur Koordinierung ausgeübt wird. Ich hoffe sogar, daß das einheitliche Parlament eine an sich notwendige, aber politisch im Augenblick noch nicht durchsetzbare Zusammenfassung der Verwaltungs- und Regierungsstellen der drei Gemeinschaften veranlassen wird. Es besteht kein Streit darüber, daß es notwendig ist, die Kraft der parlamentarischen Idee in diesen sehr wichtigen, für die Staaten lebenswichtigen wirtschaftlichen Gemeinschaften zum Einsatz zu bringen.
    Ich bin daher der Meinung, daß man darauf sehen muß, die Kompetenzen des Parlaments laufend zu erweitern. Nach den Verträgen sind sie noch sehr begrenzte. Aber immerhin bestehen das Kontrollrecht, das Budgetrecht und auch das Recht des Mißtrauensantrags mit dem Zwang, daß die Mitglieder der Europäischen Kommission nach einem solchen Mißtrauensantrag zurücktreten müssen.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Das Parlament ist sehr wichtig. Aus diesem Grunde halte ich es auch für notwendig, daß es selbständig bleibt und daß man von dem Gedanken abkommt, es in eine Abteilung der Beratenden Versammlung des Europarats umzuwandeln. Damit ginge nämlich die Eigenständigkeit und die sich daraus ergebende Kraft des parlamentarischen Geschehens verloren, eine Kraft, die gerade bei diesen wirtschaftlich für die sechs Staaten so entscheidenden Fragen noch auf Jahre hinaus sehr notwendig ist.
    Wer die Geschichte der Verhandlungen über Euratom und Gemeinsamen Markt kennt, weiß, daß zunächst und auf lange Zeit Euratom im Vordergrund stand. Noch zu Anfang des letzten Jahres sah es so aus, als bestehe nur Interesse daran, die Euratom-Gemeinschaft zu bekommen. Es sah so aus, als ob der Gemeinsame Markt in ferner, nebelhafter Zukunft liege.
    Ich glaube, es ist ein großer Erfolg der Verhandlungen und der Entwicklung, daß es gelungen ist, die anderen davon zu überzeugen, daß der Gemeinsame Markt für die europäische Entwicklung eigentlich das Entscheidende ist. Heute ist das Problem des Junktims überwunden. Wir haben beide Verträge nebeneinander, und sie werden — so nimmt man an miteinander realisiert werden können. Ich darf daran erinnern, daß damit auch ein Wunsch dieses Hohen Hauses verwirklicht worden ist, das im Zusammenhang mit der Monnet-Resolution am 22. März des vergangenen Jahres eine Entschließung faßte, in der ausdrücklich gewünscht wird, neben Euratom auch die Grundlagen für den Gemeinsamen Markt zu schaffen. Das wurde zu einem Zeitpunkt beschlossen, wo die Dinge noch nicht so klar lagen, wie es heute der Fall ist.
    Ich will nun nicht mehr lange auf die überseeischen Gebiete eingehen. Hier hat die Regierungserklärung sehr detailliert dargelegt, was beabsichtigt ist und wie man verhindern will, in irgendwelche problematischen Situationen kolonialpolitischer Art zu kommen. Ich will aber auch da sagen: Man muß verstehen, daß es fast nicht möglich ist, eine so enge Wirtschaftsverbindung unter den sechs Staaten zu schaffen, wenn man ihre überseeischen Gebiete dabei unberücksichtigt läßt. Es ist deutlich, wie zwischen Tunis und Marokko, die


    (Dr. Furler)

    selbständige Staaten geworden sind, Algerien, das sich in einer besonders schwierigen Situation befindet, und den eigentlich überseeischen Gebieten, nämlich jenen Zentral- und Westafrikas, differenziert wird.
    Ich möchte aber doch — und ich glaube, das ist einmal notwendig — zwei Dinge klarstellen. Meiner Meinung nach ist es ebenso falsch wie bedauerlich, mit dem Schlagwort „Kolonialismus" jede Tätigkeit europäischer Staaten in Gebieten außerhalb unseres Kontinents zu diskriminieren. Die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte zeigt, welche Großtaten Europa gerade in einer Zeit, in der die Kolonien eine so große Rolle spielten, in anderen Kontinenten vollbracht hat. Nicht die Verwaltung, Aufschließung und Entwicklung ferner Gebiete, denen die Kraft zur Selbstregierung noch fehlt, stellen ein Unrecht oder eine zu kritisierende Haltung dar; abzulehnen aber sind Ausbeutung und Mißbrauch der Macht. Ich muß sagen: mich berührt es immer sehr, daß die freien Völker des Westens wegen dieses sogenannten „Kolonialismus" gerade von Sowjetrußland sehr scharf kritisiert werden, einem Staat, der ja viel Schlimmeres tut, als der schlimmste Kolonialismus vermag. Sowjetrußland verweigert nämlich großen alten europäischen Völkern und 17 Millionen Deutschen mit Gewalt die Rückkehr in das freie Europa.

    (Beifall in der Mitte.)

    Es hindert diese Menschen mit militärischen Mitteln, sich uns im freien Westen anzuschließen und so zu leben, wie es ihrer Tradition, ihrer Vergangenheit und ihrem Willen und Wunsch entspricht. Ich will hier nicht weiter untersuchen, ob diese — ich möchte fast sagen — Minderwertigkeitskomplexe, die heute sofort entstehen, wenn von Kolonien die Rede ist, berechtigt sind und worin ihre Ursachen liegen. Ich weiß, daß die sehr komplizierte und schmerzliche Algerienfrage viel dazu beigetragen hat, die Beziehungen Europas zu Afrika und den nordafrikanischen Ländern zu belasten. Aber wenn wir hören und wenn wir überzeugt sind, das Zeitalter des Kolonialismus in diesem Sinne gehe zu Ende, neue Entwicklungen hätten sich schon durchgesetzt und bahnten sich weiter an, dann, glaube ich, ist es eine wichtige Aufgabe, neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit überseeischen Gebieten zu entwickeln, die noch nicht die Selbständigkeit haben und vor allem noch nicht die Voraussetzungen besitzen, um der Familie der freien Völker anzugehören.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Es wird mit Recht gesagt, es sei die Aufgabe unseres Jahrhunderts, den industriell zurückgebliebenen Völkern die Hilfe der hochentwickelten Länder zukommen zu lassen. Das ist zu billigen. Wer aber diesen Vertrag betrachtet, wer sieht, was hier vereinbart ist, wird zu dem Ergebnis kommen, daß hier gerade solche Formen der Entwicklung gesucht und gefunden werden. Man will — und das ist ausdrücklich gesagt — im Rahmen der Charta der Vereinten Nationen jenen überseeischen Gebieten helfen. Die Wirtschaftsgemeinschaft wird also gerade das Gegenteil von dem tun, was Kolonialpolitik in der kritisierten Weise bedeutet. Sie wird sich bewußt mit ihren Mitteln damit befassen, in gewissen afrikanischen Gebieten die Voraussetzungen zu schaffen, die notwendig sind, damit die Bevölkerung dort zu einer Selbstverwaltung und schließlich zur politischen Selbständigkeit kommt. Ich glaube, wir können uns diesen Pro-
    blemen, ganz unabhängig davon, daß sie uns jetzt durch diese Wirtschaftsgemeinschaft nahegebracht werden, schon deshalb nicht verschließen, weil es doch ziemlich deutlich ist, daß die große Auseinandersetzung in der Welt, und zwar diejenige zwischen der freien und der nichtfreien Welt, gerade im Kampf um solche Gebiete besteht. Wenn wir in Europa nicht so viel Solidarität und so viel Gemeinschaftsgeist aufbringen, von uns aus und mit unseren Mitteln jenen Völkern eine bessere und selbständige Zukunft zu ermöglichen, dann besteht die große Gefahr, daß die Lage von wo anders her, durch ein Ausspielen von uns Europäern, gestaltet wird. Es gibt da die verschiedensten Möglichkeiten: Denken Sie an die immer stärker werdende sowjetrussische Infiltration im Vorderen Orient und auch in Nordafrika, denken Sie auch an die anderen Gefahren, die in jenen Gebieten bestehen.
    Ich glaube, nach den Vereinbarungen, die getroffen worden sind, besteht nicht die Gefahr, daß man der Europäischen Gemeinschaft und damit uns eine unzulässige Ausbeutung oder einen Mißbrauch der Macht in jenen Gebieten vorwerfen kann. Nein, es werden Mittel zur Verfügung gestellt, um diese Gebiete zu entwickeln, um ihnen die Möglichkeit zur Freiheit zu geben.
    Und hier wieder einen Frage an Sie, Herr Dr. Deist. Sie haben sehr viele Bedenken. Man muß die Probleme natürlich genau prüfen. Aber auch da gilt wieder: ist Nichtstun und Warten, bis die Gebiete vielleicht von allein frei geworden sind, besser, als in einem gegebenen Moment zu versuchen, zu einer Lösung zu kommen? Es ist eben in vielen Gebieten noch nicht so weit — ich denke an Französisch-Äquatorial- und Westafrika —, daß schon eine Staatenbildung wie z. B. in Ghana möglich wäre. Aber das wird auch einmal kommen. Dürfen wir bis dahin warten? Ist nicht das Gebot der Stunde, das zu tun, und zwar lauteren Herzens zu tun, was möglich ist, um dadurch nicht nur für diese Gebiete, sondern auch für Europa etwas Entscheidendes zu leisten?
    Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, wie ungeheuer wichtig es für unsere Freiheit, für unsere Wirtschaft und für die Lebensinteressen unseres alten Kontinents ist, daß jene Territorien nicht verlorengehen, nicht in einen anderen Einflußbereich hineinkommen.

    (Sehr richtig! in der Mitte. — Abg. Dr. Kreyssig: Denken Sie gelegentlich an Algerien und Tunesien!)

    — Sie wissen, Herr Kollege Kreyssig, daß Tunesien und Marokko — ich will zuerst diese beiden nennen — inzwischen auch von uns anerkannte souveräne Staaten geworden sind. Diese Staaten werden in keiner Weise durch das Vertragswerk berührt. Man nimmt ,an — und man hat Anhaltspunkte dafür —, daß sie, noch zum Frankengebiet gehörend, an dem Gemeinsamen Markt interessiert sind. Wenn sie von sich aus wünschen, sich mit der Wirtschaftsgemeinschaft zu assoziieren, werden später selbständig auszuhandelnde Verträge geschlossen werden.
    Das schwierige Problem Algerien! Sicher, es ist geradezu eine tragische Situation. Aber der Sinn dessen, was hier geschieht, ist nicht, die Algerienpolitik Frankreichs zu unterstützen. Sie wissen, daß Algerien einen Sonderstatus bekommt. Es kommt nicht völlig in den Vertrag hinein. Große Teile der Verträge finden auf Algerien keine Anwendung.


    (Dr. Furler)

    Es wird geprüft, was hier später geschehen soll. Wir werden und können Frankreich die Verantwortung für seine Algerienpolitik nicht abnehmen. Wir können aber auch nicht deshalb, weil Frankreich noch in einer schwierigen Situation ist, sagen: Wir lehnen eine Gemeinschaftsbildung ab. Denn wir sind überzeugt, daß das Algerienproblem durch Frankreich und im Rahmen der Vereinten Nationen eine Lösung finden wird, die den Frieden und die Ruhe auch im nordafrikanischen Gebiet wiederherstellt.
    Nun noch einige Bemerkungen zu dem Verhältnis der Wirtschaftsgemeinschaft zu dritten Staaten, zunächst zum übrigen Europa! Es ist das Falscheste, was behauptet werden kann, die sechs Staaten wollten sich abschließen. Sie wollen ein Gebiet wirtschaftlicher Ordnung schaffen in der Überzeugung, daß sich die Einigung in diesem Raum auch auf das übrige Europa fördernd auswirken wird. Diese Überzeugung ist keine reine Theorie. Das konnte man uns vor zwei Jahren vorhalten und sagen: Ihr schließt euch ab, kein Mensch wird sich danach richten! Großbritannien hat im vergangenen Sommer gezeigt, daß Fakten berücksichtigt werden, daß Tatsachen Rechnung getragen wird. Ich glaube, die Idee, eine Freihandelszone zu schaffen, wäre nie aufgekommen, wenn man nicht gesehen hätte, daß die Wirtschaftsgemeinschaft der Sechs im Begriffe ist, sich zu bilden. Wenn sie schon im Begriffe, sich zu bilden, solche Auswirkungen hat, dann werden diese Auswirkungen noch deutlicher und noch realisierbarer werden, wenn sie geschaffen ist. Denn davon bin ich überzeugt: ohne die Wirtschaftsgemeinschaft der Sechs werden die anderen und werden wir alle in dem bisherigen Zustand weiterleben. Die OEEC-Verhandlungen haben ziemlich deutlich ergeben, daß es im gegenwärtigen Zeitpunkt unmöglich ist, das gesamte Europa ohne den Grundstock der Sechs zu einer Gemeinschaft einer Freihandelszone endgültiger Art zusammenzuführen. Die Gegensätze sind sehr, sehr groß. Aber wir sehen, wie die Dinge über den Gemeinsamen Markt in Fluß kommen.
    Wir sind darin einig, alles zu tun, um nicht zur Abschließung zu kommen, sondern zur Förderung, nämlich zur Bildung solcher Freihandelszonen. Wir wollen auch Opfer bringen auf diesem Gebiet. Wir wollen vor allem auch anerkennen, daß es manchen Staaten nicht leicht ist, diesen Entschluß zu fassen. Ich glaube, die Gemeinschaft wird dem Rechnung tragen. Sie wird zur endgültigen wirtschaftlichen, sagen wir individuellen Einigung Europas beitragen. Das ist besser, als wenn wir wieder sagten: Da wir nicht alles erreichen können, tun wir gar nichts. Im übrigen möchte ich, weil es auch für die politische Beurteilung wichtig ist, sagen, daß die neueste Haltung der sowjetischen Regierung uns doch sehr zu denken geben muß. Sie wissen, daß das sowjetische Außenamt am 16. März eine Note verschickt hat, in der es einen sehr scharfen Angriff gegen diese werdende Wirtschaftsgemeinschaft richtet. An dieser Note ist interessant, daß zunächst Ausführungen gemacht werden, die die besten Argumente für eine europäische Wirtschaftszusammenfassung geben. Die sowjetische Regierung sagt, man müsse Europa zusammenführen, nur so könne man die wirtschaftlichen Schwierigkeiten überwinden, nur so die technischen Probleme meistern. Aber dann kommt plötzlich — ich sage das ganz bewußt — die Wendung, nämlich unser Werk sei verfehlt und abzulehnen, weil diese Wirtschaftsgemeinschaft kein anderes Ziel habe, als die westliche militärische Aggression zu fördern, da die Staaten der Gemeinschaft auch Mitglieder der NATO, der atlantischen Verteidigungsgemeinschaft, seien. Ich frage nun: Wie steht es mit dieser Argumentation, wenn sich Schweden oder ein Staat wie die Schweiz anschließen, die mit der NATO nichts zu tun haben? An die europäische Integration hat man gedacht und an ihr gearbeitet, als wir von einer atlantischen Verteidigungsgemeinschaft noch nicht wußten, zumindest als noch niemand damit rechnete, daß die Bundesrepublik der NATO einst angehören werde.

    (Abg. Dr. Lenz [Godesberg]: Sehr richtig!)

    Aber es ist hoch interessant: In dieser sowjetischen Note wird wieder versucht, die europäischen Völker auseinanderzumanövrieren So wird gesagt, die Erklärungen der europäischen Staatsmänner stellten lediglich Irreführungen dar; diese Politiker wollten nur bemänteln, was sie in Wirklichkeit beabsichtigen. Den Franzosen wird ausdrücklich vor Augen geführt, daß die neuen europäischen Verträge zur wirtschaftlichen Hegemonie der deutschen Monopolherren führten und daß eine unmittelbare Gefahr für das französische Volk heraufbeschworen werde. Die übrigen Länder, so wird behauptet, würden gegenüber den Militaristen und Revanchisten Westdeutschlands entmachtet. Uns Deutschen wird gesagt, daß die amerikanischen Monopole und Korporationen den Gemeinsamen Markt zu ihrem eigenen Vorteil und zum Schaden der Interessen der nationalen Industrie der europäischen Länder benutzen werden. In einer gewissen Verbeugung vor den „einflußreichen Kreisen" Englands erklärt die Note, daß diese Kreise keinerlei Illusionen hinsichtlich jener Folgen hegten, welche ihre Beteiligung am Gemeinsamen Markt nach sich ziehen würde. Schließlich wird den Italienern erklärt, daß sie im Zuge des Gemeinsamen Marktes — und das ist sehr interessant — in den übrigen europäischen Ländern für die schwersten, gefährlichsten und am schlechtesten bezahlten Arbeiten eingesetzt und völlig von der Willkür der deutschen und anderen ausländischen Monopolkapitalisten abhängig gemacht würden.
    Sie erkennen die Absicht. Im Grunde geht es darum, noch im letzten Augenblick etwas zu versuchen, was wir kennen: uns Europäer auseinanderzuspielen. Denn man will verhindern — und das ist das alleinige Ziel, das man im Augen hat —, daß sich dieses Europa wenigstens wirtschaftlich konsolidiert, daß es in sich zusammenwächst und damit die Grundlage für eine weitere politische Entwicklung schafft.
    Auch zum deutsch-französischen Problem, das in diese Wirtschaftsgemeinschaft eingebettet liegt, möchte ich noch ein Wort sagen. Sicher sind die klassischen, aus der nationalstaatlichen Politik entstandenen Differenzen zwischen diesen beiden Völkern beseitigt. Das Saarabkommen hat hier eine letzte Lösung gebracht. Frankreich erkennt auch das deutsche Anliegen auf Wiedervereinigung an und unterstützt es. Es geht aber nicht, bei dieser Lage stehenzubleiben. Es erscheint mir notwendig, zu einer Gemeinschaft mit Frankreich zu kommen. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist das vorliegende Vertragswerk von Bedeutung. Erinnern Sie sich, daß schon 1946 Churchill sagte: „Der erste Schritt zur Wiederaufrichtung Europas ist


    (Dr. Furler)

    die Partnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich". Wir müssen über die Bereinigung der Differenzen hinauskommen, müssen kommen zu einem gemeinschaftlichen Denken, einer Bereitschaft zur Hilfe, wenn ein Partner sie nötig hat. Der Vertrag zeigt hier auf dem wirtschaftlichen Gebiet Ansatzpunkte für eine solche Entwicklung, von der ausgehend ein ganz neues politisches Denken entstehen kann, in dem Europa wieder Vorbild für andere Gebiete der Welt sein könnte.
    Ich habe soeben die Wiedervereinigung erwähnt. Ich muß sagen, daß mich die Argumentationen der Regierungserklärung völlig überzeugt haben. Es besteht kein Zweifel an der völkerrechtlichen Situation. Die Handlungsfreiheit des wiedervereinigten Deutschland ist auch gegenüber diesen Verträgen gegeben. Ich halte es nicht für notwendig, dies ausdrücklich in den Verträgen zum Ausdruck zu bringen; ich denke dabei an den Entschließungsantrag, den die SPD vorgelegt hat. Ich glaube, es ist mit Rücksicht auf die gesamtpolitische Haltung der Bundesrepublik richtiger, mit den eindeutigen Erklärungen aller Partner zufrieden zu sein. Auch das, was über den Interzonenverkehr gesagt ist, sollte genügen. Man muß schon ein sehr kompliziertes Denken anwenden, Herr Dr. Deist, wenn man herauslesen will: nur bei Inkrafttreten des Vertrags sollen die Bestimmungen unberührt bleiben. Der Sinn ist der: die anderen haben anerkannt, daß es innerhalb Deutschlands keine Zollgrenzen gibt und daß der Interzonenverkehr eine innerdeutsche Angelegenheit ist. Wir müssen die hier zum Ausdruck kommende Einstellung unserer Partner anerkennen. Denn rein ökonomisch betrachtet ist es natürlich nicht ganz leicht, eine Zollgemeinschaft zu gründen, in der ein Partner eine so besondere Situation hat, daß der Außenzolltarif nicht lückenlos anwendbar ist. Man muß die Dinge auch einmal von dieser Seite sehen.
    Bei der Betrachtung der Verträge, des Werkes der wirtschaftlichen Gemeinschaft gilt es nicht nur ein Urteil abzugeben, sondern auch eine Haltung einzunehmen. Wir verkennen nicht, daß diesen Verträgen auch Mängel anhaften. Wir wissen, daß Kompromisse notwendig waren, daß ohne sie die Verträge gar nicht entstanden wären. Wir sehen auch die Opfer, die gerade von uns verlangt werden.
    Wichtiger als alle diese Feststellungen scheint mir aber der Geist, den wir diesem Werk für seine weitere Entwicklung eingeben, ist das Leben, das wir aus ihm entwickeln und das aus ihm entstehen wird, wenn wir uns anstrengen, seine großen Ziele zu realisieren. Ohne einen gewissen Optimismus, ohne konstruktive Phantasie und ohne den Glauben an und den Willen zur Vorwärtsentwicklung wird auch das beste Gemeinschaftswerk zum Stillstand gebracht. Wo aber eine positive Einstellung besteht, ergibt sich die Möglichkeit, das sich ständig entwickelnde Leben zu gestalten. Mit Kleinmut und Kritik kommen wir nicht weiter. Selbstverständlich wollen wir Vorzüge und Mängel der Verträge realistisch betrachten. Darüber dürfen wir aber den Mut zu einer positiven Haltung nicht verlieren. Bedeutende Ausgangspositionen sind gegeben. Es heißt mitarbeiten und denen helfen, die in dieser Gemeinschaft der Hilfe bedürfen. Nur so werden sich die Opfer rechtfertigen, die auch wir bringen müssen. Die Verträge geben eine große europäische Möglichkeit. Ich bin
    sogar überzeugt, sie geben im Augenblick und auf lange Zeit hinaus die einzige Möglichkeit, zu einem neuen Europa vorwärtszuschreiten, zu einem Europa, dem der Geist des gemeinschaftlichen Denkens und Handelns innewohnt, einem Europa, das Solidarität und die Kraft besitzt, die sich aus dem Zusammenwirken benachbarter und befreundeter Völker notwendigerweise entwickeln wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)