Rede von
Anton
Storch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den Ausführungen von Herrn Abgeordneten Neumann fühle ich mich doch verpflichtet, noch einiges zu sagen. Sie werden aus meinem Munde noch nie eine Kritik an der Arbeit der Menschen gehört haben, die im Jahre 1945 in Berlin die sozialpolitische Arbeit übernommen haben.
— Sie haben es mir zum Vorwurf gemacht!
Ich spreche es hier in aller Offenheit aus: Wer sich (I im Jahre 1945, gleichgültig ob in Berlin oder in einem Land, das heute zur Bundesrepublik gehört, der Mühe unterzogen hat, die sozialpolitische Situation zu ergründen und daraus die notwendigen Schlußfolgerungen zu ziehen, stand eben vor einem großen Nichts, und keiner konnte sagen, was morgen und was übermorgen ist; deshalb kein Vorwurf von mir gegen irgend jemand, gleichgültig zu welcher Richtung er gehört, in irgendeinem Gebiete Deutschlands.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben doch in den zurückliegenden Jahren — Gott sei Dank, sage . ich — auch eine Grundlage für die sozialpolitische Sicherheit 'der Menschen in unserem Wirtschaftsleben erarbeiten können, so daß wir uns die Frage erlauben konnten, wie die Gestaltung sein soll. Wir sind doch in 'der Entwicklung immer einen Schritt nach dem anderen ,gegangen. Heute kommt es nur darauf an, ob man das, was in der Bundesrepublik heute geltendes Recht ist, auch in Berlin wirksam werden lassen will, auf sonst gar nichts.
Herr Neumann, Sie haben mir gesagt, Sie hätten meine Reden aus meiner Zeit in Hannover durchstudiert. Die können Sie heute noch jeden Tag bekommen. Die grundlegenden Ausführungen, die ich über sozialpolitische Fragen gemacht habe, und zwar als Leiter der sozialpolitischen Abteilung des Deutschen Gewerkschaftsbundes in der britischen Zone, finden Sie im Protokoll der Kongresse in Bielefeld der Jahre 1946 und 1947.
— Ja, bitte lesen Sie sie durch!
Ich habe sie mir in der letzten Zeit eigens noch einmal durchgelesen und habe mich gefragt: Mußt du etwas revidieren? Wenn ich etwas zu revidieren gehabt hätte, Herr Abgeordneter Neumann, glauben Sie mir, dann hätte ich es getan, aus dem einfachen Grunde, weil ich genauso wie die Leute, die in Berlin und anderwärts die Dinge beeinflußt haben, damals vor ganz anderen Situationen gestanden habe. Wenn man sich da revidiert, braucht man sich 'absolut keinen Vorwurf zu machen, daß man etwa seinen Ideen untreu geworden sei.
Darüber sind wir uns doch hoffentlich einig.
Ich habe nachher im Jahre 1949 auf Bitten des damaligen Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, des Herrn Böckler, noch einmal vor den Gewerkschaftsvertretern in Köln einen Vortrag gehalten über das, was ich mir sozialpolitisch vorstelle — ob man das immer durchsetzen kann, ist eine ganz andere Frage —, über die Gedankengänge, die mich damals zu den Anfangsgesetzen bewogen haben. Obwohl ich es mir genauestens angesehen habe, brauche ich mich im Grundsätzlichen nirgends zu revidieren. Das will ich einmal in aller Deutlichkeit sagen.
An und für sich ist es nicht gut, daß wir uns heute über diese Dinge unterhalten, weil, wie ich vorhin schon gesagt habe, andere Zeiten manchmal andere Maßnahmen erfordern. Ich weiß, daß ich im Jahre 1945, als Lord Beveridge das erstemal bei mir war und seinen Sozialplan erörterte, davon sehr angetan war; warum soll ich das bestreiten? Ich habe allerdings nachher in den Gesprächen mit meinen Kollegen gesagt: In der Zeit der bittersten
Not und des tiefsten sozialen Standes wäre das vielleicht ,die einzig richtige Lösung; haben wir aber die Hoffnung, daß wir 'wirtschaftlich wieder besseren Baden unter die Füße bekommen, dann ist es unzulänglich. Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehen Sie sich doch die Entwicklung zur Zeit an! Dann werden Sie sehen, daß wir mit diesen unseren Auffassungen noch nicht einmal ganz schräg gelegen haben. Aber ich möchte Sie bitten, bei dieser Diskussion nicht noch einmal bei dem Jahre 1945 anzufangen. Wir wollen uns darüber unterhalten, ob es unter den heutigen Umständen zweckmäßig und richtig ist, ,daß wir das einheitliche Recht für die Sozialversicherung überall dort gelten lassen, wo auch sonst deutsche Gesetze gelten.