Rede von
Martin
Elsner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(GB/BHE)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte ebensowenig wie meine Herren Vorredner versäumen, mein Bedauern darüber zum Ausdruck zu bringen, daß diese Debatte erst heute stattfindet und Bundestagsdrucksachen zur Verhandlung anstehen, die schon anderthalb Jahre alt sind. Ich denke dabei besonders an den Antrag Drucksache 1734, der heute wiederholt angesprochen worden ist. Seine Eilbedürftigkeit und auch seine Bedeutung war sicher nicht zu übersehen, denn er trug ja die Unterschrift von 76 Abgeordneten aller Fraktionen dieses Hohen Hauses. Nicht zuletzt enthielt er, wie bereits ausgeführt, das erste wirkliche Atomprogramm, das in der Bundesrepublik publiziert wurde.
In diesem Antrag wird unter Punkt 6 c auch die Anwendung radioaktiver Isotope in der Landwirtschaft angesprochen. Ich habe Veranlassung, gerade zu diesem Punkt einige grundsätzliche Ausführungen zu machen, da ich nach den bisherigen Veröffentlichungen und Verlautbarungen der Bundesregierung den Eindruck gewonnen habe, daß man diesem Gebiet nicht die notwendige Aufmerksamkeit schenkt. Ich denke dabei an die Atomkonferenz in Genf. Zu diesem großen internationalen Gespräch, in dem die Wissenschaftler aller Völker ihre Forschungsergebnisse auf dem Gebiete der friedlichen Anwendung der Kernenergie vorlegten, war von der Bundesregierung leider kein Vertreter zum speziellen Studium der landwirtschaftlichen und der ernährungswirtschaftlichen Fragen delegiert worden, obwohl erst einige Wochen vor dieser Konferenz von dieser Stelle aus Herr Kollege Professor Dr. Carlo Schmid anläßlich der Debatte über die Große Anfrage der SPD besonders auf die Notwendigkeit hingewiesen hatte, jede Möglichkeit dieser großen internationalen Zusammenkunft für die deutsche Entwicklung nutzbar zu machen. Dabei hob er gerade die Belange der Landwirtschaft hervor.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat diese Anregung zum Nachteil der notwendigen Entwicklung in der landwirtschaftlichen Forschung leider nicht aufgegriffen. Gewiß mag vielerorts und vielerseits die Bedeutung dieser Entwicklung nicht richtig erkannt worden sein. Selbst gewisse Fachkreise aus anderen Staaten waren überrascht, zu erfahren, in welchem Maß gerade die Landwirtschaft und die Ernährungswirtschaft zu den erfolgreichsten Disziplinen der friedlichen Nutzung der Kernenergie gehören. Die Ausstellung und das halbe Hundert der vorgelegten Arbeiten haben dies klar und unübersehbar dokumentiert.
Um die Bedeutung dieser Frage herauszuheben, darf ich daran erinnern, daß heute 2,5 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Zur Zeit beträgt der jährliche Bevölkerungszuwachs 30 bis 40 Millionen. In 25 Jahren aber kann die Bevölkerung 3.5 bis 4 Milliarden Menschen zählen. In diesem Blickfeld wird gewiß deutlich, vor welchen Erzeugungsaufgaben die Landwirtschaft in naher Zukunft stehen wird. Wenn heute auch in weiten Gebieten der Erde die landwirtschaftliche Erzeugung schneller wächst als die Bevölkerung, so stehen diesen Gebieten doch große Räume gegenüber, in denen die Entwicklung umgekehrt verläuft, nämlich die Bevölkerung schneller wächst als die Produktion. Ich erinnere hierbei an Japan, Indien, China. In diesen Staaten ist seit langem das Problem Nummer eins das Ernährungsproblem. Wir in der Bundesrepublik haben mit unseren hohen Ernährungsimporten und den klimatisch bedingten Nachteilen gegenüber den großen Erzeugerländern am allerwenigsten Ursache, die Möglichkeiten einer Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion durch die Anwendung der Kernenergie zu vernachlässigen. Schon im Hinblick auf die europäische Union wird die deutsche Landwirtschaft jedes Mittel einsetzen müssen, um die klimatisch bedingten Nachteile und die der Bodengüte durch höchste und qualitativ feste Leistungen auszugleichen, um wettbewerbsfähig zu werden und es auch zu bleiben, das heißt praktisch, aus der nicht bequemen und auch bei der Landwirtschaft nicht beliebten Lage einer permanenten und hohen Staatssubvention herauszukommen. Schon allein diese Tatsache sollte für die Bundesregierung, für die
Länderregierungen, aber auch für alle berufsständischen Organisationen Grund genug sein, die notwendigen Anstrengungen für die Entwicklung fortschrittlicher Erzeugungsmethoden in der Landwirtschaft zu machen. Wir haben in der Bundesrepublik keine Zeit zu versäumen, um den großen Vorsprung aufzuholen, den andere Länder auf dem Agrarsektor bereits gewonnen haben.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch einige Ausführungen zu der Anwendung der Kernenergie im Rahmen der landwirtschaftlichen Forschung und Praxis. Diese Anwendung beschränkt sich nicht nur auf die Leistungssteigerung in der Produktion, sondern im besonderen Maße kann mit ihr auch der Qualitätsminderung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse bei der Lagerung entgegengewirkt werden. Die Qualitätserhaltung der Erzeugnisse ist von entscheidender Bedeutung im Wettbewerb mit frischen Importerzeugnissen, aber auch im Hinblick auf die bisher sehr erheblichen Lagerungsverluste, die dadurch unterbunden werden können.
Ich darf hierfür einige Forschungsergebnisse herausgreifen, die die bedeutsamen Erfolge bei zwei Massenkonsumgütern zeigen. Es handelt sich um Milch und Kartoffeln. Kartoffeln, die gleich nach der Ernte mit der richtigen Strahlenmenge behandelt werden, erhalten eine hohe Lagerfähigkeit ohne Auswuchs oder Fäulnis und erleiden keine nennenswerten Lagerungsverluste. Sie behalten ihre Frische, ihre Güte und ihren natürlichen Geschmack bis zum Anschluß an die neue Ernte. Das gleiche gilt für alle übrigen Wurzelgewächse.
Besonders beachtenswert sind die Erfolge der Kaltsterilisation bei Frischmilch. Das britische Atomforschungsinstitut Harwell hat festgestellt, da eine mit radioaktiven Strahlen behandelte Milch sich mindestens zehn Tage frisch erhält und nichts im Geschmack und in der Güte verliert. Es zieht daraus den Schluß, daß in absehbarer Zeit die Milch nur einmal in der Woche an den Verbraucher geliefert zu werden braucht. In diesem Zusammenhang darf ich feststellen, daß auch bei uns ähnliche Versuche gemacht worden sind. Aus eigener Initiative hat die Kieler Versuchs- und Forschungsanstalt in ihrem physikalischen Institut ein milchwirtschaftliches Isotopenlabor eingerichtet.
Große Bedeutung gewinnt die Kaltsterilisation für die Konservierung von Gemüse. Besonders die Vereinigten Staaten haben hierbei außerordentlich günstige Ergebnisse erzielt. Es hat sich dabei herausgestellt, daß die verschiedensten Gemüsearten sich für die neuen Konservierungsmethoden eignen.
Aber auch bei der Vernichtung anderer Feinde der tierischen und pflanzlichen Erzeugnisse hat man bedeutsame Erfolge erzielt. Die radioaktiven Isotope werden bei der Grundlagenforschung in der Landwirtschaft und auch in der Ernährungswirtschaft praktisch zu so vielen Zwecken verwendet, daß im einzelnen hierauf nicht eingegangen werden kann.
Besonders erfolgreich wurden sie in der Forschung als Spürelemente eingesetzt. Mit ihrer Hilfe ist es möglich, Vorgänge im organischen und anorganischen Bereich genauestens zu verfolgen. Diese Untersuchungen haben bereits jetzt neue, grundlegende Erkenntnisse vermittelt, die zu besseren Kulturmethoden, zu höheren Erträgen und zu einer höheren Rentabilität der landwirtschaftlichen Erzeugung führen werden. So kann durch die neu gewonnenen Erfahrungen bei der Bodenbearbeitung die Bodenfruchtbarkeit gesteigert werden. Die neuen Untersuchungen über Pflanzenernährung und Pflanzendüngung haben eine Rentabilitätssteigerung der Düngung und damit eine erhebliche Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung gebracht.
Endlich konnte man auch die Fragen klären, inwieweit bestimmte Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen Gefahren für die menschliche Gesundheit bringen. Gleichzeitig damit wurden die Schädlingsbekämpfungsmethoden und auch die -mittel erheblich verbessert.
Mit der Markierung durch Isotope hat man in der Tierzucht Aufschluß und neue Erfahrungen über Nährstoffwechsel, Nährstoffausnutzung und Ertragsbildung, insbesondere bei Fleisch, Milch, Wolle und Eiern, sowie über tierische Krankheiten gewonnen.
Beachtenswert sind die Ergebnisse des Landwirtschaftlichen Radiuminstituts in Rom, das sich mit Forschungen über die biologische Wirkung radioaktiver Strahlen befaßt. Man setzte dort im Versuchsabschnitt Weizensaatgut einer gemischten Neutron-Gammastrahlung aus und säte dieses Saatgut fünf Monate später als im Normalverfahren aus. Der bestrahlte Weizen holte das Wachstum des um fünf Monate früher gesäten Normalweizens in kurzer Zeit auf und war bereits nach 64 Tagen bei gleichem Ertrag erntereif. Bei ähnlichen Versuchen in Schweden brachte bestrahltes Saatgut einen um 10 0/o höheren Ernteertrag.
Wohl die erstaunlichsten Erfolge sind bei der Züchtung, insbesondere der Pflanzenzüchtung eingetreten. Aus einer großen Zahl von durch radioaktive Strahlung herbeigeführten Erbgutveränderungen ist es in den Vereinigten Staaten gelungen, eine um vieles ertragreichere Erdnußstaude und einen rostresistenten Hafer und Weizen zu züchten. Man befaßt sich zur Zeit im Rahmen eines groß angelegten Forschungsprogramms mit den mutationsauslösenden Wirkungen der radioaktiven Strahlen bei der Züchtung besserer und ertragreicherer Getreide- und Obstsorten und wertvollerer Tierrassen. Die Anfangserfolge lassen außerordentlich große Erwartungen zu.
In der Bundesrepublik wäre die Möglichkeit zu solchen Versuchsreihen und Forschungen auch gegeben gewesen; denn eine Einfuhr von Isotopen erfolgte bereits, als die eigentliche Kernenergieforschung noch untersagt war. Das wirtschaftliche Interesse war auch vorhanden. Trotzdem erfolgten Arbeitsansätze nur vereinzelt. Es fehlte leider an der Unterstützung solcher Bemühungen durch den Bund und die Länder. Ein entsprechendes Institut mit langjähriger und vielseitiger Erfahrung auf diesem Gebiet wurde sogar geschlossen. Dabei haben all diese Arbeiten nicht nur eine Bedeutung für die Steigerung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung, sondern auch hinsichtlich möglicher Gefahren einer Verseuchung durch eingeführte Nahrungs- und Futtermittel.
Bei aller positiven Würdigung der fortschrittlichen Entwicklung in der praktischen Verwendbarkeit der Kernenergie muß doch mit Nachdruck auf die großen Gefahren hingewiesen werden, die damit zwangsläufig verknüpft sind. Förderungs- und Sicherheitsmaßnahmen des Staates müssen daher Hand in Hand gehen.
Zusammenfassend darf ich noch einmal kurz sagen: Seitens der zuständigen Behörden von Bund und Ländern sollte alles getan werden, um die Arbeiten zur Verwendung der Kernenergie zum Nutzen .der Landwirtschaft voranzutreiben. Dabei kann man auf die bereits vorhandenen Institute und Laboratorien zurückgreifen, indem man dort entsprechende Arbeitsplätze einrichtet. Außerdem sollte von der Bundesregierung für folgende Maßnahmen vordringlich Sorge getragen werden. Erstens: Die für die deutsche Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft wichtigen Probleme in Verbindung mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie bedürfen einer zentralen Bearbeitung und Weitergabe an die interessierten Kreise. Zweitens: Dringend notwendig ist der Aufbau und die Unterhaltung eines Kobalt-60- Bestrahlungsfeldes zur Erzeugung künstlicher Mutationen und die Belieferung der Züchter mit Material. Drittens: Wissenschaftler und Techniker für dieses Spezialgebiet müssen ausgesucht und herangebildet werden. Viertens: Methoden zum Schutze der Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft gegen radioaktive Verseuchung, die selbst in Friedenszeiten eintreten kann, müssen erarbeitet werden. Schließlich sind geeignete Fachleute zu den internationalen Kongressen zu entsenden.
Die großen Erkenntnisse Liebigs und ihre praktische Anwendung waren die Voraussetzungen für die hohen Ertragssteigerungen in der Landwirtschaft, und erst diese ermöglichten es, die stark wachsende Bevölkerung zu ernähren. Mit den Möglichkeiten, die uns die Nutzung der Kernenergie für friedliche Zwecke bietet, werden wir noch einen entscheidenden Schritt weitergehen. Ich bin der Meinung, daß mit der Anwendung der Kernenergie in der Landwirtschaft ein ähnlich bedeutsamer Entwicklungsabschnitt beginnt wie damals mit der praktischen Verwertung der Liebigschen Forschungsergebnisse. Als ich mit den Herren Kollegen dieses Hauses, die der interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft angehören, die Atomkonferenz in Genf besuchte, gewannen wir folgende klare Erkenntnis: Die fortschrittliche Entwicklung in der Nutzung der Kernenergie ermöglicht es, der Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft Mittel und Wege zu zeigen, um zu hohen und konstanten Erträgen zu gelangen. Daß dies die Existenz aller angeht. braucht nicht besonders betont zu werden. Wir dürfen daher die Erwartung aussprechen, daß die Bundesregierung alles tut, um den Vorsprung, den die anderen Länder gewonnen haben, aufzuholen.