Rede von
Dr.
Walter
Drechsel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, hier eine weitere wissenschaftliche oder akademische Vorlesung über die ganze Problematik der Kernenergie zu halten. Die Mitglieder
des Hauses sind schon reichlich strapaziert worden, und es werden nur einige wenige in der Lage sein, all die Probleme überhaupt zu erfassen. Aber einige Worte seien mir gestattet.
Zunächst einmal zu der Anfrage betreffend den Karlsruher Reaktor. Diese Anfrage liegt seit September 1955 vor. Herr Kollege Geiger hat sie begründet. Es scheint mir nur nicht klar zum Ausdruck gekommen zu sein — das betrifft dann auch die weitere Anfrage —, daß hier ein Versäumnis vorliegt, das sich auch bei dem Projekt Karlsruhe sehr nachteilig .ausgewirkt hat, nämlich die mangelnde Behandlung dieser Probleme in aller Öffentlichkeit, z. B. auch in diesem Hause. Was soll die Bevölkerung der Bundesrepublik eigentlich denken, wenn ihre Abgeordneten immer vermeiden, hier über diese Dinge zu reden, und dann allgemein in den einzelnen Orten von Aufklärern Vorträge gehalten werden, wobei man eben zu so widerspruchsvollen Ansichten kommt, wie sie Herr Kollege Ratzel schon angeführt hat. Ich meine: Wenn sich das Hohe Haus vorher mit den Problemen befaßt hätte, wie es die Absicht der Antragsteller — ich gehöre auch zu den Unterzeichnern des Antrags Drucksache 1734 vom Oktober 1955 und der Großen Anfrage Drucksache 1657 vom September 1955 — gewesen ist, wären sicherlich manche Schwierigkeiten, auch für das Projekt Karlsruhe, vermieden worden, und der Herr Minister hätte es jetzt nicht nötig, immer wieder in Optimismus zu machen und zu sagen: Es wird schon alles in Ordnung kommen.
Ich erinnere mich an den Gründungsvertrag von
Karlsruhe, der am 9. Juli 1956 abgeschlossen wurde.
Dabei wurden große Worte gesprochen, etwa daß
jetzt das deutsche Atomzeitalter beginne und daß nunmehr aller Vorsprung der anderen Staaten eingeholt werde. Heute fragen wir, ob überhaupt die Planung auf dem Papier fertig ist und ob überhaupt die Grundstücksfrage geklärt worden ist. Wir wissen, daß man wohl eine Straße durch das Grundstück gebaut hat, daß man dieser Straße auch schon den Namen eines ganz bedeutenden Gelehrten gegeben hat; aber es ist noch gar nicht sicher, ob diese Straße nicht letzten Endes in irgendwelchen Tabakfeldern enden wird. Wir haben in der Vorplanung wohl Mittel ausgegeben, ohne dabei jedoch zu dem entsprechenden Ergebnis zu kommen. Das Karlsruher Projekt ist seit anderthalb Jahren in aller Leute Mund. Die Münchener — hier muß man wirklich die Bayern loben; ich bin kein Bayer, deshalb tue ich es ganz besonders gern — haben nicht soviel über diese Dinge gesprochen und sind jetzt schon in ihrer ganzen Planung und in dem ganzen Bau wesentlich weiter, als es das Karlsruher Projekt ist, bei dem wir uns, wie gesagt, noch mit Kleinigkeiten herumschlagen müssen. Was also zu diesen beiden Anfragen in erster Linie zu bemerken ist, ist, daß hier eine Verzögerung, eine Verzögerung auch in der parlamentarischen Behandlung, eingetreten ist.
Zunächst einmal haben wir sie ein Vierteljahr überhaupt auf Eis gelegt, owohl sich der hohe Bundestag in seiner Geschäftsordnung eine Bestimmung gegeben hat, um zu verhindern, daß Große Anfragen und solche Anträge lange Zeit nicht behandelt werden. Das Parlament hat offensichtlich auch die Beachtung seiner eigenen Geschäftsordnung in diesen Fällen nicht für notwendig gehalten. Herr Bundesminister Strauß hat sich — daß muß man hier feststellen und den Tatsachen entsprechend bekräftigen — von der Regierung aus bereits im Februar 1955 bereit erklärt, zu dem Antrag und der Großen Anfrage Stellung zu nehmen. Das Verschulden für die weitere Verzögerung trifft also meiner Auffassung nach nur die schlechte Organisation der im Altestenrat oder irgendwo in unseren eigenen Gremien tätigen Männer, die vielleicht aus Gründen, die daneben in Betracht kommen, bewußt die Dinge 'hintangestellt haben, weil die Regierung mit ihrer Konzeption noch nicht so weit war und den eigenen Gesetzentwurf nicht vorlegen konnte. Sie wäre also auf den Gesetzentwurf einer kleinen Fraktion dieses Hauses angewiesen gewesen, die noch nicht einmal der Koalition angehörte. Das ist ja unangenehm für eine Regierung, und es ist auch verständlich, daß sie mit einer solchen Verzögerung an derartige Probleme herangeht.
Den Sinn dieser Anfrage hat Herr Kollege Ruhnke dargelegt. Ich möchte darüber hier nichts weiter ausführen. Auf eine Sache möchte ich allerdings doch noch eingehen, obwohl Herr Minister Balke verständlicherweise gesagt hat, er wolle auf die Vergangenheit und auf diese schwere Geburt seines Gesetzes nicht mehr weiter zu sprechen kommen. Aber mir müssen Sie schon gestatten, Ihnen die Daten noch einmal in das Gedächtnis zurückzurufen.
Als Ausgangspunkt wird immer der 5. Mai 1955 genannt, der Tag, an dem die Pariser Verträge unterschrieben worden sind. Es ist aber klar, und für die Bundesregierung mußte es ganz besonders klar sein, daß das nun nicht etwa ein plötzlicher Termin war. Vielmehr mußte man vorher Vorbereitungen treffen, um zu diesem Termin bestehende Gesetze der Alliierten Hohen Kommission rechtzeitig ablösen zu können. Es wäre also sehr wohl möglich gewesen, sich schon Wochen und Monate vorher mit diesen Fragen zu beschäftigen, die nun auch gerade in das heute aktuelle Thema hineinfallen. Das ist nicht geschehen. Damals war der Herr Bundeswirtschaftsminister der zuständige Minister. Er hat es unserer Kentnis nach im Laufe eines Jahres auf sieben bis acht Gesetzentwürfe gebracht, die aber alle in den Schubladen seiner Referenten stekkengeblieben sind.
Am 6. Oktober 1955 wurde Herr Minister Strauß als Atomminister eingesetzt, und am 25. Oktober 1955 hat Herr Strauß dann Vertretern aller Fraktionen erklärt, daß seine Atomkommission, die nunmehr in die Gesetzesvorbereitung eingreifen solle, bis zum 15. November vollständig da sei und daß dann der Gesetzentwurf der Regierung noch vor Weihnachten 1955 vorgelegt werden würde. Derartige Terminzusagen haben wir im Laufe der Zeit wiederholt zu hören bekommen. Aber sie sind nicht eingehalten worden. Mit zweimonatiger Verspätung wurde die Atomkommission konstituiert, und nach Auskunft des Ministeriums sollte das Gesetz nunmehr im Februar 1956 ins Kabinett kommen, um noch vor Ostern 1956 dem Bundesrat vorgelegt zu werden.
Das ist die Vorgeschichte. Und was ist nun geschehen? Am 14. Dezember 1956 erfolgte endlich die Zuleitung an den Bundestag. Ich glaube daher, daß der Vorwurf einer erheblichen Verspätung und Verzögerung zu Recht besteht. Vorstellungen, daß man hier sehr verzögernd und zu nachlässig gearbeitet habe, sind nicht etwa nur von den Abgeordneten erhoben worden, die diese Anfrage und die Anträge unterschrieben und sich mit besonderer Liebe und besonderem Fleiß für die Dinge eingesetzt haben, sondern solche Vorstellungen sind auch
von Wissenschaft, Technik und zahlreichen offiziellen Stellen erhoben worden, immer wieder mit der Forderung, 'möglichst rasch zu ,arbeiten, um in der Bundesrepublik die atomwirtschaftliche Entwicklung aufzuholen und den Vorsprung der übrigen Welt einzuholen.
Wie notwendig dies ist, ist hier bereits vorgetragen worden. Herr Minister Balke hat die zwei wesentlichen Probleme, die uns bedrängen, bereits dargelegt: einmal, daß die Amerikaner sich — meiner Auffassung nach mit vollem Recht — weigern, Kernbrennstoffe nach der Bundesrepublik zu liefern, wenn nicht nach deutschem Recht eine genügende gesetzliche Grundlage für die Kontrollen und Sicherheitsvorschriften geschaffen ist, die die Amerikaner verlangen — die ,auch wir verlangen müssen —, und zum zweiten, daß durch diese Verzögerung nunmehr in der Bevölkerung eine Beunruhigung wegen der Sicherheitsvorschriften für den Schutz vor den Strahlenschäden eingetreten ist und wir infolge einer nicht unerheblichen Verwendung strahlender Stoffe, der Isotope, doch immerhin Gefahrenquellen im eigenen Hause haben, die wir durch Vorschriften verstopfen müssen, um die Bevölkerung vor Schäden zu bewahren.
Ich frage mich immer wieder: Warum ist eigentlich der Entwurf der Freien Demokratischen Partei, den wir im Februar 1956 eingereicht haben, nicht wenigstens zur Grundlage der Aussprache im Atomausschuß gemacht worden? Man wäre sich dann sicher schon über viele Probleme klargeworden, die wir nun erst jetzt zu erörtern haben, und man hätte sich auch schließlich bei gutem Willen auf Grund dieser Vorlage zu einem Gesetzentwurf durchringen können, der dann heute schon in Kraft getreten wäre. Das ist meine Überzeugung, nach wie vor.
Ich erinnere auch daran, daß wir mit unserem Entwurf in diesem Hause wohl eine gute Aufnahme bei den Sprechern aller Fraktionen gefunden haben, daß wir aber eine ganz harte Kritik von dem damals noch zuständigen Atomminister Strauß erfahren mußten.
Da gestatten Sie mir nun, auf Grund dieser Vorgänge jetzt auch einige Kritik an der Regierungsvorlage zu äußern. Einige Punkte dieser Kritik sind heute schon vorgetragen worden. Zunächst möchte ich dem Herrn Kollegen Ruhnke zustimmen. Auch wir vermögen nicht einzusehen, warum bei der Ordnung dieser Dinge, die im Zusammenhang mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie stehen, nun tatsächlich eine Änderung des Grundgesetzes erforderlich ist. Ich glaube behaupten zu können, daß wir den Beweis erbracht haben, daß man die Verwaltungsorganisation, die zweifellos erforderlich ist, heute schon, ohne eine Änderung des Grundgesetzes, aufbauen kann — ein entsprechender Vorschlag ist in unserem Entwurf gemacht — und daß trotzdem die Erfüllung der sachlichen Erfordernisse gesichert ist. Wir sind grundsätzlich der Auffassung, daß man eine Änderung des Grundgesetzes überhaupt nur dann ins Auge fassen und vornehmen darf, wenn sie wirklich unerläßlich ist. Man sollte eine Verfassung nicht laufend zu ändern versuchen. Sie wird dadurch unstabil. Wir vermögen also nicht anzuerkennen, daß bei dieser Problematik eine Änderung des Grundgesetzes erforderlich ist, und würden — hier schließe ich mich der Auffassung, die Herr Kollege Ruhnke geäußert hat, an — einer solchen Änderung des Grundgesetzes nicht zustimmen können.
Der Streit geht doch eigentlich auf der organisatorischen Seite in erster Linie darum, ob man nun, wie es jetzt die Regierungsvorlage vorsieht, mit Auftragsverwaltung der Länder arbeiten soll oder ob man, wie die SPD sagt, ein „Organ" — ich glaube, so war die Bezeichnung — bilden soll, wir sagen es etwas deutlicher: eine Bundesanstalt errichten soll, die dann die Dinge in die Hand nehmen und ordnen sollte.
Herr Minister Strauß hat im April 1956, als unser Gesetz in diesem Hause diskutiert wurde, geäußert, daß unser Vorschlag auf Errichtung einer Bundesanstalt, wie wir ihn in der Gesetzesvorlage gebracht hatten, verfassungsrechtlich bedenklich sei. Es ist sehr bezeichnend, daß jetzt in der Begründung der Regierungsvorlage drei Wege aufgezeichnet sind, wie man die Verwaltung, die notwendig ist, aufbauen könne. Dort ist auch genannt, daß man den Weg der Errichtung einer solchen Bundesanstalt durchaus wählen könne, man neige aber aus sachlichen Gründen einer anderen Konzeption zu. Die Ablehnung der Bundesanstalt wird jedoch nicht mehr juristisch begründet.
Sicherlich läßt sich über die Form der Organisation streiten. Wir sind der Auffassung, die Bundesanstalt — oder, wie die SPD sagt, das „Organ" — ist der richtige Weg. Wir werden uns wohl darüber aussprechen müssen. Ich fürchte allerdings, daß bei der Konzeption der Regierungsvorlage die zentrale Ausrichtung mangelt, daß die gleichmäßige Behandlung der Antragsteller, die Durchführung der Kontrollen und Sicherheitsmaßnahmen, die doch in allen Ländern und auf allen Ebenen gewährleistet sein muß, nicht gesichert ist. All dies wäre mit einer Bundesanstalt wesentlich leichter zu handhaben. Sie haben vorgesehen, daß in diesen Ländern besondere Gremien zur Beratung der nach Ihren Vorschlägen sehr maßgebenden Länderinstanzen gebildet werden müssen. Sie wissen aber selber — der Herr Minister wird mir das sicher zugeben müssen —, daß es schon außerordentlich schwer ist, für die Bundesinstanzen die notwendigen Fachleute, die auch über die entsprechende Zeit verfügen, zusammenzubekommen, um eine solche Kommission überhaupt zu besetzen. Wenn der Weg der Regierungsvorlage beschritten wird, werden wir also zu einer erheblichen Behörden- und Kommissionsfülle kommen müssen, mit zahlreichen Genehmigungsvorschriften, die, das scheint mir die Hauptgefahr zu sein, durchaus nicht alle einheitlich vorhanden sein werden, weil die Länder — die Erfahrungen haben wir ja alle — gerne nach ihren eigenen Gesichtspunkten arbeiten werden, wenn sie durch die Vorlage der Regierung dazu in die Lage versetzt werden. Das, was in der Begründung der Regierungsvorlage steht — daß ein möglichst unkompliziertes Genehmigungssystem gewählt werden solle —, scheint mir in der Praxis in das Gegenteil verkehrt worden zu sein. Weitere Einzelheiten will ich mir jetzt ersparen; wir werden darüber noch im Ausschuß sprechen können.
Herr Kollege Ruhnke hat auch die wenig präzise Bestimmung angeführt, nach der die Genehmigungen erteilt werden sollen. Da stimme ich ihm absolut zu. Es scheint eine schlechte Formulierung im Gesetz zu sein, denn wer entscheidet z. B. über die Zuverlässigkeit? Wenn im Gesetz steht, daß zum Transport von Kernbrennstoffen die Genehmigungsbehörde sich von der persönlichen und politischen Zuverlässigkeit des Spediteurs, des
Kraftfahrers und des Beifahrers und anderer vielleicht beteiligter Personen überzeugen müsse, so scheint mir das sehr weitgehend zu sein, wenn man noch daran denkt, daß die zuständige Genehmigungsbehörde in diesem Fall die Physikalisch-Technische Bundesanstalt ist, die sich eigentlich mit ganz anderen Dingen zu befassen hätte als mit der Beurteilung der Zuverlässigkeit irgendwelcher Personen bei einem solchen Transport. Die Frage ist auch: wer urteilt schließlich in letzter Instanz? Denn wenn man solche Bestimmungen der Genehmigung einführt, muß man auch irgendeine Berufung gegen die Entscheidungen zulassen. Letzten Endes würde wahrscheinlich immer das Bundesverwaltungsgericht zuständig sein. Insofern, Herr Kollege Ruhnke, bin ich also mit Ihnen einig.
Aber jetzt unterscheiden wir uns in einem grundsätzlichen Punkt. Das ist die Frage des Privateigentums, der privaten Betätigungsmöglichkeit, die wir für unerläßlich halten, wenn man den Fortschritt sichern und den Vorsprung der anderen Staaten aufholen will. Die Begründung des Gesetzes spricht ja auch von einer möglichst freien und ungehinderten Entwicklung der Forschung und der Nutzung der friedlichen Kernenergie, wobei die Privatinitiative nicht ausgeschlossen werden soll. Ich muß Ihnen gestehen, daß ich die Ausführungen des Herrn Ministers Balke gerade zu diesem Problem mit großer Freude zur Kenntnis genommen habe. Sie entsprechen absolut dem, was wir uns unter dieser Gesetzgebung vorstellen und was hinsichtlich der privaten Initiative erforderlich ist. Ich hoffe allerdings mit einigen anderen Mitgliedern dieses Hohen Hauses, daß wir nicht dadurch enttäuscht werden müssen — ich sage „enttäuscht werden müssen" —, daß nach Abschluß des Euratom-Vertrags, den wir in seinen Einzelheiten noch nicht kennen, in der Konzeption, in der grundsätzlichen Auffassung, und vielleicht noch im Gesetzestext selber Änderungen notwendig sind. Denn offensichtlich sieht der EuratomVertrag eine andere Regelung vor, als sie hier im Gesetzestext festgelegt ist. Ich gestehe, daß wir unsere Zustimmung zu dem Euratom-Vertrag sehr stark davon abhängig machen müssen und werden, welche Regelung gerade in der Eigentumsfrage vorgesehen wird.
Die SPD macht immer geltend, man könne die private Initiative oder das Privateigentum deshalb nicht zulassen, weil damit die Gefahr der Monopolbildung verbunden sei oder auch der Schutz der Bevölkerung nicht mehr gewährleistet sei. Meiner Auffassung nach ist das eine falsche Sicht. Wer sagt Ihnen denn eigentlich, daß mit der Nutzung der Kernenergie für friedliche Zwecke eine Monopolbildung verbunden ist? Das ist doch zunächst einmal eine Behauptung, die durch nichts zu beweisen ist.
Sie gehen offensichtlich immer davon aus, daß man im Zuge der friedlichen Nutzung der Kernenergie nur Großkraftwerke errichten kann, daß man vielleicht einmal, weil die Erzeugung von Elektrizität aus Kernenergie billiger ist als aus Kohle oder Wasserkraft, die allgemeine Stromversorgung auf der Basis der Kernenergie betreibt. Zunächst einmal liegt diese technische Möglichkeit in weiter Ferne. Zum zweiten ist gerade die Stromversorgung der Bevölkerung und eines Teils der Industrie Sache der öffentlichen Hand, in deren Besitz sich nicht nur die Kraftwerke, sondern auch das Versorgungsnetz befinden. Im übrigen wird ein Privater schon deshalb nicht auf den Gedanken kommen, ein Atomkraftwerk für die allgemeine Stromversorgung zu errichten, weil er nicht das nötige Geld hat. Eine Monopolstellung kann also von privater Seite auf diese Weise nicht erworben werden.
Sie wissen aber genauso gut wie ich, daß Konstruktionen für Kleinkraftwerke mit einer Leistung von wenigen tausend Kilowatt in Arbeit sind und daß diese Arbeiten offensichtlich auch schon zu gewissen Ergebnissen geführt haben. Sie billigen einem privaten Unternehmen zu, daß es sein eigenes Kraftwerk auf der Basis des Dampfkessels baut; wollen Sie ihm dann die Errichtung eines Kleinkraftwerks auf Atomkraftbasis nicht zubilligen?
Sie könnten mir entgegenhalten, das würde möglicherweise zu einer Zusammenballung der Industrie führen. Das ist meines Erachtens sicherlich nicht der Fall. Nach meinen Erinnerungen bestand bei Ihnen einst die Befürchtung, daß bei Verwendung der Elektrizität nur noch Großbetriebe existieren könnten. Tatsächlich hat die Elektrizität jedoch im Gegenteil eine Streuung, eine Förderung der Klein- und Mittelbetriebe möglich gemacht, indem sie die Energieversorgung der Betriebe auch in abgelegenen Gegenden gestattet.
Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Auch wir sind gegen Monopole; aber wir sind der Auffassung, daß man eine unerwünschte Monopolbildung durch Gesetze, die wir zum Teil haben und die sich zum Teil in Vorbereitung befinden, ohne weiteres verhindern kann. Die Frage des privaten Eigentums hängt damit gar nicht zusammen.
Was in diesem Zusammenhang über den Schutz der Bevölkerung gesagt worden ist, scheint mir auf einer Verwechslung der Begriffe von Eigentum und Sicherheit zu beruhen. Glauben Sie denn, daß in staatlichen Betrieben weniger Unfälle vorkommen als in privaten Betrieben oder daß in staatlichen Betrieben die Vorschriften des Feuerschutzes oder der Unfallverhütung besser eingehalten werden als in Privatbetrieben? Es handelt sich doch einfach darum — damit sind wir vollkommen einverstanden, und das wollen wir unter allen Umständen fördern —, daß die entsprechenden Kontrollvorschriften erlassen und Sicherheitsmaßnahmen ergriffen werden müssen, die verhindern, daß Unfälle vorkommen. Das muß in jedem Betrieb geschehen, gleichgültig, ob es sich um einen staatlichen oder einen privaten Betrieb handelt; es hat gar nichts mit der Frage des Eigentums zu tun. Wenn man der Meinung ist, daß man mit einer entsprechenden Lösung der Eigentumsfrage Unfälle verhindern könnte, dann sollte man sämtliche Personenkraftwagen und Krafträder in Staatseigentum überführen, um auf diese Weise den Unfallgefahren auf der Straße entgegenzutreten. Das scheint mir also kein Argument zu sein.
Weitere Einzelheiten hat Herr Kollege Ruhnke schon ausgeführt. Auch ich bin der Auffassung, daß die vorgesehene Definition der Kernbrennstoffe etwas unglücklich ist. Sie führt nur dazu, daß man diese Bestimmung umgeht und daß dann grundsätzlich gleichartige Stoffe scheinbar nicht mehr unter das Gesetz fallen. Ich halte auch hier die von uns vorgeschlagene Lösung für wesentlich elastischer und mehr den Tatsachen entsprechend. Wir hatten vorgesehen, daß eine Kommission feststellen soll, was Kernbrennstoffe sind; das Ergebnis dieser Feststellung sollte jeweils veröffentlicht
werden. Das scheint mir der richtigere Weg zu sein.
Ich stimme Herrn Kollegen Ruhnke zu, daß in dieses Gesetz unbedingt Vorschriften über Patentfragen hineingehören. Es muß im Gesetz eine Bestimmung gegen Patentsperren, die den Fortschritt behindern, enthalten sein.
Über die vielen Behörden, die nach dem Vorschlag der Bundesregierung erforderlich sind, habe ich bereits einige Bemerkungen gemacht. Wir haben die Fachkommissionen, wir haben die Bundesanstalt für gewerbliche Wirtschaft, wir haben die Physikalisch-Technische Bundesanstalt und wir haben die zehn obersten Landesbehörden. Allerdings müssen wir dabei einen besonderen Mangel feststellen: die Konstituierung der für uns maßgeblichen Kommission erfolgt beim Herrn Bundesminister für Atomfragen. Wir stimmen hier dem Gedanken zu, daß man eine solche Kommission möglichst selbständig halten muß, daß es nicht von dem Willen des Ministers abhängig sein darf, wer berufen werden soll und wann die Kommission gehört werden soll. Die Fachkommission ist nur eine Art Beirat, den wir bei verschiedenen Ministerien kennen. Sie sollte eine Kommission sein, die herausgehoben ist, die Selbständigkeit, die auch ein Initiativrecht hat und die nicht von dem — verzeihen Sie, wenn ich das sage — guten Willen des Ministers abhängig ist. Ich glaube, wenn wir diesen in unserer Gesetzesvorlage vorgesehenen Weg gingen, dann würden viele der Bedenken, die Herrn Kollegen Ratzel zu dem Gedanken der Bildung einer unabhängigen Kommission auf dem Gebiet des Strahlenschutzes veranlaßt haben, hinfällig geworden sein. Wir müssen diese Kommission frei halten, wir müssen ihren Mitgliedern die Möglichkeit geben, ihre Ansichten zu äußern und der Öffentlichkeit bekanntzugeben, ohne daß dies immer über das Ministerium zu gehen braucht; selbstverständlich muß dies in der objektiven Form geschehen, wie dies bei einer solchen Stelle zu erwarten ist. Ich bin deshalb an sich kein Anhänger des Vorschlags der SPD, eine neue Kommission zu bilden. Ich meine, wir haben schon genügend Kommissionen. Wir sollten uns eher Gedanken darüber machen, wie man diese Kommissionen so ausgestalten kann, daß das gesichert ist, was der SPD bei ihrem Antrag hauptsächlich vorgeschwebt hat. Man sollte aber nicht immer wieder zu neuen Kommissionen und zu neuen Organisationen kommen; das ist so eine deutsche Eigenart, die offensichtlich besonders auf diesem Gebiet wuchert.
Die Frage, die auch angeschnitten worden ist, bezüglich der Haftungsbestimmungen und der Versicherungsvorschriften ist sehr kompliziert. Darüber sind wir uns alle im klaren. Wir werden hier in unserem Ausschuß noch besondere Aussprachen haben müssen. Es ist aber vor übertriebenen Haftungsbestimmungen zu warnen, die dann unter Umständen die Arbeiten auf dem Gebiete der Verwendung von Isotopen in Medizin und Wissenschaft unnötig und für die Allgemeinheit nachteilig beeinflussen. Wir dürfen mit solchen Bestimmungen nicht den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt behindern.
Ein gutes Beispiel für den Perfektionismus, den wir hier wieder einmal treiben, scheint mir die große Zahl von Strafvorschriften zu sein, die in das Gesetz aufgenommen werden sollen. Ich bin kein Jurist, ich will deshalb hier nicht urteilen. Aber mir scheint so, als ob ein solch großer Band von Strafvorschriften in ein solches mehr technisches Gesetz nicht hineingehört. Man sollte vielleicht auf andere Strafbestimmungen hinweisen.
Damit will ich meine Kritik an der Regierungsvorlage beenden. Es hätte mich natürlich gereizt, sie noch fortzusetzen, vielleicht in der Form, wie es Herr Minister Strauß mit den 13 Punkten machte; aber ich glaubte, darauf verzichten zu sollen. Wir sind verpflichtet, alles zu tun, daß wir schnell zu einem Gesetz kommen. Sie können versichert sein, daß von meiner Fraktion alles geschehen wird, um zu einer baldigen Verabschiedung beizutragen.
Bei der Kürze der Zeit, die diesem Bundestag noch zur Verfügung steht, muß man erwägen, unter Umständen die Strahlenschutzvorschriften vorweg zu verabschieden, damit das Ministerium die vordringlichen Verordnungen für den Strahlenschutz erlassen kann. Damit können wir nicht zu lange warten.
Zusammenfassend möchte ich folgendes sagen. Es wäre für alle Beteiligten, für uns, für das Ministerium, für die Technik und Wissenschaft, für diejenigen, die sich draußen nun praktisch mit den Dingen befassen sollen, wesentlich besser gewesen, wenn diese Debatte schon vor etwa einem Jahr stattgefunden hätte. Die Versäumnisse sind nicht mehr einzuholen. Wir wollen an der Ausarbeitung des Gesetzes mitarbeiten, damit wir nicht durch Eigenentwicklungen auf allen Gebieten vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Wir müssen den Vorsprung der anderen Länder baldigst aufholen.
Gerade mit Rücksicht darauf, daß die Verabschiedung des Gesetzes sehr dringend ist, bitte ich zu überlegen, ob man nicht davon absehen sollte, zu viele Ausschüsse mit der Beratung des Gesetzentwurfes zu befassen. Die Beteiligung des Rechtsausschusses ist notwendig, da in der Regierungsvorlage eine Grundgesetzänderung vorgeschlagen ist und auch andere rechtliche Fragen zu erörtern sind. Es scheint mir aber ausreichend zu sein, daß im übrigen nur der Atomausschuß damit befaßt wird. Wir würden dann nur zwei Ausschüsse behelligen. Besondere Fragen können vom Atomausschuß gegebenenfalls mit den Mitgliedern anderer Ausschüsse erörtert werden. Schließlich besteht ja über die Fraktionen die Querverbindung zu allen Ausschüssen.
Mein Vorschlag geht also dahin, dem Antrag nicht zu folgen, daß auch noch der Wirtschaftspolitische Ausschuß und, wenn ich recht verstanden habe, der Innenpolitische Ausschuß beteiligt werden. Nach meinem Vorschlag soll der Atomausschuß federführend und der Rechtsausschuß mitberatend sein.