Rede von
Heinrich-Wilhelm
Ruhnke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Drucksache 1734 trägt das Datum des 3. Oktober 1955, und es ist zweifellos eine unerfreuliche Aufgabe, einen Antrag zu begründen, der schon 16 Monate alt ist und in gewissen Punkten überholt sein muß. Er ist damals entstanden, als es noch kein Atomministerium gab. Ich glaube, in dem Antrag ist auch das erste Atomprogramm aufgezeichnet, das in der Bundesrepublik aufgestellt wurde. Eine Freude haben wir Antragsteller wenigstens gehabt, daß der später bestellte Atomminister im Dezember 1955 ein Fünfpunkteprogramm aufgestellt hat, und wir konnten feststellen, daß dieses Fünfpunkteprogramm mit unserem Antrag völlig übereinstimmt.
Nun ist, wie gesagt, inzwischen eine Reihe von Gesichtspunkten, die damals erstmalig aufgegriffen wurden, nicht mehr aktuell. So beantragten wir damals in Ziffer 1 auch die Vorlage eines Kernenergiegesetzes, und es entbehrt nicht eines gewissen Reizes, daß heute, nach 16 Monaten, die Vorlage dieses Gesetzes auf der gleichen Tagesordnung wie unser Antrag vom Oktober 1955 steht. Daß wir mit einer schnelleren Vorlage dieses Gesetzes gerechnet haben, ist wohl klar und bedarf keiner Begründung.
Nun lassen Sie mich zu Ziffer 2 noch bemerken, daß die Frage der Koordinierung der Ressortzutsändigkeiten in der Bundesregierung mit der Errichtung des Bundesministeriums für Atomfragen an sich geklärt sein müßte. Eigentümlicherweise aber war dieser Fragenkomplex vor ein paar Wochen nicht vollkommen geklärt; denn am 12. Januar 1957 ist im Bundesanzeiger eine gemeinsame Bekanntmachung erschienen, wonach nunmehr der Bundesminister für Atomfragen auch die aus dem Gesetz Nr. 22 der alliierten Hohen Kommissare verbleibenden Befugnisse der Bundesregierung mit Wirkung vom 1. Januar 1957 übernommen hat. Bis zum 1. Januar 1957 war nämlich nach diesem noch geltenden Gesetz der Alliierten der Bundesminister für Wirtschaft für die Überwachung von Stoffen, Einrichtungen und Ausrüstungen auf dem Gebiete der Kernenergie zuständig.
Wie die Abgrenzung auf dem Gebiete des Strahlenschutzes erfolgt, erscheint uns heute noch nicht klar; denn für den Arbeitsschutz auf dem Gebiete der Atomtechnik und der radioaktiven Stoffe ist auch nach dem neuesten Organisations- und Stellenplan der Bundesregierung das Referat III c 7 des Arbeitsministeriums zuständig. In dieser Abteilung werden ja auch die Fragen der Gewerbeordnung bearbeitet. Es besteht außerdem kein
Zweifel darüber, daß die Materie dieses Strahlenschutzes, insbesondere die medizinische Verwendung radioaktiver Substanzen, erheblich über diesen Zuständigkeitsbereich hinausgeht. Nach Meinung der Antragsteller sollte die Bundesregierung auch hier vollkommene Klarheit schaffen und den deutschen Wissenschaftlern und Technikern und der Industrie von seiten der Verwaltung einen berufenen Gesprächspartner gegenüberstellen; dies um so mehr, als der Strahlenschutz in der Öffentlichkeit sehr stark beachtet wird.
Nun komme ich zu Ziffer 3 des Antrags und muß hier gleich anschließen, daß die damaligen gesetzlichen Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer und der Bevölkerung hauptsächlich im Umgang mit radioaktiven Isotopen völlig unzulänglich sind; denn radioaktive Isotope werden ja in der Bundesrepublik seit Jahren gehandelt, und es gibt keine ausreichenden Vorschriften. Zahlreiche Mitglieder dieses Hohen Hauses haben sich mehrfach — und zwar seit Beginn des Jahres 1955 — mit diesem Problem befaßt, und dank ihrer Initiative sind unseres Wissens gewisse Vorarbeiten auf Grund des § 20 der Gewerbeordnung begonnen worden. Was aber im Hinblick auf das vorliegende Gesetz geschehen ist, ist nicht bekannt. Bekannt ist lediglich, daß eine Strahlenschutzverordnung fertiggestellt sein soll, wie ja auch Herr Minister Balke vorhin andeutete.
Das unter Ziffer 3 b angeführte Gesetz vom 8. August 1955 ist ebenfalls von den Antragstellern des zur Beratung anstehenden Antrags als Initiativgesetz eingebracht worden. Leider haben sich, nachdem dieses Gesetz in Kraft getreten ist, die Arbeiten entgegen unserer Erwartung außerordentlich verzögert. Die Ursachen der Verzögerung sind uns bekannt; neben Ressortstreitigkeiten waren es Schwierigkeiten, entsprechende Meßgeräte zu beschaffen, und die nachherige Bestellung im Ausland führte zu langen Lieferfristen. Wie wir jetzt aus dem Bericht des Atomministeriums für das Jahr 1956 ersehen konnten, sind anscheinend zehn Wetterstationen mit derartigen Geräten ausgerüstet worden. Ob sie voll arbeiten, ist uns nicht bekannt. Es würde uns auch sehr interessieren, hier zu hören, wie weit die Arbeiten nunmehr — 19 Monate nach Verabschiedung des Gesetzes — gediehen sind und welche Ergebnisse dabei erzielt worden sind. Wir glauben auch, daß bei der Durchführung der Überwachung der Gewässer und der bodennahen Luftschichten auf radioaktive Verseuchung bedacht werden muß, daß den Trägern solcher Einrichtungen, die eine Gefährdung verursachen, nachträglich Auflagen gemacht werden müssen.
Zu Ziffer 4 des Antrags möchte ich feststellen, daß es zwischenzeitlich zu dem Standardvertrag mit den USA und zu einem Vertrag mit Großbritannien gekommen ist.
Was hinsichtlich der Ziffern 4 b, 4 c und 4 d geschehen ist, ist nicht allgemein bekannt; vielleicht kann Herr Bundesminister Balke dazu einiges ausführen.
Zu Ziffer 5 des Antrags ist noch zu sagen, daß die Frage des Nachwuchses und der Ausbildung vorhandener Fachkräfte von allen Seiten als vordringlich und bedeutsam anerkannt worden ist. Ich möchte ausdrücklich betonen, daß nicht nur an die Ausbildung der Studenten gedacht ist, sondern in erster Linie auch an die Weiterbildung von Technikern, Chemikern, Medizinern, Biologen usw. Das
dürfte natürlich in erster Linie Sache der Länder
sein, bedarf jedoch der Unterstützung des Bundes.
Wichtig sind die Verhandlungen bezüglich der Ziffer 5 b. Hinsichtlich der Einrichtung neuer Lehrstühle ist bisher wenigstens einiges geschehen. Zu diesem Punkt werden wir aber bei anderer Gelegenheit noch vieles zu sagen haben.
Der nächste Punkt des Antrags stellt die Maßnahmen heraus, die einer finanziellen Förderung bedürfen. Wir haben uns zwischenzeitlich mit den Plänen des Bundesministeriums für Atomfragen befaßt. Aber es war das eigentliche Anliegen der Antragsteller, daß kurzfristig ein entsprechender Finanzierungsplan vorgelegt wird, der einen längeren Zeitraum umfaßt. Wir haben von Herrn Minister Balke vorhin gehört, welche gewaltigen Kapitalinvestitionen notwendig sind, um auf diesem Gebiete einigermaßen vorwärtszukommen. Es wäre sicherlich richtig, wenn in dieser Hinsicht beschlossen würde, daß seitens des Atomministeriums ein Finanzierungsplan aufgestellt wird, der sich über mehrere Jahre erstreckt. Wir wissen alle, daß für die Entwicklung der Kernenergie auf allen Gebieten Investitionen gemacht werden müssen und daß das bisher Erdenkliche an Mitteln weit überschritten wird. Es ist notwendig, daß sich das Parlament ein Bild davon macht, wie hoch diese Mittel für die Bundesrepublik sein werden.
Bezüglich der Ziffer 6 unseres Antrags müssen wir uns darüber im klaren sein, daß die Forschungen auf dem Gebiete der theoretischen und der experimentellen Kernphysik, der Chemie sowie hinsichtlich der Anwendung radioaktiver Isotope in Medizin, Landwirtschaft und Technik noch lange nicht abgeschlossen sind. Gerade für diese Gebiete sind ausreichende Mittel notwendig, damit wir künftig eine solche Situation, wie wir sie zur Zeit haben, vermeiden. Wir können uns das volkswirtschaftlich einfach nicht leisten. Wir dürfen nicht noch weitere Jahre nachhinken, sondern müssen dafür Sorge tragen, daß es einer Gruppe wissenschaftlicher Fachleute möglich ist, n u r für die Zukunft zu arbeiten. Insbesondere dürften Vorarbeiten für sogenannte schnelle Reaktoren für die friedliche Nutzung der Kernverschmelzung vordringlich sein. Die Pressenachricht über die Erfindung, die in Rußland angeblich gemacht worden ist, hat uns ja wohl alle in Erstaunen gesetzt. Ob sie richtig ist, wird die Zukunft lehren. Da wäre schon wieder etwas entdeckt, was alles Bisherige weit übertrifft und was ganz neue Wege auf diesem Gebiet weist.
Der letzte Punkt des Antrags brachte schon vor 16 Monaten das Interesse der Mitglieder dieses Hauses an einer umgehenden Unterrichtung über den Stand der laufenden und künftigen internationalen Verhandlungen auf dem Gebiete der Kernenergie zum Ausdruck. Leider sind wir — darüber ist von dieser Stelle schon gesprochen worden — auf diesem Gebiet nicht weitergekommen; wir sind nicht unterrichtet worden! Wir stehen noch heute, obwohl der Euratom-Vertrag fertiggestellt worden ist, auf schwankendem Boden; dem Parlament sind die Bestimmungen des Vertrags nicht bekannt. Ganz zweifellos haben sie aber eine besondere Bedeutung. Wir werden ja noch bei der Diskussion über den Gesetzentwurf über diese Dinge zu sprechen haben. Ich glaube auch, daß nunmehr eine Unterrichtung durch die Bundesregierung erfolgen wird. Wenn sie auch verspätet ist, so wird doch immerhin eine Hoffnung, die wir immer in uns getragen haben, erfüllt werden.
Ich beantrage die Überweisung des Antrags Drucksache 1734 an den Ausschuß für Atomfragen.