Wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann komme ich zur Abstimmung. Es liegt vor ein Antrag, die Drucksache 3228, Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes, heute als Punkt 1 auf die Tagesordnung zu setzen und in drei Lesungen zu verabschieden. Es liegt weiter vor — wenn ich das richtig verstanden habe — der Antrag, die Sache nicht als Punkt 1 zu behandeln, sondern an den Schluß der heutigen Tagesordnung zu setzen. Der erste Antrag ist der weitergehende.
— Am Schluß der Tagesordnung?
Ist das Haus damit einverstanden, daß die Drucksache 3228 am Ende der heutigen Tagesordnung in drei Lesungen behandelt wird?
— Es ist so beschlossen.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers hat unter dem 15. Februar 1957 mitgeteilt, daß durch die im Gesetz über den Ladenschluß vom 28. November 1956 erfolgte Regelung der Verkaufszeiten an den Sonntagen vor Weihnachten das vom Deutschen Bundestag am 11. November 1955 verabschiedete „Gesetz über die Regelung der verkaufsoffenen Sonntage vor Weihnachten" (Drucksachen 1817, 1836), dem der Bundesrat am 9. November 1956 zugestimmt hat, als erledigt angesehen wird. Sein Schreiben wird als Drucksache 3226 verteilt.
Der Herr Bundesminister der Justiz hat unter dem 18. Februar 1957 unter Bezugnahme auf sein Schreiben vom 15. Januar 1957 zur Kleinen Anfrage 299 der Fraktion des GB/BHE betreffend Anzahl der durch deutsche Gerichte abgeurteilten ehemaligen deutschen Soldaten, Angehörigen wehrmachtähnlicher Verbände oder anderer Personen (Drucksache 2871) eine weitere Antwort gegeben. Sein Schreiben wird als Drucksache 3223 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 19. Februar 1957 die Kleine Anfrage 320 der Fraktion der SPD betreffend Veröffentlichung zur Frage der Preisbindung der zweiten Hand beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 3224 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 19. Februar 1957 die Kleine Anfrage 324 der Fraktion der DP betreffend Neuregelung der Kindergeldgesetze beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 3227 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte hat unter dem 19. Februar 1957 die Kleine Anfrage 325 der Fraktion des GB/BHE betreffend Ablehnungsbegründung des Ausgleichsamtes Iserlohn vom 10. November 1956 gegenüber einem sudetendeutschen CSR-Heimkehrer beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 3225 verteilt.
Wir kommen damit zum ersten Punkt der heutigen Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Neunten
Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des
Lastenausgleichsgesetzes .
Es ist interfraktionell vereinbart, daß auf Einbringung und Begründung in der ersten Lesung verzichtet werden soll. Ich schlage dem Hause vor Überweisung dieser Drucksache an den Ausschuß für den Lastenausgleich. — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Punkt 2:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Sicherung des Unterhalts für Angehörige der zum Wehrdienst einberufenen Wehrpflichtigen (Drucksache 3210).
Auch hier soll so verfahren werden. Ich schlage dem Hause vor: Überweisung der Drucksache 3210 an den Ausschuß für Verteidigung. — Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 3:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Ruhnke, Geiger , Dr.-
Ing. Drechsel, Elsner, Dr. Schild und Genossen betreffend Nutzung der Kernenergie für friedliche Zwecke (Drucksache 1657);
b) Erste Beratung des
aa) Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes,
bb) Entwurfs eines Gesetzes über die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Drucksache 3026);
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ruhnke, Schwann, Dr. Bartram, Geiger , Dr. Gülich, Elsner, Dr. Elbrächter, Dr.-Ing. Drechsel, Dr. Schild (Düsseldorf) und Genossen betreffend Nutzung der Kernenergie für friedliche Zwecke (Drucksache 1734);
d) Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betreffend Atombombenversuche ;
e) Beratung des Antrags der Fraktion der DP betreffend Überwachung des Meerwassers auf radioaktive Bestandteile ;
f) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Berufung einer unabhängigen Kommission zum Schutze der Bevölkerung vor Radioaktivität .
Gemäß der Vereinbarung im Ältestenrat werde ich so verfahren, daß ich zuerst das Wort gebe zur Begründung der Großen Anfrage unter a, dann dem Herrn Minister das Wort gebe zur Beantwortung der Großen Anfrage und zur Einbringung der Gesetzentwürfe, daß anschließend die weiteren Begründungen zu c bis f erfolgen und daß wir dann über alles zusammen debattieren.
Ich erteile also das Wort zur Begründung der Großen Anfrage unter 3 a dem Abgeordneten Geiger.
Geiger (CDU/CSU), Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf im Namen der Fragesteller die Ihnen vorliegende Große Anfrage begründen und folgendes ausführen:
Zahlreiche Mitglieder dieses Hohen Hauses aus allen Fraktionen sind sich seit sehr langer Zeit darüber einig, daß die beschleunigte Nutzung der Kernenergie für friedliche Zwecke von überragender wirtschaftlicher und sozialer Bedeutung ist. Ich bedaure es deshalb, daß es bei einigen der vorliegenden Drucksachen so lange gedauert hat, bis sie im Rahmen der heutigen Generaldebatte über die Fragen der Kernenergie erledigt werden können.
Es ist für mich als ersten Redner keine dankbare Aufgabe, eine Große Anfrage zu begründen, die heute in gewissen Punkten überholt ist; denn diese Große Anfrage ist bereits unter dem 10. September 1955 eingereicht worden. Seitdem wir sie verfaßt haben, sind genau anderthalb Jahre vergangen. Ich muß daher zur Begründung etwas weiter zurückgreifen.
Bereits im Frühjahr 1955 haben sich die Bundestagsmitglieder, die in der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen sind, mit dem Fragenkomplex der Kernenergienutzung befaßt. Sie haben, wie Ihnen erinnerlich sein wird, schon damals den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Deutschen Wetterdienst eingebracht, das im Juli 1955 von diesem Hohen Hause einstimmig beschlossen wurde. Danach ist es die Aufgabe des Deutschen Wetterdienstes, radioaktive Beimengungen und deren Verfrachtung in der Atmosphäre zu überwachen.
Weiterhin befassen sich die Mitglieder der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft seit längerem mit den notwendigen Vorschriften hinsichtlich der Verwendung, der Verteilung und des Verkehrs mit radioaktiven Substanzen.
Alle diese Überlegungen veranlaßten seinerzeit den Vorstand der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft, je einen Kollegen aus den Fraktionen des Deutschen Bundestages im August 1955 zur Internationalen Atomkonferenz der Vereinten Nationen nach Genf zu entsenden. Es sind dies die fünf Mitglieder dieses Hohen Hauses, die die vorliegende Große Anfrage eingebracht haben. Wir haben die Vorgänge in Genf mit größtem Interesse verfolgt. In zahlreichen Einzelgesprächen mit Mitgliedern der deutschen und ausländischen Delegationen haben wir uns einen Überblick über den Stand und die Entwicklung dieser neuen Materie verschafft. Außerdem haben wir in einer Sitzung mit den maßgeblichen Mitgliedern der deutschen Delegation am 18. August 1955 noch einige Dinge, die für uns von besonderem Interesse waren, zur Sprache gebracht.
Bei unserem Genfer Aufenthalt ist uns in seiner vollen Bedeutung bewußt geworden, wieviel die deutsche Bundesrepublik auf dem Atomsektor gegenüber vielen anderen Staaten nachzuholen hat. Wir haben erkannt, daß es für den Lebensstandard in der Bundesrepublik von ausschlaggebender Bedeutung sein wird, ob wir den Anschluß an die anderen Länder erreichen oder nicht. Wir haben erkannt, daß die Entwicklung in dieser Hinsicht einer weitestgehenden Unterstützung seitens des Deutschen Bundestages bedarf. Deshalb haben wir uns seinerzeit mit den Kollegen auch aus den Landtagen zusammengesetzt und alle notwendigen Maßnahmen durchgesprochen. Ich darf in Erinnerung bringen, daß es damals noch kein Bundesministerium für Atomfragen gegeben hat, das sich dieser Probleme hätte annehmen können.
Als erster Schritt wurde die Ihnen vorliegende Große Anfrage von den Kollegen, die im Auftrage der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft an der erwähnten ersten Internationalen Atomkonferenz teilgenommen haben, ausgearbeitet. Sie war schon in Genf niedergelegt worden und wurde nachträglich von Kollegen aus allen Fraktionen dieses Hauses unterschrieben.
Und nun zu den einzelnen Punkten der Großen Anfrage.
Zur ersten Frage:
Welche Gründe waren maßgebend für die Entscheidung, den ersten Versuchs- und Prüfreaktor bei Karlsruhe zu errichten?
möchte ich folgendes ausdrücklich feststellen. Die Große Anfrage richtet sich nicht gegen die Wahl von Karlsruhe als Standort für den ersten Forschungs- und Ausbildungsreaktor. Leider erfolgte damals die Bekanntgabe der Entscheidung zugunsten von Karlsruhe seitens des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung ohne Begründung. Auch waren die Berichte über die Vorverhandlungen in wichtigen Punkten widersprechend, wie überhaupt die Vorgänge undurchsichtig geblieben sind. Das Gutachten eines militärischen Sachverständigen, der herangezogen wurde, um den Standort Karlsruhe zu begründen, ist schon damals nicht unwidersprochen geblieben. Heute wird es als wertlos betrachtet. Leider hatten wir damals noch kein Bundesministerium für Atomfragen; sonst wären die Dinge sicherlich einen klaren Weg gegangen.
Das alles hat — ich wiederhole: damals — zu bedauerlichen Mißverständnissen geführt. Wie die Presse während des Wettstreits zwischen München und Karlsruhe deutlich zum Ausdruck brachte, hat der Steuerzahler ein berechtigtes Interesse an der Vorgeschichte zu dieser Entscheidung und ihrer Begründung. Er kann nämlich von der Bundesregierung verlangen, daß solche Beschlüsse nicht von engherzigen Bestrebungen und einem irrigen Prestigegefühl abhängig gemacht werden, sondern dem objektiven Sachverstand des Wissenschaftlers und des Technikers entsprechen. Mit Recht hat Herr Bundesatomminister Strauß anläßlich einer Sitzung des Aufsichtsrates der Physikalischen Studiengesellschaft in Karlsruhe einmal erklärt, daß es in der Atomforschung keinen Partikularismus geben dürfe.
Auch Herr Professor Dr. Heisenberg hat seine Bedenken dagegen geäußert, die Reaktorentwicklungsgruppe aus seinem Institut herauszunehmen und nach Karlsruhe zu verlegen. Er sagte damals sehr zurückhaltend, daß die Anfangsschwierigkeiten für die Reaktorentwicklung an der neuen Stelle größer würden und die Entwicklung langsamer vor sich gehen werde. Leider hat sich das bestätigt, und es sieht fast so aus, als ob die Reaktoren in München und sogar in Frankfurt fertig sein könnten, noch bevor der erste richtige Spatenstich für den Karlsruher Reaktor getan ist.
Meine Damen und Herren! Die Fragesteller wollten damals ihre Meinung zum Ausdruck bringen, daß ,die Bundesrepublik es sich nicht leisten könne, zu Beginn dieser neuen Entwicklung einer Verzettelung der zur Verfügung stehenden Mittel und Kräfte zuzustimmen. Der Mangel an Fachleuten und an finanziellen Hilfsmitteln hindert uns daran, in jedem Bundesland von heute auf morgen große Anlagen zu errichten. Darum wollten wir erreichen, daß eine gewisse Uneinigkeit — sie bestand damals noch — beseitigt würde. Wir müssen gerade auf diesem Gebiete alle zusammenarbeiten, wenn wir den Vorsprung des Auslands, von dem ich schon gesprochen habe, aufholen wollen.
Leider erweist es sich heute mit aller Deutlichkeit, wie berechtigt unsere Große Anfrage vor anderthalb Jahren war. Denn heute müssen wir alle mit einer gewissen Besorgnis feststellen, daß der Bau dieses ersten großen Atomreaktors bei Karlsruhe überhaupt noch nicht begonnen hat, daß man also seit 1955 plant und eigentlich schon mit dem Bau begonnen haben wollte. Ursprünglich wollte man den Bau auf stadteigenem Gelände am Rhein beginnen. Den Wissenschaftlern und Technikern scheint jedoch nunmehr eine 10 km nördlich von der Stadt gelegene Fläche des Landkreises günstiger zu sein. Es liegt aber oder lag bis vor kurzer Zeit weder das Sicherheitsgutachten noch die Wasseruntersuchung vor. Auch hat man in letzter Zeit den Eindruck gewonnen, daß sich die dortige Bevölkerung mit allen Mitteln der Errichtung dieses ersten Versuchsreaktors widersetzt. Es wäre sicherlich gut, wenn der Herr Bundesminister für Atomfragen bei der Beantwortung dieser Großen Anfrage auch auf diese Problematik einginge; denn in letzter Zeit ist ja schon wieder die Meinung geäußert worden: hätte man sich gleich für einen anderen Standort entschieden, so wären die Dinge bereits wesentlich weiter gediehen. Aber solche Vorschläge zu unterstützen, ist nicht der Sinn dieser Großen Anfrage.
Die zweite Frage, wer der Träger dieser Anlage bei Karlsruhe sein wird, ist inzwischen überholt, da am 19. Juli 1956 der Vertrag über die Gründung der Reaktor-Bau- und- Betriebs-GmbH unterschrieben worden ist.
Nicht ganz geklärt erscheint uns noch die dritte Frage, welche Persönlichkeit die Leitung übernehmen wird; denn wer die wissenschaftliche Leitung des Karlsruher Reaktors übernehmen soll, ist meines Wissens bisher noch nicht bekanntgegeben worden.
Punkt 4 der Großen Anfrage: „In welcher Form ist die Bundesrepublik im Laboratorium der Europäischen Organisation für Kernphysikalische Forschung in Genf vertreten?", ist bereits überholt, da schon vor langer Zeit Herr Professor Dr. Wolfgang Gentner, der Direktor des Physikalischen Instituts der Universität Freiburg im Breisgau, nach Genf gegangen ist, um dort die kleine Maschine im Laboratorium der Europäischen Organisation für Kernphysikalische Forschung zu übernehmen. Ich möchte dazu bemerken, daß zur Zeit der Einbringung der Großen Anfrage dieses Problem noch gar nicht geklärt war und die Fragesteller berechtigte Bedenken hatten, daß Deutschland in diesem wichtigen internationalen Laboratorium nicht ständig und nicht ausreichend vertreten sein könnte.
Professor Gentner hat aber nur einen Vertrag für zwei Jahre abgeschlossen, und in Kürze werden wir daher wiederum vor dem Problem stehen, was nun geschehen soll. Wenn Herr Professor Gentner den Vertrag verlängern könnte, so wäre das gut, und es wäre eine gewisse Zeit vorhanden, um einen geeigneten Nachfolger für ihn zu finden. Hoffentlich stimmen dann auch die anderen Vertragspartner dieser Regelung zu. Wie die Dinge stehen, wird uns die Bundesregierung hoffentlich mitteilen können.
Es besteht also genau wie damals gegenwärtig wieder die Gefahr, daß Deutschland bei dieser Europäischen Organisation für Kernphysikalische Forschung in Genf nicht ausreichend vertreten sein könnte. Das ist nicht nur deshalb von besonderer Bedeutung, weil die Bundesregierung laufend gro-Be Summen — im Jahre 1956 einen Betrag von 7 Millionen DM, im Jahre 1957 von 12 Millionen DM — an diese Organisation gibt, sondern auch deshalb, weil hier mit äußerst wichtigen wissenschaftlichen Ergebnissen zu rechnen ist. Wir können daher auf ein Beteiligtsein nicht verzichten. Ich machte hier nicht im einzelnen auf die Schwierigkeiten eingehen, die es immerhin gegeben hat, bis Herr Professor Dr. Gentner für diese Stelle vorgesehen worden ist. Nach meiner Kenntnis muß man gerade in diesem Zusammenhang auch Herrn Professor Dr. Heisenberg für seine Bemühungen, einen deutschen Wissenschaftler nach Genf zu bringen, danken.
Meine Damen und Herren! Mit diesen Erläuterungen habe ich die Große Anfrage wohl ausreichend begründet. Die Fragesteller erhoffen nun von der Bundesregierung eine eingehende Antwort auf die wenigen noch offenen Fragen, auf die ich hingewiesen habe.