Rede von: Unbekanntinfo_outline
„Es muß ein für allemal klargestellt werden, daß wir prinzipiell gegen eine Wiederaufrüstung der Bundesrepublik und damit auch gegen die Errichtung einer deutschen Wehrmacht sind."
Was heißt nun „prinzipiell"? Ist das ein Grundsatz mit Ausnahmen, wobei die Ausnahme zur Regel wird? Oder wie war es gemeint?
— Nein, die waren gar nicht harmlos. Herr Kiesinger hat uns gestern erklärt, daß die russische Machtpolitik von 1945. 1946, 1947, 1948 bis heute immer dieselbe gewesen sei, immer dieselbe; sie war infolgedessen 1949, als der Bundeskanzler diese Äußerung machte, schon dieselbe, ebenso 1950 und 1951, wenn Herr Kiesinger recht hat.
— Herr Dr. Jaeger, es hat sich eben nicht nur die Politik der Westmächte gewandelt, sondern es haben sich insbesondere — und darauf kommt es mir jetzt an, ich rede ja nicht von- den Staatsmännern der Westmächte, sondern von Ihrem „großen Staatsmann" — und vor allem cl essen Auffassungen gewandelt; d a s steht hier zur Diskussion.
Wenn einer im Glashaus sitzt, soll er nicht nach anderen mit Steinen werfen. Und wenn Sie aus dem Zettelkasten Inkonsequenzen und zu verschiedenen Zeitpunkten und unter verschiedenen Umständen verschiedene Nuancen bei Sozialdemokraten feststellen wollen, dann haben wir wohl ein gutes Recht, festzustellen, daß die unbedingte Ablehnung jeder Wiederaufrüstung durch den Bundeskanzler im Jahre 1949 und das heutige unbedingte Bekenntnis zu einer möglichst umfangreichen, mit möglichst großen Reserven ausgestatteten Aufrüstung nicht mehr ein Widerspruch in der Nuance, sondern ein kategorischer Widerspruch ist.
Nun geht das ja weiter. In den folgenden Jahren haben Sie zunächst gesagt: Wir sind verpflichtet,
509 000 Mann zu stellen. Darauf haben Ihnen die Sozialdemokraten nachgewiesen, daß wir dazu nicht verpflichtet sind. Dann hat die Bundesregierung — das war der Verteidigungsminister Blank — gesagt: Wir sind doch verpflichtet. Und dann haben die Sozialdemokraten ihn in die Ecke getrieben, und darauf ist Herr Dr. Richard Jaeger auf diesen Platz gegangen und hat gesagt: „Ich will ja zugeben, daß wir nicht verpflichtet sind, aber wir wollen 500 000 Mann." Das war schon die nächste Inkonsequenz. Herr Dr. Jaeger hatte das noch gar nicht lange ausgesprochen, da kam es in Königswinter, oder wo es immer gewesen ist, zu internen Auseinandersetzungen in der CDU/CSU-Fraktion, und da hat der gegenwärtige Verteidigungsminister und damalige Sonderminister Strauß gesagt: „300 000 Mann tun es auch."
Nun, ich kann verstehen, Herr Dr. Jaeger, daß Herr Strauß genau wie Herr Erler das Recht hat, eine private Meinung zu haben. Aber wenn Sie dem Herrn Erler das vorwerfen — was Sie getan haben —, dann haben wir vielleicht das Recht, den Verteidigungsminister zu fragen, was eigentlich die wirkliche Meinung und die wirkliche Planung der Bundesregierung ist. Sie haben von 50 000 Stellen geredet, und Sie wissen ganz genau, daß der Verteidigungsminister von diesen 50 000 Stellen bis zum 30. April nicht eine einzige besetzen kann. Wenn er sie für die zukünftige Planung braucht, wie er gesagt hat, dann wird Ihre Mehrheit sie ihm ja im Haushalt 1957 verschaffen, der am 1. April in Kraft treten wird. Da gibt es also gar keine Rederei, sondern es handelt sich darum, daß die verschiedenen Verteidigungsminister der Bundesrepublik im Laufe der letzten vier Monate verschiedene Zahlen über ihre Aufstellungsplanungen in die Öffentlichkeit gegeben haben. Ich brauche es wohl im einzelnen nicht vorzulesen; ich habe die dpa-Meldungen hier. Das ist also Ihr „stetiger, klarer, eindeutiger" Kurs. Insgesamt ist das, was wir bisher aus offiziellem Munde über die Planung des Aufbaus der Bundeswehr gehört haben, deswegen so unglaubwürdig, weil es sich laufend widerspricht und weil nicht der Herr Strauß hier eine sachliche, nüchterne Rede über den von ihm geplanten Aufbau der Bundeswehr gehalten hat, sondern der Herr Dr. Jaeger eine Wahlrede.
Es wäre sehr erfreulich, sehr wünschenswert, wenn die Bundesregierung, da sie sich schon nicht mit mündlichen Erklärungen auf dieses Gebiet begibt, dem Hause wenigstens einmal eine Denkschrift über den geplanten Aufbau der Bundeswehr, sagen wir, für die nächsten zwei, drei Jahre — wenn Sie noch so lange hier allein bestimmen können — vorlegte. Das Vorlegen der Denkschrift hätte den Nachteil, daß sie jedenfalls vorher darüber nachdenken müßte, was sie da hineinschreiben soll. Für uns wäre es ein Vorteil, daß wir so endlich einmal in den Genuß einer klaren Konzeption Ihrer Seite kämen.
Wir möchten auch endlich wissen, ob die Bundesregierung wirklich die Absicht hat, die Wehrpflicht vor der Wahl durchzuführen, oder ob es nicht vielmehr so ist, daß Sie nur dem Schein nach — um vor der Öffentlichkeit so tun zu können, als ob Sie Ihren Standpunkt durchgesetzt hätten — die Wehrpflicht durchführen, während es sich in Wirklichkeit um als Wehrpflichtige getarnte Freiwillige handelt. Das ist eine der vielen großen Unklarheiten, die zur Zeit in Ihrer Wehrpolitik festzustellen sind. Dabei wissen wir ganz genau, daß genug Freiwillige zur Verfügung stehen, so daß Sie Wehrpflichtige eigentlich noch nicht brauchen.
Im Zusammenhang mit dieser Personalplanung möchte ich fragen: Wie ist denn nun die Aufstellungsplanung? Der Herr Blank hat uns unter „geheim" oder sogar „GKdos" vor einiger Zeit im Verteidigungsausschuß eine Reihe von Divisionen und anderen Einheiten, Stäben oder Verbänden genannt, die er aufstellen will. Das ist aber offenbar inzwischen auch nach Ihrer eigenen Einsicht hinfällig. Der Herr Bundesverteidigungsminister von heute hat uns bisher nicht — wohl aber der Presse — eine solche Aufstellungsplanung gegeben. Wohl befinden sich einige Erläuterungen in dem Fünften Nachtragshaushalt, der uns heute vorliegt, und in dem Entwurf des Bundeshaushalts 1957. Aber diese Erläuterungen stimmen wiederum nur mit den Planstellenziffern überein, die dort eingesetzt sind. Herr Strauß hat selber angekündigt, daß er in Wirklichkeit gar nicht so viel Planstellen brauche. In dem Haushalt für 1957 stehen, glaube ich, 270 000 Planstellen. Herr Strauß hat selber vor der Presse gesagt, er werde bis Ende 1957 nur 120 000 Mann unter Waffen bringen, und wenn es hoch komme und die Räumung der Kasernen durch die Alliierten und das Neubauprogramm es zuließen, würden es vielleicht 135 000 werden. Er hat also doppelt so viel Planstellen drin, wie er wirklich ausfüllen kann. Es ist also die Frage, wieviel er im Rahmen dieser doppelt so vielen Planstellen tatsächlich aufstellen will. Wir wissen es nicht; wir möchten es aber gern einmal wissen, Herr Minister.
Art. 78 a des Grundgesetzes bestimmt, daß sich die Grundzüge der Organisation und die Stärke der Streitkräfte aus dem Haushaltsplan ergeben müssen. Das ist einstweilen nicht der Fall. Vielleicht werden Sie das im Verteidigungsausschuß noch nachholen und korrigieren können. Was zur Zeit in den Erläuterungen des Haushaltsplans drinsteht, wird dieser grundgesetzlichen Anforderung materiell und, ich füge hinzu, auch formell nicht gerecht. Ich möchte den Haushaltsbearbeitern und den sonstigen Mitarbeitern des Herrn Ministers Strauß empfehlen, sich einmal den Reichswehrhaushalt des Jahres 1929 anzuschauen. In der Weimarer Reichsverfassung gab es meines Wissens keine Bestimmung, wonach die Stärke und die Gliederung aus dem Haushalt hervorgehen mußten. Aber schauen Sie sich einmal an, mit welcher Akribie das damals gemacht worden ist! Da können Sie genau feststellen, wieviel Nachrichtenabteilungen, wieviel Bataillone, wieviel Zeugämter usw. es geben sollte. Sie können feststellen, daß z. B. die 7 Bataillone der Pionierwaffe 7 Oberste haben würden, 28 Hauptleute, 42 Oberleutnante, 70 Oberfeldwebel, 14 Köpfe Dienstgrade verschiedener Art, 147 Feldwebel usw. usw., ganz genau! Da war kein Muscheln möglich, kein Hin-. und Herschieben. Was wir dagegen heute haben, ist eine unbeschränkte Möglichkeit des Hin-und Herschiebens ohne jede parlamentarische Kontrolle. Diese Sorgfalt beim Aufstellen von Wehrhaushalten einschließlich der Organisation der Gesamtwehrmacht und ihrer Stellenpläne gab es, nebenbei bemerkt, auch schon viel früher, nämlich schon 1913 und in den Jahren davor. Was wir heute haben, ist ein Rückfall in Zeiten weit vor Wilhelm II!
Übrigens, bei dem Vergleich der Haushaltspläne der Reichswehr mit heute ist mir aufgefallen, daß die Reichswehr im Jahre 1929 insgesamt 750 Generale und Stabsoffiziere hatte. Davon entfielen auf das Ministerium 130, das sind rund 20 %. Heute sollen im Ministerium insgesamt achtmal soviel
Stabsoffiziere sitzen wie in der ganzen Truppe zusammengenommen.
Es ist vielleicht nützlich, daß man auf diesen Punkt einmal hinweist; er liegt im übrigen nicht im Zentrum meiner Darlegungen. Aber ich glaube, Herr Verteidigungsminister, bei solchen Dingen darf man sich nicht wundern, wenn in der Truppe von Ihrem „Bonner Wasserkopf" die Rede ist.
Nun haben Sie im Zusammenhang mit dem Haushalt von Ihrer Rolle als Postbankier gesprochen. Aber Sie haben dabei nur die Hälfte der Tatsachen dargelegt. Über das, was der Verteidigungsminister vorgetragen hat, hinaus, d. h. über die Gebührenvorauszahlung und das Darlehen an die Bundespost — das an und für sich schon zweifelhaft ist, das ich aber einmal gelten lassen will — über dieses hinaus hat der Postminister Lemmer vor der Presse im Januar und übrigens vorher in einer Sitzung des Postverwaltungsrates — ich wäre nicht darauf gekommen, Herr Strauß; aber Sie haben es aufgebracht, und so muß ich dazu Stellung nehmen — erklärt, zusätzlich zu den Dingen, die in Ihrem Haushalt stehen, würden Sie für 5 Jahre 250 Millionen Schatzwechsel der Bundespost ins Portefeuille nehmen. Ich habe das gestern im Postverwaltungsrat zur Sprache gebracht und dort erfahren, daß Sie das Angebot inzwischen zurückgezogen haben. Ich begrüße es, daß Sie es zurückgezogen haben; das war nämlich haushaltsrechtlich wirklich nicht möglich. Ich bedaure es natürlich für die Post, die nunmehr in der Klemme sitzt und nicht weiß, wie sie sich da heraushelfen soll.
Im übrigen haben Sie darauf hingewiesen, daß Ihrem Haushaltsentwurf eine Übersicht über die Bindungsermächtigungen angefügt sei, und Sie haben gemeint, Bindungsermächtigungen seien ein haushaltsrechtlich einwandfreies Instrument. Zweifellos, Herr Strauß, nur daß es sich hier um insgesamt 12 1/2 Milliarden handelt, die heute schon aufgelaufen sind, die wir nicht formell beanstanden, sondern materiell. Ich habe vor 4 Wochen bei einer ähnlichen Debatte diese Summe auf 11 Milliarden geschätzt. Sie ist also inzwischen noch um 1 1/2 Milliarden höher, wie ich jetzt sehe. Und ich sage Ihnen, meine Damen und Herren, es hat seit 1870/71 mit Ausnahme der beiden Weltkriege und mit Ausnahme der Aufrüstung unter den Nazis kein einziges Jahr in der deutschen Finanzgeschichte gegeben, in dem Bindungsermächtigungen von einer solchen Gesamthöhe im Verhältnis zum Gesamthaushalt jemals in Erscheinung getreten wären.
Das hat es wirklich nur während der beiden Kriege und bei den Nazis gegeben. Eine so ungesunde Finanzplanung ist erstmalig und einmalig in Deutschland seit 1871.
— Ja, Sie haben das klarzumachen versucht, Herr Seffrin! Sie haben klargemacht, daß Sie nichts davon verstehen!
— Nein, das ist der Stil von Herrn Jaeger, den ich hier kopiere.
In diesen 12 1/2 Milliarden befinden sich 3 1/2 Milliarden für Panzer und gepanzerte Fahrzeuge. Kein Mensch in diesem Hause, vielleicht mit Ausnahme des Herrn Berendsen und des Herrn von Manteuffel, weiß, was mit diesen 3 1/2 Milliarden tatsächlich gemacht wird. Keiner weiß es! Wir wissen nur, daß die alten Pläne ad acta gelegt worden sind. Es befinden sich 1,6 Milliarden DM für Schiffe drin. Keiner von uns weiß, was damit gemacht wird. Wir hören nämlich nur, daß die alten Programme zweifelhaft geworden sind.
Es befinden sich 4 1/2 Milliarden DM für Flugzeuge drin. Das ist, grob gesprochen, genauso viel, wie neulich die ganze Rentenreform ausgemacht hat. Nur für Flugzeuge! Und keiner von uns weiß, was dafür gekauft wird und bei wem.
Der Herr Verteidigungsminister hat völlige Freiheit, im Rahmen seiner 12 1/2 Milliarden DM Bindungsermächtigung, aufgeschlüsselt auf die einzelnen Waffengruppen, zu bestellen zu Zeitpunkten, die er für richtig hält, und zu bestellen, was er für richtig hält.
— Das ist nicht unwahr. Herr Kliesing. — Wir wären sehr dankbar, wenn wir hierüber wieder einmal unterrichtet werden könnten, nachdem wir bisher nur wissen, daß die alten Pläne nicht mehr gelten. Auch das gehört in das Kapitel der „Klarheit" und „Stetigkeit", von dem Herr Jaeger hier gesprochen hat.
Eine solche plein pouvoir, wie sie der Verteidigungsminister heute hat, hat noch niemals ein deutscher Kriegsminister gehabt, weder unter Wilhelm II., noch in der Weimarer Republik, noch unter Hitler.
Ich werde nachher Veranlassung haben, auf die Zeit vor 1913 zurückzukommen, nachdem Herr Dr. Jaeger dauernd in der Vergangenheit gekramt und auch Herr Strauß mehrfach unsern alten Parteivorsitzenden August Bebel zitiert hat.
— Sie haben Ollenhauer zitiert, Herr Strauß hat Bebel zitiert, und ich werde mir erlauben, Ihre geistigen Väter aus jener Zeit zu zitieren,
um den Verfall der Sitten im Wehretatwesen und
im Parlamentarismus Ihnen deutlich zu machen.
Dabei komme ich zunächst auf eine Äußerung des Abgeordneten Stücklen in der Wehrdebatte des Jahres 1913.
— 1913! Das war der Onkel von unserem Freunde Stücklen. Sie sehen, der Neffe ist inzwischen politisch ein wenig entartet — wenn er es mir nicht übelnimmt!
Der Onkel Stücklen hat den damaligen Reichsmilitäretat, von dem ich noch einmal sage: er war wesentlich übersichtlicher und klarer als der von Herrn Strauß, damals als das Unübersichtlichste bezeichnet, was man sich denken könne. Sie sehen also, der Onkel war aus aufrechterem Holz gemacht als der Neffe.
Das dürfte der nämlich heute nicht öffentlich sagen, auch wenn er es glauben würde.
Übrigens gab es damals auch eine FVP. Das hieß allerdings etwas anders, wurde aber genauso abgekürzt. „F" bedeutete damals „fortschrittlich" — so ändern sich eben die Zeiten!
Der Redner Müller-Meiningen von der Fortschrittlichen Partei sagte damals in derselben Debatte — es war die Wehrdebatte im Jahre der Heeresvermehrung; das war eine große Geschichte, die damals passierte —:
Wir haben allen Grund, das Budgetrecht des
Reichstags so ängstlich zu wahren wie jemals.
Wenn doch die FVP von heute und ihr General
von Manteuffel ähnlich gute Parlamentarier wären!
Übrigens hat derselbe Abgeordnete dabei abgehoben auf die Unterstützung sogenannter vaterländischer Vereine aus dem Fonds des damaligen Kriegsministeriums. Heute heißen diese vaterländischen Vereine „Arbeitsgemeinschaft demokratischer Kreise" oder ähnlich. Ihre Aktivität ist eher schlimmer als besser. Ich komme darauf nachher zurück.
Zunächst noch ein paar Worte zur Rüstungsplanung. In diesem Haushalt stehen 80 Millionen DM für Forschung, Entwicklung und Erprobung. Jeder von uns weiß, daß diese 80 Millionen DM von heute bis zum 31. März nicht ausgegeben werden können. Aber für die nächsten beiden Jahre zusammen sind auch schon wieder 600 Millionen DM angekündigt. Ich will gar nicht die Höhe kritisieren, sondern ich möchte nur, fragen: Was soll damit eigentlich entwickelt und erprobt werden? Wer macht was in Zusammenarbeit mit wem? Der Lobbyismus auf diesem Gebiet treibt ungeahnte Blüten bis weit ins Parlament hinein.
— Wir sind bereit, notfalls einen Untersuchungsausschuß über solche Themen herbeizuführen, Herr Seffrin.
Der Bundestag besaß einmal neun Monate lang ein Organ zur Überwachung dieser und ähnlicher Vorgänge. Ich spreche von dem aufgelösten Unterausschuß für Rüstung und Beschaffung.
Zunächst möchte ich aber gerade unter diesem speziellen Gesichtspunkt des Ausschusses für Rüstungs- und Beschaffungsfragen die historische Parallele weiterführen. Im Jahre 1913, im Jahre der Heeresvermehrung, beantragte die damalige sozialdemokratische Fraktion die Einsetzung einer parlamentarischen Kommission zur Prüfung der gesamten Rüstungslieferungen für Reichsheer und -marine. Zu diesem Antrag sagte damals der Abgeordnete Erzberger von der Zentrumsparted, die damals eine bedeutende Partei war, — —
— Ja, wenn man so sieht, wie Sie heute mit der Zentrumspartei umgehen,
war es vielleicht doch angebracht, diesen Hinweis zu machen. — Herr Erzberger, der damals für den sozialdemokratischen Antrag sprach, sagte wörtlich folgendes — das könnte man heute genauso sagen —:
Ich muß der Auffassung, als hätte der Reichstag nicht das Recht, sich um die Verwendung dieser Mittel zu bekümmern, auch soweit Lieferungen vergeben werden, auf das allerentschiedenste widersprechen.
Klammer auf im Protokoll:
Lebhafter Beifall im Zentrum, bei den
Nationalliberalen, links und bei den Sozialdemokraten.)
— Das war eben noch ein Parlament, obwohl es verfassungsmäßig weniger Rechte hatte als dieses, das von seinen Rechten keinen Gebrauch macht, Herr Kiesinger!
Herr Erzberger fuhr fort:
Das Budget- und Kontrollrecht des Reichstags schließt nicht nur die Bewilligung, sondern zweifellos auch das Recht zur Prüfung ein, ob die bewilligten Gelder zweckentsprechend ausgegeben werden.
Was hätte dieser Mann, den wir um seiner nachmaligen Schaffung des Reichsfinanzausgleichs, der Reichssteuerreform, der Reichsfinanzverwaltung willen als einen der hervorragendsten Finanzpolitiker bezeichnen müssen, die Deutschland je gehabt hat, was hätte Erzberger damals wohl gesagt, wenn er die Panzermisere, von der Herr Jaeger sprach, des Jahres 1956 hätte vorausahnen können!
Herr Erzberger fuhr fort — und ich schließe mich wiederum völlig der Meinung dieses Mannes an, der im Jahre 1913 zu demselben Problem
sprach —:
Ich meine, daß gerade diejenigen Parteien, die entschlossen sind, eine Vermehrung unserer Rüstung durchzuführen, das größte Interesse daran haben, der Einsetzung einer solchen Kommission zuzustimmen, die volle Klarheit schaffen soll. Der Schlußeffekt wird sein, daß wir manche Million künftig sparen werden.
In bezug auf die M-47-Panzer würden wir heute nur statt „Million" „Milliarde" zu setzen brauchen, dann wäre alles wieder parallel.
Der damalige Sprecher der Nationalliberalen hat sich in ähnlicher Weise ausgesprochen, damals waren eben die Herren von der Rechten bessere Demokraten als heute.
Die Debatte um den ständigen Unterausschuß des Reichstages mit Recht auf zeugeneidliche Ver-
nehmung zur Prüfung der gesamten Rüstungslieferungen hatte natürlich auch einen konservativen Redner. Es war der Graf Westarp. Graf Westarp sagte:
Wir sind der Meinung, daß die Durchführung der Rüstungslieferungen, die Vergebungen, der Abschluß der Geschäfte, daß das alles Sache der Exekutive ist und daß dem Reichstag weder selbst noch durch Kommissionsmitglieder ein Recht zusteht, sich an dieser Durchführung der Lieferungen zustimmend oder mitwirkend zu beteiligen. Der Reichstag hat nur das Recht der etatrechtlichen und rechnungsmäßigen Kontrolle.
Ich darf zum Schluß noch erklären, daß ich meine Ausführungen gleichzeitig auch im Auftrage der Herren von der Reichspartei gemacht habe.
Könnte heute auch so passieren! Damals hießen diese Leute Westarp und nannten sich konservativ, später hießen sie Hugenberg oder ähnlich und nannten sich deutschnational, heute heißen sie Berendsen und nennen sich christlich-demokratisch.
Aber Namen sind Schall und Rauch, meine Damen und Herren; auf den Geist kommt es an, und der blieb absolut der gleiche.
— Herr Bausch, ich sehe ein, daß Sie das ärgert, aber ich setze es noch ein wenig fort.
— Vorhin hat Sie die Demagogie von Jaeger gar nicht aufgeregt, Herr Bausch.
Der Vertreter des Reichskanzlers, Herr von Delbrück, erklärte damals im Reichstag, die Reichsregierung könne einer solchen parlamentarischen Kommission nicht zustimmen; sie könne nur erwägen, eine Ressortkommission einzusetzen; und sie wolle gern dazu auch ein paar Parlamentarier hinzuziehen, allerdings nur, soweit sich diese als sachkundig erwiesen hätten. — Das entsprach der damaligen Verfassungslage; die Regierung konnte es verweigern, daß das Parlament sich um solche Dinge bekümmerte. Aber sie wollte immerhin ein paar Parlamentarier zulassen. Heute ist es so, daß das Parlament, obwohl ihm das Recht zusteht, freiwillig darauf verzichtet.
Wie gesagt, neun Monate lang waren wir etwas fortschrittlicher als 1913. Inzwischen sind wir zurückgefallen. Sie haben diese vier Unterausschüsse aufgelöst. Ich glaube, daß Herr Kollege Mende seinerseits noch etwas dazu sagen will. Ich möchte glauben, daß sich der Infrastrukturausschuß unter seinem Vorsitz wirklich hohe Verdienste um das Wohl der Truppe erworben hat, hohe Verdienste aber auch um die Abstellung irrealer Planungen im Verteidigungsministerium. Ich glaube, daß Herr Kollege Dr. Kliesing und seine Kollegen im Ausschuß „Innere Führung" sich wirklich Verdienste bei der Durchsetzung moderner Gesichtspunkte bei der inneren Führung erworben haben.
Und noch ein paar Worte zu dem Ausschuß, in dem ich selber tätig gewesen bin: Wären nicht ohne unsere Bemühungen diese 14 000 Schützenpanzer längst bestellt? Wären nicht ohne unsere Bemühungen diese 4000 M-47-Panzer längst bestellt?
Wären nicht ohne unsere Bemühungen diese ganzen Flugzeugbestellungen längst erfolgt? Sie haben doch in Ihrer eigenen Fraktion das Gespräch über diese Dinge, mit dem Sie sich jetzt brüsten, Herr Jaeger, erst angefangen, nachdem wir in der Öffentlichkeit Alarm geschlagen hatten!
Aber das war eben peinlich, wenn in der Öffentlichkeit solche Fehler bloßgestellt wurden, und das tat Ihnen weh. Ach, wie tat das weh! Ich sehe ja ein, daß die Panzerfrage die letzte Latte zum Sarge des ersten Verteidigungsministers der Bundesrepublik gewesen ist. So etwas darf eben nicht wieder passieren. Da machte sich der Kollege Berendsen, Oberst im Generalstab a. D., auf mit dem Argument: Man hat der Presse zuviel erzählt. Als ob es erstens nicht die vornehmste Pflicht des Abgeordneten wäre, Mißstände in der Öffentlichkeit auszusprechen, damit der Druck der Öffentlichkeit die Abstellung solcher Mißstände erzwingt, wenn es die parlamentarische Minderheit allein eben nicht kann,
und als ob es zweitens nicht der CSU-Abgeordnete Dr. Jaeger gewesen wäre, der in einer von ihm einberufenen Pressekonferenz das Wort gesprochen hat von den Knochen eines deutschen Panzergrenadiers, die ihm für diese Panzer zu schade seien. Das waren Sie nämlich, nicht wir!
Die Formulierung mit den Knochen eines deutschen Panzergrenadiers, die für das Zeug da zu schade sind, stammt von Ihnen. Diese — entschuldigen Sie, ich will es nicht sagen; „demagogisch" ist in diesem Hause ja mit Strafe belegt — außerordentlich eindrucksvolle Formulierung haben noch nicht einmal wir gebraucht, sondern Sie. Aber Herr Berendsen hat ja im Pressedienst seiner Partei das alles gerechtfertigt. Er schreibt:
Ich bin selbst stets bereit gewesen, eine Möglichkeit zu finden, die eine Weiterarbeit der Unterausschüsse gewährleistet hätte. Ich kann deshalb um der Sache willen die Auflösung der Unterausschüsse zwar bedauern, aber nicht mehr ändern.
Es fällt schwer, das keine Heuchelei zu nennen, meine Damen und Herren.
— Herr Berendsen im Deutschland-Union-Dienst. Nun, das Rauschen im deutschen Blätterwald über diese rücksichtslose Ausnutzung parlamentarischer Mehrheitsverhältnisse zur Unterdrückung parlamentarischer Kontrolle war ja ganz schön, unisono „von der Etsch bis an den Belt",
von der „Süddeutschen Zeitung"
— nein, ich habe mich in diesem Falle nur an die Nationalhymne gehalten! —
bis hin zu Herrn Friedrich Sieburg in der „Frankfurter Allgemeinen", eine bemerkenswerte Unterstützung oppositioneller Gesichtspunkte, wie man wohl zugeben muß. Damit konnten wir zufrieden sein.
Nun hat mir vor ein paar Tagen ein CSU-Bürgermeister geschrieben. Ich nenne den Namen nicht
— ich kündige das gleich an —, weil ich nicht möchte, daß er ähnlichen Nachstellungen ausgesetzt wird, wie der eine oder andere seiner Parteifreunde sie erlebt hat,
der in öffentlicher Rede die Verteidigungspolitik seiner Partei kritisiert hat.
Ich lese diesen Brief vor. Der genannte Bürgermeister hat irgendwo in der Zeitung einen Artikel über die Auflösung dieser Unterausschüsse gelesen, und er schreibt nun:
Den beigefügten Artikel habe ich mit Freude und mit Bedauern gelesen. Gefreut habe ich mich, daß der Unterausschuß für Verteidigungsfragen
- er verwechselt die Begriffe etwas —
in Sachen Wehrkontrolle Mut und Geschick bewiesen hat. Bedauerlich ist es, daß im parlamentarischen Leben, wie die Auflösung des Unterausschusses zeigt, vieles von Zufällen abhängig ist.
Es war kein Zufall, meine Damen und Herren!
Ich nehme an, daß Sie trotzdem nicht locker lassen und Ihre Mitarbeit im Bundestag weiterhin von Erfolg gekrönt sein möge.
Mit verbindlichster Hochachtung
Sie können sich darauf verlassen, daß wir hier nicht locker lassen werden. Uns liegen eine Reihe von Unterlagen über höchst zweifelhafte Vorgänge im Bereich des Verteidigungsministeriums vor.
Wir haben alle diese Dinge bisher loyal in den Unterausschüssen behandelt ohne große Tagesordnungsdebatten. Das war im Unterausschuß Kliesing so, das war bei Herrn Mende so, das war in den anderen Unterausschüssen der Fall. Sie haben uns dieses Instrument weggenommen und zwingen uns dazu, in jedem Einzelfall ein formelles Untersuchungsverfahren herbeizuführen. Wir werden die parlamentarische Kontrolle über die Rüstung auf diesem Wege erzwingen, wenn Sie sich nicht, um die Fronten nicht unnötig zu versteifen, in der Zwischenzeit einen anderen Ausweg überlegen wollen. Die Haltung einiger Ihrer Kollegen im Verteidigungsausschuß zu dieser umstrittenen Sache hat mir ein wenig Hoffnung gelassen.
Herr Kollege Dr. Jaeger hat bei seinen Ausführungen sehr nachhaltig und wiederholt versucht, einen Keil zwischen die Soldaten und die Sozialdemokraten zu treiben. Er hat das sicherlich nicht aus dem Handgelenk, sondern nach sorgfältiger Überlegung getan. Und das ist der Punkt, Herr Jaeger, der mich dazu berechtigte, das eine „üble Rede" zu nennen.
Wir Sozialdemokraten haben weiß Gott bei jeder Gelegenheit, hier und im Ausschuß, für die Rechte der Soldaten gekämpft. Deshalb haben wir z. B. auch zu den hundert Paragraphen des Soldatengesetzes Änderungsanträge eingebracht und dafür gesorgt, daß die Änderungen hineinkamen. Daß wir dem Gesetz als Ganzem nicht zustimmten, das ist ja wohl parlamentarischer Brauch, da doch die ganze Wehrpolitik gegen unsere Richtung gemacht wird. Das machen Ihre Kollegen unter Führung des Herrn Ehard im bayerischen Landtag doch wohl nicht anders. Sie wollen doch mit Ihren Redensarten nur die Tribüne verdummen.
— Nein!
— Ich gestatte keine Zwischenfrage von Ihnen.
— Herr Dr. Jaeger weiß ganz genau, daß ich bei anderer Gelegenheit auf jede Zwischenfrage geantwortet hätte. Hier ist mit einer Reihe von Bemerkungen, die über den Rundfunk, die Presse und über die literarischen Erzeugnisse der Arbeitsgemeinschaft für „demokratische Umtriebe" in die Truppe infiltriert werden sollen, der Versuch gemacht worden, die Truppe gegen die Sozialdemokratische Partei aufzuwiegeln.
Sie können nicht abstreiten, Herr Jaeger, daß wir uns bei jenem Gesetz, bei jeder Maßnahme, die beraten wurde, ob im Plenum oder in einem der Ausschüsse, mit aller Sorgfalt und Akribie und Leidenschaft dort eingesetzt haben, wo wir das Gefühl hatten, daß dem Soldaten nicht das gegeben wurde, was ihm nach unseren moralischen Begriffen zustand. Das galt genauso für die Besoldung der Unteroffiziere wie für die Ausrüstung mit Bekleidung wie für die staatsbürgerlichen Rechte wie für alles das, was nach unserer Vorstellung dem Soldaten zusteht.
Ihre Sache ist es gewesen, Zehntausende von Soldaten einzuziehen, ohne ihnen ordentlich Bett und Dach über dem Kopf zu geben.
Ihre Sache war es, Truppen aufzustellen, die weder Waffen noch Ausrüstung hatten.
Ich will Ihnen einige Beispiele vorlesen. Ich habe vor mir das Heft 2/1957 der Zeitschrift „Der deutsche Soldat". Das ist eine Zeitschrift, die in Ihrer Richtung, also rechts steht.
— Sie sitzen ganz falsch, Sie gehören nach Ihrer
heutigen Rede an den rechten Flügel, Herr Jaeger!
Die Zeitschrift „Der deutsche Soldat" bringt einen ausführlichen Aufsatz über die Infanterieschule: „Hammelburg - Wiege der Infanterie". Ich zitiere daraus einige Bemerkungen. Sie sind sicherlich nicht von einem Sozialdemokraten geschrieben, sondern von einem der vielen Journalisten, die auf dem Umweg über das Bundespresseamt aus Mitteln des Verteidigungsministers Geld für die Wehrpropaganda bekommen. Aber immerhin, auch dieser Mann schreibt folgendes:
Heute sind einige im Stil eines Gartentanzlokals der neunziger Jahre ausgerüstete, mit etwa 20 Mann belegte Stuben für Daueraufenthalt kaum noch verwendbar. Sie werden vorerst trotzdem benutzt, bis Besseres erstellt sein wird.
Oder weiter:
Nicht einzusehen vermag der Soldat, daß bei einer kochentwickelten deutschen Textilindustrie Uniformhosen nach dem Waschen 5 cm kürzer werden, daß ein Halstuch aus barschem Stoff und von Taschentuchgröße ein Unding ist. Daß die Hosen des Kampfanzuges zu weit sind, mag bei der ersten Prüfung nicht sofort aufgefallen sein.
usw. usw.
Die Entwicklungsgeschichte des Stiefels scheint von unerklärlicher Voraussetzungslosigkeit zu zeugen. ... Allerdings ist sicher die Darstellung übertrieben, man habe anfangs jeder Kompanie einen Mann zum Einsammeln der in dem seifigen Hammelburger Mergelton verlorenen Stiefelabsätze folgen lassen müssen.
Ich glaube auch, daß das übertrieben ist. Aber immerhin, das schreiben die von Ihnen bezahlten Journalisten, nicht wir.
Oder es geht weiter:
Zwar besitzt das Lehrbataillon in Hammelburg einige MG 42 und ein paar Lafetten. Aber die Richtaufsätze fehlen. Sie haben weder Platzmunition noch Handgranaten noch einen Infanteriespaten. Das Schanzgerät ist zu schwer und zu selten.
Oder es geht weiter:
MG-Feuer dargestellt durch Klappern mit Blechbüchsen, die Steine enthalten,
verführt, um nur ein Beispiel zu nennen, auf die Dauer zum Unernst, und dann könnte das eintreten, was der Landser von früher als „Beschäftigungstheorie" bezeichnet.
Ich lese weitere Beispiele vor, nur damit Sie nicht glauben, ich hätte sie irgendwo zusammengeharkt oder mühselig herausgezogen. Sie sind wirklich massenhaft da. Die neueste Nummer der „Bundeswehr" — das ist das offizielle Organ des Bundeswehrverbandes — vom Januar schreibt zu all diesen Schwierigkeiten:
Der tiefere Grund liegt nicht zuerst in einem Versagen der planenden Generalstabsoffiziere, sondern an der truppenfremden Organisation der Zentralbehörde.
Es heißt weiter, daß sich im übrigen viele Reibungen daraus ergeben, daß unsere Bundeswehr bereits im Aufbau mit allen Finessen der Überbürokratisierung verwaltet, aber nicht geführt wird. Dies hätten Regierung und Parlament längst zur Kenntnis genommen. Das stimmt. Aber gerade weil das Parlament es zur Kenntnis genommen hat, deswegen werden ja auch die Ausschüsse des Parlaments aufgelöst, damit diese Dinge nicht auch zur Kenntnis der Öffentlichkeit gebracht werden können.
— Das ist meine Schlußfolgerung, die Sie mir wohl gestatten wollen, Herr Seffrin. Es gibt sehr viel Unmut in der Truppe, und Sie wissen genau — und das kann Herr Jaeger uns mit all seiner Rabulistik nicht abstreiten —, daß wir uns lange und immer wieder um die Abstellung dieser Anlaufschwierigkeiten bemüht haben. Er versucht hier wider besseres Wissen — wider besseres Wissen! —,
einen Keil zu treiben zwischen die Menschen in der Sozialdemokratie und die Menschen in der Bundeswehr.
Herr Dr. Jaeger, Sie haben in raffiniertester Methode Ihren Kollegen Kiesinger von gestern morgen weit übertroffen! Herr Dr. Jaeger versucht diesen Keil zu treiben, spekulierend auf die Leute, die auf der Tribüne oder am Rundfunk
oder als Zeitungsleser Kenntnis nehmen von Ihren Machenschaften, ohne eine Übersicht darüber zu haben, was hier wirklich vorgeht.
Die Klagen aus der Truppe, deren wir uns auch weiterhin annehmen werden, sind vielfältig. Es gehören auch solche Klagen dazu, daß man heute infolge der umgestellten Personalplanung Leute wieder loswerden muß, die man vorher mit gewissen Versprechungen in bezug auf Beförderungen eingestellt hat. Herr Strauß weiß das sicher selbst. Das fällt auch unter das Kapitel „Stetigkeit" der Wehrplanung.
In diesem Zusammenhang entstehen wirklich große soziale Härten, und ich glaube, man muß im Verteidigungsministerium ernsthaft überlegen, ob es hier nicht eine institutionelle Hilfe gibt oder geben müßte, insbesondere für viele derjenigen, die tatsächlich bei der Behandlung ihres Falles vor der Annahmestelle zwar nicht bindende Zusagen oder Versprechungen, aber doch gewisse legere Zusagen erhalten haben, die sie selber als viel rechtsverbindlicher aufgefaßt haben als derjenige, der sie gab. Da gibt es also eine große Zahl von Mißständen, und man muß ernsthaft darüber nachdenken, wie man diesen Menschen helfen kann.
Übrigens kommen bei den Annahmeverfahren auch einige eigenartige Dinge zutage. Mir liegt ein Brief eines abgelehnten Bewerbers vor, der sagt, daß das Gespräch, das man mit ihm geführt habe, 50 Minuten gedauert und sich nicht nur auf militärische, sondern auch auf rein politische Themen erstreckt habe. „Was halten Sie von der Politik der Stärke?", hat man ihn gefragt, und: „Schreiben Sie auch politische Artikel in der, Hannoverschen Presse?". Das hat man den gefragt, und nachher hat man ihn abgelehnt.
Es sind einige gefährliche Keimzellen bereits dabei, sich in der Richtung zu entwickeln, wie der Herr Dr. Jaeger die Keime dieser antisozialdemokratischen Einstellung legt, hier und dort. Ich habe erfahren, daß es in der Truppe und im Verteidigungsministerium einen Fachausdruck für eine außerordentlich interessante psychologische Erscheinung gibt. Offiziere vollbringen nämlich, wenn sie ihre vier Monate Eignungsübung hinter sich haben und endgültig bestallt werden, den berühmten „Gesinnungsknick". Die Soldaten nennen das in soldatischer Kürze den Gesinnungsknick nach bestandener Eignungsübung. Dieser Gesinnungsknick soll sich doch schon an verschiedenen Stellen bemerkbar machen. Ich nenne einige Beispiele.
Sie kennen sicherlich den Namen des Oberstleutnants Oster, des Sohnes des im Zusammenhang mit dem 20. Juli umgekommenen Generals Oster. Dieser Oberstleutnant Oster wurde aus irgendwelchen Gründen aus dem Verteidigungsministerium zu irgendeiner Division versetzt. Der Divisionär soll in der Nazizeit ein für seine innere Bereitschaft des Mitmachens bekannter Offizier gewesen sein.
— Ich sage „soll gewesen sein".
— Moment, Dr. Kliesing! Jedenfalls kam folgendes vor. Der Divisionskommandeur sagte: Den Oster will ich in meiner Division nicht haben, — und er wurde auch nicht hineinversetzt.
Dann gab es z. B. im Dezember, Herr Kollege Jaeger — Sie haben vom Staatsbürger in Uniform so geschwärmt —, in Köln eine Tagung für Truppenkommandeure des Heeres. Als auf dieser Tagung ein Mann aus dem Verteidigungsministerium von der Abteilung „Innere Führung" sprach, der im Rang niedriger als diese Kommandeure war, nahmen die ihre Zeitungen heraus und lasen, um demonstrativ deutlich zu machen, daß sie das nichts angehe und nicht interessiere
Und im übrigen, wenn Sie so viel vom Staatsbürger in Uniform schwärmen, — wissen Sie, von wem dieses Wort stammt? Sie forschen doch so gern in der Geschichte.
— Nein, nein, mein Lieber. Ich weiß nicht, ob Baudissin weiß, woher es stammt. Es stammt aus einer Reichstagsdebatte des Jahres 1873, aus sozialdemokratischem Munde, aus einer Auseinandersetzung mit Moltke. Lesen Sie das nach!
— Herr Dr. Jaeger, die Sozialdemokratie hat noch niemals erklärt, für welches Wehrsystem sie eintreten würde für den Fall, daß die Wiedervereinigung hergestellt wird.
Wenn wir uns heute immer wieder gegen die Wehrpflicht aussprechen, so wissen Sie ganz genau, daß das nur mit der Tatsache des gespaltenen Vaterlandes zu tun hat.
Ich bringe einige weitere Beispiele dafür, meine Damen und Herren, wie die Saat des Herrn Kollegen Dr. Jaeger bereits in der Bundeswehr aufgeht. Es hat einen, wie mir scheint, außerordentlich umstrittenen und wahrscheinlich zu Recht umstrittenen Fernsehfilm in irgendeiner Rundfunkanstalt gegeben. Darüber haben sich Offiziere und Soldaten, wie mir scheint, mit erheblichem Recht geärgert. Ich war gerade zu der Zeit bei einer Truppe und habe diesen Arger miterlebt. Ich habe dieser Truppe — es waren Fahnenjunker oder Fähnriche — empfohlen, sie sollten doch unmittelbar einen Brief an das Fernsehstudio schreiben, daß sie das und das gesehen hätten, und sie sollten sich zur Auseinandersetzung anbieten. — So etwas Ähnliches ist nachher ja auch tatsächlich passiert.
Woanders hat man anders reagiert. Ein Brigadegeneral der deutschen Bundeswehr — ich nenne den Namen nicht; ich bin gerne bereit, ihn dem Verteidigungsminister zu nennen — hat eine Reihe von solchen Äußerungen zusammengefaßt, die aus der Truppe kamen, und hat ein Anschreiben dazu verfaßt, — nicht unter seinem persönlichen Namen, sondern unter dem Namen seiner Dienststelle. Datum: 23. 10. 56. In diesem Anschreiben — mit seiner Unterschrift — steht — als ob das etwas mit dieser Fernsehsendung zu tun haben könnte —:
Eine parlamentarische Opposition, sie möge heute so und morgen anders zusammengesetzt sein, die sich aus wahltaktischen oder anderen Gründen die innere Gegnerschaft der Streitkräfte des Staates zuzieht, kann nicht erwarten, daß der Soldat sie anerkennt und aus Überzeugung sogar für sie kämpft, wenn sie nach einer Wahl selbst die Regierung stellt.
Das ist genau die Saat, die dieser Mann heute gesät hat!
„Eine parlamentarische Opposition kann nicht erwarten, daß der Soldat sie anerkennt und für sie kämpft, wenn sie nach einer Wahl selbst die Regierung stellt,"
nämlich dann nicht, wenn sie sich die innere Gegnerschaft der Soldaten zuzieht. Und was Sie versuchen, lieber Herr Dr. Jaeger, das ist, diese bisher nur teilweise und in wenigen Ansätzen hier und dort vorhandene innere Gegnerschaft mit Fleiß zu schüren und auszuweiten.
Die Generale wie die Kanoniere der Bundeswehr haben dieser Bundesrepublik und jeder verfassungsmäßigen Regierung gleichermaßen loyal und treu zu dienen.
— Sie haben es nicht bestritten. Sie waren zu geschickt, Herr Dr. Jaeger, um sich hinterher festnageln zu lassen in bezug auf die Politik, die Sie heute machen.
Damit Sie nicht den Eindruck gewinnen, als ob ich Beispiele an den Haaren herbeigezogen hätte, muß ich noch ein paar mehr bringen, damit Sie sehen, daß hier Gefahren vorliegen. Vor wenigen Tagen passierte in Bonn folgendes. Ein Offizier des Verteidigungsministeriums, den die Herren des Verteidigungsausschusses übrigens kennen — ich will auch ihn schonen und seinen Namen weglassen —, hat im leichten Suff eine Autofahrt unternommen. Er hat gar nichts pekziert. Aber irgendwie wurde er von einem Polizisten sistiert und ist mit diesem dann in einen Wortwechsel geraten. Nun ist es ja so, daß der Alkohol bisweilen die Zunge löst, und dann kommen die eigentlichen Meinungen und Auffassungen zum Vorschein, die im nüchternen Zustand verborgen bleiben. Da hat nun dieser Mann auf den Polizisten, der ihn anhielt, geschimpft und gesagt: Wie könnt ihr es überhaupt noch wagen — ihr tragt die Farben der alten Wehrmacht —, uns hier Schwierigkeiten zu machen, wo wir dazu verurteilt sind, das Mausgrau der Verräter tragen zu müssen?
Damit waren die Verräter vom 20. Juli gemeint. Das ist die Ideologie gewisser, hoffentlich zahlenmäßig noch nicht zahlreicher Kreise der Bundeswehr, die die gegenwärtigen neuen Symbole und Formen der Bundeswehr in ihrer Abwehr gegen das Neuartige mit dem Geist oder dem angeblichen Geist der Gruppe vom 20. Juli identifizieren. So schlägt sich das nieder.
Ich gebe Ihnen ein anderes Beispiel. Vor einer Reihe von Zeugen hat jüngst ein bereits zu dieser Dienststellung ernannter Divisionskommandeur auf einem Essen gemeinsam mit dänischen Offizieren — es gibt ja bei uns oben in Norddeutschland noch eine kleine dänische und norwegische Einheit — berichtet, wie schlecht es ihm in russischer Gefangenschaft gegangen sei. Jeder, der ein bißchen davon kennt, wird überzeugt sein, daß es ihm dort sicherlich schlecht gegangen ist. Darauf hat der dänische Kommandeur geantwortet: „Ja, das kann ich gut verstehen, ich war vier Jahre lang während des Krieges in einem deutschen KZ." Wenn es damit zu Ende wäre, wäre es gut. Aber jetzt hat der deutsche Divisionskommandeur gesagt: „Donnerwetter, da müssen Sie aber was ganz Tolles ausgefressen haben!"
Ich behaupte wiederum nicht, Herr Dr. Jaeger, daß das symptomatisch sei für die allgemeine Haltung unserer Soldaten; Gott sei Dank nicht. Aber es gibt solche Ansätze. Ich glaube, wir haben allen Anlaß, uns gemeinsam um diese Dinge zu bemühen, statt hier zusätzlich zu schüren.
— Ich bin bereit, die Namen dem Herrn Verteidigungsminister zu nennen!