Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihre Zeit nicht lange in Anspruch nehmen. Aber ich glaube, es liegt im Interesse dieser Verhandlungen, daß ich gleich einige Bemerkungen zu dem mache, was der Herr Kollege Lenz in bezug auf die Haltung der SPD gesagt hat.
Ich möchte ihn zunächst von der Sorge befreien, daß die SPD in innere Schwierigkeiten wegen der Vertretung der Politik kommt, die ich heute dargelegt habe. Die Sorge, es seien sehr viele unter uns, die im Grunde lieber heute als morgen aus der NATO herausgingen, auch wenn die offizielle Version heute anders laute, brauchen Sie, Herr Kollege Lenz, nicht zu haben.
Wir haben uns auf dieser Linie bereits auf dem Parteitag in München verständigt, und das, was wir in der vorigen Woche beschlossen haben, ist nicht mehr als eine Präzisierung der politischen Linie, die wir damals einmütig festgelegt haben.
Zweitens. Herr Kollege Lenz hat einige Fragen gestellt, von denen ich annehme, daß sie ihm selbst nicht so unklar sind. Aber er wollte vielleicht gewisse Empfindungen zum Ausdruck bringen, die nach seiner Meinung im allgemeinen in der Bevölkerung über den sogenannten Zickzackkurs der SPD vorhanden sein könnten, ungefähr so: Was sagt Tante Lieschen draußen dazu? Ich will darauf antworten, Herr Kollege Lenz. Tatsächlich hat die Sozialdemokratie niemals die Forderung vertreten, daß die Bundesrepublik ohne aussichtsvolle Verhandlungen über die Wiedervereinigung die Mitgliedschaft in der NATO aufgeben sollte.
Es gibt keinen solchen Antrag, und es gibt keine solche Erklärung.
Ich stelle das fest. Es steht Ihnen frei, zu Ihrem
Hausgebrauch andere Behauptungen zu verbreiten; aber sie stehen mit der Wahrheit in Widerspruch.
Herr Kollege Lenz hat dann eine dpa-Meldung über ein Interview zitiert, das ich in Tokio gehabt habe. Ich 'kenne den vollen Text dieser dpa-Meldung nicht. Ich nehme an, wegen der Kürze der Zeit hat Herr Kollege Lenz nur einige Sätze zitiert.
Sicher — soweit ich mich erinnern kann — habe ich in diesem Interview, in dem ich die Haltung der Sozialdemokratischen Partei erläutert habe, gesagt, daß es die Auffassung der Sozialdemokratischen Partei war und ist, daß die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik in NATO von uns abzulehnen war, weil wir in ihr eine Erschwerung der Wiedervereinigung Deutschlands gesehen haben und noch heute sehen.
Das ist doch für Sie nichts Neues; denn wir haben aus dieser Haltung nie ein Hehl gemacht. Das einzige, was man noch hätte hinzufügen können, wäre, daß die Erfahrungen seit dem Beitritt der Bundesrepublik zu NATO die Richtigkeit der sozialdemokratischen These bestätigt haben.
Denn, meine Damen und Herren, was ist von der Prophezeiung des Herrn Bundeskanzlers übriggeblieben, daß die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in NATO uns die Wiedervereinigung bringen wird? Nichts!
Weiter: Sie haben hier wieder die Frage gestellt, Herr Kollege Lenz, wie wir uns die Realität vorstellen in bezug auf unseren „illusionären" Vorschlag eines Sicherheitssystems. Sie haben sogar versucht, auseinanderzusetzen — aber das war nicht sehr überzeugend; das glauben Sie wohl auch —, daß man hier einen regionalen Pakt wie die NATO nicht mit einem kollektiven europäischen Sicherheitspakt verwechseln kann. Ich will das nicht vertiefen und will nur folgendes sagen. Es ist denkbar, daß man in Europa oder in einem anderen Teil der Welt andere Sicherheitsorganisationen schafft, als wir heute z. B. in der NATO haben, und daß sie in bezug auf die Effektivität der Sicherheit dieselbe Wirkung haben können wie NATO.
Das alles haben Sie ja im Grunde mindestens durch das Memorandum der Bundesregierung vom 2. September akzeptiert. Gehen Sie doch nicht hinter die Erkenntnisse Ihrer eigenen Regierung zurück, nur aus Spaß an der Polemik gegenüber einem Standpunkt der SPD, den sie nie gehabt hat!
Meine Damen und Herren, es geht nicht nur um die Frage, welche Position NATO zu einem wiedervereinigten Deutschland haben soll, sondern es geht ganz konkret darum: Wir sind der Meinung, daß sich die Bundesregierung bei allen vier Mächten für Verhandlungen über die Möglichkeiten und die Chancen einer anderen Organisation der
Sicherheit in Europa auf der Basis eines solchen regionalen Sicherheitssystems mit der vollen Mitgliedschaft eines wiedervereinigten Deutschlands einsetzen sollte. Wenn diese Verhandlungen zu einem positiven Resultat führen, sollten und müßten wir bereit sein, die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in NATO durch die Mitgliedschaft des wiedervereinigten Deutschlands in einem solchen Sicherheitssystem zu ersetzen. Das ist eine ganz konkrete, reale Vorstellung. Dazu können Sie sagen — wie ich schon gesagt habe —, Sie akzeptieren sie nicht. Aber damit kommen Sie nicht aus, daß Sie sagen: Uns paßt sie nicht, sie ist illusionär. Nein, der wirkliche Grund Ihres Widerstandes liegt viel tiefer, Sie wollen eine solche Verhandlung nicht,
weil Sie die Frage der Mitgliedschaft in der NATO in Verhandlungen über die Schaffung eines neuen Sicherheitssystems eben nicht zur Debatte stellen wollen. Diese Klarstellung, die jetzt durch die Ausführungen des Herrn Kollegen Lenz erfolgt ist, ist uns sehr wertvoll.
Ein letztes Wort. Sie haben gesagt, auch Sie wollten Verhandlungen mit der Sowjetunion, aber wohin man mit ständigen Angeboten an solche Mächte komme, das habe doch die Erfahrung der Westmächte mit Hitler gezeigt.
Meine Damen und Herren, Sie wissen doch genausogut wie wir, daß bis zur heutigen Stunde diese Frage einer ernsthaften Diskussion über die Position eines wiedervereinigten Deutschlands in einem europäischen Sicherheitssystem nicht aufgeworfen worden ist, weder auf der Berliner Konferenz der Vier Mächte noch auf der Genfer Konferenz der Vier Mächte.
Es ist eine historische Tatsache, daß die drei Westmächte bzw. die Außenminister der drei Westmächte schon damals in Genf, als sie diese Frage ihrem sowjetischen Kollegen nicht stellten, in vollem Einvernehmen mit der Bundesregierung gehandelt haben.
Das sind die Tatsachen, und an diesem Punkt, wenn Sie wollen, scheiden sich die Geister.
Hier sollten wir nichts verschleiern und nichts verdecken. Diese Frage ist politisch so wichtig, daß wir sie austragen sollten. Aber ich meine, Herr Kollege Lenz — und deswegen habe ich noch einmal gesprochen —, wir sollten dann in der Sache diskutieren, und Sie sollten sich nicht damit helfen, daß Sie sagen: Wir sind nicht bereit, über illusionäre Vorstellungen der SPD zu reden.