Rede:
ID0218803500

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 2188

  • date_rangeDatum: 31. Januar 1957

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    2. Deutscher Bundestag — 188. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Januar 1957 10639 188. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 31. Januar 1957. Glückwünsche zum Geburtstag des Bundespräsidenten Prof. Dr. Heuss . . . . 10639 D Glückwünsche zu Geburtstagen der Abg. Raestrup und Schneider (Hamburg) . 10639 D Änderungen der Tagesordnung 10639 D, 10740 C, D Geschäftliche Mitteilungen 10651 C Beschlußfassung des Bundesrats zu Gesetzesbeschlüssen des Bundestags . . . 10640 A Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Anfragen 300, 315 und 316 (Drucksachen 2872, 3144; 3046, 3134; 3045, 3135) . . . 10640 A Mitteilung über Vorlage eines Zwischenberichts des Bundesministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte über die Evakuiertenrückführung (Drucksache 3079) 10640 A Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung (außenpolitische Lage, Wiedervereinigung Deutschlands, Sicherheitssysteme) 10640 A Dr. von Brentano, Bundesminister des Auswärtigen . . . . 10640 B, 10674 C, 10707 C, 10708 A, D, 10709 A, D, 10710 A, 10733 B Unterbrechung der Sitzung . . 10651 D Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung 10651 D Kiesinger (CDU/CSU) . . 10651 D, 10653 A, C, 10654 A, B, 10660 B, C, 10661 A, 10662 B, 10671 B, 10675 A, 10686 B, 10701 C Dr. Mommer (SPD') . . . . 10653 A, 10727 C, 10730 D, 10732 C Erler (SPD) .. . 10653 C, 10662 B, 10698 B, 10716 D, 10727 D, 10730 B, 10730 D Mellies (SPD) 10654 A, 10735 A Unterbrechung der Sitzung . . 10664 A Ollenhauer (SPD) 10664 A, 10671 B, 10685 A Dr. Arndt (SPD) 10675 A, 10736 D, 10739 A, C Lenz (Trossingen) (FDP) 10677 B Dr. Lenz (Godesberg) (CDU/CSU) . 10682 A Feller (GB/BHE) 10687 A Dr. von Merkatz (DP) 10690 D Dr. Schäfer (Hamburg) (FVP) . . . 10695 D, 10698 C Wehner (SPD) . . 10700 B, 10701 C, 10705 D, 10706 B, 10708 A, D, 10709 A, D, 10710 A Rasner (CDU/CSU) . . . . 10705 D, 10706 B Dr. Furler (CDU/CSU) 10710 B Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein (FDP) 10715 D Strauß, Bundesminister für Verteidigung . . . . 10726 A, 10727 C, D, 10729 B, 10730 B, D, 10731 D, 10732 B, D, 10739 A, C Schmidt (Hamburg) (SPD) . . . 10729 B Mattick (SPD) 10732 A Dr. Gille (GB/BHE) 10734 A Zur Geschäftsordnung betr. Weiterberatung der Tagesordnung: Brandt (Berlin) (SPD) 10740 B Rasner (CDU/CSU) 10740 D Nächste Sitzung 10741 C Berichtigungen zum Stenographischen Be- richt der 184. Sitzung 10741 Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 10741 B Die Sitzung wird um 9 Uhr 2 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Jaeger eröffnet.
  • folderAnlagen
    Berichtigungen zum Stenographischen Bericht der 184. Sitzung Es ist zu lesen: Seite 10178 A letzte Zeile unten „Dr. Schellenberg (SPD), zur Sache" statt „10243 B": 10234 B; Seite 10182 D Zeile 21 von unten statt „angenommen": abgelehnt; Seite 10297 Zeile 12 von unten in den Abstimmungen 5, 6 und 7: Scheel: beurlaubt; Seite 10297 Zeile 3 von unten in Abstimmung 7: Dr. Schneider (Saarbrücken): enthalten; Seite 10231 sind die vorletzte Zeile von A und die zweite Zeile von B auszutauschen. Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten a) Beurlaubungen Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Arnholz 15.2. Dr. Bärsch 1.2. Berendsen 1. 2. Dr. Berg 31.1. Dr. Brühler 2. 2. Dr. Bürkel 31.1. Cillien 2.3. Corterier 1.2. Dr. Dehler 28. 2. Dr. Franz 31.1. Freidhof 1.2. Gedat 1.2. Geiger (München) 1. 2. Gockeln 2. 3. Dr. Gülich 1.2. Haasler 31.1. Dr. Hesberg 31.1. Heye 31.1. Dr. Köhler 2.3. Dr. Kreyssig 1.2. Dr. Mocker 31.1. Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 31.1. Neumayer 16.3. Odenthal 15.2. Dr. Oesterle 1. 2. Op den Orth 31.1. Richter 31.1. Dr. Schmid (Frankfurt) 2. 3. Dr. Schmidt (Gellersen) 31.1. Schneider (Hamburg) 1.2. Frau Schroeder (Berlin) 15.4. Dr. Vogel 2.2. b) Urlaubsanträge bis einschließlich Frau Brauksiepe 16.2. Höfler 28.2. Diedrichsen 9.2. Meyer-Ronnenberg 23.2.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Die Sitzung wird bis 14 Uhr 20 unterbrochen.

    (Unterbrechung der Sitzung: 12 Uhr 49 Minuten.)

    Die Sitzung wird um 14 Uhr 21 Minuten durch
    den Vizepräsidenten Dr. Schneider wieder eröffnet.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort. Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Ollenhauer.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Erich Ollenhauer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn meiner Ausführungen eine protokollarische Bemerkung machen. Denn entgegen der Gepflogenheit in diesem Parlament

    (Abg. Rasner: Gibt es nicht!)

    seit 1949, nach einer Regierungserklärung zuerst den Sprecher der Opposition zu Wort kommen zu lassen, hat die CDU/CSU-Fraktion diesmal darauf bestanden, daß ihr Sprecher an erster Stelle das Wort erhält. Die CDU/CSU-Fraktion hat damit eine gesunde und bedeutsame Tradition der parlamentarischen Demokratie ihren parteitaktischen Erwägungen geopfert.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Rasner: Völlig falsch!)

    Ich stelle das fest, nicht aus persönlichen Gründen; aber es kommt mir darauf an, die kleinliche Haltung der größten Fraktion dieses Hauses ausdrücklich festzuhalten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Es wäre gerade nach der Rede des Herrn Kollegen Kiesinger auch von der Sache her zweckmäßiger gewesen, nach der Erklärung des Herrn Bundesaußenministers zunächst einmal den Standpunkt der sozialdemokratischen Opposition zu hören. Denn dann hätte sich Herr Kiesinger eine ganze Reihe von Fragen sparen können.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Aber im Grunde geht es gar nicht darum. Denn diese Debatte ist ja von der CDU nicht gewünscht worden, um hier im Plenum des Bundestages in einer sehr bedeutsamen internationalen Situation eine sachliche Auseinandersetzung über den besten Weg der Außenpolitik der Bundesregierung herbeizuführen. Ihr Ziel war nach den Erklärungen, die sie in den letzten Tagen immer wieder auch in der Presse bekanntgegeben hat, diese Gelegenheit zu benutzen, um eine Wahlkundgebung der CDU im Plenarsaal des Deutschen Bundestages zu veranstalten.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Widerspruch bei der CDU/CSU.)

    — Meine Damen und Herren, Sie nehmen doch nicht an, daß wir jetzt von unserer Seite einfach auf Moll spielen, nachdem Sie hier stundenlang alles, was Sie glaubten gegen die SPD vorbringen zu können, vorgebracht haben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich will schon jetzt noch etwas sagen. Morgen werden wir vor allem in Ihrer Presse wieder sehr trübsinnige Betrachtungen darüber finden, daß das deutsche Bundesparlament eine außenpolitische Debatte in dieser Atmosphäre geführt hat. Ich stelle dazu fest: Sie von der CDU haben mit Ihrem
    Herrn Außenminister und mit Ihrem Sprecher heute morgen fast vier Stunden allein dieses Haus beherrscht. Ton und Niveau dieser Debatte sind von Ihnen bestimmt worden.

    (Stürmischer Beifall bei der SPD.)

    Wie Sie das gegenüber dem deutschen Volk verantworten wollen, ist Ihre Angelegenheit.

    (Sehr richtig! und weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ja, es ist Ihre Angelegenheit. Wir werden darüber später noch zu reden haben.
    Wir haben diesem Vorschlag der außenpolitischen Debatte im Zusammenhang mit den Anträgen über Berlin nicht widersprochen, weil wir glaubten, es liege ein sachliches Interesse vor, einmal durch eine zusammenfassende Darstellung der Bundesregierung Klarheit darüber zu bekommen, was denn heute überhaupt die Außenpolitik der Bundesregierung ist. Das war notwendig nach den verschiedenen und oft sich widersprechenden Erklärungen vor allen Dingen des Herrn Bundeskanzlers in der letzten Zeit. Ich muß allerdings sagen, soweit es darum ging — und das war die wirkliche Aufgabe der Diskussion heute —, einmal festzustellen, welche Vorstellungen unsere Regierung in bezug auf die Schlußfolgerungen hat, die aus der jetzt gegebenen internationalen Situation für die Außenpolitik der Bundesrepublik zu ziehen sind, sind wir durch diese Regierungserklärung in keiner Weise vorangekommen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich will auf den „Rechenschaftsbericht" des Herrn Außenministers nicht in allen Einzelheiten eingehen.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Warum denn nicht?! — Gegenrufe von der SPD.)

    — Na, also sicher nicht aus Furcht vor Ihnen!

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Lotze: Davon bin ich nicht überzeugt!)

    Soweit es sich dabei um aktuelle Fragen handelt, werde ich das, was ich für nötig halte, sagen.
    Der Herr Bundesaußenminister hat zu Beginn seiner Erklärung die Tatsache verzeichnet, daß wir mit Beginn dieses Jahres hier im Bundestag auch die Abgeordneten des Saargebiets als vollberechtigte Mitglieder des Bundestages begrüßen können, nachdem das Saargebiet ein Teil der Bundesrepublik geworden ist, und er hat diesen Erfolg in der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands als einen Erfolg der Außenpolitik der Bundesregierung verbucht.

    (Sehr richtig! und Beifall bei der CDU/ CSU. — Gegenrufe und lautes Lachen bei der SPD.)

    Selbstverständlich muß ein solches Ereignis verbucht werden, aber in bezug auf die Regierung
    nicht auf der Kredit-, sondern auf der Debetseite.

    (Beifall bei der SPD.)

    Denn wenn wir heute zu unserer gemeinsamen Freude die Vertreter des Saargebiets als Mitglieder dieses Hauses in unserer Mitte sehen, dann ist dieses Resultat entgegen der Politik der Bundesregierung erreicht worden.

    (Beifall bei der SPD, dem GB/BHE und der FDP.)



    (Ollenhauer)

    Wenn die Bevölkerung an der Saar z. B. der Bochumer Erklärung des Herrn Bundeskanzlers zwei Tage vor der Abstimmung an der Saar gefolgt wäre, wäre die Eingliederung des Saargebietes am Ende des vergangenen Jahres nicht zustande gekommen.

    (Beifall bei der SPD, dem GB/BHE und der FDP.)

    Erst die Ablehnung des vom Herrn Bundeskanzler und von der Regierung und der Koalition zur Annahme empfohlenen Statuts durch die Bevölkerung an der Saar hat doch die Voraussetzung dafür geschaffen, daß sich die Regierung entschließen mußte — —

    (Zuruf von der Mitte: Wer hat denn das Statut geschaffen?)

    — Die Ablehnung an der Saar ist jedenfalls gegen Ihre Propaganda und Ihre ausdrücklichen Willenskundgebungen zustande gekommen.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Mommer [zur Mitte] : Sie kämpften doch mit Hoffmann!)

    Jedenfalls schaffen Sie die Tatsache nicht aus der Welt, daß dieser erste Erfolg, der einzige konkrete Erfolg in der Wiedervereinigung gegen den Willen und die Politik der gegenwärtigen Bundesregierung zustande gekommen ist.

    (Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP und des GB/BHE. — Abg. Dr. Bartram: Wodurch war die Selbstbestimmung möglich?!)

    — Meine Damen und Herren, daß das für Sie ein wunder Punkt ist, verstehe ich.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir brauchen die Sache nicht zu vertiefen.

    (Abg. Dr. Mommer [zur Mitte] : Wir haben noch die Plakate aus dem Saargebiet!)

    Wir werden ja in Ruhe abwarten können, um zu erfahren, welche Auffassung die Menschen draußen im Lande von der wirklichen, entscheidenden Bedeutung der Haltung der Regierung in dieser Frage haben. Damit möchte ich dieses Kapitel verlassen.
    Ich möchte jetzt einiges über die außenpolitischen Vorstellungen sagen, die die Regierung heute hier entwickelt hat und die der Herr Kollege Kiesinger in einer Mischung von sachlichen Argumenten und Wahlpropaganda noch zu unterstreichen versucht hat. Wir sind jedenfalls der Meinung, daß das, was Sie als Regierungsprogramm, als Regierungsvorstellung für die nächste Zeit haben, den Aufgaben nicht gerecht wird, vor die die Bundesrepublik gestellt wird, vor allem wenn wir daran festhalten, daß das vordringlichste Ziel jeder Außenpolitik der Bundesrepublik die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands sein muß.

    (Zurufe von der Mitte: In Freiheit! — Die vergessen Sie! — Lachen bei der SPD.)

    — Meine Damen und Herren, ich weiß und es ist ja bekannt, daß Sie verabredet haben, mit solchen Fragen die SPD in Schwierigkeiten zu bringen.

    (Widerspruch in der Mitte.)

    — Natürlich, natürlich! Daß Sie das nicht zugeben, verstehe ich. Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie das, bringen Sie hier nicht die Frage „Und in Freiheit" auf. Denn Sie alle in diesem Saale wissen, daß es in der sozialdemokratischen
    Fraktion niemand gibt, der mit dem Begriff „Einheit" nicht den Begriff „Freiheit" verbindet.

    (Beifall bei der SPD.)

    Darum geht es überhaupt nicht; es geht um etwas anderes. Es geht einfach darum, daß wir eine Untersuchung anzustellen haben: Welche Konsequenzen ergeben sich aus der internationalen Situation, die durch die Ereignisse im Oktober und November 1956 eine wesentliche Änderung erfahren hat? Denn diese Ereignisse, deren lokale oder, wenn Sie wollen, nationale Bedeutung ich gar nicht in erster Linie untersuchen will, haben Rückwirkungen auf die internationale Situation gehabt und haben solche heute noch, deren Tragweite noch gar nicht völlig zu übersehen ist, und zwar auf beiden Seiten der Machtkonstellation in der Welt. Ich meine mit diesen Ereignissen die einseitige, eigenmächtige militärische Intervention Frankreichs und Englands am Sueskanal und die Vorgänge in Polen und in Ungarn, wobei die Ereignisse in Ungarn selbstverständlich von besonderer dramatischer Wucht sind, denn einerseits gaben sie das leuchtende Beispiel des Freiheitskampfes des ungarischen Volkes, und andererseits wurden sie beherrscht von der brutalen militärischen Intervention der Sowjetunion.
    Beide Ereignisse haben aber eine historische Bedeutung in der Nachkriegsentwicklung; sie werden auch national ihre fortdauernde Wirkung haben. Ich glaube, wir sind alle davon überzeugt, daß die Opfer, die das ungarische Volk im Kampf um seine Freiheit gebracht hat, nicht umsonst gewesen sein werden. Zum andern sind wir wohl auch alle darin einig, daß trotz der massiven, brutalen militärischen Intervention der Sowjetunion die Entwicklung in den osteuropäischen Staaten noch nicht abgeschlossen ist, soweit ihre innere, eigene staatliche Ordnung in Frage kommt oder soweit es sich um ein größeres Maß von nationaler Unabhängigkeit handelt.
    Die Frage, vor der wir stehen, ist: Welche Auswirkungen werden diese Ereignisse vom Herbst 1956 auf die bisherigen Vorstellungen der beiden entscheidenden Mächtegruppen haben, die den Frieden in der Welt zu erhalten und ein Höchstmaß von Sicherheit durch eine Politik der miltärischen Blockbildung zu erreichen suchten?
    Herr Kiesinger hat diese Darstellung der Situation kritisiert. Er hat gemeint, das sei eine unzulässige Vereinfachung, und hat lang und breit auseinandergesetzt, man dürfe doch nicht vergessen, was z. B. der Bildung des Nordatlantikpakts an aggressiven Handlungen auf der russichen Seite bis zurück zum Jahre 1945 vorangegangen sei. Meine Damen und Herren, das ist überhaupt keine Frage; darum handelt es sich hier in diesem Zusammenhang gar nicht. Denn — bitte, Herr Kiesinger — folgendes ist doch zu sagen: Sie können ja, wenn Sie eine solche Beurteilung der Situation wünschen, auch nicht immer gerade mit dem Datum, in der Geschichte der Nachkriegszeit anfangen, das in Ihre Konzeption paßt!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Wenn wir den Dingen auf den Grund gehen, Herr Kiesinger, und uns fragen, wie es so kam, daß die Lage in der Welt so ist, müssen wir noch viel weiter zurückgehen.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)



    (Ollenhauer)

    Dann beginnt es zunächst einmal, was wir doch nicht vergessen sollten, bei der verbrecherischen Politik des Hitlerregimes, die uns in den Krieg gebracht hat.

    (Wiederholter lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Wenn wir schon in die Vergangenheit gehen, wollen wir doch nicht gerade an dem Punkt stehenbleiben, den Herr Kollege Kiesinger für richtig hält, weil es in seine Vorstellungswelt paßt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Zweitens ein anderer Punkt. Sie wissen doch genauso gut, Herr Kollege Kiesinger, wie jeder von uns im Saale, daß ursprünglich die Abgrenzung der Interessensphären zwischen Rußland und den Westmächten auf der Basis des Potsdamer Abkommens erfolgt ist — einschließlich der Spaltung Deutschlands!

    (Abg. Dr. Mommer: Sehr wahr!)

    Damit ist nicht das geringste zur Verteidigung oder zur Erklärung der sowjetischen Gewaltpolitik in ihrem Machtbereich gesagt. Aber, meine Damen und Herren, wenn Herr Kiesinger hier sagt: Wie wäre es vielleicht in Europa heute, wenn wir die NATO schon im Jahre 1947 gehabt hätten?, — das klingt sehr schön und steht mit allen Realitäten der Politik im Widerspruch.

    (Beifall bei der SPD.)

    Denn damals noch, Herr Kollege Kiesinger, haben uns Sozialdemokraten, als wir die Gewaltpolitik der Sowjets in Ostberlin und in der Zone kritisierten, bedeutsame Alliierte des Westens erklärt, wir sollten in dieser Kritik etwas zurückhaltender sein, denn schließlich sei die Sowjetunion der Verbündete der westlichen Alliierten.

    (Starker Beifall bei der SPD.)

    Ich mache daraus niemandem, vor allem nicht den westlichen Alliierten einen Vorwurf.

    (Zuruf von der Mitte: Sieht aber so aus!)

    Aber, Herr Kollege Kiesinger, jetzt zu sagen: Das ganze Problem der sogenannten Blockbildung ist damit gelöst, daß wir ja hier im Westen nichts anderes getan haben, als auf eine •Gewaltpolitik der Sowjetunion zu reagieren, und dann weiter die Schlußfolgerung zu ziehen: Da diese Gefahr immer noch besteht, sind keine Möglichkeiten für eine Änderung in der internationalen Politik gegeben, —

    (Abg. Kiesinger: Zur Zeit!)

    das ist eben nicht richtig.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich untersuche hier nicht die Schuldfrage. Wenn ich sie untersuchte, käme ich wahrscheinlich mit dem Kollegen Kiesinger zu einem großen Maß von Übereinstimmung in der Feststellung, daß die Verantwortung für die Zuspitzung in der Weltsituation in ungleich höherem Maße in der aggressiven Politik der Sowjets in der Stalinära liegt. Kein Wort brauche ich davon abzuschreiben. Aber die Lage seit der Bildung der NATO und so, wie sie im Herbst vorigen Jahres bestand, ist doch die, daß, aus welchen historischen Ursachen immer, die beiden entscheidenden Mächte der Welt sich entschlossen haben, ihre Interessensphären und ihre Sicherheiten dadurch zu gewährleisten, daß sie die Organisation der militärischen Blockbildung im
    Warschauer Pakt und in der NATO geschaffen haben.
    Das Problem, ob NATO nicht notwendig war, ob es nicht eine unvermeidliche Gegenwehr war, steht in diesem Augenblick hier nicht zur Debatte.

    (Sehr richtig! bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    — Meine Damen und Herren, bitte lassen Sie mich das ausführen, weil diese Frage trotz der Rede des Herrn Kollegen Kiesinger Sie in den nächsten Monaten auch noch beschäftigen wird. — Hier steht vielmehr die Frage zur Debatte: Ist diese Vorstellung, die — unter verschiedenen Ausgangspunkten — die beiden Hauptpartner der Weltpolitik gehabt haben, nämlich die Sicherheit der Welt, die Erhaltung ihrer Interessensphäre durch solche militärischen Zusammenschlüsse zu sichern, heute noch von derselben Schlüssigkeit wie etwa im Herbst 1956 vor den Ereignissen in Ägypten und in Ungarn? D a s ist das Problem, und dazu sollen wir Überlegungen anstellen und uns Gedanken machen. Tatsache ist — und es gibt keinen Grund, für niemanden, darüber Genugtuung zu empfinden —, daß z. B. die NATO ihre erste Bewährungsprobe im Herbst vorigen Jahres nicht bestanden hat, und zwar deshalb nicht, weil zwei ihrer wichtigsten Mitglieder eigenmächtig ohne Information und Konsultation ihrer übrigen Vertragspartner einschließlich der Bundesrepublik militärisch gehandelt haben und damit entgegen dem Wortlaut und dem Geist des Vertrages allen ihren Vertragspartnern das Risiko aufgeladen haben, in einen weltweiten Konflikt einbezogen zu werden.

    (Abg. Dr. Mommer: Und als ob das nichts wäre! — Abg. Kiesinger: Hat kein Mensch behauptet!)

    Meine Damen und Herren, das ist ein sehr ernstes Problem, und zwar für uns, für die Demokratie. Denn ein Militärbündnis von freien demokratischen Staaten, wie die NATO es darstellt, kann nur wirksam sein, wenn es begründet ist auf dem vollen Vertrauen aller Partner, daß sie alle ohne Ausnahme rechtzeitig und in vollem Umfang informiert und gehört werden über jede Aktion eines einzelnen oder des Ganzen, die das Ingangsetzen von Verpflichtungen des Ganzen zur Folge haben kann.

    (Zustimmung bei der SPD sowie des Abg. Kiesinger.)

    Hier, meine Damen und Herren, liegt das Problem. Und täuschen wir uns doch nicht! Die starke Erschütterung, die das Vorgehen Frankreichs und Englands bei allen Völkern der Welt hervorgerufen hat, ist doch ein deutlicher Beweis dafür, welche gefährliche Krise hier bestand. Ich meine jetzt nicht einmal nur die Mitglieder der NATO. Ich denke z. B. an das Erlebnis, das einige von uns aus diesem Hause auf der anderen Seite des Sueskanals gehabt haben.

    (Abg. Dr. Mommer: Sehr wahr!)

    Es hat kein Ereignis seit 1945 gegeben, das bei den Völkern Asiens, die jetzt ihre Unabhängigkeit entwickeln, eine so schwere Vertrauenskrise gegenüber den Demokratien der westlichen Welt hervorgerufen hat wie der Schritt Englands und Frankreichs am Sueskanal.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)



    (Ollenhauer)

    Das ist doch ein Problem, über das wir, die wir dazu noch an einem der Brennpunkte der internationalen Spannungen stehen, uns ernsthaft unterhalten müssen, mit der Frage: Was können die Konsequenzen sein? Gewiß, der Ministerrat der NATO hat sich im Dezember ziemlich offenherzig mit dieser Sachebeschäftigt. Aber, meine Damen und Herren, Sie alle wissen: mit dieser Diskussion ist die Krise in NATO, soweit ihre innere Struktur in Frage kommt, nicht überwunden, und es ist die große Frage, ob der alte Zustand wiederhergestellt werden kann. Jedenfalls die Vereinigten Staaten haben sich jede Entscheidung in diesem Punkte ausdrücklich vorbehalten. Das ist die eine Seite.
    Auf der anderen Seite erleben wir, daß, ich möchte sagen: fast durch einen Zufall der Geschichte die Sowjetunion unter ihren Aspekten, mit ihren Vorstellungen und Organisationen in bezug auf Sicherheit eine vielleicht noch schmerzlichere Erfahrung hat machen müssen, als wir hier im Westen. Denn hinter den Ereignissen in Polen und Ungarn steht doch für die Sowjetunion, wenn sie nüchtern ihre Interessen sieht — und das haben die führenden Männer der Sowjetunion immer getan —, die Erkenntnis, daß die Ereignisse in Polen und vor allem in Ungarn klargemacht haben, daß die von der Sowjetunion durch die Schaffung des Warschauer Paktes verfolgte Sicherheitspolitik in Europa zusammengebrochen ist,

    (Abg. Hansen [Köln]: Sehr wahr!)

    weil sich herausgestellt hat, was wir im Grunde immer für wahrscheinlich gehalten haben: daß eine solche Paktpolitik nicht wirksam werden kann, wenn man in ein solches Paktverhältnis an-I) dere Völker mit Gewalt und Unterdrückung zwingt. Dieser Versuch ist gescheitert. Vielleicht wäre — meine Damen und Herren, auch das ist einen Satz wert — die dramatische Bedeutung dieses Ereignisses noch sichtbarer und weittragender gewesen, wenn nicht unglücklicherweise fast gleichzeitig die Intervention Frankreichs und Englands am Sueskanal erfolgt wäre.

    (Beifall bei der SPD.)

    Da stehen wir. Das ist die Lage: Wesentliche Erschütterungen in den bisherigen zentralen Vorstellungen ergaben die Frage, wie man in dieser Welt der Spannungen den Frieden erhalten und die beiderseitigen Interessensphären abgrenzen kann.
    Es kommt noch ein anderer Umstand hinzu, der ebenfalls fortwirkt, nämlich die Tatsache, daß das Wettrüsten auf beiden Seiten und vor allem die atemberaubende Entwicklung der modernen Massenvernichtungswaffen eine Lage in der Welt geschaffen hat, in der das Risiko immer größer wird, daß ein sogenannter totaler Konflikt in irgendeinem Teil der Welt in einer weltumspannenden Katastrophe für die Menschheit endet.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wie immer man zu der praktischen Politik hier im einzelnen steht, ich glaube, wir sollten uns doch darüber einig sein, daß dieser Zustand in der internationalen Politik unhaltbar ist, wenn die Völker nicht immer von neuem Gefahr laufen wollen, in das unermeßliche Unglück eines dritten Weltkrieges gerissen zu werden.
    Und weiter. Man muß es sagen, ob Freund oder Gegner: Die Erfahrung dieses letzten Herbstes hat gelehrt, daß die Politik der militärischen Blockbildung kein geeignetes Mittel zur Erhaltung der Sicherheit und des Friedens für die Völker ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir müssen, meine Damen und Herren, neue Wege — —

    (Zuruf von der CDU/CSU.)

    — Würden Sie so freundlich sein, auf die Antwort .auf die Frage „Wie?" noch einen Augenblick zu warten. Ich bin bereit, sie zu geben. — Es müssen neue Methoden in der internationalen Politik gefunden werden, um .der neuen internationalen Situation gerecht zu werden.
    Ich verzichte darauf, hier eine Sammlung von Zitaten aus der weiten Diskussion über diese Frage zu verlesen; ich halte nicht sehr viel von Reden aus dem Zettelkasten; man weiß nicht immer, ob sie wirklich dann zu einer Stärkung der Argumentation beitragen. Aber ich will Ihnen zunächst sagen, was wir Sozialdemokraten denken, heute, unter diesen Umständen, welche allgemeinen Schlußfolgerungen wir — ich meine „wir" sowohl im weiteren Sinne des Westens als auch, ich will es später erläutern, im engeren Sinne der Bundesrepublik — zu ziehen haben. Und da meine ich folgendes.
    Erstens. Es wird eine Aufgabe der praktischen Politik der freien Welt sein müssen, die Vereinten Nationen zu stärken, bewußt und planmäßig und mit großen Anstrengungen. Sicher, die Vereinten Nationen haben ihre Schwächen und ihre Unzulänglichkeiten. Aber, Herr Kollege Kiesinger, die Vereinten Nationen haben sich in den kritischen Novembertagen als ein wirksames Instrument der internationalen Politik erwiesen.

    (Abg. Majonica: Ungarn, Herr Ollenhauer?!)

    — Meine Damen und Herren, ich bin schon zufrieden, wenn Sie bereit sind anzuerkennen, daß wir in den Vereinten Nationen den Ansatz zu einem Instrument zur Lösung internationaler Konflikte haben.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Lücke: Hat doch keiner bezweifelt!)

    Daß wir alle die Meinung haben, daß dieses Instrument wirksam werden muß gegenüber jedem, der gegen die Grundsätze der Vereinten Nationen verstößt, — müssen wir darüber reden?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Nein! — Abg. Majonica: Aber Ansatz ist noch keine aktuelle Sicherheit!)

    —Ich rede noch gar nicht von Sicherheit — auf Ihr Lieblingsthema komme ich auch noch —; ich rede jetzt zunächst davon, welche allgemeinen Gesichtspunkte wir beachten und welche Schlußfolgerungen wir ziehen sollten. Ich meine, wir können feststellen, daß sich die Vereinten Nationen in den kritischen Novembertagen als ein wirksames Instrument der internationalen Politik erwiesen haben. Es ist zum Waffenstillstand am Sueskanal gekommen, und die Gefahr eines dritten Weltkrieges ist abgewendet worden.
    Herr Kollege Kiesinger hat in sehr kritischen Bemerkungen über die Bedeutung der Aktion der Vereinten Nationen gesagt: „Natürlich haben die Vereinigten Staaten von Amerika ihr massives Interesse an der Lokalisierung und Beendigung der Feindseligkeiten am Sueskanal zum Ausdruck ge-


    (Ollenhauer)

    bracht." Einverstanden! Dennoch: es ist ein Glück für uns alle, daß die Durchführung des Waffenstillstands jetzt durch eine Polizeitruppe der Vereinten Nationen gesichert wird.

    (Beifall bei der SPD.)

    Diese Tatsache ist doch nicht einfach wegzuleugnen. Und, Herr Kollege Kiesinger, wenn wir schon in dieser Lage über dieses Thema sprechen, ich glaube, dann gehört es zur Klarstellung der damaligen Situation, hinzuzufügen: Wenn es am Sueskanal nicht zum Ausbruch eines weltweiten Konfliktes gekommen ist, dann deshalb, weil beide entscheidenden Großmächte an diesem Punkt, unter diesen Umständen, zu diesem Zeitpunkt eine solche Katastrophe nicht wollten. Wenn wir hier schon über solche Zusammenhänge reden, dann soll man, meine ich, die ganze Wahrheit an Tatsachen ausbreiten,

    (Zustimmung bei der SPD)

    damit man darüber auf einer vernünftigen Basis diskutieren kann.

    (Beifall bei der SPD.)

    Was ich hier sagen will, ist nur folgendes:
    Schlußfolgerung Nr. 1 sollte sein eine aktive Anstrengung, die Vereinten Nationen zu stärken, ihre Autorität wirksamer zu machen und unter Umständen auch die Schaffung einer ständigen internationalen Polizeitruppe der Vereinten Nationen ins Auge zu fassen.
    Zweitens, glaube ich, sollten wir in der internationalen Ebene alle Bestrebungen sehen, zu einer schrittweisen, international kontrollierten Abrüstung zu kommen. Die Bestrebungen auf diesem Gebiet müssen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln gefördert werden, weil es, auch für das Gefühl der Sicherheit der Völker, wesentlich ist, daß ein erster sichtbarer und effektiver Schritt getan wird, um das militärische Gesamtpotential aller Mächte zu reduzieren und ein Kontrollsystem in Gang zu setzen, das die Innehaltung derartiger Abmachungen von Anfang an garantiert.
    Als dritte allgemeine Schlußfolgerung möchte ich folgendes sagen: die westliche Welt sollte die Zusammenarbeit zwischen sich und den Völkern Asiens auf der Basis der vollen Partnerschaft und der Anerkennung ihres eigenen Lebensweges sowie ihrer eigenen Lebensvorstellungen viel umfassender und enger gestalten, als es bisher der Fall ist,

    (Zustimmung bei der SPD.)

    und zwar aus einem Grunde. Herr Kollege Kiesinger hat ja diesen Punkt, den ich hier doch nennen möchte, auch erwähnt. Herr Kollege Kiesinger, es geht nicht darum, daß wir hier im Westen, sagen wir, eine dritte Linie der internationalen Politik akzeptieren, wie sie vielleicht dort von dem einen oder anderen der maßgebenden Staatsmänner verkörpert wird. Das ist eine andere Sache; das erfordert eine Untersuchung von Fall zu Fall. Was uns hier allgemein in dieser für den Frieden der Welt gefährlichen Lage interessieren sollte, ist, daß bei aller Eigenart der Entwicklung in diesem Teil der Erde, bei aller Verschiedenartigkeit der Tradition, der Religion und der Vorstellungen dieser Völker über den Aufbau ihrer eigenen Ordnung und vielleicht auch bei aller Unterschiedlichkeit ihrer außenpolitischen Vorstellungen eine Tatsache von großer Bedeutung ist: daß in diesem Teil der
    Welt Hunderte von Millionen, die am Anfang der selbständigen Gestaltung ihrer nationalen Existenz stehen, nur ein einziges primäres Interesse haben: den Frieden in der Welt zu erhalten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Und wenn wir davon reden, daß es in dieser Welt noch aggressive Kräfte gibt, — was liegt denn näher, als daß wir mit denen enger zusammenrücken, für die die Erhaltung des Friedens gleichzeitig die Frage nach dem Gelingen oder Nichtgelingen ihres Aufstiegs zur nationalen Unabhängigkeit und Selbständigkeit ist?!

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Stücklen: Das haben wir getan!)

    Hier finde ich, meine Damen und Herren, daß wir auf diesem Gebiete auch im Hinblick auf die Erfahrungen eine größere Anstrengung machen sollten, als es bisher der Fall war.
    Und das Vierte, meine Damen und Herren, ist, glaube ich, die Notwendigkeit, eine neue und große Anstrengung zu machen, um die verschiedenen lokalen oder regionalen Spannungsherde der Welt auf friedliche Weise zu beseitigen.

    (Abg. Lotze: Kaschmir!)

    — Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen. Ich finde nämlich, uns hier sollten der Spannungsherd Europas und das gespaltene Deutschland heute mehr am Herzen liegen als diese Frage.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Frage ist doch, welche praktischen Konsequenzen die Bundesrepublik aus den hier aufgezeigten Schlußfolgerungen und Aufgaben ziehen muß. Ich finde, die Regierungserklärung — und ich füge hinzu: auch die Rede des Herrn Kollegen Kiesinger
    — hat darauf überhaupt keine Antwort gegeben.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Es ist nicht die Spur — es tut mir leid, das sagen zu müssen — einer Überlegung, wie die Bundesrepublik mit der sich jetzt entwickelnden neuen internationalen Situation fertig werden will und wie wir in diesem Zusammenhang Sicherheit und Einheit des deutschen Volkes zur Geltung bringen wollen. Wir haben hier schon einmal vor gar nicht so langer Zeit, im Juli vorigen Jahres, kurz vor den Parlamentsferien, eine Debatte gehabt. Da ging es um Wehrgesetze, und wir haben damals in unserer Argumentation gegen die Verabschiedung dieser Gesetze von dieser Stelle aus darauf hingewiesen, daß vielleicht etwas Vorsicht und Zurückhaltung zweckmäßig wäre, weil man doch aus Veröffentlichungen und Informationen wisse, daß man sich in Amerika und anderen westlichen Ländern mit anderen Vorstellungen beschäftige, die damals unter dem Begriff der Umrüstung bekanntgeworden sind. Der Herr Bundeskanzler hat seinerzeit alle Hinweise auf diese Entwicklung abgewiesen mit der Erklärung, er wisse von nichts, und darum könne es auch nicht so sein.

    (Lachen hei der SPD.)

    Später hat sich herausgestellt: es war doch so, und wir haben ja daraus einige Konsequenzen, spät und unvollkommen, ziehen müssen. Ich würde Ihnen empfehlen, einmal zu überlegen, ob es nicht Zeit ist, diesen Komplex in Ihre außenpolitische Betrachtung einzubeziehen, damit Sie nachher nicht wieder mit einer politischen Spätzündung auf eine


    (Ollenhauer)

    Situation reagieren müssen, die sich heute schon abzeichnet.

    (Beifall bei der SPD.)

    Denn mit diesem Festhalten an der alten Konzeption: Sicherheit durch NATO und Politik der Stärke — die ja immer noch hinter diesem Begriff steht — meistern Sie die Situation nicht. Ich finde es absolut unbefriedigend, und es ist keine Antwort auf unsere Fragen, wenn z. B. gesagt wird: „Aber warum diskutieren Sie alle diese Dinge? Im Grunde hat sich doch weder durch die Ereignisse am Sueskanal noch etwa durch die Ereignisse in Ungarn irgend etwas geändert.

    (Zuruf von der Mitte: Wer sagt denn das?)

    Vor allem bei der Sowjetunion sind doch wohl nun alle Illusionen über eine andere Haltung der Sowjetunion endgültig widerlegt worden."

    (Abg. Dr. Bartram: Leider!)

    Nun, ich will Ihnen folgendes sagen, und ich bin bereit, zu jeder Zeit vom Herrn Kollegen Kiesinger in der Zukunft auf dieses Zitat festgelegt zu werden, wenn ich mich dann auch nicht in der Gesellschaft des Herrn Bundeskanzlers befinde wie damals in der Abrüstungsfrage.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Ich will Ihnen meine feste Überzeugung sagen: Die Lage in der internationalen Politik ist nicht mehr dieselbe, wie sie im vorigen Jahr gewesen ist.

    (Lachen in der Mitte.)

    Weder die eine noch die andere Seite wird zu den Positionen zurückgehen, die sie vor der Herbstkrise 1956 gehabt hat.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Außerdem eine andere Bemerkung, die Sie nicht gern hören, die ich aber trotzdem — zu meinem Leidwesen für Sie — nicht unterdrücken kann! Die Erfahrungen im vergangenen Spätherbst haben wohl auch gezeigt, daß die Mitgliedschaft des geteilten Deutschlands in NATO auf der einen Seite

    (Zuruf von der Mitte: Freiwillig!) oder dem Warschauer Pakt


    (Zuruf von der Mitte: Gezwungen!)

    auf der anderen Seite dem deutschen Volke keine effektive Sicherheit zu geben vermag.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    Wie sehr dieses Bewußtsein in unserem eigenen Volke lebendig ist, beweist z. B. die Tatsache, daß im November 1956 die Erschütterung und das Gefühl der Unsicherheit und der Gefährdung in keinem Volke so groß gewesen ist wie im Volk in der Bundesrepublik.

    (Sehr wahr! bei der SPD. — Zuruf rechts: Stimmt auch nicht! — Abg. Kiesinger: Das ist doch kein Argument!)

    Wenn Frieden und Sicherheit mit militärischen Mitteln in der jetzt gegebenen internationalen Situation nicht zu erreichen sind, dann muß doch die Bundesrepublik Anstrengungenmachen, um daran mitzuwirken, einen anderen Weg zu finden.

    (Abg. Dr. Horlacher: Welchen Weg?)

    Wir haben aus unserer eigenen Situation heraus
    das größte Interesse, uns mit dieser Frage zu beschäftigen. Ich möchte deshalb dazu einiges sagen.
    Ich meine nämlich, wenn es darauf ankommt, die lokalen oder regionalen Spannungsfelder und Gefahrenquellen in der internationalen Politik zu beseitigen, dann ist das unser eigenes Problem, weil eben die Spaltung Deutschlands einer der entscheidenden Gefahrenmomente in der internationalen Politik ist. Wir stehen vor folgender Frage, die von vornherein eine Selbstverständlichkeit ist; ich muß sie aber erwähnen, weil sie in der heutigen Erklärung der Regierung sehr kurz weggekommen ist. Die erste Notwendigkeit für eine aktive Politik der Bundesrepublik zur Lösung des Einheits- und Sicherheitsproblems ist, daß wir mit allen vier Mächten, die über das Schicksal Deutschlands zu entscheiden haben, möglichst enge diplomatische Beziehungen unterhalten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir haben die Pflicht, darauf hinzuwirken und in der Richtung aktiv zu werden, daß das nicht nur für die drei Westmächte, sondern auch für die Sowjetunion gilt. Ich bin der Meinung: es ist keine ausreichende Haltung der Bundesregierung, wenn sie den Tatbestand der unbefriedigenden Art unserer Beziehungen feststellt, ohne darüber hinaus selber Vorschläge zu machen, wie man diesen Punkt überwinden kann.

    (Sehr gut! bei der SPD. — Zuruf von der Mitte: Haben wir doch gesagt!)

    Ich erinnere nur an die Debatten, ob man einen Handelsvertrag abschließen soll oder nicht.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Warum ist es denn möglich, ohne korrekte normale Beziehungen mit der Sowjetregierung alle möglichen Handelsgeschäfte zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion zu machen, und warum bringt man sie nicht in den Kanal einer legalen Abmachung mit dieser Regierung?

    (Beifall bei der SPD.)

    Wie kann man erwarten, daß eine Regierung über andere Lebensfragen der Deutschen spricht, wenn wir nicht mal in diesen ersten Schritten der Normalisierung der Beziehungen eine ernsthafte Anstrengung machen, die Dinge in Ordnung zu bringen?
    Ein zweiter Punkt in diesem Zusammenhang! Die Normalisierung der Beziehungen gilt auch für unser Verhältnis zu den osteuropäischen Ländern. Ich darf daran erinnern, daß ich hier im Auftrag meiner Fraktion im Juni 1956 diese Forderung bereits erhoben habe. Die Regierung hat nichts unternommen, und wir haben nichts vom Herrn Bundesaußenminister darüber gehört, daß sie in der nächsten Zukunft etwas tun will. Was ist das eigentlich für eine Politik?

    (Abg. Lotze: Eine kluge!)

    Meine Damen und Herren, ich glaube, wenn wir uns heute rückschauend überlegen, wie die Dinge gelaufen wären, wenn die Bundesregierung schon im Sommer vorigen Jahres solche normalen Beziehungen zu Polen und der Tschechoslowakei, dem einen oder anderen Land hergestellt hätte, — wäre das heute in der Situation, in der sich Osteuropa befindet, nicht eine doch bedeutungsvolle aktive Position der deutschen Außenpolitik?

    (Zustimmung bei der SPD. — Abg. Dr. Bartram: Das Mißtrauen der Russen wäre größer!)



    (Ollenhauer)

    Hier liegt doch einfach die Schwere des Versäumnisses auf der Hand, und die Tatenlosigkeit der Regierung ist doch wieder ein Beispiel dafür, daß sie da, wo sie handeln könnte,

    (Abg. Dr. Horlacher: „könnte"!)

    wo sie die Möglichkeit hat, nach dieser Richtung hin eine eigene Aktivität zu entfalten, ebenfalls passiv bleibt ohne Rücksicht darauf, daß eine solche Politik auch ein Beitrag zur Auflockerung der politischen Verhältnisse in Europa sein könnte.

    (Abg. Kiesinger: Die Regierung wollte die DDR nicht stärken, Herr Ollenhauer! Das ist der Grund!)

    — Verehrter Herr Kollege Kiesinger, Sie wissen doch ganz genau, daß diese Überlegung den Herrn Bundeskanzler in Moskau nicht gehindert hat, die diplomatischen Beziehungen mit der Sowjetunion aufzunehmen, obwohl die DDR lange vor uns da war.

    (Abg. Kiesinger: Sicher, aber Sie wissen auch, warum! — Abg. Dr. Bartram: Wegen der Gefangenen! Das wissen Sie doch!)

    — Meine Damen und Herren, Sie wissen doch so gut wie ich, daß es auch in Moskau Möglichkeiten gegeben hat, den deutschen Standpunkt ,klarzustellen, daß mit der Schaffung solcher diplomatischer Beziehungen keine Präzedenzfälle geschaffen werden. Ich finde 'also, hier sollte man mit diesem Argument nicht kommen. Ich halte es in der Sache nach den Schritten, die Ihre Regierung selbst in der Vergangenheit getan hat, nicht für stichhaltig.
    Nun, meine Damen und Herren, das Wesentliche aber ist — und das ist die Frage, von der ich sagen muß, daß in dieser Beziehung beide Erklärungen und Reden geradezu bestürzend gewesen sind —, daß wir nichts über eine Initiative unserer Bundesregierung in bezug auf neue Schritte in der Frage der Wiederherstellung der deutschen Einheit gehört haben,

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    nicht einmal ein Wort darüber, ob denn die seit langem in der Presse immer wieder angekündigte neue Note überhaupt kommt.

    (Abg. Kiesinger: Doch!)

    Nur Schweigen, nur allgemeine Beteuerungen! —
    Entschuldigen Sie, da müssen Sie auch sagen, was
    Sie tun wollen; das ist wohl der Zweck der Übung.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Stücklen: Das ist die Umkehrung einer Frage, Herr Ollenhauer!)

    — Sie haben hier Fragen zu beantworten, nicht in erster Linie wir; das ist nämlich der große Irrtum. Sie haben die Verantwortung, und Sie haben vor dem Parlament Rede und Antwort zu stehen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Diese Methode der Nachhilfestunden, die Sie hier anzuwenden belieben, werden wir nicht akzeptieren.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Was ist denn heute geschehen? Nehmen wir einmal alles an rein referierenden Dingen im Bericht des Herrn Bundesaußenministers und all die anderen Arabesken, die Herr Kollege Kiesinger in seiner Rede hier mit anbringen zu müssen glaubte. Was ist denn geschehen? Die Quintessenz der Erklärung der Regierung, unterstützt durch den Hauptsprecher der stärksten Regierungsfraktion, ist doch die: In der Frage der Wiederherstellung der deutschen Einheit sehen wir keine Möglichkeit zu einer Initiative,

    (Beifall bei der SPD)

    unser Interesse ist vornehmlich, daß wir die Sicherheit der 'Bundesrepublik in der NATO weiter erhalten.

    (Abg. Dr. Mommer: 17 Millionen abschreiben!)

    Herr Kiesinger, es tut mir leid, es so sagen zu müssen: in diesem Moment ist mir eigentlich zum erstenmal in vollem Umfang bewußt geworden, in wie weitem Maße in Ihrem Bewußtsein und in Ihren politischen Vorstellungen die Frage nach einer baldigen Lösung der deutschen Wiedervereinigung schon entschwunden ist.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Abg. Arndgen: Das ist eine Unterstellung! — Abg. Majonica: Was meinen Sie, wie Herr Wehner auf eine solche Sache geantwortet hätte? — Weitere Zurufe von der Mitte.)

    Was Sie hier beschäftigt hat, war eine Diskussion mit der SPD darüber, wie es sich denn die SPD vorstelle, ,auf dem Wege über ein europäisches Sicherheitssystem zur Wiedervereinigung Deutschlands kommen zu können. Lassen Sie mich dazu eine Vorbemerkung machen. Diese Diskussion hier hat nur einen Sinn, wenn wir nicht so vorgehen, wie Herr Kiesinger es getan hat, nämlich zunächst einmal das darzustellen, was er als die Haltung der SPD ansieht

    (Zuruf von der SPD: Oder erfindet!)

    — oder erfindet —, und dann gegen diese angenommene oder erfundene Position der SPD zu diskutieren.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, wir halten das eine ganze Weile aus. Wenn wir den Dingen auf den Grund gehen, gibt es für Ihre Argumentation, Herr Kollege Kiesinger, nur zwei Erklärungen. Entweder haben Sie vor ihrer Rede nicht sorgfältig gelesen, was die SPD in München und in der vorigen Woche beschlossen hat.

    (Abg. Kiesinger: O doch!)

    Das wäre schlecht. Oder aber 'Sie heben aus anderen Überlegungen etwas wider besseres Wissen gesagt. Das wäre noch schlechter.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Was hat der Kollege Kiesinger alles unterstellt? Er hat gesagt: Ihr wollt ein Phantasiegebilde von europäischem Sicherheitssystem. Er hat gesagt: Ihr wollt ein waffenloses wiedervereinigtes Deutschland.

    (Abg. 'Kiesinger: Nein!)

    Er hat gesagt: Ihr könnt doch überhaupt nicht annehmen, daß wir als wiedervereinigtes Deutschland unsere eigene Sicherheit garantieren können, etwa wie Schweden und die Schweiz es tun. Es waren eine ganze Reihe von Annahmen. Darüber könnte man diskutieren; aber bitte, dann diskutieren Sie mit den Leuten, die derartige Ideen vertreten, aber nicht mit den deutschen Sozialdemokraten!

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Denn wir haben niemals in bezug auf die Ablösung der Mitgliedschaft der Bundesrepublik in


    (Ollenhauer)

    NATO als ein denkbares Mittel für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands eine Politik des Abenteuers oder eine Politik des Vakuums vertreten. Ich habe es, ich weiß nicht wie oft, auch in diesem Hause gesagt, aber offensichtlich muß es noch einmal gesagt werden:

    (Abg. Dr. Mommer: Wenn man nicht verstehen will!)

    Wir sind, verehrter Herr Kollege Kiesinger — und Sie wissen es —, für die Wiedervereinigung Deutschlands mit dem Einbau eines wiedervereinigten Deutschland in ein europäisches Sicherheitssystem, in dem das wiedervereinigte Deutschland die gleichen Rechte und die gleichen Pflichten übernimmt, in ein europäisches Sicherheitssystem, das sowohl von den Vereinigten Staaten wie von der Sowjetunion akzeptiert und garantiert werden kann.

    (Unruhe bei der CDU/CSU.)

    — Bitte, Sie können ganz anderer Meinung sein, aber Sie können eines nicht sagen: das ist keine denkbare Lösung.

    (Abg. Stücklen: Wie soll das funktionieren?)

    — Meine Damen und Herren, ich empfehle Ihnen, darüber einmal die Ausführungen zu lesen, die Ihre verehrte Bundesregierung in ihrem Memorandum vom 2. September gemacht hat. Da finden Sie sehr bemerkenswerte positive Ausführungen über die Effektivität eines europäischen Sicherheitssystems,

    (Zurufe von der SPD: Und jetzt lachen sie darüber!)

    dem wir weitgehend zustimmen. Das einzige, was ich bedaure, ist, daß heute der Herr Bundesaußenminister und Herr Kiesinger von diesen damaligen sehr nützlichen ersten Erkenntnissen anscheinend wieder heruntergekommen sind.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Mommer: Wegen des Wahlkampfes!)