Herr Erler, wenn Sie mein Manuskript nachlesen und es mit dem vergleichen, was ich gesagt habe, werden Sie sehr erhebliche Unterschiede finden; denn ich bin schließlich einer in diesem Hause, der es liebt, frei zu sprechen, und der ein Manuskript lediglich als Unterlage für die freie Rede benutzt.
Das kann man nicht von allen Kollegen dieses Hauses sagen.
Also ich muß es bringen; denn zwischen uns sei Klarheit. Der Herr Kollege Mellies hat laut dpa am 23. November 1956 folgendes gesagt:
Wer jetzt glaubt, weiter eine Politik der brüchig gewordenen Militärpakte treiben zu können, ist der wahre Frevler an der Sicherheit des deutschen Volkes.
Ich habe eine ganz sachliche Formel gebraucht, nämlich die, daß eine falsche Politik die Sicherheit vielleicht verspielt hätte.
Darüber ein Gebrüll des Protestes. Uns wirft man
Frevel an der Sicherheit des deutschen Volkes vor.
Wir sollen das schlucken.
Herr Mellies, einen solchen unglaublichen Satz werden Sie nicht stehen lassen dürfen, ohne daß wir von Ihnen eine Begründung fordern. Verteidigen Sie ihn hier von dieser Tribüne, vor diesem Haus, vor allem Volk!
Ich habe Verständnis dafür, daß mancher um die Einheit unseres Volkes tief besorgte Deutsche abwägt, was wir wohl an Unsicherheit und Gefahr für die Freiheit aller Deutschen wagen könnten und wagen müßten, um die Wiedervereinigung zu erlangen. Glaubt jemand ernstlich, daß wir dieses Problem nicht tausendmal durchdacht haben?
Wir sind, wie ein Blick auf das Memorandum zeigt, in dieser Richtung weit gegangen. Aber da nun die Dinge auf den Kopf zu stellen und zu behaupten, dieses geheimnisvolle kollektive System schenke dem deutschen Volk nicht nur eine vielleicht leichtere Lösung der Wiedervereinigung — wir haben diese These immer für falsch gehalten —, sondern überdies noch Sicherheit — wo es doch im besten Falle ein lebensgefährliches Wagnis unserer Freiheit sein könnte —, das ist allerdings eine Argumentation, die nicht mehr zu überbieten ist.
Nicht „UNO statt NATO" heißt die Parole — wie Sie sie uns empfehlen wollen —, sondern sie heißt „UNO und NATO", kollektives Sicherheitssystem u n d Sicherheit.
Die UNO hat gewiß große Verdienste, und niemand denkt daran, sie zu schmälern; der Außenminister hat sie gewürdigt. Aber die Wahrheit ist doch, daß sie auch in Korea nur formal beteiligt
war, daß aber in Wirklichkeit nur die Vereinigten Staaten von Nordamerika die bewegende Kraft dort waren und daß der Einsatz ihres Gutes und Blutes den Süden der Halbinsel vor der roten Flut rettete.
Genauso spielten die Vereinigten Staaten in Ägypten die entscheidende Rolle.
Und nun gar Ungarn! Ich habe wieder ein Zitat. Ich bin gar nicht so reichlich damit versehen; aber dieses eine kann ich mir nicht versagen, da es die Verworrenheit Ihrer Politik bezeichnet. Der SPD-Pressedienst schreibt laut dpa vom 26. November — ich bitte den Herrn Präsidenten, die paar Sätze verlesen zu dürfen —.
Der opferreiche Kampf des ungarischen Volkes wird als leuchtendes Fanal eines unbesiegbaren Freiheitswillens in die Geschichte eingehen, ist aber doch gleichzeitig ein überzeugender Beweis für die Erfolglosigkeit einer Politik der Stärke als eines Mittels, den Sowjets gegenüber vollendete Tatsachen zu schaffen. Dies noch immer nicht erkannt zu haben, ist die Ursache für die fehlgeleitete Bonner Ostpolitik.
Wer war denn für die Krise in Ungarn zuständig? Nicht die NATO, sondern die Vereinten Nationen waren für diese Krise zuständig, in der eines ihrer Mitglieder das andere angriff. Warum haben die Vereinten Nationen dabei versagen müssen? Nicht, weil sie zu stark, sondern weil sie zu schwach sind,
weil der Angreifer, ihr gewaltig gerüstetes Mitglied, sich jede Einmischung verbat.
Den Ereignissen stand die UNO völlig machtlos gegenüber. Die NATO konnte nicht an eine kriegerische Intervention in diesem Konflikt zugunsten des Freiheitskampfes des ungarischen Volkes denken, denn — ich wiederhole es — sie wurde ja nicht für den Angriff, sie wurde nicht einmal für die Rückeroberung der Freiheit der unterworfenen Völker geschaffen, sondern sie soll den letzten an den äußersten Rand des eurasischen Kontinents gedrängten Rest des freien Europas davor schützen, das gleiche Schicksal wie Ungarn zu erleiden.
Eine andere Lehre aus diesen Ereignissen! Wo gegensätzliche Mächte in einem kollektiven Sicherheitssystem Ihrer Prägung — Völkerbund, UNO — zusammengespannt sind, läßt sich wohl manches ausgleichen und glätten. Aber die wirklichen Probleme werden durch ein solches System nicht gelöst, die großen Gegensätze nicht beseitigt. Die Sicherheit der Mitglieder eines solchen Systems beruht nach wie vor auf ihrer eigenen Verteidigungskraft und der Verteidigungskraft derjenigen, auf die sie als ihre Verbündeten zählen können. Das gilt jedenfalls, solange auf dieser Welt eine kontrollierte Abrüstung — die die Sowjetrussen verweigern — nicht durchgeführt ist. Wenn man wirklich den Frieden in dieser Welt sichern will. dann muß man anders vorgehen. Dann muß man entweder eine totale — und zwar eine kontrollierte — Abrüstung erzielen, und daran sollte man arbeiten. Oder aber man muß ein Gleichgewicht der politischen und der militärischen Kräfte herstellen, das die möglichen Gegner in Schach hält.
Hier ist allerdings eine wesentliche Einschränkung bei einer Ihrer Thesen, Herr Kollege Ollenhauer, zu machen: daß ein solches Gleichgewichtssystem problematisch wird, wenn eine Weltmacht ersten Ranges zugleich das Ziel verfolgt, in der ganzen Welt ihr eigenes politisches und gesellschaftliches System durchzusetzen.
Die UNO kann in manchen Dingen helfen; aber sie allein ist ganz gewiß kein verläßliches Mittel zur Sicherung des Friedens. Nicht sie — ich wiederhole —, sondern die NATO hat dem weiteren Vordringen des Kommunismus Einhalt geboten. Darum also: Festhalten an beiden Institutionen, darum also: Stärkung beider Institutionen!
Ich komme zum Schluß, meine Damen und Herren. Wir haben die Schlagworte und Beschwörungsformeln und die schrecklichen Vereinfachungen in unseren Auseinandersetzungen satt.
Zu keiner Zeit mehr als jetzt galt es, mit unverdrossener Geduld und Ruhe die großen Probleme; die vor uns stehen: der Erhaltung des Friedens, der Sicherheit unserer Freiheit, der Wiedervereinigung, der Garantie des Heimatrechtes unserer aus dem Osten Vertriebenen, auf das wir nie verzichten werden,
der Lösung entgegenzuführen.
Die Erfolge dieser unserer Politik sind vom Außenminister dargelegt worden. Sie liegen vor aller Augen. Daß wir in der deutschen Frage die feierliche Verpflichtung aller Mitglieder des atlantischen Pakts zur Mitwirkung bei einer Wiedervereinigung in Frieden und in Freiheit und weiter die Sympathie und moralische Unterstützung der übrigen freien Welt erreicht haben, ist viel mehr, als Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, wahrhaben wollen. Mit Recht hat der Außenminister darauf hingewiesen, daß die ganze freie Welt nur uns als die Vertreterin der deutschen Interessen anerkennt, und wir werden nicht aufhören, diese politische, rechtliche und moralische Unterstützung in unserer Wiedervereinigungspolitik auszuwerten. Wir werden nicht aufhören — und das ist unser Weg —, an einer Besserung der Weltsituation, einer realen — nicht utopischen — Entspannung mitzuarbeiten, an der Beseitigung jener Voraussetzungen, die den Westen zur Gründung der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft und uns zum Eintritt in sie gezwungen haben. Wir bieten Sowjetrußland als Krönung dieses Bemühens nicht nur ein ausgeklügeltes Paktsystem — das auch nötig und schließlich auch von Nutzen sein mag —, wir bieten ihm unseren redlichen guten Willen zur Herbeiführung eines Verhältnisses friedlicher, ehrlicher und guter Nachbarschaft.