Rede:
ID0218803200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 188. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Januar 1957 10639 188. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 31. Januar 1957. Glückwünsche zum Geburtstag des Bundespräsidenten Prof. Dr. Heuss . . . . 10639 D Glückwünsche zu Geburtstagen der Abg. Raestrup und Schneider (Hamburg) . 10639 D Änderungen der Tagesordnung 10639 D, 10740 C, D Geschäftliche Mitteilungen 10651 C Beschlußfassung des Bundesrats zu Gesetzesbeschlüssen des Bundestags . . . 10640 A Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Anfragen 300, 315 und 316 (Drucksachen 2872, 3144; 3046, 3134; 3045, 3135) . . . 10640 A Mitteilung über Vorlage eines Zwischenberichts des Bundesministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte über die Evakuiertenrückführung (Drucksache 3079) 10640 A Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung (außenpolitische Lage, Wiedervereinigung Deutschlands, Sicherheitssysteme) 10640 A Dr. von Brentano, Bundesminister des Auswärtigen . . . . 10640 B, 10674 C, 10707 C, 10708 A, D, 10709 A, D, 10710 A, 10733 B Unterbrechung der Sitzung . . 10651 D Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung 10651 D Kiesinger (CDU/CSU) . . 10651 D, 10653 A, C, 10654 A, B, 10660 B, C, 10661 A, 10662 B, 10671 B, 10675 A, 10686 B, 10701 C Dr. Mommer (SPD') . . . . 10653 A, 10727 C, 10730 D, 10732 C Erler (SPD) .. . 10653 C, 10662 B, 10698 B, 10716 D, 10727 D, 10730 B, 10730 D Mellies (SPD) 10654 A, 10735 A Unterbrechung der Sitzung . . 10664 A Ollenhauer (SPD) 10664 A, 10671 B, 10685 A Dr. Arndt (SPD) 10675 A, 10736 D, 10739 A, C Lenz (Trossingen) (FDP) 10677 B Dr. Lenz (Godesberg) (CDU/CSU) . 10682 A Feller (GB/BHE) 10687 A Dr. von Merkatz (DP) 10690 D Dr. Schäfer (Hamburg) (FVP) . . . 10695 D, 10698 C Wehner (SPD) . . 10700 B, 10701 C, 10705 D, 10706 B, 10708 A, D, 10709 A, D, 10710 A Rasner (CDU/CSU) . . . . 10705 D, 10706 B Dr. Furler (CDU/CSU) 10710 B Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein (FDP) 10715 D Strauß, Bundesminister für Verteidigung . . . . 10726 A, 10727 C, D, 10729 B, 10730 B, D, 10731 D, 10732 B, D, 10739 A, C Schmidt (Hamburg) (SPD) . . . 10729 B Mattick (SPD) 10732 A Dr. Gille (GB/BHE) 10734 A Zur Geschäftsordnung betr. Weiterberatung der Tagesordnung: Brandt (Berlin) (SPD) 10740 B Rasner (CDU/CSU) 10740 D Nächste Sitzung 10741 C Berichtigungen zum Stenographischen Be- richt der 184. Sitzung 10741 Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 10741 B Die Sitzung wird um 9 Uhr 2 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Jaeger eröffnet.
  • folderAnlagen
    Berichtigungen zum Stenographischen Bericht der 184. Sitzung Es ist zu lesen: Seite 10178 A letzte Zeile unten „Dr. Schellenberg (SPD), zur Sache" statt „10243 B": 10234 B; Seite 10182 D Zeile 21 von unten statt „angenommen": abgelehnt; Seite 10297 Zeile 12 von unten in den Abstimmungen 5, 6 und 7: Scheel: beurlaubt; Seite 10297 Zeile 3 von unten in Abstimmung 7: Dr. Schneider (Saarbrücken): enthalten; Seite 10231 sind die vorletzte Zeile von A und die zweite Zeile von B auszutauschen. Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten a) Beurlaubungen Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Arnholz 15.2. Dr. Bärsch 1.2. Berendsen 1. 2. Dr. Berg 31.1. Dr. Brühler 2. 2. Dr. Bürkel 31.1. Cillien 2.3. Corterier 1.2. Dr. Dehler 28. 2. Dr. Franz 31.1. Freidhof 1.2. Gedat 1.2. Geiger (München) 1. 2. Gockeln 2. 3. Dr. Gülich 1.2. Haasler 31.1. Dr. Hesberg 31.1. Heye 31.1. Dr. Köhler 2.3. Dr. Kreyssig 1.2. Dr. Mocker 31.1. Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 31.1. Neumayer 16.3. Odenthal 15.2. Dr. Oesterle 1. 2. Op den Orth 31.1. Richter 31.1. Dr. Schmid (Frankfurt) 2. 3. Dr. Schmidt (Gellersen) 31.1. Schneider (Hamburg) 1.2. Frau Schroeder (Berlin) 15.4. Dr. Vogel 2.2. b) Urlaubsanträge bis einschließlich Frau Brauksiepe 16.2. Höfler 28.2. Diedrichsen 9.2. Meyer-Ronnenberg 23.2.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Kurt Georg Kiesinger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Sehen Sie, meine Damen und Herren: kaum habe ich diesen Satz ausgesprochen und gesagt, daß die Bundesregierung in unverdrossener Bemühung einige Jahre das Problem der Wiedervereinigung verfolgt hat, da kommen von drüben die Zurufe: „verhindert!" D a s ist aber in den Augen der Sozialdemokratie keine Verleumdung!

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Bundesregierung hat sich als erstes die Hände frei gemacht für eine selbständige Außenpolitik. Sie erreichte die freiwillige Verpflichtung der westlichen Vertragspartner und aller Mitgliedstaaten der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft zu einer gemeinsamen Politik der Wiedervereinigung. Sie warb darüber hinaus in aller Welt um Verständnis und Sympathie für die deutsche Frage.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Sie allein — der Außenminister hat es schon betont — wurde als Vertreterin der deutschen Interessen anerkannt, und niemand außerhalb des kommunistischen Bereichs hat die sogenannte Deutsche Demokratische Republik anerkannt.
    Auch die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit Sowjetrußland diente dann auch dem Ziel: der Wiedervereinigung. Daß über sie ebensowenig wie über die Berliner und die Genfer Konferenzen der vergangenen Jahre Erfolge erzielt wurden, lag nicht an uns und an unseren Verbündeten, sondern an der starren Haltung der Sowjetunion,

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    die sich in demselben Augenblick in neue Bedingungen und Vorwände flüchtete,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl! Sehr richtig!)

    als ihr vom Westen wirksame Garantien für den Fall der deutschen Wiedervereinigung angeboten wurden.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Nun hat der Bundeskanzler die Absicht der Regierung angekündigt, die deutsche Frage vor die Vollversammlung der Vereinten Nationen zu bringen. Wir wissen, daß die Vereinten Nationen keine Entscheidung in dieser Frage erzwingen können. Aber es wundert uns doch sehr — ich schließe mich der Kritik des Außenministers an —, daß gerade aus den Reihen der Opposition an diesem Plan Kritik geübt wird, indem darauf hingewiesen wird, wir überließen dann die Behandlung unserer nationalen Anliegen Fremden. Als ob es nicht darauf ankäme, möglichst viele dieser „Fremden" mit den großen nationalen Anliegen der Deutschen zu befassen!

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Abg. Mellies: Der Minister war über die Eröffnung des Bundeskanzlers auch nicht glücklich!)

    Es ist selbstverständlich, daß die Bundesregierung auch weiterhin versuchen wird, das deutsche Problem als eine mit der allgemeinen Entspannung unlöslich verbundene Frage zu behandeln. Man sollte sie nicht, wie es auch von seiten der Opposition geschehen ist, deswegen tadeln.
    Der Außenminister hat auf die Bedeutung des deutschen Memorandums zur Frage der Wiedervereinigung nachdrücklich hingewiesen. Die dort gemachten Vorschläge kommen dem sowjetrussischen Interesse sehr weit entgegen, viel weiter, als die meisten wahrhaben wollen: Gewaltverzicht, verdünnte Zone, die Versicherung des ernsten Willens, den Sicherheitswünschen der Sowjetunion soweit wie irgend möglich Rechnung zu tragen, ein auf der Basis realer Sicherheit aufgebautes europäisches Sicherheitssystem, keine Verschiebung des militärischen Gleichgewichts durch die Wiedervereinigung und eine kontrollierte und gleichgewichtige Abrüstung —, das alles sind doch keine leeren Worte und keine Bagatellen! Aber die Sowjetunion hat in ihrer Antwortnote wenig Entgegenkommen gezeigt. Immerhin ist das Gespräch im Gange, und eine Antwort der Bundesregierung auf die letzte Note der Sowjetrussen wird vorbereitet.
    Übrigens, wie leicht hätten es die Sowjetrussen, durch die Zustimmung zu einer wirksamen Abrüstungskontrolle sich und die Welt mit einem einzigen Schlag von quälenden Problemen zu befreien!

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Denn dann könnten wirklich die Atombomben vernichtet und die Soldaten nach Hause geschickt werden. Dann gäbe es auch kein Problem der Sicherheitsgarantien für sie und uns mehr, und jeder militärische Vorwand gegen eine deutsche Wiedervereinigung fiele dahin. Warum verweigern die Sowjetrussen eine derartige Kontrolle? Bangen sie vielleicht um den Erfolg der Weltrevolution, oder fürchten sie nur den Zusammenbruch ihrer Herrschaft im Satellitenreich, weil sie dann nicht mehr über eine gewaltige Streitmacht verfügen?

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Oder sollte nicht, meine Damen und Herren von der Opposition, die Überlegung eine Rolle spielen, daß der gegenwärtige Stand der Verteidigungsanstrengungen des Westens eine derartige kontrollierte Abrüstung gar nicht lohne?
    Manche Kritiker meinen, aus den Ereignissen um Ägypten, in Ungarn und in Polen neue Argumente gegen unsere Außenpolitik ziehen zu können. Herr Kollege Erler meinte jüngst, die Blöcke schmölzen dahin; der Sowjetblock habe in Ungarn und Polen eine Schwächung erlebt; die Schwächung des Atlantikpakts aber sei auch offenbar geworden. Darum — so meinte er etwas sibyllinisch — müßten wir die Stunde nützen und neue Wege beschreiten. Leicht gesagt, Herr Kollege Erler! Welches sind die neuen Wege? Ist der Sowjetblock wirklich geschwächt, oder ist durch die Krise nur seine Schwäche, die immer vorhanden war, offenbar geworden? Haben Sie früher wirklich im Ernst damit gerechnet, daß die unterdrückten Völker des Satellitenraumes sich im Krisenfall auf die Seite ihres Unterdrückers schlagen würden?

    (Abg. Erler: Wer hat denn die Divisionen immer mitgerechnet? Sie oder wir?)

    — Ich weiß, Herr Erler, was Sie sagen wollen. Das ist gelegentlich geschehen, verständlicherweise geschehen.

    (Zurufe von der SPD: Immer! — Weitere Zurufe )

    — Meine Ansicht ist es niemals gewesen. Aber das
    ändert an der Feststellung nichts. Was heißt denn,
    daß der östliche Block dahinschmelze? Ist für die-


    (Kiesinger)

    sen Block der Satellitenraum wirklich etwas Entscheidendes und Wesentliches? Das ungeheure Reich Sowjetrußlands und China an seiner Seite, das heute die westlichen Grenzen des Machtraumes der Sowjetunion garantiert, sind doch der Bestandteil dieses Blocks, und ich kann keine Anzeichen sehen, daß dieser Block dahinschmölze.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Es gibt kühne Propheten, die behaupten, daß die Ereignisse in Ungarn und Polen der Anfang des Endes der Sowjetmacht darstellten. Es wäre schlimm, wenn wir unsere Politik auf eine solche These, eine solche Vermutung stützten. Niemand von uns vermag zu sagen, wie die Entwicklung in diesen beiden Ländern weitergehen wird. Es ist durchaus möglich, daß wir neue Überraschungen erleben. Sie können angenehm, sie können auch sehr unerfreulich sein. Wir können leider nicht viel mehr tun als zuwarten und unsere Augen offenhalten.
    Aber merkwürdig berührt uns Ihre kaum verhüllte Genugtuung

    (Abg. Wehner: Was heißt „kaum verhüllte Genugtuung"? Jetzt heißt es perverse Genugtuung!)

    über die im vergangenen Jahr deutlich gewordene Schwäche des Atlantikpakts.

    (Abg. Wehner: „Perverse Genugtuung" heißt das!)

    — Nein, ich sage „kaum verhüllte".

    (Abg. Wehner: Nach der Sprachregelung des Auswärtigen Amts!)

    Was kann der Westen, Herr Wehner, denn Klügeres tun, als seine Einigkeit gerade jetzt in jeder Beziehung zu stärken, seine Einigkeit, die er sich lange genug durch eine wohlkalkulierte und einfallsreiche Politik der Nachfolger Stalins schwächen ließ?
    Ein Wort zu Ihnen, Herr Kollege Mellies. Ich hätte es heute vielleicht nicht gesagt, aber nach den Vorfällen, die sich in diesem Hause ereignet haben,

    (Zurufe von der SPD: Die Sie provoziert haben!)

    muß ich es sagen. — Ich habe nur auf den Einwand geantwortet, wir hätten acht Jahre lang gebraucht und die Wiedervereinigung noch nicht herbeigeführt.

    (Zurufe von der SPD. — Abg. Erler: Gestatten Sie eine Zwischenfrage?)

    — Bitte schön.


Rede von Fritz Erler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Darf ich fragen, Herr Kollege Kiesinger, ob das, was Sie über den Kollegen Mellies zu sagen angeblich nicht die Absicht hatten, nicht doch schon in Ihrem Manuskript stand?

(Sehr richtig! bei der SPD. — Lachen bei der CDU/CSU.)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Kurt Georg Kiesinger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Erler, wenn Sie mein Manuskript nachlesen und es mit dem vergleichen, was ich gesagt habe, werden Sie sehr erhebliche Unterschiede finden; denn ich bin schließlich einer in diesem Hause, der es liebt, frei zu sprechen, und der ein Manuskript lediglich als Unterlage für die freie Rede benutzt.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

    Das kann man nicht von allen Kollegen dieses Hauses sagen.

    (Erneute Zurufe von der SPD.)

    Also ich muß es bringen; denn zwischen uns sei Klarheit. Der Herr Kollege Mellies hat laut dpa am 23. November 1956 folgendes gesagt:
    Wer jetzt glaubt, weiter eine Politik der brüchig gewordenen Militärpakte treiben zu können, ist der wahre Frevler an der Sicherheit des deutschen Volkes.

    (Hört! Hört! in der Mitte. — Sehr gut! bei der SPD.)

    Ich habe eine ganz sachliche Formel gebraucht, nämlich die, daß eine falsche Politik die Sicherheit vielleicht verspielt hätte.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Haben Sie die schon wieder?)

    Darüber ein Gebrüll des Protestes. Uns wirft man
    Frevel an der Sicherheit des deutschen Volkes vor.

    (Abg. Rasner: Uns!) Wir sollen das schlucken.


    (Zurufe von der SPD.)

    Herr Mellies, einen solchen unglaublichen Satz werden Sie nicht stehen lassen dürfen, ohne daß wir von Ihnen eine Begründung fordern. Verteidigen Sie ihn hier von dieser Tribüne, vor diesem Haus, vor allem Volk!

    (Stürmischer Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Mommer: Das war der große Knallbonbon! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    Ich habe Verständnis dafür, daß mancher um die Einheit unseres Volkes tief besorgte Deutsche abwägt, was wir wohl an Unsicherheit und Gefahr für die Freiheit aller Deutschen wagen könnten und wagen müßten, um die Wiedervereinigung zu erlangen. Glaubt jemand ernstlich, daß wir dieses Problem nicht tausendmal durchdacht haben?

    (Zurufe von der SPD: Ja!)

    Wir sind, wie ein Blick auf das Memorandum zeigt, in dieser Richtung weit gegangen. Aber da nun die Dinge auf den Kopf zu stellen und zu behaupten, dieses geheimnisvolle kollektive System schenke dem deutschen Volk nicht nur eine vielleicht leichtere Lösung der Wiedervereinigung — wir haben diese These immer für falsch gehalten —, sondern überdies noch Sicherheit — wo es doch im besten Falle ein lebensgefährliches Wagnis unserer Freiheit sein könnte —, das ist allerdings eine Argumentation, die nicht mehr zu überbieten ist.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Nicht „UNO statt NATO" heißt die Parole — wie Sie sie uns empfehlen wollen —, sondern sie heißt „UNO und NATO", kollektives Sicherheitssystem u n d Sicherheit.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die UNO hat gewiß große Verdienste, und niemand denkt daran, sie zu schmälern; der Außenminister hat sie gewürdigt. Aber die Wahrheit ist doch, daß sie auch in Korea nur formal beteiligt


    (Kiesinger)

    war, daß aber in Wirklichkeit nur die Vereinigten Staaten von Nordamerika die bewegende Kraft dort waren und daß der Einsatz ihres Gutes und Blutes den Süden der Halbinsel vor der roten Flut rettete.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Genauso spielten die Vereinigten Staaten in Ägypten die entscheidende Rolle.
    Und nun gar Ungarn! Ich habe wieder ein Zitat. Ich bin gar nicht so reichlich damit versehen; aber dieses eine kann ich mir nicht versagen, da es die Verworrenheit Ihrer Politik bezeichnet. Der SPD-Pressedienst schreibt laut dpa vom 26. November — ich bitte den Herrn Präsidenten, die paar Sätze verlesen zu dürfen —.
    Der opferreiche Kampf des ungarischen Volkes wird als leuchtendes Fanal eines unbesiegbaren Freiheitswillens in die Geschichte eingehen, ist aber doch gleichzeitig ein überzeugender Beweis für die Erfolglosigkeit einer Politik der Stärke als eines Mittels, den Sowjets gegenüber vollendete Tatsachen zu schaffen. Dies noch immer nicht erkannt zu haben, ist die Ursache für die fehlgeleitete Bonner Ostpolitik.

    (Abg. Rasner: Spotten ihrer selbst, und wissen nicht wie! — Zurufe von der SPD.)

    Wer war denn für die Krise in Ungarn zuständig? Nicht die NATO, sondern die Vereinten Nationen waren für diese Krise zuständig, in der eines ihrer Mitglieder das andere angriff. Warum haben die Vereinten Nationen dabei versagen müssen? Nicht, weil sie zu stark, sondern weil sie zu schwach sind,

    (Beifall in der Mitte)

    weil der Angreifer, ihr gewaltig gerüstetes Mitglied, sich jede Einmischung verbat.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Den Ereignissen stand die UNO völlig machtlos gegenüber. Die NATO konnte nicht an eine kriegerische Intervention in diesem Konflikt zugunsten des Freiheitskampfes des ungarischen Volkes denken, denn — ich wiederhole es — sie wurde ja nicht für den Angriff, sie wurde nicht einmal für die Rückeroberung der Freiheit der unterworfenen Völker geschaffen, sondern sie soll den letzten an den äußersten Rand des eurasischen Kontinents gedrängten Rest des freien Europas davor schützen, das gleiche Schicksal wie Ungarn zu erleiden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Eine andere Lehre aus diesen Ereignissen! Wo gegensätzliche Mächte in einem kollektiven Sicherheitssystem Ihrer Prägung — Völkerbund, UNO — zusammengespannt sind, läßt sich wohl manches ausgleichen und glätten. Aber die wirklichen Probleme werden durch ein solches System nicht gelöst, die großen Gegensätze nicht beseitigt. Die Sicherheit der Mitglieder eines solchen Systems beruht nach wie vor auf ihrer eigenen Verteidigungskraft und der Verteidigungskraft derjenigen, auf die sie als ihre Verbündeten zählen können. Das gilt jedenfalls, solange auf dieser Welt eine kontrollierte Abrüstung — die die Sowjetrussen verweigern — nicht durchgeführt ist. Wenn man wirklich den Frieden in dieser Welt sichern will. dann muß man anders vorgehen. Dann muß man entweder eine totale — und zwar eine kontrollierte — Abrüstung erzielen, und daran sollte man arbeiten. Oder aber man muß ein Gleichgewicht der politischen und der militärischen Kräfte herstellen, das die möglichen Gegner in Schach hält.
    Hier ist allerdings eine wesentliche Einschränkung bei einer Ihrer Thesen, Herr Kollege Ollenhauer, zu machen: daß ein solches Gleichgewichtssystem problematisch wird, wenn eine Weltmacht ersten Ranges zugleich das Ziel verfolgt, in der ganzen Welt ihr eigenes politisches und gesellschaftliches System durchzusetzen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Die UNO kann in manchen Dingen helfen; aber sie allein ist ganz gewiß kein verläßliches Mittel zur Sicherung des Friedens. Nicht sie — ich wiederhole —, sondern die NATO hat dem weiteren Vordringen des Kommunismus Einhalt geboten. Darum also: Festhalten an beiden Institutionen, darum also: Stärkung beider Institutionen!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich komme zum Schluß, meine Damen und Herren. Wir haben die Schlagworte und Beschwörungsformeln und die schrecklichen Vereinfachungen in unseren Auseinandersetzungen satt.

    (Zustimmung in der Mitte. — Lachen bei der SPD.)

    Zu keiner Zeit mehr als jetzt galt es, mit unverdrossener Geduld und Ruhe die großen Probleme; die vor uns stehen: der Erhaltung des Friedens, der Sicherheit unserer Freiheit, der Wiedervereinigung, der Garantie des Heimatrechtes unserer aus dem Osten Vertriebenen, auf das wir nie verzichten werden,

    (lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien)

    der Lösung entgegenzuführen.
    Die Erfolge dieser unserer Politik sind vom Außenminister dargelegt worden. Sie liegen vor aller Augen. Daß wir in der deutschen Frage die feierliche Verpflichtung aller Mitglieder des atlantischen Pakts zur Mitwirkung bei einer Wiedervereinigung in Frieden und in Freiheit und weiter die Sympathie und moralische Unterstützung der übrigen freien Welt erreicht haben, ist viel mehr, als Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, wahrhaben wollen. Mit Recht hat der Außenminister darauf hingewiesen, daß die ganze freie Welt nur uns als die Vertreterin der deutschen Interessen anerkennt, und wir werden nicht aufhören, diese politische, rechtliche und moralische Unterstützung in unserer Wiedervereinigungspolitik auszuwerten. Wir werden nicht aufhören — und das ist unser Weg —, an einer Besserung der Weltsituation, einer realen — nicht utopischen — Entspannung mitzuarbeiten, an der Beseitigung jener Voraussetzungen, die den Westen zur Gründung der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft und uns zum Eintritt in sie gezwungen haben. Wir bieten Sowjetrußland als Krönung dieses Bemühens nicht nur ein ausgeklügeltes Paktsystem — das auch nötig und schließlich auch von Nutzen sein mag —, wir bieten ihm unseren redlichen guten Willen zur Herbeiführung eines Verhältnisses friedlicher, ehrlicher und guter Nachbarschaft.

    (Lebhafter, langanhaltender Beifall bei den Regierungsparteien.)