Rede von
Dr.
Kurt Georg
Kiesinger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Außenminister hat bereits darauf hingewiesen, daß die neue Parole der Sozialdemokratischen Partei für den Wahlkampf „Sicherheit für alle" eine fröhliche Anleihe bei der CDU darstellt.
Wir wollen annehmen, daß diese Parole, meine Damen und Herren von der Opposition, auch für die Außenpolitik gemünzt ist.
— Dann hätten wir Christlich-Demokraten allerdings, verehrter Herr Metzger, Anlaß zur Freude über die Rückkehr eines verlorenen Sohnes.
Aber wenn man Sicherheit proklamiert, dann muß man auch bereit sein, die notwendigen Folgerungen zu ziehen.
Schöne Parolen lassen sich leicht formulieren; aber sie ändern die harten Tatsachen der Welt, in der wir leben müssen, nicht.
— Meine Herren, seien Sie doch nicht so nervös! Sie haben doch in Ihren Pressediensten geschrieben, w i r seien nervös und Sie würden diesen nervös gewordenen Leuten von der CDU nun hart zusetzen!
Lassen Sie uns doch einmal in aller Ruhe gegenseitig reden und anhören!
— Ach, Herr Kollege Wehner, dieses Urteil fällen nicht Sie! Das Urteil darüber, wer in diesem Hause vernünftig redet und wer schwätzt, wird einmal die Geschichte fällen.
Ich sagte: Parolen lassen sich leicht formulieren; aber die harten Tatsachen unserer Welt werden durch sie nicht geändert. Sicherlich wird die Menschheit einmal das Andenken jener Staatsmänner segnen, denen es gelingen wird, den Frieden zu bewahren, und denen es gelingen wird, die Freiheit zu bewahren. Diese Bemühungen werden aber nur dann Erfolg haben, wenn sie sich mitten in der rauhen Wirklichkeit und nicht in einem Wolkenkuckucksheim vollziehen.
Der Präsident der Vereinigten Staaten von Nordamerika hat in seinen jüngsten Äußerungen seinen festen Willen zu einer solchen Politik bekundet und erklärt, Amerika sei bereit, für die Erhaltung des Friedens einen hohen Preis zu zahlen. Auch wir sind dazu bereit. Aber wir sind genauso-wenig wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika willens, jeden Preis, keinesfalls den Preis unserer Freiheit, zu entrichten.
Die Opposition wird uns auch bei dieser Feststellung natürlich folgen. Aber die Frage ist, ob die von ihr empfohlene Politik die Freiheit des deutschen Volkes bewahren und sichern könnte.
— Des ganzen deutschen Volkes, natürlich des ganzen! Glauben Sie, daß das, was wir hier tun, eine Politik ist, die nur an unsere Sicherheit in der Bundesrepublik denkt? Das verstehen die Leute in der Zone drüben viel besser. Sie wissen, daß, solange hier ein Hort der Freiheit ist, auch Freiheit für sie in Zukunft möglich sein wird.
Ich sprach von der Außenpolitik der Sozialdemokratischen Partei; und schon stocke ich. Wie ist sie denn, diese Außenpolitik? Wie sehen Ihre Pläne denn wirklich aus? Wenn wir Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, in den vergangenen Jahren des öfteren Ziellosigkeit und Unklarheit in Ihrer außenpolitischen Planung vorgeworfen haben, so haben Sie immer sehr empfindlich reagiert. Aber es bleibt doch wahr, daß wir von Ihnen bis heute nicht viel mehr als ein paar magische Beschwörungsformeln zu hören bekommen haben.
Es sind die Formeln über die Herauslösung der beiden Teile Deutschlands aus den von Ihnen so genannten Militärblöcken und die Schaffung eines europäischen kollektiven Sicherheitssystems im Rahmen der Vereinten Nationen.
Der Herr Kollege Ollenhauer wurde am 12. Dezember 1952 auf einer Pressekonferenz gebeten, doch etwas Genaueres über dieses System der kollektiven Sicherheit auszusagen. Er sagte damals, es solle natürlich ein internationales System sein, und er bat, in diesem Augenblick zu verstehen, daß es nicht möglich sei, in Einzelheiten einzutreten, daß man sich im Konkreten Tiber die Details noch nicht klargeworden sei, um schon einen im einzelnen fundierten Vorschlag machen zu können. Nun, meine Damen und Herren, seitdem sind vier Jahre verstrichen, und noch immer wartet jener Fragesteller, noch immer warten wir auf die Antwort, auf jenen angekündigten „im einzelnen fundierten" Plan.