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ID0216800200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 168. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1956 9259 168. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 8. November 1956 Gedenkworte für die Leiden und Opfer der Ereignisse im Nahen Osten und in Ungarn: Vizepräsident Dr. Jaeger 9259 B Mitteilung über Sitzung des Deutschen Bundesrats in Berlin 9259 D Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung (weltpolitische Entwicklung, Vorgänge in Ungarn und Ägypten): Bundeskanzler Dr. Adenauer . . . 9259 D Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung: Dr. Krone (CDU/CSU) 9264 C Mellies (SPD) 9267 A Dr. Dehler (FDP) 9269 D, 9275 D Vizepräsident Dr. Jaeger . 9275 C, 9276 D Feller (GB/BHE) 9277 A, B Dr. Schneider (Lollar) (FVP) . . . . 9280 C Dr. Brühler (DP) 9282 A Nächste Sitzung 9283 D Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 9283 B Die Sitzung wird um 9 Uhr 31 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Jaeger eröffnet.
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten a) Beurlaubungen Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Becker (Hamburg) 8. 11. Behrisch 10. 11. Berg 8. 11. Dr. Bucher 10. 11. Cillien 15. 12. Feldmann 20. 11. Funk 8. 11. Gerns 8. 11. Dr. Greve 10. 11. Dr. Graf Henckel 8. 11. Dr. Horlacher 10. 11. Jacobs 8. 11. Kahn-Ackermann 17. 11. Lenz (Trossingen) 10. 11. Lotze 9. 11. Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein 10. 11. Mattick 28. 11. Mayer (Birkenfeld) 1. 12. Dr. Mocker 10. 11. Morgenthaler 9. 11. Frau Nadig 9. 11. Neubauer 30. 11. Ohlig 8. 11. Platner 8. 11. Reitz 8. 11. Samwer 9. 11. Schill 8. 11. Dr. Schöne 10. 11. Seither 11. 11. Dr. Stammberger 17. 11. Stauch 8. 11. Wagner (Ludwigshafen) 10. 11. Dr. Wellhausen 8. 11. Dr. Welskop 8. 11. b) Urlaubsanträge Abgeordnete(r) bis einschließlich Arndgen 30. 11. Frau Beyer (Frankfurt) 14. 12. Fürst von Bismarck 30. 11. Blachstein 30. 11. Dr. Dittrich 17. 11. Eberhard 24. 11. Dr. Elbrächter 30. 11. Erler 30. 11. Eschmann 17. 11. Dr. Franz 30. 11. D. Dr. Gerstenmaier 3. 12. Dr. Hammer 17. 11. Kiesinger 3. 12. Dr. Klötzer 30. 11. Krammig 30. 11. Kühn (Köln) 30. 11. Dr. Lenz (Godesberg) 30. 11. Dr. Menzel 30. 11. Dr. Mommer 30. 11. Odenthal 17. 11. Ollenhauer 15. 12. Dr. Preiß 30. 11. Dr. Dr. h. c. Pünder 30. 11. Raestrup 17. 11. Frau Dr. Rehling 15. 12. Freiherr Riederer von Paar 30. 11. Scheel 22. 12. Dr. Schmid (Frankfurt) 3. 12. Schoettle 30. 11. Dr. Starke 1. 12.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Konrad Adenauer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Die Bundesregierung hat mit ernster Sorge die weltpolitische Entwicklung der letzten Monate verfolgt. Sie glaubt, daß man die Vorgänge auf den verschiedenen Schauplätzen der politischen und militärischen Auseinandersetzungen nicht isoliert betrachten darf. Es bestehen weitreichende innere Zusammenhänge. Wir müssen uns bemühen, sie aufzuklären; denn nur, wenn wir sie klar erkennen, vermögen wir einen Beitrag zu leisten, dieser Entwicklung zu begegnen, die für weite Teile der Welt, besonders aber für Europa und hier wieder in hervorragendem Maße für das deutsche Volk, ernste Gefahren in sich birgt.
    Die letzte Ursache für die verhängnisvolle Entwicklung liegt darin, daß es nicht gelungen ist, die Ideale zu erreichen, die am Ende des zweiten Weltkrieges verkündet worden sind. Es war die


    (Bundeskanzler Dr. Adenauer)

    Aufgabe derer, die in dieser entscheidenden Zeit die Verantwortung trugen, das verletzte Recht und die unterdrückte Freiheit wiederherzustellen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Es soll heute und hier dankbar anerkannt werden, daß es verantwortliche Politiker gab, die sich dieser großen Aufgabe und der ihnen obliegenden Verpflichtung durchaus bewußt waren. Ein Beweis dieses Bemühens ist u. a. die Charta der Vereinten Nationen, die die ethischen Grundsätze, die das Zusammenleben der Völker bestimmen sollten, in eindrucksvoller Weise festlegt.
    In weiten Teilen der Welt bestand jedoch und besteht auch heute nicht die Bereitschaft, diese Ziele zu verwirklichen. Das ist wohl der tiefste Grund für die latenten Spannungen, die die Weltpolitik seit Jahren belasten und die zu beendigen bisher niemandem gelungen ist.
    Ziel und Aufgabe jeder Friedenspolitik mußte es sein, das verletzte Recht und die unterdrückte Freiheit wiederherzustellen. In weiten Teilen der Welt aber wurden die Menschen erneut ihrer primitivsten Rechte beraubt. Nationen, die im Vertrauen auf das Selbstbestimmungsrecht den Versuch unternahmen, eine freiheitliche und rechtsstaatliche Ordnung wiederherzustellen, wurden erneut unterjocht und in totalitäre Systeme gezwungen, in denen die Begriffe Demokratie, Freiheit und Recht keine Geltung haben.
    Das politische Bild wurde um so verworrener, als gleichzeitig an anderen Stellen der Welt junge, aufstrebende Völker, die an den technischen und zivilsatorischen Entwicklungen der letzten Jahrhunderte nicht angemessen teilgenommen hatten, von dem Recht der Selbstbestimmung Gebrauch machten und damit neue einflußreiche und mächtige politische Positionen in der Welt schufen, die das Vorstellungsbild korrigierten, das noch bei Kriegsende bestand und z. B. in den Beschlüssen von Potsdam als Folge der Konferenzen von Jalta und Teheran seinen Ausdruck fand.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Wenn es auch in einzelnen Teilen der Welt gelang, Spannungen und Konflikte zu beseitigen, wenn anderwärts Gegensätze sichtbar wurden, die die Entwicklung zu einem gesunden Gleichgewicht nur fördern konnten, so blieb doch in manchen Teilen der Welt die Unordnung bestehen, ja sie wurde in willkürlicher und unverantwortlicher Weise vergrößert.
    Auf der einen Seite können wir gerade in diesen Tagen mit tiefer Befriedigung auf die Entwicklung blicken, die die Beziehungen Deutschlands zu seinen westlichen Nachbarn bestimmt hat. Ich denke hier in erster Linie an das deutsch-französische Abkommen über die Rückgliederung der Saar, das am 27. Oktober in Luxemburg unterzeichnet wurde. Ich denke auch an das deutschbelgische Abkommen, das die noch offenstehenden Grenzfragen zwischen diesen beiden Staaten endgültig bereinigt hat.
    Auf der anderen Seite aber sind die Ereignisse der letzten Monate in Osteuropa ein tragisches Zeugnis für die Folgen einer widernatürlichen Ordnung, die hier mit fremder Waffengewalt jahrelang aufrechterhalten worden ist. Im Bereich des Ostblocks kam es zu elementaren Kundgebungen des Freiheitswillens der unterdrückten
    Völker 'gegen eine unerbittliche, unmenschliche und auf ausländische Machtmittel gestützte Diktatur.
    Daß Deutschland gerade an diesen Vorgängen leidenschaftlich Anteil nimmt, wird man in der ganzen Welt verstehen; denn bis zur Stunde sind auch 17 Millionen Deutsche in diesen totalitären Machtblock eingespannt, 17 Millionen Menschen, denen man gegen Recht und Gesetz die Möglichkeit genommen hat, nach dem eigenen Freiheitswillen ihre Anstrengungen mit denen des übrigen deutschen Volkes zu vereinen und als freies Volk in der Gemeinschaft der freien Völker der Welt zu leben. Bis zur Stunde ist es ebensowenig gelungen, einen Friedensvertrag zu schließen und das Problem der Ostgrenzen Deutschlands zu regeln. In Deutschland kam der elementare Wille zur Freiheit an jenem historischen 17. Juni 1953 in der sowjetisch besetzten Zone und in Berlin zum Ausdruck, als deutsche Männer und Frauen, die wehr- und waffenlos waren, gegen den unerträglichen Zwang eines Regierungssystems auftraten, das gegen ihren Willen eingesetzt wurde und ohne ihr Zutun fortdauert.
    Dieser elementare Freiheitswille war es auch, der die Vorgänge in Posen auslöste und politische Veränderungen in Polen einleitete, die wir in ihrer vollen Bedeutung noch nicht abzusehen vermögen, schon deshalb nicht, weil wir nicht wissen, ob sie bereits zum Abschluß gekommen sind. Wir hoffen, daß diese Veränderungen einen Schritt auf dem Wege zu einem freien Polen darstellen, mit dem alle strittigen Fragen in friedlicher und fairer Weise zu regeln wir aufrichtig wünschen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und Abgeordneten des GB/BHE und der FDP.)

    Für eine solche Regelung, meine Damen und Herren, kommt es nicht darauf an, ob in Deutschland und Polen verschiedene Regierungssysteme und verschiedene Wirtschafts- und Sozialordnungen bestehen oder nicht. Unter einem „freien Polen", mit dem wir zu geordneten Beziehungen und zur Regelung aller Streitfragen zu kommen wünschen, verstehe ich ein Polen, das die volle Verfügungsgewalt eines souveränen Staates über seine inneren und äußeren Angelegenheiten besitzt.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    In den letzten Tagen haben nun die Ereignisse in Ungarn dem deutschen Volke und der ganzen freien Welt eine erschütternde Lehre erteilt. Zunächst war es wohl auch dort nur der Wunsch, etwas mehr Freiheit, etwas mehr Menschenrecht und Menschenwürde, etwas mehr Sicherheit zu besitzen, der die innere Unruhe auslöste. Es war dann offensichtlich die unmenschliche Reaktion einer kleinen Minderheit, die die Herrschaft nicht verlieren wollte und sich nicht scheute, zu diesem Zwecke fremde Truppen einzusetzen, die von der Revolte zur Revolution führte und die dem Freiheitswillen des ungarischen Volkes zum elementaren Durchbruch verhalf.

    (Beifall bei der CDU/CSU und rechts.)

    Ich glaube, daß wir allen Anlaß haben, voller Bewunderung dieses Freiheitskampfes zu gedenken, der noch immer andauert.

    (Beifall auf allen Seiten des Hauses.)

    Das Wissen darum, daß die ungarische Nation in
    ihrem Freiheitskampf allein steht, daß sie wohl


    (Bundeskanzler Dr. Adenauer)

    die moralische Unterstützung aller freien Völker der Welt genießt, aber daß die nackte Gewalt stärker zu sein scheint als die heroischen Anstrengungen dieses Volkes, muß uns in diesen Tagen quälen und sollte niemanden unberührt lassen, für den die Worte „Demokratie" und „Freiheit" mehr bedeuten als ein unverbindliches Lippenbekenntnis.

    (Beifall bei der CDU/CSU und rechts.)

    Es ist keine unzulässige Einmischung in die inneren Verhältnisse eines anderen Volkes, wenn die Bundesregierung heute und hier an dieser Stelle ihre Bewunderung für diesen Freiheitskampf zum Ausdruck bringt und die moralische Verpflichtung anerkennt, immer auf der Seite derer zu stehen, die für die Freiheit eintreten und die Unterdrückung der Menschenrechte leidenschaftlich bekämpfen.

    (Beifall auf allen Seiten des Hauses.)

    Wohl aber ist es eine mit der Charta der Vereinten Nationen, aber auch mit den ungeschriebenen völkerrechtlichen Grundsätzen unvereinbare Einmischung in das Selbstbestimmungsrecht und in die Entscheidungsfreiheit eines Volkes, wenn dem Ruf nach Freiheit mit Panzern und Kanonen Schweigen geboten wird.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Die Sympathiekundgebungen der ganzen freien Welt zeigen, daß es auch da, wo schriftliche Verträge fehlen, noch eine echte Solidarität der freien Menschen gibt. Das Bewußtsein darum wird auch diejenigen innerlich stärken, die den Tag der Befreiung herbeisehnen und mit äußerster Selbstdisziplin und Zurückhaltung, wenn auch vielleicht mit Zähneknirschen, auf den Augenblick warten, wo auch ihnen die unveräußerlichen Rechte wiedergegeben werden, die die Grundlage für das Zusammenleben von Menschen schlechthin sein müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und Abgeordneten der anderen Fraktionen.)

    Die Bundesregierung kann nicht verschweigen, daß ihre Beziehungen zur Sowjetunion durch die Verhältnisse in der Zone belastet waren und daß sie durch die Vorgänge in Ungarn neuerlich belastet werden. Die Bundesregierung hat die diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion vor Jahresfrist in der Hoffnung aufgenommen, daß der unmittelbare Meinungsaustausch zwischen den beiden Regierungen zu einer Klärung und zu einer Entspannung des gegenseitigen Verhältnisses führen werde. Die Bundesregierung ist auch heute noch davon überzeugt, daß ihr damaliger Entschluß richtig war. Sie wird sich auch weiterhin bemühen, mit der Sowjetunion im Gespräch zu bleiben. Das Memorandum, das die Bundesregierung vor kurzem in Moskau überreichen ließ, war ein Ausdruck dieses Bemühens. Aber es wäre unaufrichtig, wenn die Bundesregierung angesichts der jüngsten Ereignisse verschwiege, daß das gesamte deutsche Volk diesseits und jenseits der Zonengrenze ein Bestandteil der freien Welt ist und bleiben will.

    (Beifall bei der CDU/CSU und Abgeordneten der anderen Fraktionen.)

    Das bedeutet, daß die von uns allen im Interesse einer Sicherung des Weltfriedens erwünschte Normalisierung der Beziehungen zwischen der Sowjetunion und dem deutschen Volke zur Voraussetzung
    hat, daß allen Deutschen das Recht auf freie Selbstbestimmung gewährt wird.

    (Allgemeiner Beifall.)

    Es ist die alleinige Aufgabe des deutschen Volkes, seine innere Ordnung zu bestimmen und den politischen Standort zu beziehen, den es nach seiner Überzeugung für den richtigen hält.

    (Beifall in der Mitte.)

    Die Bundesregierung hat niemals einen Zweifel daran gelassen, daß die Bundesrepublik und das wiedervereinigte Deutschland bereit sein werden, sich in ein großes und wirksames Sicherheitssystem einzuordnen, das allen Nationen das Recht auf freie Entwicklung einräumt und das allen Völkern die Segnungen eines gesicherten Friedens vermittelt.
    Gerade die Vorgänge, von denen ich sprach, geben aber auch der Bundesregierung das Recht und die Pflicht, ihre Forderungen nach Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit erneut anzumelden und keinen Zweifel daran zu lassen, daß sie nichts unversucht lassen wird, um dieses Ziel
    selbstverständlich mit friedlichen Mitteln und auf dem Wege ausgleichender Verhandlungen
    zu erreichen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir sind davon überzeugt, daß die jüngste Entwicklung in Ost- und Südosteuropa auf weite Sicht einen günstigen Einfluß auf die Lösung der deutschen Frage ausüben muß. Die Überzeugung beruht auf dem ernsten Willen des deutschen Volkes, mit allen seinen Nachbarn, im Osten wie im Westen, in Frieden zu leben und zu einer Verständigung in alien strittigen Fragen zu gelangen. Wie ich schon im Hinblick auf Polen festgestellt habe, ist die Unabhängigkeit unserer östlichen Nachbarn dafür eine wesentliche Voraussetzung.
    Wie auch immer die Entwicklung in diesem Bereich verlaufen mag, so kann es doch keinen Zweifel darüber geben, daß die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands nicht ohne die Zustimmung und Mitwirkung der Sowjetunion möglich ist. Wir werden daher nicht aufhören, immer wieder an die Sowjetunion heranzutreten und sie aufzufordern, sich der Mitwirkung an der Lösung dieser Frage nicht zu versagen. Letzten Endes hängt von dieser Mitwirkung der Friede der Welt ab. Denn der unerträgliche Unrechtstatbestand der willkürlichen Teilung Deutschlands ist wahrhaftig geeignet, den Frieden zu gefährden, und das nicht nur im Verhältnis zwischen einzelnen Nationen und nicht nur im europäischen Bereich. Die Entwicklung, über die wir heute hier sprechen, zeigt vielmehr, daß jede ungelöste Spannung, gleichgültig an welcher Stelle in der Welt sie sich bildet, unabsehbare Folgen auslösen kann.
    Denn auch in anderen Teilen der Welt ist es zu machtpolitischen Auseinandersetzungen gekommen, die nicht mehr lokalisiert werden können und die uns alle angehen. Ich denke hier in erster Linie an die Ereignisse im Nahen Osten. Es ist nicht erforderlich, den kausalen und chronologischen Ablauf der Dinge zu schildern, der zu den tragischen Ereignissen in Ägypten geführt hat. Die Bundesregierung hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß es ihr einzig und allein darauf ankommt, an der Beseitigung von Spannungen mitzuwirken, die durch unbedachte Entscheidungen und Maßnahmen ausgelöst wurden.


    (Bundeskanzler Dr. Adenauer)

    Ich glaube, daß ich die Haltung, die die Bundesregierung in dem Konflikt über den Suezkanal einnimmt, als bekannt voraussetzen kann und daß ich mich auch nicht in völkerrechtliche Analysen zu verlieren brauche. Die Bundesregierung hat an den beiden Londoner Konferenzen teilgenommen, auf denen sich diejenigen Nationen, die an der gesicherten Schiffahrt durch den Suezkanal entscheidend interessiert sind, bemühten, eine Regelung zu finden, die der Souveränität des ägyptischen Volkes ebenso Rechnung tragen sollte wie dem gemeinsamen berechtigten Anliegen, einen lebenswichtigen internationalen Schiffahrtsweg im Interesse aller Beteiligten offenzuhalten. Die Bundesregierung beklagt es aufs tiefste, daß diese Bemühungen ergebnislos blieben. Sie glaubt auch heute noch, daß die Vorschläge, die die erste Londoner Konferenz ausgearbeitet hatte, eine geeignete Verhandlungsgrundlage für eine solche Regelung darstellten.
    Es erscheint nicht sehr sinnvoll, Betrachtungen darüber anzustellen, warum es zu einer solchen gegenseitigen Verständigung nicht kam. Die Entwicklung ist weitergegangen und es kam zu kriegerischen Handlungen, die wir bedauern, da wir überzeugt sind, daß auch legitime Ziele der Politik nicht mit Waffengewalt verwirklicht werden sollen.

    (Allgemeiner Beifall.)

    Aus dieser Erkenntnis und Überzeugung heraus hat ja auch die Bundesregierung mit voller Zustimmung des Bundestages wiederholt erklärt, daß auch das brennende Problem der deutschen Wiedervereinigung niemals mit Waffengewalt gelöst werden sollte.
    Wir dürfen uns jedoch nicht damit begnügen, die im Vordergrunde des Geschehens stehenden Ereignisse zu sehen. Seit langem bestanden im Nahen Osten latente Spannungen, die weder die beteiligten Mächte noch die Vereinten Nationen auszuräumen vermochten. Völker und Nationen, die auf ,diesem Gebiet zusammenleben und zusammenleben müssen, begegneten sich mit Angst und Mißtrauen. Kleinere Nationen fürchteten die größeren und schlossen sich zusammen. Sie alle bemühten sich, ihre Existenz zu sichern, und beobachteten die gleichen Anstrengungen ihrer Nachbarn mit einer von Mißtrauen geschärften Wachsamkeit, weil sie sich bedroht fühlten.
    Es kam vor kurzem zu der bewaffneten Intervention Israels gegen Ägypten, einer Intervention, die von der einen Seite als Reaktion auf eine vermutete Gefahr, von der anderen Seite als ein vorsätzlicher Schlag gegen die bestehende Ordnung verstanden wurde. Es kam zu einer weiteren Intervention englischer und französischer Streitkräfte. Beide Mächte glaubten offenbar, nur durch diese Maßnahmen einen Konflikt lokalisieren zu können, der andernfalls unabsehbare Folgen auslösen würde.
    Die Bundesregierung hat alle aufrichtig und ernst gemeinten Bemühungen, den ausgebrochenen Konflikt beizulegen, unterstützt. Wenn allerdings diejenigen, die mit Panzern und Maschinengewehren in einem fremden Lande die Stimme der Freiheit zum Schweigen bringen, sich in diesem Konflikt zum Anwalt der Freiheit, der nationalen Unabhängigkeit und der Menschenrechte aufwerfen, dann kann die Bundesregierung zu ihrem Bedauern nur feststellen, daß damit die ernsthaften und redlichen Bemühungen anderer diskreditiert werden.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien, bei der FDP und beim GB/BHE.)

    Freiheit und Selbstbestimmungsrecht müssen überall gelten und überall anerkannt werden.

    (Allgemeiner lebhafter Beifall.)

    Es hieße ein System der Willkür anerkennen, wenn man irgendeiner Nation zubilligen würde, diese Begriffe nach ihrem Ermessen auszulegen und diese Rechte nach ihrem Gutdünken anzurufen oder zu mißachten.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    Mit besonderer Aufmerksamkeit hat die Bundesregierung die Bemühungen der Vereinten Nationen verfolgt, schlichtend und vermittelnd einzuwirken. Auch wenn die Bundesrepublik nicht Mitglied der Vereinten Nationen ist, so wird sie solchen Bestrebungen stets ihre ungeteilte Unterstützung zuteil werden lassen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Bundesregierung fürchtet allerdings, daß man die Vereinten Nationen überforderte, wenn man von ihnen erwartete, daß sie einen Konflikt dieses Ausmaßes tatsächlich zu lösen vermöchten. Trotz ihrer Charta, deren rechtliche und ethische Normen wir ohne Einschränkung bejahen, ist sie dazu leider noch nicht in der Lage. Sie ist auch nicht ein übergeordneter und unparteiischer Gerichtshof, sondern eine Versammlung von Staaten, die ihre eigenen Interessen, wenn auch im Rahmen der durch die Charta festgelegten Grundsätze, zu vertreten suchen. Das Abstimmungsverfahren im Sicherheitsrat, das den Großmächten ein Vetorecht einräumt, läßt eine echte richterliche Funktion des Rates nicht zu,

    (Sehr richtig! in der Mitte)

    soweit die Großmächte selbst betroffen sind. Im übrigen verfügt der Rat auch nicht über wirksame Vollzugsorgane. Gerade darum kam es ja — ähnlich wie seinerzeit im Völkerbund — zu regionalen Zusammenschlüssen im Rahmen der Charta der Vereinten Nationen. Sie haben sich gerade in den vergangenen Jahren als unentbehrlich erwiesen.
    Die Bundesregierung möchte gleichwohl jenen, die sich im Rahmen der Vereinten Nationen selbstlos und verantwortungsbewußt der Lösung des Konfliktes annehmen, ihre besondere Anerkennung und ihren aufrichtigen Dank aussprechen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dieser Dank gilt vor allem dem Generalsekretär
    der Vereinten Nationen, Herrn Dag Hammarskjöld.

    (Beifall im ganzen Hause.)

    Er wie andere — ich erwähne etwa den General Burns — haben den Beweis dafür erbracht, welche Bedeutung dem menschlichen Einsatz einer lauteren Persönlichkeit auch im Rahmen einer Organisation zukommt, die auf Grund ihrer Statuten nicht mit der wünschenswerten Durchschlagskraft unmittelbar zu handeln vermag.
    Ich möchte nun einige Worte über den Besuch sagen, den ich zusammen mit dem Bundesminister des Auswärtigen vorgestern in Paris in Erwiderung eines Bonner Besuchs des französischen Ministerpräsidenten und des französischen Außenministers


    (Bundeskanzler Dr. Adenauer)

    abgestattet habe. Die Einladung zu diesem Besuch wurde bereits am 29. September in Bonn ausgegesprochen. Es entsprach dem gemeinsamen Wunsch der französischen und der deutschen Regierung, nach Abschluß des Vertrags über die Rückgliederung der Saar die deutsch-französischen Gespräche weiter fortzuführen und die engen freundschaftlichen Beziehungen, wie sie sich zum Nutzen beider Völker zwischen Frankreich und Deutschland entwickelt haben, zu vertiefen und auszubauen. Das Kommuniqué, das wir vorgestern nach Abschluß unserer Besprechungen in Paris veröffentlichten und das ich als bekannt voraussetzen darf, wird Ihnen gezeigt haben, daß dieser Zweck des Besuchs voll erfüllt wurde.

    (Beifall in der Mitte.)

    Vor dem Besuch wurden Stimmen laut, die sich fragend oder kritisch dahin äußerten, der Besuch sei zum jetzigen Zeitpunkt nicht angebracht. Ich möchte annehmen, meine Damen und Herren, daß der Verlauf des Besuchs klar bewiesen hat, daß diese Befürchtungen nicht begründet waren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich hatte mich zur Durchführung dieses Besuches entschlossen, um damit das vertrauensvolle Gespräch über alle Fragen, die unsere Völker berühren, fortzusetzen, und ich bedauere es nicht, den Entschluß auch durchgeführt zu haben. Ein offenes Gespräch zwischen Freunden, meine Damen und Herren, ist immer am Platze,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    sei es dann, wenn die Auffassungen in den einzelnen Fragen übereinstimmen, sei es aber auch dann, wenn sie vielleicht einmal voneinander abweichen. Wie sollten denn die Völker zu einer echten und dauerhaften Verständigung kommen, wenn sie sich durch jede krisenhafte Entwicklung in der Welt davon abbringen ließen, die gegenseitige Freundschaft und das Verständnis füreinander zu pflegen!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich bin sehr befriedigt von den Gesprächen, die wir in Paris führen konnten und die bestimmt waren von dem Geiste einer rückhaltlosen Offenheit, aber auch von der Überzeugung von einer gemeinsamen Aufgabe. Wir haben unsere Auffassungen ausgetauscht, wir haben Ratschläge erteilt und Ratschläge entgegengenommen und damit die unerschütterliche Entschlossenheit zum Ausdruck gebracht, nie mehr gegeneinander, aber auch nicht nebeneinander zu wirken, sondern miteinander alle Anstrengungen zu unternehmen, unseren Völkern eine friedliche Zukunft zu sichern.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich bin besonders glücklich darüber, meine Damen und Herren, daß ich in den Stunden in Paris war, in denen die Entscheidung fiel, die vorgestern in den Abendstunden bekanntgegeben wurde: die Annahme der Vorschläge der Vereinten Nationen und die Feuereinstellung in dem tragischen Konflikt im Nahen Osten.

    (Lebhafter Beifall und Bravo-Rufe bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD und dem GB/BHE.)

    Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß die Ereignisse der letzten Wochen die Richtigkeit
    ihrer politischen Ziele und Vorstellungen mit kaum
    zu überbietender Eindringlichkeit bewiesen haben.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Darum war es auch unsere Absicht, mit unseren französischen Freunden über die zukünftige Zusammenarbeit zu sprechen. Seit Jahren bemüht sich die Bundesregierung, den letzten Zweifelnden von der Notwendigkeit einer engen und unverbrüchlichen Zusammenarbeit der europäischen Völker zu überzeugen. Nur wenn wir dieses Ziel rasch und entschlossen verwirklichen, werden wir vor der Geschichte unserer Völker bestehen können. Wenn wir versagen, beschwören wir die Gefahr für unsere Völker herauf, daß wir uns einzeln in einem ausssichtslosen Kampf um die Freiheit verzehren und das Schicksal der Satellitenstaaten teilen, das uns — ich sprach schon davon — in der Tragödie des ungarischen Volkes mit so schauerlicher Eindringlichkeit vor Augen geführt wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die französische und die deutsche Regierung waren sich völlig darüber einig, daß wir auf dem gemeinsam beschrittenen Wege weitergehen müssen. Wir wollen die europäische Zusammenarbeit mit allen, die dazu bereit sind, auf allen Gebieten, die sich dazu eignen, und in allen Formen, die sich dafür anbieten. In den Fragen des gemeinsamen Marktes und der europäischen Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Atomenergie sind wir in Paris zu einer vollen Übereinstimmung gekommen, von der wir hoffen und wünschen, daß auch die übrigen an den Brüsseler Beratungen beteiligten Staaten sich ihr anschließen werden.
    Darüber hinaus hoffen wir, durch unsere Entscheidungen auch den Weg frei gemacht zu haben, der es Großbritannien ermöglicht, die von dem britischen Schatzkanzler MacMillan angekündigten Absichten eines Anschlusses Großbritanniens an eine europäische Freihandelszone zu verwirklichen.
    Mit den französischen Staatsmännern waren wir gerade auch angesichts der jüngsten Ereignisse darin einig, daß die bestehenden Bündnisgemeinschaften gefestigt und verstärkt werden sollten. Wo sich in der jüngsten Vergangenheit mangelnde Übereinstimmung oder gar Risse gezeigt haben, muß wieder eine ungestörte und reibungslose Zusammenarbeit hergestellt werden. Das gilt für die Westeuropäische Union, deren Ausbau wir wünschen, ebenso wie für die atlantische Gemeinschaft. Denn nur in dieser Gemeinschaft werden die europäischen Nationen zu der Kraftentfaltung fähig sein, die notwendig ist, um den uns allen drohenden Gefahren zu begegnen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Darum haben die französische und die deutsche Regierung gemeinsam vorgeschlagen, die unverbrüchliche Solidarität zwischen den europäischen Mächten, zwischen den Mächten der atlantischen Allianz und allen Nationen der freien Welt zu festigen und sie durch regelmäßig wiederkehrende Zusammenkünfte der Minister der interessierten Staaten zu unterbauen. Wir hoffen, daß alle, die wir hiermit ansprechen, diese Bemühungen unterstützen werden, die nur das Ziel haben, den Frieden, die Sicherheit und die Freiheit aller zu gewährleisten. Das gilt insbesondere für die Vereinigten Staaten, deren Rolle in der atlantischen


    (Bundeskanzler Dr. Adenauer)

    Gemeinschaft und deren enge Verbindung mit Europa eine unentbehrliche Voraussetzung für die Erreichung dieses Zieles sind und bleiben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Bundesregierung hofft dringend, daß die Vereinigten Staaten unter der Führung des Präsidenten, dem das amerikanische Volk soeben erneut sein volles Vertrauen bekundet hat, bereit sind, an dieser Festigung der politischen Zusammenarbeit mitzuwirken.

    (Beifall.)

    Diese Zusammenarbeit ist für Europa ebenso wichtig wie für die atlantische Gemeinschaft.
    Es ist die gemeinsame Aufgabe aller dieser Staaten, die moralischen Werte zu kräftigen, die das Zusammenleben zwischen den Völkern dieser Welt bestimmen müssen. Es kann und darf nicht das Privileg der größeren Mächte sein, selbst darüber zu entscheiden, ob sie sich an Verträge und Vereinbarungen halten oder sie willkürlich brechen wollen, wenn machtpolitische oder ideologische Vorstellungen nach ihrer Auffassung das verlangen. Geschriebenes und ungeschriebenes Recht muß für alle gelten,

    (Beifall bei den Regierungsparteien und beim GB/BHE)

    und, meine Damen und Herren, alle müssen gleichmäßig auf Anwendung von Gewalt verzichten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und beim GB/BHE.)

    Große und kleine Mächte müssen an diese Grundsätze gleichermaßen gebunden sein; sonst wird sich niemand daran gebunden fühlen. Wenn es das Vorrecht der größeren Staaten nicht sein darf, ihre Stärke dem Schwächeren gegenüber zu mißbrauchen, so darf es andererseits auch nicht dazu kommen, daß kleinere Staaten Verträge und Vereinbarungen im Vertrauen darauf brechen, daß die Großmächte in der heutigen Lage das Risiko kriegerischer Verwicklungen scheuen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Recht und Gesetz müssen ausnahmslos für alle gelten; andernfalls verpflichten sie niemanden.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Die Bundesregierung glaubt, in der Vergangenheit nach diesen Grundsätzen gehandelt zu haben. Sie wird es auch in Zukunft tun, und niemand wird sie von diesem Wege abbringen können. Aber niemand wird auch von der Bundesregierung, die die Verantwortung für das ganze deutsche Volk trägt, erwarten dürfen, daß sie die harte Wirklichkeit über utopischen Vorstellungen vergißt

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    und ihre Entscheidungen von einem falschen Wunschglauben bestimmen läßt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das ganze deutsche Volk wird den Tag der Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit nur erleben, wenn der Teil Deutschlands, der die Segnungen dieser Ordnung genießt, ihren Wert erkennt und bereit ist, ihn zu schützen und zu erhalten.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Haus hat die Erklärung der Bundesregierung entgegengenommen. Wir kommen zum zweiten Punkt der Tagesordnung, und ich eröffne die
Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Krone.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Heinrich Krone


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was sich in den letzten Tagen in der Welt ereignete, braucht in seinem Ablauf in dieser Stunde nicht mehr aufgezeigt zu werden. Es hat sich zu tief und zu schmerzvoll in das Bewußtsein aller Völker eingegraben; es ist jedem von uns in seinen Spannungen so gegenwärtig, daß es unserer Generation nicht mehr aus dem Gedächtnis schwinden wird.
    Niemals seit dem Ende des zweiten Weltkrieges ist das deutsche Volk und die gesamte Welt so schwer erschüttert worden wie in diesen Tagen.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

    Durch die Völker ging die fragende Sorge nach dem, was morgen sein werde, und selbst in einer amtlichen Verlautbarung aus einem Nachbarland stand das Wort vom Vorabend des dritten Weltkrieges, ein Wort, das von den Menschen, die es lasen, nur als eine Bestätigung der eigenen großen Besorgnis aufgefaßt werden konnte.
    Als vorgestern die Nachricht von der bevorstehenden Waffenruhe am Suezkanal bekannt wurde, ging ein Aufatmen durch die Welt, und die Freude über diese Nachricht konnte einen Augenblick fast übersehen lassen, daß die russischen Panzer noch immer am Werke sind, dem ungarischen Volke die durch eigene Kraft wiedergewonnene Freiheit wider Menschen- und Gottesrecht erneut zu rauben.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Der Ernst der Lage, über die wir heute sprechen, ist allen Mitgliedern dieses Hohen Hauses so sehr bewußt, daß die Verantwortung für jedes Wort, das heute hier gesagt wird, schwer auf uns liegt.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Zu keinem Zeitpunkt seit der Gründung der deutschen Bundesrepublik haben deutsche Politiker ihre Worte so sorgfältig abwägen, so gewissenhaft wegen der möglichen Folgen und Ausdeutungen überdenken müssen.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Die Fraktion der CDU/CSU hat deshalb diese Erklärung, die sich zu den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers rückhaltlos bekennt, auf wenige Gesichtspunkte beschränkt.
    Es ist eigentlich überflüssig, aber im Hinblick auf immer wiederkehrende Versuche, uns andere Absichten und Pläne zu unterstellen, notwendig, zu sagen, daß wir immer auf der Seite des Friedens und des Rechtes stehen werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir begrüßen jeden Schritt, der dem Frieden dient, und sind bereit, ihn mit unserer ganzen Kraft zu unterstützen. Noch nie sind so viele Werke des Friedens zu tun gewesen wie in unseren Tagen. Auch haben wir von unserer Seite den Verzicht auf jede Gewaltanwendung für die Lösung unserer


    (Dr. Krone)

    I deutschen Frage nicht mit irgendeinem Vorbehalt erklärt,

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    sondern in der festen, unerschütterlichen Überzeugung, daß Gewalt nur Unglück zeugt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FVP.)

    Wir sind glücklich darüber, daß Frankreich und Großbritannien die Waffen im Vorderen Orient zum Schweigen gebracht haben. Man hat von dem Zeitpunkt des englisch-französischen Eingreifens gesprochen und dabei darauf hingewiesen, daß dem brutalen Eingriff der Sowjets in den ungarischen Freiheitskampf kein besserer Vorwand hätte geboten werden können. Hier sind, so ungleich der Vergleich ist, ohne Zweifel den Sowjets Argumente in die Hände gefallen, und sie haben sich ihrer geschickt bedient, um die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit von der ungarischen Tragödie abzulenken.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Doch mit Entschiedenheit wende ich mich gegen eine aus verschiedenen Kreisen kommende Parole, die Ungarn und Ägypten in einem Atem nennen möchte.

    (Lebhafte Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Die Menschen danken jedem, der für den Frieden arbeitet. Die Welt dankt denen, die in London und Paris, in Washington, bei den Vereinten Nationen und in vielen anderen Hauptstädten diesen Schritt zum Frieden getan haben. Wir Deutsche schließen uns diesem Dank aus vollem Herzen an. Ich danke aber auch dem deutschen Bundeskanzler und dem deutschen Außenminister.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Wienand: Wofür? — Oho und Pfui-Rufe bei der CDU/CSU. — Gegenruf von der CDU/CSU: Wofür?! — Abg. Neuburger: Sie haben wohl eine Vergnügungsreise gemacht?! — Weitere Zurufe und Gegenrufe.)

    Wir glauben zuversichtlich an eine Lösung der Suezkanalfrage, die sowohl den Rechten Ägyptens als auch den unbestreitbaren Ansprüchen und Interessen aller Schiffahrt treibenden Nationen entspricht, und wünschen, daß die Bundesregierung hieran auch weiterhin mitarbeitet.
    Lassen Sie mich aber eins hier noch einmal mit aller Deutlichkeit herausstellen. In Ägypten kehrt der Friede ein; über Ungarn jedoch weht der eisige Atem des Todes.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Wir dürfen uns durch nichts den Blick dafür trüben lassen, welche Kräfte heute in der Welt jede Gelegenheit wahrnehmen, um Unfrieden zu stiften und Haß zu säen,

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    statt sich in fairer, humaner Weise an der friedlichen Aufbauarbeit zu beteiligen. Wer in den Wetterwinkel der Weltpolitik Waffen liefert und die Verständigung zu hintertreiben sucht, den sollte kein Volk in irgendeinem Erdteil, auch nicht in Asien oder Afrika, als einen Freund und Helfer betrachten.

    (Sehr gut! Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Der ist vielmehr der große Störenfried, der die wirtschaftliche und soziale Situation der hilfsbedürftigen Nationen benutzt, um sie auf die Seite des Unheils zu ziehen.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Aber auch das muß gesagt werden: Die hochentwickelten Industriestaaten der freien Welt sind heute zu einer ernsten Gewissenserforschung aufgerufen. Ich nehme davon die Bundesrepublik nicht aus. Auch wir sind zu langsam, zu sparsam, zu nachdenklich mit unserer Hilfe gewesen. Gerade wir Deutsche müssen für die Völker, die es wollen, etwas leisten, was den Leistungen entspricht, die die Vereinigten Staaten mit dem Marshallplan für uns vollbracht haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir verneigen uns in Ehrfurcht vor dem großen Volk der Ungarn. Dort haben Kommunisten und Nichtkommunisten — welch beschämendes Bild für Pieck, Grotewohl, Reimann und Genossen! —

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    Seite an Seite gekämpft, um das Joch einer Fremdherrschaft zu zerbrechen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Diese nationale Erhebung droht in einer erschütternden Tragödie unterzugehen. Mit blutendem Herzen stehen wir dabei. Europa trauert um die Opfer eines herzergreifenden Freiheitskampfes. Ich spreche es mit tiefster Ergriffenheit aus: Wir haben eine Schicksalsstunde der Menschheit erlebt.
    Nun droht Ungarn wieder in die Finsternis zurückzusinken. Aber jeder von uns hat das Aufleuchten erlebt, und wenn es weiter im Blut erstickt werden sollte — wir wünschten, es geschähe nicht —: dieses Aufleuchten ist einmal dagewesen!
    Auf der Suezkonferenz in London hat der russische Außenminister in eindrucksvollen Worten das Bekenntnis abgelegt, daß die Souveränität eines Landes unantastbar sei.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Er hat sich gegen jegliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Landes ausgesprochen. In Ungarn kann die Sowjetregierung beweisen, daß es ihr mit solchen Worten ernst ist; sonst sind sie Phrase und Täuschung.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Mögen die sowjetrussischen Truppen Ungarn verlassen und die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung einer UNO-Truppe übergeben!

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Mögen sie dasselbe in der Sowjetzone, in allen Ländern hinter dem Eisernen Vorhang tun!

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Dann beweist der Kreml, daß er wirkliche Demokratie und wirkliche Freiheit will.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn nicht, dann weiß die Welt erneut, woran sie mit ihm ist.
    Es scheint uns die bedeutsamste Lehre des so grausam niedergeknüppelten ungarischen Freiheitskampfes zu sein, daß auch zehn Jahre kommunistischer Terrorherrschaft nicht ausgereicht haben, um


    (Dr. Krone)

    den Unabhängigkeitssinn des ungarischen Volkes zu töten. Wie kleinmütig haben wir gedacht, wenn wir von der Sorge beunruhigt wurden, die Freiheit könnte eines Tages für die der Freiheit entwöhnten Völker zu spät kommen. Die großen Ideale der Menschheit gehen auch in der grausamen Zone des Schweigens nicht unter. Irgendwann brechen sie hervor. Es mag geschehen, was da will, plötzlich blickt ein Volk zu den Sternen auf und findet wieder zu sich selbst zurück. Wir müssen uns auf diese Erkenntnis einstellen.
    Man spricht von dem Versagen der westlichen
    Welt. Wenn ein solches vorgelegen haben sollte,
    dann nicht deshalb, weil wir keine militärische
    Hilfe leisten konnten und durften. Unser eigentliches Versagen und vielleicht sogar eine echte
    Schuld bestehen darin, daß wir dem Ungestüm dieser Bewegung staunend zusahen, statt sie auf gewisse Realitäten hinzuweisen. Es ist nicht entscheidend, ob ein Satellitenstaat den Warschauer Pakt
    heute oder morgen kündigt und seine Neutralität
    erklärt. Entscheidend ist nur, daß eine Nation wieder einen eigenen Willen bildet, ihn im Rahmen
    des Möglichen betätigt, daß sie ihr Geschichtsbewußtsein zurückfindet und wiederum Nation wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich habe soeben dieses Gefühl der Ohnmacht erwähnt, das wir als Zuschauer der ungarischen Tragödie empfunden haben. Alles, was wir über Ungarn sagen, bleibt leere Deklamation, wenn wir uns mit dem Erlebten als etwas Unvermeidlichem abfinden.
    Von den verschiedenen Kausalzusammenhängen, die in den letzten Tagen konstruiert worden sind, hält nach meiner Auffassung nur einer der kritischen Nachprüfung stand: Der Überfall auf das zur Freiheit aufgestandene Ungarn ereignete sich im Augenblick einer ernsten Krise der westlichen Welt.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Der Aggressor konnte die zeitweilige Uneinigkeit und Schwäche des Westens benutzen. Das war der Moment, wo in Ungarn das Unglück seinen Lauf nehmen konnte. Dieser Schwächezustand darf jetzt als überwunden angesehen werden. Nicht zuletzt bedeutet auch der große Wahlsieg Präsident Eisenhowers, daß der Westen endlich wieder aktionsfähig ist. Nun müssen wir das Eisen schmieden. Es darf auf westlicher Seite in Europa keine Alleingänge mehr geben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Unsere Sicherheit, auch die Berlins, beruht auf den Verträgen. Auch die Kritiker können an dieser Tatsache in diesen Tagen nicht achtlos vorbeigegangen sein.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der Streit um die militärische Verteidigung der Bundesrepublik kann und muß heute als überholt angesehen werden.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir sind in dramatischer Weise belehrt worden, daß es nicht nur die Gefahr eines atomaren dritten Weltkrieges gibt.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Ebenso deutlich lehren die Ereignisse, daß militärische Ohnmacht die Gefahr einer wenn auch begrenzten Aggression nur erhöht.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Die Anwendung brutaler Gewalt unterbleibt um so sicherer, wenn sie auf ein zur Verteidigung entschlossenes und dazu technisch vorbereitetes Volk trifft.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir haben die Möglichkeit europäischer Kriege mit herkömmlichen Waffen in so erschreckender Weise vorgeführt bekommen, daß es darüber keine Diskussion mehr geben kann.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Erlauben Sie mir auch ein Wort über unser Verhältnis zu Sowjetrußland. Es hat weder uns noch irgendeinem anderen genützt, sondern nur geschadet und furchtbare Folgen gehabt, daß in der letzten Zeit so viele Illusionen aufkommen konnten.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) Die Zeit der Illusionen sollte vorbei sein.


    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Sowjetunion ist in Europa als Aggressor aufgetreten. Sie hat ein freiheitlich gesonnenes Volk niedergeschlagen, ein Volk, mit dem unser deutsches Volk durch jahrhundertealte Traditionen, auch des Blutes, verbunden ist. Diese Tatsache wirft einen bösen Schatten auf die von uns ehrlich aufgenommenen Bemühungen um eine Besserung der deutsch-sowjetischen Beziehungen. Vielleicht lernen aber auch die Sowjets aus der in den Satellitenstaaten entstandenen Bewegung. Wenn sie Realpolitik treiben wollen, dann müssen sie endlich von der Erkenntnis ausgehen, daß das deutsche Volk weder hier im Westen noch in der Zone jemals kommunistisch wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Politik muß trotz aller Rückschläge und Enttäuschungen weitergehen. Und das ist wirkliche Politik: dramatische Auseinandersetzungen zwischen den Völkern vermeiden. Wir haben, wenn wir nach Osteuropa schauen, allen Grund zu der festen Überzeugung, daß die ungarische Tragödie andere Völker, die sich in derselben Lage wie Ungarn befinden, nicht davon abschreckt, in einer langsamen und steten Entwicklung zur Freiheit zurückfinden. Dieser Prozeß setzt sich durch.
    Kein Verantwortlicher war in diesen Tagen so vermessen, die Deutschen in der Zone zum Aufstand aufzurufen. Er hätte sie in die sowjetischen Panzer hineingetrieben. Nichts wäre falscher, als gerade der stillen, täglich geübten Tapferkeit, mit der jene 18 Millionen zur unauslöschlichen Tradition der. Heimat stehen, die Anerkennung zu versagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das gilt auch für die Berliner auf beiden Seiten des Brandenburger Tores, deren unbeugsamer Selbstbehauptungswille immer unsere Bewunderung findet.

    (Erneuter Beifall in der Mitte.)

    Das ist der moralische Rückhalt für unsere Bemühungen um die Zustimmung der Siegermächte zu einer Wiedervereinigung unseres Vaterlandes in Frieden und Freiheit. Ich sage es heute noch einmal mit besonderer Betonung: Wiedervereinigung nicht nur in Freiheit, sondern auch in Frieden, nicht als ein Akt der Gewalt, sondern der Politik; Wiedervereinigung ohne Blutvergießen, ohne Rache, ohne Vergeltung, eine Wiedervereinigung in Freiheit und in Frieden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)