Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche nicht für die Fraktion der FDP; ebensowenig handelt es sich bei dieser Großen Anfrage um eine Angelegenheit der Fraktion. Es liegt hier ein Fall vor, in dem ein jeder nach seiner eigensten Überzeugung und unter eigener politischer Verantwortung entscheiden muß. So spreche ich auch nicht nur im eigenen Namen, sondern gleichzeitig für eine große Anzahl meiner politischen Freunde.
In aller Klarheit möchte ich gleich zu Beginn meiner Darlegungen herausstellen, daß ich aus rechtlichen und politischen Gründen anderer Meinung bin als die Unterzeichner der Großen Anfrage. Ich sehe im Reichskonkordat gültiges Staats- und Völkerrecht, und überdies liegt hier ein gesamtdeutsches Interesse vor. Wir im Deutschen Bundestag als einzigem frei gewählten Parlament sind gehalten, dieses Interesse zu wahren. Es handelt sich nicht um irgendwelche konfessionelle Probleme; es ist besonders glücklich, daß in der gesamten
Diskussion nichts dergleichen mitklang. Es geht lediglich um politische und rechtliche Fragen. Über andere könnte der Deutsche Bundestag ja auch gar nicht entscheiden.
Ich meine sagen zu dürfen, daß ich sehr objektiv über diesen Komplex urteilen kann. Ich habe seinerzeit als sehr junges Mitglied der Zentrumspartei in Wort und Schrift keinen Zweifel daran gelassen, daß ich dem Abschluß des Konkordats mit ganz großen Bedenken entgegensehe. Ich darf hinzufügen, daß ich im Jahre 1935 diese Bedenken — also zwei Jahre nach dem Abschluß des Konkordats — auch bei den zuständigen Stellen in Rom mit großer Deutlichkeit vorgetragen habe. Ich habe hingewiesen — und ich tat es immer wieder — auf den Gewissenskonflikt, der für viele dadurch entstehen konnte. Tatsache ist zweifellos, daß der Vatikan über die damalige Lage in Deutschland durch Herrn von Papen und durch andere nicht richtig informiert worden ist. Ich weiß dies aus allererster Quelle. Dennoch wird man sagen dürfen und sagen müssen, daß das Konkordat ein positives Ziel gehabt hat und daß dieses Ziel in gewissem Maße auch erreicht wurde. Es ging darum, zumindest den Versuch zu machen, dem totalitären Staat gewisse Grenzen zu setzen. Wenn es gelungen wäre, den totalitären Staat Hitlers dazu zu zwingen, die religiöse und die Gewissensfreiheit zu achten, dann wäre die Totalität selber eingeschränkt gewesen.
Ich darf auf das Zusatzprotokoll zum oft zitierten Art. 32 hinweisen, in dem ganz ausdrücklich festgestellt wird, daß in keiner Weise eine Einengung der dogmatischen und sittlichen Lehrfreiheit, Lehrpflicht der Kirche beabsichtigt ist. Es ist vielleicht heute noch zu früh, mit letzter Deutlichkeit zu entscheiden, welche Rolle diese Garantie, wenn sie auch nur auf dem Papier stand und von der verbrecherischen Hitler-Regierung natürlich nie ernst gemeint war, dennoch gespielt hat, um in Deutschland die ganzen Jahre des „Dritten Reiches" hindurch ein gewisses Minimum an Rechtssicherheit zu gewährleisten. Immerhin, wir wissen von der großen Rolle, die beide Kirchen im Kampf gegen den totalitären Staat gespielt haben. Wir wissen, daß das Wohl der einen Kirche gleichzeitig das Wohl der anderen ist und daß die Freiheit der einen gleichbedeutend ist mit der Freiheit der anderen Kirche. Alle Bekenntnisse in Deutschland sind in guten und in bösen Zeiten untrennbar miteinander verbunden. Es ist in diesem Konkordat auch nichts enthalten, das irgendwie nationalsozialistischen Ungeistes wäre. Natürlich ist im Konkordat keine Anerkennung des Nationalsozialismus enthalten. Das ist von allen Seiten auch heute mit letzter Klarheit herausgestellt worden.
Die Frage nach dem rechtmäßigen Zustandekommen des Konkordats ist eine sehr komplexe. Ich darf vielleicht dazu kurz bemerken, daß ich selber zu denen gehört habe, die bis zum Schluß auf das leidenschaftlichste gegen das geplante Ermächtigungsgesetz Stellung genommen haben. Noch in den letzten großen politischen Versammlungen, die schon unter dem Schatten des Terrors und unter dem Schatten möglicher Konzentrationslager in Berlin stattfanden, haben meine Freunde und ich gegen dieses sogenannte ..Gesetz" plädiert, von dem wir wußten, daß es das Ende der deutschen Demokratie bedeuten würde. Ich glaube, daß wir da alle einer Meinung sind. Ich möchte dennoch vom juristischen Standpunkt eins hinzufügen. Das Reichskonkordat bedarf meiner Meinung nach zu
seiner Gültigkeit gar nicht der nichttragfähigen Krücken des Ermächtigungsgesetzes.
Die Vorfrage, ob das Reich überhaupt ein Konkordat abschließen konnte, ist sehr einfach zu beantworten. Die Berechtigung ergab sich aus Art. 10 Nr. 1 und Art. 135 ff. der deutschen Reichsverfassung. Die Kollegen Arndt und Schmid haben in sehr dankenswerter Weise auf die verschiedenen Theorien hingewiesen, die einem Konkordat zugrunde liegen. Gestatten Sie mir, daß auch ich einige Worte dazu sage; sie sind vielleicht von praktischer Bedeutung. Und über die unmittelbar praktische Bedeutung hinaus meine ich, daß ein solches Parlament auch Hüter der historischen Bildung, des Geschichtsbewußtseins sein sollte. Die Privilegientheorie der späten mittelalterlichen Kirche ist heute zweifellos überwunden. Dabei ist es interessant, festzustellen, wie geschichtskrisenfest bestimmte Begriffe und Grundprobleme der geistigen und politischen Ordnung geblieben sind, geschichtskrisenfest durch die Jahrhunderte hindurch. Eine sehr kluge und zweifellos mit großem historischen Wissen verfaßte Streitschrift gegen das Konkordat, die wohl jedem Abgeordneten zugesandt wurde, nimmt zur Begründung ihrer ablehnenden Haltung auf diese geschichtliche Entwicklung und die kirchliche Staatslehre Bezug. Daher muß einiges dazu gesagt werden. Die sogenannte Zwei-Schwerter-Theorie des Mittelalters ist etwas, was wir als geschichtskrisenfest bezeichnen dürfen. Sie geht nämlich durch die Jahrhunderte, und seit Papst Leo XIII., seit der Enzyklika „Immortale Dei" des Jahres 1885 ist die ursprünglich ghibellinische Zwei-Schwerter-Theorie schlechthin zur Grundlage der kirchlichen Staats- und Gesellschaftsauffassung geworden. Das ist von großer Bedeutung; denn durch die Annahme dieser Doktrin der zwei gleichgeordneten Gesellschaften, beide in unmittelbarer Beziehung zu Gott, einander nicht unterworfen, ist die Entwicklung der modernen Vertragstheorie für Konkordate überhaupt erst möglich geworden.
Nun ist es interessant, festzustellen, daß jene Enzyklika „Immortale Dei" erging, nachdem der Reichskanzler Fürst Otto von Bismarck mit Papst Leo XIII. Verhandlungen über die Beendigung des so verhängnisvollen Kulturkampfes eingeleitet hatte. Unmittelbar darauf fielen in Deutschland die letzten Überbleibsel der Maigesetze, und es entstand ein harmonisches Verhältnis zwischen Kirche und Reich.
Verträge — darüber wird es keinen Zweifel geben — müssen auch im völkerrechtlichen Raum nach Treu und Glauben ausgelegt werden. Hierauf besteht ein Anspruch des Vertragspartners. Schon das ist ein wichtiges Argument für die Gültigkeit des Konkordats.
Aber ich möchte mich nicht allein darauf berufen. Ich deutete schon an, daß meiner Meinung nach die Krücken des Ermächtigungsgesetzes gar nicht gebraucht werden. Nach Art. 45 Abs. 1 der Verfassung des Deutschen Reiches schloß der Reichspräsident im Namen des Reiches Bündnisse und andere Verträge mit auswärtigen Mächten. Bündnisse und Verträge mit fremden Staaten, die Gegenstand der Reichsgesetzgebung waren, bedurften der Zustimmung des Reichstags. In Art. 78 Abs. 1 der Reichsverfassung wird der Ausdruck „auswärtige Staaten" verwendet. Kein geringerer als Georg Anschütz, auf den ich mich ausdrücklich berufe, stellt nun fest, daß beide Begriffe, „auswärtige
Staaten" und „auswärtige Mächte", dasselbe bedeuten. Die Lehre von Anschütz — das ist ganz entscheidend — wird von der überwiegenden Mehrheit aller deutschen Rechtslehrer geteilt, daß nämlich der Vatikan unter keinen dieser beiden Begriffe fällt, daß er weder auswärtiger Staat noch auswärtige Macht ist. Unmittelbare Konsequenz ist, daß die deutschen Länder Konkordate abschließen konnten ohne die Zustimmung des Reiches, was nach Art. 78 Abs. 2 der Reichsverfassung sonst nicht möglich gewesen wäre. Das war auch der Standpunkt der Reichsregierung, dargelegt in der heute schon einmal zitierten Sitzung, die sich mit dem bayerischen Konkordat befaßte: Reichstagssitzung vom 17. Juni 1925.
Durch den Abschluß der Lateranverträge hat sich nichts geändert; denn es handelt sich, worauf Kollege Carlo Schmid zu Recht hingewiesen hat, nicht um einen Vertrag zwischen dem Staat X und dem Staat Citta del Vaticano, sondern mit der Kirche als einer universalen Institution. Also auch im ungestörten Verfassungsleben wäre meiner Meinung nach — ich darf mich noch einmal auf Anschütz und alle Quellen berufen, die auch er angibt — eine formelle Zustimmung des Reichstags nicht nötig gewesen. Vielmehr war der Reichspräsident nach Art. 45 Abs. 1 der Reichsverfassung berechtigt, dieses Konkordat als Regierungsabkommen abzuschließen.
Von großer und entscheidender Bedeutung für unsere heutige Betrachtung ist der Fortbestand des Deutschen Reiches über den 8. Mai 1945 hinaus, der ja heute auch nicht mehr bezweifelt wird. Ich darf auf das erste Rechtsgutachten von Smend und Kraus in der „Göttinger Erklärung" der „Deutschen Aktion" vom Januar 1950 mit dem Titel „Das Deutsche Reich hat nicht kapituliert" hinweisen, eine Meinung, geteilt von Laun, Stödter und eigentlich sämtlichen deutschen Rechtslehrern. Das Reich besteht weiter. Daher bestehen auch jene Verträge weiter, die nicht offensichtlich mit einem nationalsozialistischen Makel behaftet sind. Die einzige Instanz, die die Möglichkeit gehabt hätte, Verträge oder Gesetze für das Reich aufzuheben, waren die Vier Mächte als zeitweilige Verwalter der deutschen Souveränität. Die Vier Mächte haben eine ganze Reihe von Verträgen und sogenannten Gesetzen Hitlers aufgehoben, aber nicht das Reichskonkordat. Da diese Aufhebung nicht erfolgt ist, gibt es heute gar keine Instanz, die das überhaupt tun könnte.
Dies ist — und das ist von verschiedenen Rednern zum Ausdruck gebracht worden — ein entscheidender Gesichtspunkt, daß es eben ein Reichs konkordat ist und daß im Ringen um die deutsche Einheit, über die wir heute morgen gesprochen haben, eine Kraft da ist, die diese Einheit anerkennt, daß der Apostolische Nuntius in Bonn nicht Nuntius bei der Bundesrepublik ist, sondern Nuntius in Deutschland, daß der deutsche Botschafter beim Vatikan deutscher Botschafter ist und nicht nur Botschafter der Bundesrepublik. Ich habe vor einigen Wochen den Ausdruck geprägt „die Klammer des Reiches". Ich freue mich, daß dieser Ausdruck sich durchgesetzt hat. Wenn ein Mann wie Ministerpräsident Hubert Ney in Saarbrücken, wenn der Landtagspräsident Heinrich Schneider ausdrücklich auf das Konkordat Bezug nehmen als eine Klammer der Reichseinheit, dann hat das schon eine Bedeutung. Wenn wir einige Monate zurückblicken, meine Damen und
Herren: Das Reichskonkordat hat mitgewirkt in der Abwehr ganz bestimmter Bedrohungen, denen das Saargebiet ausgesetzt war.
Der Herr Bundesaußenminister hat mit Recht auf das Päpstliche Jahrbuch von 1956 hingewiesen, in dem ohne irgendwelche Einschränkungen die deutschen Ostgebiete als zu Deutschland gehörig verzeichnet sind. Ich sehe hier etwas von größter außenpolitischer Bedeutung. Denn wir wissen, daß die Weltgeschichte nicht nur durch Divisionen bestimmt wird und daß es nie ein törichteres Wort, ein platteres Wort gegeben hat als das, das Stalin in Jalta verwandt hat, als er rhetorisch-höhnisch fragte: Wieviel Divisionen hat der Papst? Die Weltgeschichte wird durch andere Kräfte bestimmt.
So also ist die heutige Lage. Ich bin der Meinung — um zu der Großen Anfrage einiges zu sagen —, daß ein Urteil Karlsruhes durchaus ein geeignetes Mittel darstellt, eine so schwierige Frage genauer zu klären. Sie ist eine Rechtsfrage, aber natürlich auch eine politische; sie ist eine politische, aber auch eine Rechtsfrage.
Es ist das Problem der Autonomie der Länder aufgetaucht. Ich sehe da keinen unzulässigen Eingriff. Auch hier sind sich alle Kommentatoren einig: daß nämlich der Satz, daß höheres Recht, daß gesamtdeutsches Recht, daß Reichsrecht Landesrecht bricht, auch bei Konkordaten gilt. Freuen wir uns doch, daß es ein solches Recht gibt, das auch heute noch über allen deutschen Teilungen und Teilstaaten steht!
Zu Unrecht wird manchmal vorgetragen, das Reichskonkordat verschärfe die unglückseligen konfessionellen Spannungen in unserem Volke. Das Gegenteil ist richtig. Ich habe schon gesagt, daß erfahrungsgemäß das Wohl beider Konfessionen auf das engste miteinander verbunden ist. Je freier die eine, desto freier auch die andere. Ich würde wünschen und hoffen, daß es bald zu großen Abmachungen mit den evangelischen Kirchen Deutschlands kommt. Selbstverständlich dürfen die evangelischen Kirchen Deutschlands in keiner Weise anders oder gar schlechter gestellt sein als die Katholische Kirche in Deutschland.
Es ist ein Wort von Amerika gefallen. Ich glaube, es war Herr Kollege Schmid, der, das Goethe-Wort zitierend, gesagt hat, Amerika habe es auch in dieser Beziehung besser. Das kann ich aus vielen Jahren der Erfahrung voll bestätigen. Dort ist es schon so, daß die Christen in allen Parteien drin sind und aktiv mitarbeiten, daß es niemals vorkommt, daß eine Gruppe oder eine Partei die Ansicht vertritt, nur sie sei christlich. Wie schön wäre es, wenn wir in Deutschland zu einer ähnlichen Lage kämen, zu einer Entgiftung der Gesamtatmosphäre! Wie sehr würde der Staat, wie sehr würden die geistigen Kräfte in Deutschland daraus Nutzen ziehen können!
Zum Schluß nur noch eines. Als Treuhänder von Gesamtdeutschland ist die Bundesrepublik meiner Meinung nach im übrigen gar nicht befugt, Abänderungen zu treffen, die sich im gesamtdeutschen Rahmen durch Lockerung der Klammern negativ auswirken könnten. Was Verhandlungen anlangt, so bin ich durchaus der Meinung, daß man sie führen kann, sogar führen sollte, aber mit höchster Vorsicht. Ich möchte nicht — und ich bin überzeugt, daß über alle Parteien hinaus diese Meinung
vertreten wird —, daß damit ein Teilkonkordat zustande kommt. Ich möchte nicht, daß etwas Größeres zugunsten eines Teiles aufgegeben wird. Man müßte solche Verhandlungen mit großer Vorsicht, mit großem Takt führen, immer mit der Betonung, daß kein Präjudiz geschaffen werden soll, das sich irgendwie gegen die Anerkennung des Deutschen Reiches in seinen Grenzen vom 31. Dezember 1937 auswirken würde, also kein Präjudiz in bezug auf jene Anerkennung, die heute von seiten des Vatikans gegeben ist. Auf jeden Fall scheint es mir von ausschlaggebender Bedeutung zu sein, daß wir das gegebene Recht für Gesamtdeutschland auch hier wahren und daß wir keinen Zweifel aufkommen lassen an unserer Vertragstreue gegenüber sittlich und politisch durchaus zu bejahenden internationalen Abmachungen.