Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß meine Fraktion in dieser Aussprache nicht von einem Juristen vertreten wird, liegt in unserer Ansicht über den Gegenstand dieser Aussprache begründet. Wir sind der Meinung, daß vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts das Parlament dieses Landes eine Diskussion der Rechtslage nicht durchführen sollte, ganz abgesehen von der Frage, ob Parlamente, die ja politische Entscheidungen treffen sollen, überhaupt eine Rechtslage klären können. Ich möchte also auch darüber nichts sagen und muß nur mit Rücksicht darauf eine Bemerkung machen, daß der Herr Bundesaußenminister in
seiner Beantwortung der Anfrage auf die Kleine Anfrage 151 und auf die Begründung dieser Anfrage durch die Vertreterin unserer Partei, Frau Dr. Ilk, Bezug genommen hat. Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß Frau Dr. Ilk am 10. November 1955 in dieser Begründung mit Zustimmung unserer Fraktion hier erklärt hat, daß wir die Rechtsgültigkeit des Konkordats nicht ohne Bedenken betrachten. Wir haben also in sehr vorsichtiger Form angedeutet, worum es sich für uns handelt.
Hier aber, meine Damen und Herren, geht es in diesem Hause nicht um Fragen der Toleranz. Es geht nicht um Fragen des Glaubens; es geht nicht einmal um die Frage — verzeihen Sie, Herr Kollege Schmid, wenn ich das sage — des Verhältnisses von Staat und Kirche in seiner grundsätzlichen Bedeutung. Es geht erst recht nicht um die Frage unserer Stellung zu der verehrungswürdigen Einrichtung der Kurie, sondern es geht im Grunde genommen um das Verhalten der Bundesregierung, zu dem Stellung zu nehmen und das unter Umständen zu kritisieren Aufgabe eben dieses Parlaments ist.
So ist, das möchte ich vorausstellen, sowohl bei der Begründung der Anfrage als auch jetzt wieder vom Herrn Kollegen Schmid durchaus mit Recht darauf hingewiesen worden, daß es die Aufgabe der Bundesregierung gewesen wäre, einen politischen Weg zu suchen in der Auseinandersetzung mit dem Land Niedersachsen, aber auch einen politischen Weg zu betreten in Verhandlungen mit der Kurie. Das ist die Frage, um die es sich für uns handelt; denn alles das, was vom Herrn Kollegen Arndt in so überzeugender Weise über die Entstehungsgeschichte des Konkordats gesagt worden ist, berührt uns als Demokraten gar nicht als eine Kirchenangelegenheit, sondern als eine politische Frage. Ich kann mich dabei auf die nach meinem Dafürhalten ausgezeichnete Darstellung meines Berliner Kollegen Dr. Bracher berufen, aus der doch nun wirklich eines ganz klar und deutlich hervorgeht: Das Ermächtigungsgesetz, die Rechtsbasis für die Verhandlungen und für den Abschluß des Konkordats durch die Regierung Hitler, ist keine im historischen Raum isoliert stehende Tatsache, sondern das Ergebnis von Machtkämpfen gewesen. Der Verabschiedung dieses Gesetzes in der Kroll-Oper gingen Rechtsbrüche voraus, wie z. B. die Verordnung zum Schutze von Volk und Staat, die Reichstagsbrand-Verordnungen und vor allen Dingen, worauf ich auch noch einmal hinweisen möchte, die im letzten Augenblick vorgenommene Änderung der Geschäftsordnung des Reichstages, die den Reichstagspräsidenten ermächtigte, Abgeordnete. die nicht anwesend waren, für 60 Tage auszuschließen, gleichzeitig aber sie selbst bei der Berechnung des Quorums mit in Ansatz zu bringen. Diese Maßnahme hatte man doch gerade getroffen, um zu verhindern, daß Parteien des Hauses durch Nichterscheinen eine Verfassungsänderung unmöglich machten. Diese und andere Voraussetzungen waren notwendig, und immer wieder muß betont werden, daß die NSDAP in Deutschland damals keine Mehrheit und auch keine Aussicht auf eine Mehrheit hatte und daß sie dieser Rechtsbrüche bedurfte, um sich durchzusetzen.
Auch unter diesen Voraussetzungen wäre die Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz niemals
möglich gewesen ohne die deutsche Zentrumspartei.
Wiederum geht doch aus dem Wortlaut der Erklärungen des Herrn Prälaten Kaas, des damaligen Sprechers der Zentrumspartei in dieser, wenn ich so sagen darf, denkwürdigen, dramatischen Reichstagssitzung hervor, daß die Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz für die deutsche Zentrumspartei nur deshalb möglich war, weil man ihr den Abschluß des Konkordats in Aussicht stellte,
desselben Konkordats, das für Herrn Hitler dazu dienen sollte, diese selbe Zentrumspartei umzubringen.
Ich glaube nicht, daß die deutsche Zentrumspartei das damals gewußt hat. Man darf nicht unterstellen, daß sie sich gern und freiwillig umbringen ließ, sondern dies ist ein Beweis mehr für die Hinterhältigkeit, mit der von deutscher Seite diese Verhandlungen mit der Kurie geführt wurden.
Meine Damen und Herren, es ist doch wohl nicht zu bestreiten, daß das Interesse, das Hitler an dem Zustandekommen des Konkordats hatte, ein rein politisches Interesse war. Es war einmal das Interesse an der Anerkennung der sogenannten nationalsozialistischen Revolution — die im übrigen ja keine war — durch eine Macht, die nicht nur als eine ausländische Macht, sondern mit Recht als eine moralische Macht in der Weltgeschichte gilt. Ich kann mich jedenfalls an jene Tage erinnern, in denen wir verzweifelt in Berlin saßen und mit unseren jüdischen und unseren katholischen Freunden über das Entsetzliche sprachen, was nach unserer Meinung damals geschehen war, als die Anerkennung Hitlers, sicherlich nicht in der Absicht der Kurie, aber in der Absicht Hitlers durch die Kurie erfolgt war. Das zweite war, daß Hitler auf diese Weise die Zustimmung ides Vatikans zum Verbot, zur Auflösung nicht nur der deutschen Zentrumspartei, sondern, wie schon gesagt wurde, auch der nicht rein seelsorgerischen. katholischen Organisationen, darunter auch der christlichen Gewerkschaften, bekam.
Der Herr Kollege Schmid hat mit besonderem Nachdruck auf die Artikel 31 und 32 des Konkordats hingewiesen. Das waren für Adolf Hitler die entscheidenden Artikel, und es existiert ja — der Herr Kollege Arndt hat darauf hingewiesen — eine Anweisung an den deutschen Unterhändler, daß ohne dieses Zugeständnis das Konkordat für die Reichsregierung uninteressant sei. Es ist also gar kein Zweifel, daß, wenn überhaupt eine Bestimmung von der einen Vertragsseite her als wesentlicher Bestandteil, ja, als Conditio sine qua non betrachtet wurde, es gerade die Bestimmungen der Artikel 31 und 32 waren. Und das sind die Artikel, die heute nicht mehr gelten.
Ich erwähne das nicht, um das, was der Herr Kollege Arndt schon in so ausgezeichneter Weise dargelegt hat — die historische Brüchigkeit der juristischen Rechtfertigung des Konkordats aus dem Ermächtigungsgesetz usw. —, zu wiederholen, sondern weil ich sagen möchte, daß die Bundesregierung, wenn sie den Weg, den wir für einen unheilvollen Weg halten, beschritten hat,
vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen, verpflichtet ist, in der rein juristischen Argumentation die Rechtmäßigkeit des Konkordats zu unterstellen. Und diese Rechtmäßigkeit kann rein formaljuristisch nur auf das Ermächtigungsgesetz gestützt werden. Das ist ein Zeichen dafür, daß in gewissen historischen Verhältnissen das Formaljuristische allein nicht ausreicht, sondern daß die historischen Kräfte, daß die Ereignisse — und es handelt sich ja nicht um Kleinigkeiten, sondern es handelt sich um gewaltige und gewalttätige Ereignisse, die sich hier abgespielt haben — dabei mit beachtet werden müssen.
Ich darf vielleicht noch erwähnen, daß auch die Frage der Seelsorge nach der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht von Herrn von Papen dem damaligen Reichskanzler Adolf Hitler triumphierend mitgeteilt wurde als ein ganz großer Erfolg der deutschen Politik, der zwar geheimgehalten werden müsse. Auch das, meine Damen und Herren — ich will Sie jetzt nicht mit Zitaten langweilen, ich habe sie hier —, ist doch wieder ein Beleg dafür, daß jene Regierung nur politische Absichten hatte, die mit einer wirklichen Konkordanz überhaupt nicht das geringste zu tun hatten.
Nun möchte ich eine Frage stellen, ich bitte sie mir nicht übelzunehmen, meine Damen und Herren. Ist es nicht eigentlich etwas bedrückend, ist es nicht wirklich etwas bedrückend, daß man, wenn man es mit dem Verhältnis von Politik und Moral ernst nimmt und wenn man überzeugt ist von der großen Bedeutung der christlichen Kirchen für die Geltung eines gesunden Verhältnisses zwischen Politik und Moral oder — sagen wir ruhig besser — für die Durchdringung der Politik mit Moral in der Praxis des Volkslebens, uns gewissermaßen zumutet, etwas so Unmoralisches, etwas so Hinterhältiges wie diese Verhandlungen Hitlers und des Herrn von Papen in ihren Resultaten heute noch anzuerkennen?
Das ist doch etwas, was uns alle tief bewegt. Es geht doch hier nicht um Anerkennung der Kirche oder um Glaubensdinge. Es gibt nun mal hier, es gibt auch in diesem Hause Gott sei Dank noch Leute, die sich innerlich dagegen aufbäumen, daß man zugeben soll, daß Hitler überhaupt irgendwelches Recht hat schaffen können.
Meine Damen und Herren, ich spreche hier als ein Mitglied des Wiedergutmachungsausschusses. Ich weiß, daß die Dinge juristisch auf verschiedenen Ebenen liegen. Aber es gibt vielleicht doch auch in unserem Volke Leute, die fragen werden, wie denn sonst von uns Verbindlichkeiten behandelt werden,
nicht nur unsere Verpflichtungen gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus, auch andere. Ich bin zufällig auch im Ausschuß für Geld und Kredit, und wir sprechen dort über das Kriegsfolgenschlußgesetz. Es gibt Reichsverbindlichketiten, bei denen wir anerkennen, daß es ein ultra posse nemo obligatur gibt, daß es Verhältnisse gibt, die niemand übersehen darf, daß es eine clausula rebus sic stantibus in all den Dingen gibt. Warum nun nicht auch hier? Gerade
deshalb, weil es letzten Endes doch um das Moralische geht, weil man uns nicht zwingen soll, etwas anzuerkennen, was unmoralisch entstanden ist, weil man uns nicht zwingen soll, die Folgen des Willens, eines bösartigen und hinterhältigen Willens Adolf Hitlers und seiner Regierung in irgendeiner Weise noch für uns gelten zu lassen!
Ich kann mir gar nicht denken, daß man darüber nicht mit der Kurie soll reden können. Ich bin doch fest überzeugt, daß man das kann. Ich weiß doch selbst, wie katholische Freunde, mit denen ich damals in Berlin zusammengelebt habe, zum Kardinalstaatssekretär gefahren sind — der heute der Heilige Vater ist — und ihm ihre Sorgen anvertraut haben. Ich kenne diese ganzen Dinge. Glaubt man denn wirklich, daß das nicht geht? Heißt das nicht eigentlich, der Kirche unrecht tun, wenn man unterstellt, daß sie für solche ernste seelische Nöte eines deutschen Demokraten nach der Hitlerzeit kein Verständnis hätte? Ich kann mir das nicht denken.
Das ist das, was wir nun eben in der Auseinandersetzung mit unserer Regierung zu sagen haben. Unsere Regierung sollte das doch wissen. Unsere Regierung sollte doch, ehe sie die Dinge durch einen Prozeß, durch eine Entscheidung klären läßt, die doch letzten Endes immer nur formaljuristisch sein wird und die nicht einmal praktische Folgen haben kann, den politischen Weg gehen, den politischen Weg innerhalb Deutschlands und den politischen Weg, der zur Kurie führt. Das ist nach unserer Auffassung das Gebot der Stunde. Ich möchte nicht — das möchte ich noch einmal betonen —, daß alle diese Fragen belastet werden mit Vorstellungen des Verhältnisses von Staat und Kirche, der Frage etwa des Zusammenlebens beider Konfessionen usw. Das steht alles gar nicht auf der Tagesordnung, sondern es steht auf der Tagesordnung: Warum ist die Regierung der Bundesrepublik Deutschland unter Führung eines Bundeskanzlers, der der Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Union ist, nicht auf diese natürlichste Weise auf den natürlichen Weg gekommen, in diesem Falle nun einmal wirklich echte Politik anzufangen, statt einfach zum Kadi zu gehen?