Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Kollegin Weber, ich höre „Tübingen" ebenso gern wie „Frankfurt".
— Das darf ich als hessischer Beamter nicht sagen.
Meine Damen und Herren, das Grundthema, das in der Großen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion anklingt, gehört zu denen, deren Behandlung zeigen könnte, daß man auch in einem Parlament nicht nur streiten kann, um Recht zu behalten,
sondern miteinander reden kann, um die Wahrheit zu suchen. Die Reden, die wir bisher gehört haben, beweisen, daß dies möglich ist.
Es handelt sich im Grunde bei dem, wovon wir reden, um die Frage des richtigen Verhältnisses von Staat und Kirche. Ich sage: des richtigen Verhältnisses; denn daß Staat und Kirche zueinander in engster Beziehung stehen und stehen müssen, darüber brauchen wir nicht zu streiten. Die Frage ist, wie man diese Beziehung zum Nutzen und Frommen beider am besten gestaltet. Am besten sicher, wenn man bei den Formen und Einrichtungen, die man sucht und findet, sich bemüht, dem Wesen beider so gerecht als möglich zu werden. Ich glaube, daß hier Fragen des Opportunismus völlig beiseite bleiben sollten und völlig beiseite bleiben können.
Das rechte Verhältnis zu finden ist aus einer ganzen Reihe von Gründen ungemein schwer, nicht nur aus den Gründen, die der verehrte Kollege Cillien angeführt hat, sondern aus einem viel weiter zurückliegenden Grund: aus dem Grund, daß Kirche und Staat, beide, Anstalten eigenen Rechtes sind und daß dabei die Kirche die ältere dieser Anstalten ist, daß auf der andern Seite aber der Staat die Anstalt ist, die für einen größeren Umkreis von Menschen als nur die Angehörigen einer Kirche zu sorgen und für sie die Verantwortung zu tragen hat. Das macht das Problem so schwierig, und deswegen laboriert man in Europa, nicht nur in Deutschland, auch in anderen Ländern, doch seit Jahrhunderten an diesem Problem herum. Letzten Endes — die Historiker werden mir die Blasphemie verzeihen — ist doch, was wir hier tun, im kleinen mikroskopischen Format etwas wie die Fortsetzung der Diskussion des Investiturstreites.
— Ich sage: im mikroskopischen Format. Auch dort hat es sich darum gehandelt, welcher der beiden Anstalten — die sich als Heilsanstalten fühlten —, dem Reich oder der Kirche, in bestimmten Dingen der Primat zukomme.
Nun, die Kirche umfaßt nicht alle Staatsbürger, sondern nur einen Teil von ihnen. Darum können ihre spezifischen Gebote und Rechtsvorschriften sich nur an einen Teil der Staatsbürger wenden. Auf der andern Seite umfaßt der Staat sehr viel mehr Menschen als die Angehörigen einer Kirche, Angehörige anderer Kirchen und auch Menschen, die keiner Kirche angehören. Darum muß der Staat, der für sie alle verantwortlich ist, für Rechtsnormen sorgen, die den Interessen aller, der Angehörigen der verschiedensten Kirchen und auch den Interessen derer, die keiner Kirche angehören, gerecht werden.
Die Kirche wiederum hat Rechte und Gebote aus eigenem Recht. Es ist hier nicht der Ort, die von Sohm aufgeworfene Kontroverse zu erneuern, — Sohm, Herr Cillien, der wie Sie ein guter Lutheraner gewesen ist und der der Meinung war, daß es dem Wesen der Kirche widerspreche, eine Rechtsanstalt zu sein und ein Kirchenrecht zu haben. Meiner Meinung nach ist das ein Irrtum dieses großen Gelehrten gewesen. Aber es lohnt sich heute noch, sein großes Buch zu lesen.
Der Staat hat seine eigenen Rechte, seine eigenen Vorstellungen, die mit denen der Kirche nicht übereinzustimmen brauchen und in manchen Fällen wegen der Pflicht des Staates, gleichermaßen für
alle da zu sein, wegen seiner Pflicht, das Leben aller in seiner Gemeinschaft möglich zu machen, gar nicht übereinstimmen können. Das ist zu jeder Zeit in Erscheinung getreten, und man hat dem immer Rechnung getragen, außer in den Zeiten der Religionskriege.
Welche Möglichkeiten gibt es, aus dieser Antinomie herauszukommen? Und es liegt eine echte Antinomie vor, wenn man diese Dinge schwer genug nimmt, und man kann sie gar nicht schwer genug nehmen! Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, die alle in der Geschichte versucht worden sind. Es gibt die eine, daß der Staat erklärt, er bestimme allein und autonom: der laizistische Staat, der sagt: Was innerhalb meiner Grenzen die Rechte der Kirchen und der Angehörigen der Kirchen sind, das bestimme ich allein durch meine Gesetze. So hat es Frankreich seit Beginn dieses Jahrhunderts gemacht, so haben es andere Staaten gemacht. Ich glaube nicht, daß das unter allen Umständen ein nachahmenswertes Beispiel für uns ist. Auf diese Weise kommt man zu einem Staatskirchenrecht, bei dem der Akzent auf „Staat" liegt. In diesem Falle wird die Kirche ausschließlich dem staatlichen Vereinsrecht unterworfen.
Eine andere Möglichkeit wäre die, daß die Kirche selber autonom bestimmt, was ihre Glieder und auch sie selbst im Staate an Rechten haben sollen. Das ist wohl nur im Kirchenstaat möglich gewesen. Es wäre schließlich — ich sage das ohne jede Ironie und ohne jede Lust zu Invektiven — auch in einem Staat möglich, in dem politische Parteien die Mehrheit haben, die der Meinung sein könnten, ihre Aufgabe sei es, im Staate die Kirche zu vertreten und zu repräsentieren. Das ist bei uns nicht der Fall.
Manche Länder haben es sich einfacher gemacht. Das Goethesche Wort „Amerika, du hast es besser!" trifft vielleicht auch für das Verhältnis von Staat und Kirche zu. Hier hat der Staat den ganzen kirchlichen Bereich aus dem Gebiet der staatlichen Tätigkeit ausgeklammert. Auf der andern Seite entspricht aber dieser völligen Freiheit der Umstand, daß der Staat verbietet, öffentliche Mittel für kirchliche Zwecke, auch im weitesten Sinne des Wortes, zur Verfügung zu stellen. Das ist eine andere Tradition als unsere; ich glaube nicht, daß es möglich und richtig wäre, diese fremde Tradition bei uns nachzuahmen.
Die andere Möglichkeit ist, daß Staat und Kirche die Art und Weise ihres wechselseitigen Sichdurchdringens oder ihres Nebeneinander miteinander vereinbaren. Das ist das Konkordatssystem. Konkordate gibt es seit Jahrhunderten. Sie werden auf die verschiedenste Weise aufgefaßt. Es ist vielleicht nicht ganz gleichgültig, sich einmal zu vergegenwärtigen, welche Auffassungen vom Wesen des Konkordats geschichtlich geworden sind. Da gibt es zunächst einmal die alte kuriale Theorie, die Theorie der Kanonisten, der Juristen der Kurie, die sogenannte Privilegientheorie, die da lautet: Die Kirche nimmt das Recht auf die autonome Regulierung bestimmter Lebensgebiete auch dem Staate gegenüber in Anspruch, aber sie erteilt gewissen Staaten das Privileg, vom kanonischen Recht abzuweichen, z. B. bei den Formalien der Bestellung der Bischäfe, beim formellen Eherecht und bei anderen Dingen. Diese Privilegien werden nach dieser kanonischen Theorie nur bestimmten Regierungen erteilt, auf jeden Fall nur bestimmten Regimen. Wechselt das Regime, so gelten nach dieser Theorie die Konkordate als erloschen. Das ist, wenn man das Konkordat als ein Privilegium ansieht, auch durchaus logisch; denn wenn man ein Privileg erteilt, dann möchte man den Mann kennen, dem man es erteilt hat, und wenn dieser Mann wechselt, dann will man sich den Nachfolger ansehen, ob auch er dieses Privilegs würdig ist.
Die andere Vorstellung ist die Legaltheorie. Das ist im Grunde die Privilegientheorie in ihrem Anderssein. Hier ist es der Staat, der behauptet, daß er der Kirche Privilegien erteilt, nämlich in der Form staatlicher Gesetze, und daß diese Privilegien darum zur Verfügung des Gesetzgebers stehen, auch wenn der Inhalt dieser Gesetze vorher mit kirchlichen Stellen vereinbart worden ist.
Die dritte Theorie ist die Vertragstheorie. Hier sagen die einen, ein Konkordat sei ein völkerrechtlicher Vertrag. Man kann das in manchen Lehrbüchern lesen. Ich für meinen Teil vermag ein Konkordat nicht als einen völkerrechtlichen Vertrag anzusehen, denn das Konkordat ist kein Vertrag mit einem Staate. In einem Konkordat werden doch nicht die Verhältnisse der Bundesrepublik zur Vatikanstadt geregelt — wenn das der Fall wäre, dann würde es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag handeln —, sondern es handelt sich um einen Vertrag, den der Staat mit der Katholischen Kirche schließt, also nicht mit einem Staat, sondern mit einer Anstalt, die ihm gleichgeordnet ist, deren Reich von einer anderen Welt ist als das seine, zu der er aber rechtlich geordnete Beziehungen unterhalten will. — Ich möchte hier bemerken, daß es doch Botschafter bei der Kurie schon lange vor den Lateranverträgen gab, also lange bevor der Papst ein anerkanntes Hoheitsgebiet hatte.
Wenn dem so ist, dann ist es meiner Meinung nach unmöglich, ein Konkordat für einen völkerrechtlichen Vertrag und seine Normen für Normen des Völkerrechts zu halten. Dagegen ist es natürlich richtig, daß man auf einen solchen Vertrag sui generis analog Normen anwenden kann, die auch im Völkerrecht gelten. Es gibt ja allgemeine Rechtsnormen, die mehr oder weniger allen Rechten zugrunde liegen, zumindest in unserem Europa, zumindest bei den Völkern, deren juristisches Patrimonium ein Erbe des römischen Rechtes ist.
Dieser Vertrag hat den Zweck, das Verhältnis des Staates in seinem jeweiligen Sosein mit den Bedürfnissen der Kirche in ein angemessenes Verhältnis zu bringen, in das angemessenste Verhältnis, und der Grad, in dem diese Angemessenheit sich kundtut, kann und wird nach Zeit und Ort wechseln. Es ist gar kein Zweifel — um ein extremes Beispiel zu nehmen —, daß ein Konkordat mit Spanien anders aussehen könnte und würde als eines, das, sagen wir, mit Schweden oder einem anderen im wesentlichen protestantischen Staat, geschlossen würde. Der Inhalt der Konkordate ist ganz wesentlich mit durch die spezifische Struktur des Staates bestimmt, mit dem sie abgeschlossen werden. Ein Konkordat mit einem totalitären Staat wird anders aussehen können als eines, das mit einer demokratischen Republik abgeschlossen wird.
Wenn man aber davon ausgeht, es handle sich um einen Vertrag, nun, dann muß man diesen Vertrag als ein Ganzes nehmen, dann muß man darauf den allgemeinen Rechtsgrundsatz anwenden, der auch im Bürgerlichen Gesetzbuch gilt und
der auch im Völkerrecht gilt — der Haager Gerichtshof hat ihn mehrere Male bestätigt —, daß, wenn ein wesentlicher Bestandteil des Vertrages gegenstandslos wird, der ganze Vertrag das Schicksal dieses seines wesentlichen Bestandteils teilt. Es geht nicht an, daß der eine oder der andere der beiden Partner beim Wechsel des Regimes nur noch die Teile des Vertrages gelten lassen will, die er als für sich günstig hält. Wenn nach Auffassung der Kurie wesentliche Teile des Vertrages gegenstandslos geworden sind — ich nenne nur die Art. 31 und 32 —, dann muß sich die Kirche auch gefallen lassen, daß man die übrigen Teile des Vertrages als gegenstandslos betrachtet. Wenn nicht, nun, dann müßte sie sich gefallen lassen, daß man diese Artikel 31 und 32 — Verbot der politischen Tätigkeit des Klerus, Verzicht auf katholische Vereine, die nicht nur der Seelsorge dienen, usw. — auch heute noch als gültig ansieht.
Aber unser Grundgesetz würde einen solchen Zustand nicht erlauben. Es würde nicht erlauben, daß dem Klerus politische Tätigkeit verboten und die Bildung katholischer Vereine eingeschränkt wird. Denn wir haben die politische Meinungsfreiheit, wir haben die Koalitionsfreiheit.
Unter dem Vertragsgesichtspunkt bedeutet das aber, daß nunmehr die Möglichkeit einer vertraglichen Gegenleistung fehlt, der Gegenleistung, um derentwillen die damalige deutsche Regierung den Vertrag geschlossen und ihrerseits Gegenleistungen gewährt hat. Wir wissen doch, daß Hitler als Gegenleistung für seine papiernen Konzessionen die Entpolitisierung im kirchlichen Raum verlangt und erhalten hat. Aus keinem anderen Grund hat er seine Konzessionen gemacht.
Aber nunmehr haben wir eine staatliche Rechtsordnung, die solche Gegenleistungen verbieten würde; und das, Herr Kollege Cillien, war es wohl, was der Reichspräsident Ebert meinte, als er von Abmachungen „im Rahmen unserer Verfassung" sprach: es dürfe in dem Konkordat nichts stehen, was etwa den Grundrechten der Verfassung widersprechen könnte.
So ist also dem Konkordat das innere Gleichgewicht genommen. Man könnte sich fragen, ob wir hier nicht vor einem klassischen Fall für die Anwendung der These, des Rechtssatzes von der clausula rebus sic stantibus stehen, der da sagt, daß, wenn sich die Umstände, die für die Schaffung eines Vertrages ursächlich waren, wesentlich geändert haben, der ganze Vertrag nicht mehr gilt.
Der Rechtsberater der Bundesregierung, mein Lehrer Professor Erich Kaufmann, hat darüber ein sehr bedeutendes, sehr beachtetes und heute noch sehr lesenswertes Buch geschrieben. Er ist leider nicht da; sonst könnte er Ihnen mit einem Kopfnicken sagen, daß dies auch seine Meinung ist.
Man hat mit der These von der Kontinuität des Staates operiert. Sicher gibt es diese Kontinuität. Aber eine ganz andere Frage ist, ob, wenn sich das Regime in einem Staat in seiner Substanz wesentlich wandelt, dadurch nicht auch die internationalen Verträge, die dieser Staat einst abgeschlossen hat, gegenstandslos werden. Es gibt hierfür ein Beispiel: Als das zaristische Rußland zum sowjetischen Rußland wurde, haben die meisten Staaten erklärt, daß ihre mit dem zaristischen Rußland geschlossenen Verträge nicht mehr gälten, obwohl die Kontinuität des Staates nicht bestritten wurde. Es wurde lediglich gesagt, die
Staatssubstanz habe sich wesentlich geändert, und dies wirke sich auf die Geltung der Verträge aus.
Nun will ich nicht sagen, daß dieses Beispiel ohne weiteres auf unser Problem anzuwenden sei. Aber schließlich hat sich doch, Herr Cillien, auch in der Substanz uns er es Staates seit den Zeiten Hitlers, Gott sei Dank, einiges Wesentliche geändert.
— Halten Sie auch Art. 31 und 32 für Substanz von vorher, die verboten, katholische Vereine außer auf rein seelsorgerischem Gebiet zu bilden? Das war doch nicht Substanz der Weimarer Verfassung, das war Drittes Reich und reinstes Drittes Reich.
Es wurde auch davon gesprochen, daß das Konkordat die einzige Klammer sei, die das Deutsch- land, das unser Deutschland ist, noch zusammenhält. Nun, wir können uns über jede Rechtseinrichtung freuen, die darauf hinweist, daß Deutschland sich nicht auf das Gebiet der Bundesrepublik beschränkt. Aber, meine Damen und Herren, ich glaube, daß die Einheit Deutschlands doch wesentlich zusammengehalten wird durch das Bewußtsein der deutschen Nation, eins und unteilbar zu sein.
Was die Gebiete östlich der Oder und Neiße betrifft, so hat die Kurie — das ist ganz selbstverständlich und natürlich — sich den Gegebenheiten akkommodieren müssen.
— Nein, sie hat zwar keine neue Zirkumskriptionsbulle erlassen, Herr Kollege Schütz, aber sie hat auch keinen deutschen Bischof in Breslau und in Gnesen ernannt. Sie hat den politischen Veränderungen Rechnung getragen, die dort vor sich gegangen sind. Das ist ihr Recht.
— Herr Kollege Schütz, ich erlaube Ihnen gern eine Frage.