Rede von
Dr.
Heinrich
von
Brentano
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung beantwortet die Große Anfrage — Bundestagsdrucksache 2258 —, die der Herr Abgeordnete Dr. Arndt soeben begründet hat, wie folgt.
Die in Punkt 1 gestellte Frage ist zu bejahen. Die vor dem Bundesverfassungsgericht wegen der Unvereinbarkeit des niedersächsischen Schulgesetzes mit dem Reichskonkordat erhobene Klage beruht auf einem Entschluß der Bundesregierung vom 9. März 1955.
Zu Punkt 2 möchte ich folgendes feststellen: Nachdem die niedersächsische Landesregierung im Februar 1954 dem Landtag die Regierungsvorlage zu einem Schulgesetz vorgelegt hatte, erhob die Apostolische Nuntiatur wiederholt Vorstellungen bei der Bundesregierung. Sie erblickte in der Regelung des niedersächsischen Schulgesetzentwurfs einen Verstoß gegen die im Reichskonkordat getroffenen vertraglichen Vereinbarungen und bat die Bundesregierung um Abhilfe. Die Apostolische Nuntiatur berief sich bei ihrem Einspruch insbesondere auf Art. 23 des Reichskonkordats, der die Beibehaltung und Neuerrichtung katholischer Bekenntnisschulen gewährleistet und in allen Gemeinden den Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten grundsätzlich die Errichtung solcher Volksschulen, falls in ihnen ein geordneter Schulbetrieb durchführbar erscheint, auf Antrag zusichert.
Der Herr Bundeskanzler und das Auswärtige Amt haben daraufhin den damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten gebeten, die von dem Heiligen Stuhl erhobenen Vorstellungen zu prüfen und für eine Anpassung des in Aussicht genommenen Gesetzes an die vertraglichen Bindungen der Bundesrepublik Sorge zu tragen. Dabei wurde der niedersächsischen Landesregierung vor allem zu bedenken gegeben, daß ein möglicherweise berechtigter Vorwurf der Verletzung eines völkerrechtlichen Vertrags geeignet sei, das Ansehen der Bundesrepublik empfindlich zu schädigen und ihre internationale Vertragswürdigkeit zu schwächen.
Der Regierungsentwurf wurde gleichwohl vom a Landtag mit nur geringen Änderungen verabschiedet und vom Ministerpräsidenten als Gesetz verkündet. Das Schulgesetz trat am 1. Oktober 1954 in Kraft, ohne daß die vom Heiligen Stuhl beanstandeten Vorschriften beseitigt oder gemildert worden wären. Allein durch § 15 Abs. 1 dieses Schulgesetzes wurden an diesem Tage in Gemeinden mit nur einer Schule mindestens 304 katholische Bekenntnisschulen in Gemeinschaftsschulen umgewandelt. Insgesamt werden durch das niedersächsische Schulgesetz wenigstens 75 % der bestehenden Bekenntnisschulen beseitigt.
Infolge der durch die Verkündung des niedersächsischen Schulgesetzes geschaffenen Lage sah sich die Bundesregierung genötigt, eine Feststellungsklage vor dem Bundesverfassungsgericht zu erheben. Ich darf hier darauf hinweisen, Herr Kollege Arndt, daß sich diese Klage nicht auf Art. 84 Abs. 4 des Grundgesetzes stützt, da es sich nach der Meinung der Bundesregierung nicht um Mängel bei der Ausführung eines Bundesgesetzes handelt, sondern daß die Klage auf Art. 93 Abs. 1 Ziffer 3 gestützt wurde. Daraus ergibt sich ohne weiteres auch die Zuständigkeit des angerufenen Senats.
Die Bundesregierung hat die Pflicht, für die gewissenhafte Erfüllung der die Bundesregierung bindenden völkerrechtlichen Verträge zu sorgen. Dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts soll hier nicht vorgegriffen werden. Die Bundesregierung hat jedoch stets auf dem Standpunkt gestanden, daß das Reichskonkordat ein gültiger Vertrag sei. Auch der Herr Bundespräsident hat dieser Ansicht Ausdruck gegeben, indem er dem Apostolischen Nuntius, als dieser ihm am 4. April 1951 sein Beglaubigungsschreiben überreichte, wörtlich er-
klärte, er und die Bundesregierung seien „wohl eingedenk der vertraglichen Vereinbarungen, die frühere Regierungen mit dem Heiligen Stuhl eingegangen sind und an deren Fortbestand für das gesamte deutsche Gebiet auch die Bundesrepublik festhält."
Zu dieser Auffassung hält sich die Bundesregierung auch auf Grund z. B. der Ergebnisse der Mar-burger Tagung der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer aus dem Jahre 1952 für berechtigt und verpflichtet.
Das Reichskonkordat findet in der Praxis bei wichtigen Fragen nach wie vor Anwendung, z. B. bei der Mitwirkung der zuständigen Landesregierungen bei der Besetzung von Bischofsstellen , bei der Leistung des in Art. 16 des Reichskonkordats vereinbarten Treueides der Bischöfe und bei der soeben gemäß Art. 27 des Reichskonkordats erfolgten Ernennung des Militärbischofs. Auch hat sich die Bundesregierung in der Auseinandersetzung mit dem Heiligen Stuhl über die Tragweite des Art. 26 des Konkordats, der die Vornahme der religiösen vor der zivilen Trauung nur ausnahmsweise gestattet, sofort nach Bekanntwerden des Falles Tann wiederholt auf die vertragliche Regelung berufen. Ich darf dabei an die Kleine Anfrage 151 der Herren Abgeordneten Dr. Bucher, Dr. Hoffmann und Genossen vom 31. Januar 1955 —Drucksache 1179 — erinnern, in welcher die Bundesregierung unter Punkt 3 gefragt wurde, ob sie bereit sei, unverzüglich beim Heiligen Stuhl für eine Klarstellung zu sorgen, da die Einstellung des Bischöflichen Ordinariats von Passau und die ihr entsprechende Handlungsweise des Geistlichen — ich zitiere wörtlich — „dem Konkordat widerspricht".
Die damaligen Fragesteller gingen demnach eindeutig ebenfalls von der Fortgeltung des Reichskonkordats aus; denn eine Berufung auf Art. 26 wäre gegenstandslos, wenn das Reichskonkordat als solches nicht in Kraft wäre.
Übrigens hat der Heilige Stuhl aus der Fortgeltung des Reichskonkordats von sich aus — und Sie, Herr Kollege Dr. Arndt, haben schon darauf hingewiesen — die bedeutsame Folgerung gezogen, daß es nicht nur auf dem Gebiete der Bundesrepublik, sondern auch für die noch unter fremder Verwaltung stehenden Gebiete gilt. Das Reichskonkordat ist also gerade unter gesamtdeutschen Gesichtspunkten eine der wichtigsten Klammern. Der Heilige Stuhl hat folgerichtig gemäß Art. 11 des Konkordats keine dem gesamtdeutschen Interesse zuwiderlaufende Neuordnung der Diözesanzirkumskription vorgenommen, die Schaffung eines SaarBistums abgelehnt, die Bistümer Breslau und Frauenburg nicht wieder besetzt und die von seiten der polnischen Regierung gewünschten Änderungen der Diözesangrenzen nicht sanktioniert.
Folgerichtig werden auch im Päpstlichen Jahrbuch von 1956 die Erzdiözese Breslau, das Bistum Frauenburg und die frühere Prälatur Schneidemühe noch als deutsches Gebiet behandelt, das durch die in Deutschland residierenden Kapitularvikare dieser kirchlichen Distrikte repräsentiert wird.
Ist das Reichskonkordat aber in Kraft—worüber zwischen dem Heiligen Stuhl und der Bundesregierung keine Meinungsverschiedenheiten bestehen —, so muß auch der Schulartikel in der Bundesrepublik durchgeführt werden.
Als die Bundesregierung den Rechtsstreit vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig machte, glaubte sie im übrigen einer ausdrücklichen Anregung der niedersächsischen Landesregierung zu entsprechen. Denn der frühere Ministerpräsident Kopf gab, als er während der dritten Lesung des Schulgesetzes in der 76. Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 1. September 1954 seine Auffassung von der Rechtmäßigkeit des Schulgesetzes darlegte, dem Wunsche Ausdruck, daß die in diesem Zusammenhang zwischen dem Bund und der Landesregierung streitigen Rechtsfragen abschließend durch das Bundesverfassungsgericht entschieden werden sollten.
Die Fortentwicklung der Ordnung zwischen Staat und Heiligem Stuhl, wie sie in Ziffer 2 der Großen Anfrage angesprochen wird, könnte nach Auffassung der Bundesregierung nur durch neue konkordatäre Abmachungen erfolgen, die an die Stelle des Reichskonkordats treten und bis zu deren Zustandekommen das Reichskonkordat in Kraft bleibt.
Zu Punkt 3 der Großen Anfrage ist folgendes zu bemerken.
Die Erfüllung gültiger völkerrechtlicher Verträge durch die Bundesrepublik und die Erhaltung ihrer internationalen Vertragswürdigkeit sind ein Anliegen der Gesamtbevölkerung, also auch des evangelischen Bevölkerungsteils. Die Rechtsgültigkeit des Reichskonkordats wird nicht nur im Schrifttum von hervorragenden Rechtslehrern evangelischer Konfession wie etwa den Professoren Adalbert Erler, Giese, Liermann, Scheuner, Werner Weber bestätigt.
Auch Sprecher der evangelischen Kirche selbst haben davor gewarnt, die Konkordatsfrage zum Gegenstand innen- oder gar parteipolitischer Auseinandersetzungen zu machen. So heißt es z. B. in einem vielbeachteten Aufsatz mit dem Titel „Um das Reichskonkordat" im Informationsblatt für die Gemeinden in den niederdeutschen lutherischen Landeskirchen, es sei gefährlich, in der Konkordatsfrage „ohne Berücksichtigung aller in Betracht zu ziehenden rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte sich in vorschnellen Urteilen festzulegen". Auch der evangelische Bevölkerungsteil trage gerade im gegenwärtigen Zeitpunkt der Neubegründung deutschen Rechts eine Verantwortung dafür, daß der jeder Rechtsordnung zugrunde liegende Satz eingehalten werde: „Verträge müssen gehalten werden." Die Nichteinhaltung des bisher von der Kurie eingehaltenen Reichskonkordats könne unerwünschte Folgen für unser Volk haben. Eine abschließende Stellungnahme werde „in dieser schwierigen Frage im Bereiche unserer Rechtsordnung wohl nur ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts geben können". So weit der zitierte Artikel in dem genannten Informationsblatt.
Im übrigen dürfte das Beispiel der bayerischen Verträge mit den evangelischen Kirchen vom 15. November 1924, in welchen im Anschluß an Art. 6 des bayerischen Konkordats das Recht auf
Errichtung von Bekenntnisschulen gewährleistet wurde, zeigen, daß die im Konkordat vorgesehene Regelung auch in Kreisen der evangelischen Bevölkerung nicht als bedenklich angesehen wird. Nach einem schon wiederholt zitierten Wort von Professor Werner Weber entspricht das Konkordat einer liberal-parlamentarischen Demokratie mit föderalistischem Einschlag. Dem Leser trete die Mischung liberal-demokratischer, rechtsstaatlicher und föderalistischer Elemente entgegen, die für das Weimarer Verfassungssystem charakteristisch gewesen sei. Das Konkordat sei der heutigen Lage Deutschlands eher angepaßt, als es dem nationalsozialistischen Staate gegenüber je gewesen sei. So weit Professor Werner Weber in seiner Abhandlung „Die Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften".
Zu Punkt 4 vermag die Bundesregierung nicht anzuerkennen, daß ihr Vorgehen in der Konkordatsfrage in die nach dem Grundgesetz begründete Kulturhoheit der Länder eingreife. Die Verlagerung bestimmter Zuständigkeiten für die Gesetzgebung kann die Fortgeltung völkerrechtlicher Verträge nach der Auffassung der Bundesregierung nicht berühren. Das Völkerrecht erlaubt den Staaten grundsätzlich nicht, sich durch Änderungen ihrer Verfassungsstruktur und durch interne Neuverteilung staatlicher Kompetenzen ihren Verpflichtungen aus allgemeinem Völkerrecht oder zwischenstaatlichen Verträgen zu entziehen. Außerdem enthält das gleiche Grundgesetz, welches den Ländern auf weiten Gebieten der Kultur die Gesetzgebungszuständigkeit zuweist, in Art. 123 Abs. 2 die ausdrückliche Anerkennung der Fortgeltung völkerrechtlicher Verträge des Deutschen Reichs auch über Gegenstände, für die nach dem Grundgesetz die Landesgesetzgebung zuständig ist.
Der Bundesregierung ist schließlich nicht ersichtlich, inwiefern durch die Erfüllung eines nach ihrer Auffassung gültigen, die Bundesrepublik verpflichtenden Vertrags die Entscheidung einer gesamtdeutschen Regierung vorweggenommen werden könnte. Entgegen der Auffassung der Fragesteller glaubt die Bundesregierung daher, mit der von ihr vor dem Bundesverfassungsgericht eingebrachten Klage nicht nur die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesregierung beachtet, sondern auch der durch das Grundgesetz geschaffenen Ordnung entsprochen zu haben.
Meine Damen und Herren, ich darf wohl annehmen, daß das Hohe Haus versteht, wenn die Bundesregierung sich auf diese Antwort beschränkt. In wenigen Tagen soll vor dem obersten deutschen Gericht der von der Bundesregierung angestrengte Prozeß beginnen. Die Bundesregierung ist in diesem Verfahren Partei und möchte sich nicht den Vorwurf machen lassen, daß sie etwa für ihre Auffassung durch eine Debatte im Parlament politische Unterstützung gesucht habe.