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ID0214602600

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    2. Deutscher Bundestag — 146. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Mai 1956 7697 146. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 30. Mai 1956. Nachruf für den Abg. Naegel 7698 B Ergänzung der Tagesordnung 7698 D Mandatsniederlegung des Abg. Dr. Maier (Stuttgart) 7699 A Eintritt der Abg. Weber (Untersontheim) und Albrecht (Hamburg) in den Bundestag 7699 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. Brönner und Frau Albrecht . . 7699 A Mitteilung über Verzicht des Haushaltsausschusses auf Mitberatung der in der 133. Sitzung überwiesenen Anträge betr Straßenbauvorhaben (Drucksachen 2117 und 2123) 7699 B Beschlußfassung des Bundesrats über Gesetzesbeschlüsse des Bundestags . . . 7699 B Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Anfragen 242, 244, 246, 247, 249, 250, 252 (Drucksachen 2285, 2395; 2315, 2404; 2324, 2405; 2325, 2385; 2355, 2394; 2362, 2391; 2375, 2403) 7699 C Vorlage von Berichten über die Gewährung von Zuschüssen zur Gemeinschaftsverpflegung, über die Sozialabkommen der Brüsseler Vertragsstaaten und über die Unterzeichnung des deutsch-amerikanischen Filmabkommens (Drucksachen 2384, 2390, 2393) 7699 D Große Anfrage der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP, DA betr. Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Drucksache 2364, Umdrucke 608, 609, 610) . . . 7699 D Brandt (Berlin) (SPD), Anfragender . 7 700 A Kaiser, Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen 7705 A Dr. Mommer (SPD) 7714 D Frau Hütter (FDP) 7717 D Brookmann (Kiel) (CDU/CSU) . . 7718 B Wehner (SPD) 7720 B Lemmer (CDU/CSU) 7725 D Dr. Will (FDP) 7728 A Seiboth (GB/BHE) 7730 A Frau Kalinke (DP) 7732 D Dr. Henn (DA) 7736 B, 7738 D Dr. Lenz (Godesberg) (CDU/CSU) . . 7739 D Annahme des Antrags Umdruck 609 . . . 7740 A Ausschußüberweisungen der Anträge Um- drucke 608 und 610 7740 A Begrüßung einer Gruppe von Mitgliedern des englischen Unterhauses 7738 D Große Anfrage der Abg. Mellies, Dr. Reif, Feller u. Gen. betr. Verfassungsklage wegen des Reichskonkordats (Drucksache 2258 (neu]) 7698 C, 7740 A Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . . 7698 C Dr. Arndt (SPD), Anfragender . . . 7 740 B Dr. von Brentano, Bundesminister des Auswärtigen 7749 B Cillien (CDU/CSU) 7751 B Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) 7754 B, 7757 A Schütz (CDU/CSU) 7756 D Dr. Reif (FDP) 7757 D Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein (FDP) 7759 D Eickhoff (DP) 7762 A Dr. Schneider (Lollar) (DA) . . . 7762 C Hoogen (CDU/CSU) 7763 C Dr. Welskop (CDU/CSU) 7766 A Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Liquidation der Deutschen Reichsbank und der Deutschen Golddiskontbank (Drucksache 2327) 7766 C Überweisung an den Ausschuß für Geld und Kredit und an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen 7766 C Erste Beratung des von den Abg. Lenz (Brühl), Dr. Hesberg, Lücke u. Gen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen (Drucksache 2321) 7766 C Überweisung an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen und an den Rechtsausschuß 7766 C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Internationale Pflanzenschutzabkommen (Drucksache 2346) 7766 D Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten . . 7766 D Erste Beratung des Entwurfs einer Wehrbeschwerdeordnung (WBO) (Drucksache 2359) 7766 D Überweisung an den Ausschuß für Verteidigung und an den Rechtsausschuß 7766 D Nächste Sitzung 7766 D Anlage 1: Liste der beurlaubten Abgeordneten 7767 A Anlage 2: Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage betr. Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Umdruck 608) 7767 C Anlage 3: Antrag der Fraktionen der SPD, FDP, GB/BHE zur Beratung der Großen Anfrage betr. Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Umdruck 609) 7768 A Anlage 4: Antrag der Fraktion der FDP zur Beratung der Großen Anfrage betr. Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Umdruck 610) 7768 C Die Sitzung wird um 9 Uhr 1 Minute durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier eröffnet.
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten a) Beurlaubungen Abgeordneter beurlaubt bis einschließlich Altmaier 2. 6. Arnholz 30. 5. Dr. Atzenroth 16. 6. Dr. Bartram 31. 5. Blachstein 30. 6. Dr. Blank (Oberhausen) 30. 5. Frau Dr. Bleyler (Freiburg) 30. 5. Brese 30. 5. Dr. Brühler 16. 6. Dannebom 5. 6. Dopatka 30. 5. Dr. Eckhardt 30. 5. Frehsee 30. 5. Friese 30. 5. Frau Friese-Korn 30. 5. Gedat 30. 6. Gefeller 2. 6. Geiger (München) 30. 5. Frau Geisendörfer 9. 6. Dr. Gille 16. 6. Heiland 30. 5. Dr. Hellwig 16. 6. Dr. Horlacher 2. 6. Hübner 1. 6. Jacobi 30. 5. Jacobs 30. 5. Dr. Jaeger 9. 6. Jahn (Frankfurt) 2. 6. Kahn 1. 6. Frau Kipp-Kaule 2. 6. Koenen (Lippstadt) 2. 6. Könen (Düsseldorf) 1. 6. Dr. Kopf 30. 5. Frau Korspeter 9. 6. Kortmann 30. 5. Dr. Kreyssig 30. 5. Kroll 30. 5. Kühlthau 30. 5. Kurlbaum 30. 5. Leibfried 30. 5. Dr. Lindenberg 30. 5. Lulay 9. 6. Maucher 30. 5. Meitmann 15. 7. Merten 30. 5. Dr. Mocker 30. 5. Müller-Hermann 2. 6. Neuburger 31. 5. • Dr. Orth 30. 5. Peters 15. 7. Pöhler 30. 5. Rademacher 30. 5. Raestrup 30. 5. Rasch 4. 6. Richter 2. 6. Runge 16. 6. Dr. Siemer 30. 5. Dr. Starke 31. 7. Frau Welter (Aachen) 30. 5. Dr. Werber 30. 5. Frau Wolff (Berlin) 10. 6. b) Urlaubsanträge Dr. Dittrich 30. 6. Dr. Seffrin 30. 6. Kraft 16. 6. Metzger 9. 6. Moll 23. 6. Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 30. 6. Dr. Pferdmenges 9. 6. Siebel 9. 6. Anlage 2 Umdruck 608 (Vgl. S. 7714 D, 7740 A) Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP, DA betreffend Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Drucksache 2364). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, 1. alles zu tun - wenn nötig einseitig -, was die an der Zonengrenze aufgerichteten Grenzmauern abzutragen geeignet ist. In diesem Sinne muß der freie Verkehr aller Druckschriften über die Zonengrenze ermöglicht werden. Sollte sich ein Abkommen auf Gegenseitigkeit als unerreichbar erweisen, so soll die Bundesregierung den Bezug aller Drucksachen aus der „DDR" auf handelsübliche Weise zulassen; 2. den zuständigen Ausschüssen des Bundestages alle Gründe vorzutragen, die für und gegen eine Amnestie für politische Straftaten in der Bunresrepublik sprechen. Durch diese Amnestie könnte ein Beitrag zur Entspannung der Beziehungen der beiden Teile Deutschlands zueinander geleistet werden; 3. darauf hinzuwirken, daß auf Grund politischer Straftaten inhaftierte Personen in der Bundesrepublik in den Genuß aller Erleichterungen gelangen, die mit der Sicherung gegen Flucht vereinbar sind, und daß die Dauer der Untersuchungshaft sich in vertretbaren Grenzen hält; 4. auf diplomatischem Wege die Regierung der Sowjetunion auf die Verantwortung hinzuweisen, die sie für Verurteilte der sowjetischen Besatzungsbehörden in Deutschland hat, und die Freilassung aller dieser Gefangenen zu verlangen; 5. Wege zu erschließen und zu beschreiten, die geeignet sind, in der „DDR" zu erwirken, daß den aus politischen Gründen inhaftierten Personen alle in einem humanen Strafvollzug üblichen Erleichterungen gewährt werden und die Versorgung der Strafanstalten mit Medikamenten sichergestellt wird; 6. dem Bundestag einen Bericht über Fälle zuzuleiten, in denen von der Regierung der Sowjetunion in der Bundesrepublik lebende Personen als Sowjetbürger reklamiert werden, die angeblich an der Heimkehr gehindert werden; 7. durch den Ausbau der Treuhandstelle für den Interzonenhandel das Verrechnungswesen zur Erleichterung des Personen- und Güterverkehrs über die Zonengrenze und zur Abwicklung aller übrigen Zahlungsverpflichtungen zu normalisieren und durch die Errichtung weiterer Treuhand- stellen die Normalisierung des Personen- und Güterverkehrs zu ermöglichen und in Kultur-und Unterrichtsfragen dem Auseinanderleben der Teile Deutschlands entgegenzuwirken; 8. um diese Ziele zu erreichen, um den Zusammenhalt der Teile Deutschlands zu festigen und da- mit der Wiedervereinigung unter einer frei gewählten deutschen Regierung zu dienen und der Welt zum Bewußtsein zu bringen, daß die Teilung Deutschlands vom deutschen Volke nicht anerkannt wird, unbeschadet der vorbehaltenen Rechte und Verpflichtungen der Vier Mächte gegenüber Deutschland als Ganzem, mit den in der sowjetisch besetzten Zone bestehenden Behörden alle nötigen Besprechungen zu führen. Bonn, den 29. Mai 1956 Ollenhauer und Fraktion Anlage 3 Umdruck 609 (Vgl. S. 7714 D, 7740 A) Antrag der Fraktionen der SPD, FDP, GB/BHE zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP, DA betreffend Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Drucksache 2364). Der Bundestag wolle beschließen: Der Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen wird beauftragt, die Aufgaben, die sich aus der Großen Anfrage — Drucksache 2364 — und ihrer Beantwortung ergeben, laufend zu verfolgen und zu gegebener Zeit dem Bundestag Bericht zu erstatten. Bonn, den 29. Mai 1956 Ollenhauer und Fraktion Dr. Dehler und Fraktion Feller und Fraktion Anlage 4 Umdruck 610 (Vgl. S. 7717 D, 7740 A) Antrag der Fraktion der FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP, DA betreffend Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Drucksache 2364). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird beauftragt, darauf hinzuwirken, daß in weit größerem Umfange als bisher den jungen Menschen in der Bundesrepublik Gelegenheit gegeben wird, die besonderen Verhältnisse, die sich aus der Teilung Deutschlands ergeben, durch Reisen nach Berlin kennenzulernen. Insbesondere sollten die Abschlußklassen sämtlicher Schulen der Bundesrepublik Gelegenheit haben, die Verhältnisse in der ehemaligen Hauptstadt Deutschlands kennenzulernen. Die dazu notwendigen Gelder sind den Mitteln des Bundesjugendplanes zu entnehmen. Bonn, den 30. Mai 1956 Frau Hütter Dr. Dehler und Fraktion
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    Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren, für den Antrag Umdruck 609 ist keine Überweisung an den Ausschuß beantragt. Ich habe
    *) Siehe Anlage 3.


    (Präsident D. Dr. Gerstenmaier)

    verstanden, daß für die Anträge Umdrucke 608 und 610 Ausschußüberweisung beantragt ist.
    Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 609*). Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Dieser Antrag ist einstimmig angenommen.
    Ich komme zu dem Antrag Umdruck 608**). Hier ist Überweisung an den Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen und an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten beantragt. Wer dieser Überweisung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
    Umdruck 610***). Hier ist Überweisung an den Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen, an den Auswärtigen Ausschuß und an den Ausschuß für Jugendfragen beantragt. Wer der Überweisung des Antrags Umdruck 610 an diese drei Ausschüsse zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
    Damit ist der Punkt 1 der heutigen Tagesordnung erledigt.
    Ich rufe auf Punkt 2:
    Große Anfrage der Abgeordneten Mellies, Dr. Reif, Feller und Genossen betreffend Verfassungsklage wegen des Reichskonkordats (Drucksache 2258 [neu]).
    Zur Begründung der Großen Anfrage hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Arndt.
    Dr. Arndt (SPD), Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer Konkordatsdebatte des Reichstages hat der Sprecher der Bayerischen Volkspartei eine damals seltsame Berner-kung gemacht. Der Abgeordnete Dr. Pfleger äußerte, vielleicht könne die Zeit wiederkommen, wo auch Angehörige der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in einem bischöflichen Palais um Schutz für ihre Person nachsuchen. Das war am 17. Juni 1925. Nur wenige Jahre später bot auch ein bischöfliches Palais keinen sicheren Schutz mehr. Da wurden katholische Geistliche um ihres Glaubens willen und sozialdemokratische Politiker wegen ihrer sittlichen Überzeugung auf dieselbe Weise von den gleichen Henkersknechten in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern gemartert und hingemordet. Vor dem Schwurgericht am Sitz dieses Bundestages wird sich in nächster Zeit ein SS-Mann zu verantworten haben, von dessen Hand der katholische Geistliche und Zentrumsabgeordnete Professor Schmittmann und der sozialdemokratische Chefredakteur Dr. Lothar Erdmann einen qualvollen Tod erlitten.
    Ich stelle diese geschichtliche Erfahrung an den Anfang meiner Rede als ein Mahnmal, weil das Vermächtnis der Opfer im gemeinsamen Leiden und Sterben uns die Aufgabe, gemeinsam zu leben, verpflichtender stellt als je zuvor. Ich beginne damit, diese schmerzliche Erinnerung heraufzubeschwören, aber auch deshalb, weil zu befürchten ist, daß ihre Lehren allzu flüchtig einem unverantwortlichen Vergessen zu verfallen drohen. Nach 1945 ist zwar die Zusammengehörigkeit der katholischen und evangelischen Kirche, leider allerdings nicht immer aus dem richtigen Blickwinkel und aus
    *) Siehe Anlage 3. **) Siehe Anlage 2. ***) Siehe Anlage 4.
    einer zweckfreien Unparteilichkeit, viel berufen worden. Kaum jedoch hat man sich ein Gedächtnis dafür bewahrt, daß es in Deutschland eine Vielheit sittlicher Konfessionen gibt und das kostbare Erbe jener gemeinsamen Not nicht nur ein neues Verständnis zwischen den Kirchen, sondern auch das Bewußtsein der Verbundenheit zwischen Christen und Humanisten sein sollte, um die Freiheiten des Glaubens und des Denkens als die unteilbare Gewissensfreiheit des Geistes gegenseitig anzuerkennen.
    Ich stelle jene schreckliche Heimsuchung uns und nicht zuletzt mir selber auch deshalb vor Augen, weil sie uns gebietet, über eine Frage, die, wie die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Staat und den Kirchen, die Gewissen bewegt, mit Ehrfurcht einander zu begegnen. Einander mit Ehrfurcht begegnen heißt hier — um dies eindeutig auszusprechen — nicht nur, daß die unter uns, die katholischen Glaubens sind, das Recht auf Ehrfurcht vor ihrem Bekenntnis zu beanspruchen haben, sondern daß ebenso die unter uns, die eine andere Konfession haben, auch die Humanisten, die nicht an die Botschaft einer der christlichen Kirchen glauben können, Ehrfurcht vor ihren sittlichen Überzeugungen erwarten dürfen. Erst diese Ehrfurcht in der Gemeinschaft der Mitmenschlichkeit ermöglicht es, sich frei über eine so tiefgreifende Frage wie den Streit um das Reichskonkordat auszusprechen. Doch sie stellt uns auch unter das Gebot der Wahrhaftigkeit, die ernstlichen Sorgen, die manch einen in unserem Volk und hier im Bundestag beunruhigen, in aller Offenheit auszusprechen.
    Diese Sorgen sind durch die Konkordatspolitik der Bundesregierung oder wahrscheinlich richtiger gesagt die Kanzlerpolitik in der Konkordatsfrage hervorgerufen. Gegenstand der Großen Anfrage ist darum nicht eigentlich das Reichskonkordat, schon gar nicht die Notwendigkeit oder das allseits als wünschenswert anzuerkennende Ja zu einem guten Einvernehmen zwischen dem deutschen Bundesstaat, seinen Ländern und der katholischen Kirche. Gegenstand der Großen Anfrage ist vielmehr die Art und Weise, wie die Regierung diese Frage behandelt und wie die Regierung sich den Ländern gegenüber auf das Konkordat berufen, es auslegen und innerstaatlich anwenden will.
    Die erste Frage ist deshalb die Frage nach der Verantwortlichkeit für die beim Bundesverfassungsgericht erhobene Konkordatsklage. Ist diese Klage von der Bundesregierung beschlossen oder beruht sie auf einem einsamen Entschluß des Kanzlers? Wenn die Bundesregierung meinte, daß Zweifel bestünden, ob das niedersächsische Schulgesetz als Landesrecht mit einem, wie die Bundesregierung behauptet, aus dem Konkordat abzuleitenden Bundesrecht vereinbar sei und wenn dann die Bundesregierung auf den unseligen Gedanken eines gerichtlichen Prozesses verfiel, warum hat sie nicht zuerst den in Betracht kommenden Weg des Normenkontrollantrags gewählt statt des Umweges, aus der Behauptung einer Bundesaufsicht die Bundestreue eines Landes anzuzweifeln? Ist sich die Bundesregierung bewußt, daß dieser auffallende Umweg, der zu keiner gesetzeskräftigen Entscheidung über die Vereinbarkeit niedersächsischen Landesrechts mit behauptetem Bundesrecht führen kann, sondern die Bundestreue zum Gegenstand des Streites macht, abermals die so bedenkliche Vermutung wecken könnte, als hätte die Bundesregierung nicht zu beiden Senaten des Bundes-


    (Dr. Arndt)

    verfassungsgerichts das unbedingt gleiche Vertrauen? Und erkennt die Bundesregierung nicht, daß auf diesem Umwege die unabsehbare Frage aufgerollt wird, wie es dann um die Gültigkeit wesentlicher Verfassungsbestimmungen auch der meisten anderen Bundesländer steht? Und weshalb hat die Bundesregierung niemals, und zwar weder vor dem Bundestag noch vor dem für Fragen der Bundesaufsicht besonders zuständigen Bundesrat, in einer Regierungserklärung zu einer so fundamentalen Frage Stellung genommen, auch um durch eine parlamentarische Debatte den Stand der Meinungen zu erkunden? Die Bundesregierung ist dem Bundestage politisch verantwortlich. Sie hätte deshalb einen Schritt, der schlechthin das bundesstaatliche Gefüge berührt, nicht tun sollen, ohne zuvor das Parlament zu unterrichten, sich mit dem Parlament darüber auszusprechen und seinen Willen zu beachten. Ja, die Bundesregierung durfte diesen Schritt überhaupt nicht tun, weil das Grundgesetz in seinem Art. 84 aus guten Gründen zwingend vorschreibt, daß in Fragen der Bundesaufsicht vor einer Entscheidung eine politische Instanz, der Bundesrat, angerufen werden muß und seine guten Dienste in Anspruch zu nehmen sind, bevor der Gerichtsweg beschritten werden darf. Die Art, wie diese Klage begonnen und geführt wurde, ist leider ein weiterer Beweis für das frostige Verhältnis der Bundesregierung zu den anderen Verfassungsorganen. Gerade in diesem Fall wäre es nicht nur ein verfassungsrechtliches Gebot, sondern auch ein Erfordernis des politischen Taktes gewesen, eine Verständigung mit Hilfe der guten Dienste des Bundesrates zu suchen, bevor der diffamierende Vorwurf der Bundesuntreue erhoben wurde.
    Eine weitere Frage ist die, ob die Bundesregierung glaubt, daß ein Gerichtsverfahren über die Bündnistreue des Landes Niedersachsen das geeignete Mittel ist, um zur Verständigung über das jedermann angehende Anliegen des religiösen Friedens zu kommen, obgleich ihr bekannt war, wie gegensätzlich die Meinungen zum Reichskonkordat sich schon im Parlamentarischen Rat gegenüberstanden.
    Ich will hier gleich auf die Möglichkeit eines Scheinargumentes eingehen, dessen Gebrauch die Diskussion nicht fördern würde. Ich meine den Einwand, daß doch auch die Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Wiederbewaffnung von der Minderheit des Bundestages vor das Bundesverfassungsgericht gebracht wurde. Jene Streitigkeiten sind geführt worden, ehe die strittigen Verträge in Kraft traten, und dienten der rechtlichen Forderung, daß die einfache Mehrheit zu einer Entscheidung in der Bewaffnungsfrage nicht ausreiche, sondern erst eine qualifizierte Mehrheit des Parlaments, also allein die verfassungändernde Mehrheit dazu legitimiert sei. Die Konkordatsklage dagegen ist unter Ausschaltung des Bundestages und unter Ausschaltung des Bundesrates erhoben worden und zielt umgekehrt darauf ab, daß eine Fortgeltung des Reichskonkordats keiner parlamentarischen, ja überhaupt keiner demokratischen Legitimation bedürfe. Der Sinn der Wehrklage war es, darüber Gewißheit zu schaffen, daß die Verfassung als die Grundordnung durch die Verträge nicht verletzt werde. Die Konkordatsklage droht aber gerade die Verfassung und das in ihr als unverbrüchlich gewährleistete demokratische Prinzip in Frage zu stellen, wenn sie auf der Ansicht beruhen und zu dem Ergebnis führen sollte, wie es, um nur ein Beispiel zu nennen, Herbert Groppe in seinem soeben erschienenen Buch über das Reichskonkordat in die Worte zusammengefaßt hat — ich zitiere wörtlich —: „Die Bestimmungen des Reichskonkordates gehen allen Gesetzen des Bundes und der Länder und auch den Bestimmungen des Grundgesetzes uneingeschränkt voran."
    Daher fragen wir die Bundesregierung, ob auch sie diese Auffassung vertritt und wie sie der Gefährdung des demokratischen Gedankens begegnen will, die daraus erwächst, daß eine aus Hitlers angeblichem Führertum getroffene Entscheidung für alle Zeiten die in freier Selbstbestimmung geschaffene demokratische Grundordnung überlagern soll. Es geht dabei in erster Linie gar nicht um eine Rechtsfrage, die verbindlich zu entscheiden ein Parlament ohnehin nicht berufen wäre, sondern um Fragen ganz anderer Art, einmal die Frage nach der Legitimität unserer inneren Ordnung und zum anderen um die politische Frage, warum die Bundesregierung es bisher unterließ, in Verhandlungen mit dem Heiligen Stuhl unter Beteiligung der Länder eine solche Verständigung zwischen dem deutschen Staat und der Katholischen Kirche anzubahnen, die das demokratische Prinzip des Grundgesetzes wahrt, die den geschichtlichen und verfassungsrechtlichen Wandlungen gerecht wird und die wieder dem Erfordernis der Parität zwischen der Katholischen und der Evangelischen Kirche genügt.
    Die Kritik, die ich am Verhalten der Bundesregierung zu üben habe, richtet sich somit dagegen, daß sie insbesondere durch ihre Klage eine Gestaltungsaufgabe als ein vermeintlich bloß juristisches Problem behandelt, das es nicht oder mindestens nicht nur ist, weshalb die viel umstrittene Frage nach der Gültigkeit des Reichskonkordats vielleicht überhaupt eine falsch gestellte Frage ist oder ihr jedenfalls nicht die ihr beigemessene Bedeutung zukommt.
    Es läßt sich aber voraussehen, daß sich die Bundesregierung auf die Linie, die ja bekannt ist, zurückziehen wird, das Reichskonkordat sei ein völkerrechtlicher Vertrag und als solcher gültig abgeschlossen, weshalb es ein Erfordernis der Vertragstreue und aus dem gesamtdeutschen Gesichtspunkt eine Notwendigkeit sei, daran festzuhalten.
    Ich wiederhole, daß diese Betrachtungsweise die eigentlichen Fragen umgeht und die Aufgaben einer Konkordanz zwischen der Verfassungsordnung des Bonner Grundgesetzes und der Kurie nicht lösen kann. Aber diese von der Bundesregierung zu erwartende Antwort zwingt dazu, das Unzulängliche eines solchen Standpunktes aufzuzeigen. Dabei wird es sich zu meinem Bedauern nicht vermeiden lassen, auf die rechtliche Seite des Problems einzugehen, wie wenig fruchtbar eine juristische Erörterung hier auch sein mag.
    In diesem Zusammenhang ist zunächst die Behauptung als unzutreffend zurückzuweisen, daß im Reichskonkordat der Sache nach lediglich die schon von der Weimarer Republik in Aussicht genommenen oder abgesprochenen Regelungen niedergelegt seien. Meine Damen und Herren, es ist überhaupt schlimm, daß in dem wuchernden Schrifttum ständig so viele Behauptungen verbreitet werden, die keinerlei Grundlage in der Geschichte haben. Insbesondere sollte man sich dabei nicht auf Reichspräsident Friedrich Ebert berufen.


    (Dr. Arndt)

    Wer Ebert zitiert, muß ihn vollständig zitieren. Gewiß hat Friedrich Ebert, als ihm der Apostolische Nuntius Monsignore Pacelli sein Beglaubigungsschreiben überreichte, am 30. Juni 1920, von der Aufgabe gesprochen, das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in Deutschland neu zu regeln. Aber Ebert fügte wörtlich hinzu: Das soll geschehen auf Grund der Verfassung der Republik, die vollste Gewissensfreiheit verbürgt. Das darf man nicht fortlassen. Das Reichskonkordat ist jedoch nicht auf der Grundlage der Weimarer Reichsverfassung abgeschlossen, mit deren Schulartikel es in Konflikt geraten kann; es ist nicht einmal in dem parlamentarisch-demokratischen Verfahren jener Reichsverfassung ratifiziert worden.
    In einer Rede vom 2. Juni 1945 hat Papst Pius XII. selber ausgesprochen, daß bei Abschluß des Konkordats 1933 für die Kirche auch der Gedanke maßgebend war, daß aus ihrer Sicht die Weimarer Reichsverfassung keine ausreichende Gewähr für die Rechte der Katholiken bot. Also wird das Konkordat insoweit über jene Verfassung hinausgegangen sein.
    Es trifft ferner nicht zu, daß bloß die innere Schwäche der Weimarer Republik es nicht zum Konkordatsabschluß habe kommen lassen. Die Reichstagsdebatte von 17. Juni 1925 sowie der Widerspruch aus Kreisen der Evangelischen Kirche lassen keinen Zweifel daran, daß in der Sache selbst damals unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten bestanden.
    Seit dem Abschluß des bayerischen und insbesondere — 1929 — des preußischen Konkordats ist es deshalb nach dem Jahre 1927 schon zu keiner Erörterung der Konkordatsfrage im Reichstag mehr gekommen. Auch soweit man, damals — wie das Auswärtige Amt und das Reichswehrministerium — ein Reichskonkordat für erstrebenswert hielt, das von der Zentrumspartei und der Bayerischen Volkspartei gefordert wurde, ist für die damalige politische Lage ein Aktenvermerk des Auswärtigen Amts vom 17. Juli 1926 kennzeichnend, worin es wörtlich heißt:
    Daß der Inhalt eines Reichskonkordats sich von dem unlängst abgeschlossenen bayerischen Konkordat wesentlich würde unterscheiden müssen, ist bei allen einschlägigen Erwägungen die selbstverständliche Voraussetzung.
    Schließlich hat der Sachbearbeiter im Auswärtigen Amt, der Vortragende Legationsrat Dr. Menshausen, durch einen Aktenvermerk vorn 5. April 1933 niedergelegt, daß sich nach der Zusammensetzung des Reichstags vor 1933 zwei Hauptanlieren der Kurie als undurchführbar erwiesen, nämlich die Änderung des § 67 des Personenstandsgesetzes und vor allem die Bindung des Reichs an die Länderkonkordate. Ehe Hitler die Macht an sich riß, hieß es demgemäß in der Antwortnote der Reichsregierung auf das Promemoria des Päpstlichen Kardinalstaatssekretärs vom 26. Oktober 1932 betreffend Militärseelsorge, daß die Reichsregierung keine Zusage für ein Reichsschulgesetz, das zu den Landeskonkordaten nicht in Widerspruch stehe, werde geben können, und es wurde hinsichtlich des Wunsches nach Sicherung der konfessionellen Schule darauf verwiesen, daß Art. 146 der Weimarer Reichsverfassung eine für alle gemeinsame Grundschule vorsehe.
    Das Reichskonkordat 1933 ist unter gänzlich anderen Voraussetzungen abgeschlossen und hat
    einen völlig anderen Inhalt, als es je zur Weimarer Zeit in Betracht gekommen war. Diesen Voraussetzungen und diesem Inhalt wird eine rein formale Betrachtungsweise nicht gerecht, die unabhängig vom Gehalt des Konkordats, ohne Rücksicht darauf, was gelten soll und unter welchen Umständen es gelten soll, in der Frage der Gültigkeit scheinbar juristisch rein auf den Akt des Versprechens, die Ratifikation, und auf die rechtliche Befugnis dazu abstellen will. Der Art. 123 des Grundgesetzes, an dem man nicht deuteln sollte, hat seinem Wortlaut nach und ausweislich des von dem Herrn Abgeordneten Dr. von Brentano dazu erstatteten Berichts die Frage offengelassen, also deklariert, daß das Grundgesetz sie nicht entscheiden wolle. Deshalb sollte man auch jetzt nicht eine „Bestandsgarantie" bundesverfassungsrechtlicher Art in den Art. 123 hineingeheimnissen.
    Infolgedessen ist man auf das Jahr 1933 zurückgegangen und hat den Standpunkt verfochten, daß Hitler zu seinem Vorgehen ermächtigt gewesen sei, jedenfalls aber der Ratifikation des Konkordats als einem Versprechen durch den Reichspräsidenten die Kraft völkerrechtlicher Verbindlichkeit zukomme. Es wäre verständlich und der Untersuchung wert, wenn die Bundesregierung allein das Zweite geltend machen würde, geltend machen würde, daß nach völkerrechtlichen Grundsätzen der andere Partner, die Kurie, nicht gehalten war, die innerstaatliche Rechtmäßigkeit zu prüfen, und sich auf die Ratifikation durch den Reichspräsidenten verlassen durfte. Darauf werde ich noch zu sprechen kommen. Aber es ist nicht verständlich und für eine demokratische und rechtsstaatliche Regierung — ich bedauere, das sagen zu müssen — nicht angemessen, daß sie vor dem Bundesverfassungsgericht die angebliche Gültigkeit des Ermächtigungsgesetzes vom 24. März 1933 zu verteidigen sucht. Abgesehen davon, daß nach dem Urteil des Staatsgerichtshofs vom 25. Oktober 1932 die sieben Stimmen Sachsens und die dreizehn Stimmen Preußens im Reichsrat verfassungswidrig von angeblichen Reichsbeauftragten abgegeben wurden und somit schon die verfassungändernde Mehrheit im Reichsrat nicht erreicht wurde, ist der mit unmittelbarer Gefahr für Leib und Seele erpreßte Beschluß eines von Hitlers Bürgerkriegshorden umzingelten Reichstags null und nichtig,

    (Sehr gut! hei der SPD)

    eines Reichstags, aus dessen Mitte zahlreiche Mitglieder durch verfassungswidrige Freiheitsberaubung am Reden und am Abstimmen verhindert wurden.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    An jenem angeblichen Gesetz klebt so viel Schmutz und Blut, daß es unmöglich ist, sich darauf zu berufen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wenn in unseren Tagen jetzt einige Juristen sogar behaupten wollen, jenes angebliche Gesetz habe die „allgemeine Anerkennung" gefunden, so kommt diese Verirrung einem geschichtsfälschenden Bekenntnis zur Kollektivschuld gleich.
    Zu Argumentationen solcher Art kann sich nur ein Fanatismus versteigen, der die Auseinandersetzung leider ungeheuer erschwert.
    Es gibt bedauerlicherweise im deutschen Schrifttum wenige ernstliche Erörterungen über die Wirksamkeit des sogenannten Ermächtigungsgesetzes vom 24. März 1933. Immerhin haben Hans Nawiasky


    (Dr. Arndt)

    und Claus Leusser in ihrem Kommentar zur bayerischen Verfassung die Gültigkeit jenes angeblichen Gesetzes mit überzeugenden Gründen verneint.
    Im übrigen stützte Hitler die von ihm behauptete Macht zu einem solchen Konkordat und die geheime Art seines Abschlusses gar nicht auf das sogenannte Ermächtigungsgesetz, sondern auf seinen totalitären Führungsanspruch, den er aus jenem gewaltsamen Vorgang ableitete, den er die „nationale Revolution" nannte, einem Staatsstreich, der vom deutschen Volke niemals freiwillig gutgeheißen ist, sondern der in einer Abschaffung des Rechts bestand, die dem entmündigten Volke durch Geheime Staatspolizei, SS und Konzentrationslager zwölf Jahre lang vorübergehend aufgezwungen wurde.
    Meine Damen und Herren! Ich glaube sagen zu dürfen und dankbar anerkennen zu können, daß die Kurie, die man hier vor dem Übereifer einiger ihrer Freunde schützen muß, sich zum sogenannten Ermächtigungsgesetz niemals geäußert hat. Die Kurie hat zu keiner Zeit den Nationalsozialismus anerkannt. Insbesondere ist der damalige Kardinalstaatssekretär und gegenwärtige Papst Pius XII. so in Liebe mit Deutschland verbunden, daß für ihn die nationalsozialistischen Machthaber nie und nimmer Deutschland bedeuten konnten. Die Kurie selber hat den Konkordatsabschluß stets von einer ganz anderen Seite gesehen. In seiner Enzyklika „Mit brennender Sorge" hat Papst Pius XI. bereits am 14. März 1937 bekanntgegeben, daß die katholische Kirche sich den Entschluß zum Reichskonkordat nur „trotz mancher schwerer Bedenken" abgerungen hat. Sie wollte den Katholiken in Deutschland — ich zitiere wörtlich -
    im Rahmen des Menschenmöglichen die Spannungen und Leiden ersparen, die andernfalls unter den damaligen Verhältnissen mit Gewißheit zu erwarten gewesen wären.
    Dieses Selbstzeugnis aus berufenstem Munde hat den Rang einer authentischen Interpretation zu beanspruchen, anders als das Selbstlob Papens und eines Kreises um ihn, der dem Nationalsozialismus verfallen war.
    Die innere Gesetzlichkeit der Kirchen ist anders als jene aus der Welt der Staaten. Die Kurie konnte einer Begegnung nicht ausweichen, als Hitler eine Friedensbereitschaft heuchelte. Die Kurie hat das Konkordat als eine Notmaßnahme getroffen in einer Zeit, da zahlreiche Geistliche sich in widerrechtlicher Haft befanden und vielfach Diözesanvermögen rechtswidrig beschlagnahmt war.
    Auf den Notstand dieser außerordentlichen Lage ist im Art. 32 des Konkordats ausdrücklich abgehoben, der die damals aktuellen und besondersartigen Umstände in Deutschland als eine Voraussetzung anspricht. Weder diesen geschichtlichen Voraussetzungen noch dem eigentümlichen Charakter eines Konkordats wird es gerecht, wenn man es als irgendeinen völkerrechtlichen Vertrag klassifizieren und sich in der Frage seiner Geltung oder Fortgeltung formal auf den Ratifikationsakt stützen wollte.
    Die Konkordatsakten des Auswärtigen Amtes ergeben, daß man seitens der deutschen Unterhändler die Übereinkunft als Vertrag benennen wollte, aber auf Verlangen des damaligen Kardinalstaatssekretärs Msgr. Pacelli das Wort Vertrag aus dem Entwurf gestrichen werden mußte. Der „Osservatore
    Romano" kommentierte denn auch das Konkordat offiziös dahin, daß es tatsächlich und rechtlich auf der Grundlage des Codex iuris canonici zustande gekommen sei.
    Eine parlamentarische Erörterung eignet sich jedoch kaum dazu, die Unterschiede der Vertragstheorie, der Legaltheorie und der Privilegientheorie im einzelnen auseinanderzusetzen. Ich halte diese Doktorfrage nach dem rechtstheoretischen Charakter eines Konkordats im Ergebnis sogar für unerheblich; denn so oder so wird man zu dem gleichen Ergebnis kommen müssen, zumal keine der verschiedenen Theorien leugnen kann, daß Konkordate eben etwas unvergleichlich Besondersartiges sind.
    Es genügt, zu sagen, daß ein Konkordat weder zwischen gleichartigen Partnern wie ein völkerrechtlicher Vertrag unter Staaten abgeschlossen wird noch es sein Sinn sein kann, durch den Formalakt der Ratifikation eine Schuldbeziehung im Außenverhältnis zwischen zwei Souveränen zu begründen. Ein Konkordat wird vielmehr seinem Wesen nach dadurch geschaffen oder zumindest verwirklicht, daß Staat und Kirche nebeneinander, ein jeder aus eigenem Recht und auf seine Weise, einen konkordatären Status im Innern herbeiführen, weshalb sowohl das kircheneigene oder kanonische Recht einerseits als auch die Staatsverfassung oder das für jedermann gleiche Recht des Staates andererseits unlösbar zu den Geltungsgrundlagen eines Konkordats mit gehören.
    Wie wenig sich die Kategorie des völkerrechtlichen Vertrages, Staatsvertrages ohne weiteres dazu eignet, ein Konkordat zu erklären, wird einsichtig, wenn man bedenkt, daß es für die Römisch-Katholische Kirche dogmatisch unmöglich ist und sein muß, sich dem Schiedsspruch einer übergeordneten Stelle, die undenkbar ist, zu unterwerfen oder die Zulässigkeit von Sanktionen einzuräumen oder über ihre Glaubenssätze oder ihr eigenes Recht als Leistung durch einen Vertrag zu verfügen. In Übereinstimmung mit dem kanonischen Recht, das ein Konkordat als partikulare Form der päpstlichen Rechtsetzung definiert, umschreibt der am Abschluß des Reichskonkordats maßgeblich beteiligte Kurienkardinal Ottaviani den konkordatären Vorgang einerseits als Privilegien, die von der Kirche gewährt werden, und andererseits als Verpflichtungen, die der Staat anerkennt.
    Der dogmatisch unlösbare Konflikt zwischen den Strukturen staatlichen und kirchlichen Rechts ist die Quelle des bitteren Wortes: „Concordatum est mater rixarum". Aber wir bringen diesen Spruch, daß ein Konkordat die Mutter der Zwistigkeiten sei, nur dadurch zum Verstummen, daß wir den verfehlten Versuch unterlassen, Geltungsgrund und Geltungsgrenze eines Konkordats als eine Frage völkerrechtlicher Vertragstreue zu ideologisieren, sondern aus der Erkenntnis des Wesens des Konkordats und seiner Geschichte anerkennen, daß die Verbindlichkeitsfrage befriedigend nur im Rahmen des für alle gleichen Staatsgesetzes, also nicht losgelöst von der Verfassungsordnung im Staate, zu behandeln ist.
    Auch das polemische Schrifttum, das sich gegenwärtig eine Verteidigung des Reichskonkordats angelegen sein läßt, kann sich zuletzt dieser Einsicht nicht verschließen, indem es, wie z. B. wiederum Herbert Groppe — aber ich könnte auch eine Reihe anderer nennen —, dies in die Formel kleidet, die clausula rebus sic stantibus sei, wie es wörtlich


    (Dr. Arndt)

    heißt, ein „stets wesentlicher Bestandteil eines jeden Konkordats", eine Auffassung übrigens, die im kanonistischen Rechtsschrifttum wohl unbestritten ist.
    Dieser entscheidende Charakter eines Konkordats, der den Formalakt der Ratifikation als Geltungsgrund unzureichend erscheinen läßt, dieser Charakter eines Konkordats als eines mit dem zugehörigen Bestand der innerstaatlichen Ordnung unlösbar verknüpften Regimes findet seine Ausprägung auch darin, daß, anders als der Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrages, ein Konkordat niemals die Anerkennung de jure der jeweiligen Herrschaftsform im Staate bedeutet, auch wenn das Reichskonkordat als eine angebliche Anerkennung von den Nationalsozialisten propagiert und leider damals auch weitgehend so mißverstanden wurde. Es ist, um ein Beispiel aus der Gegenwart zu nehmen, eine selbstverständliche Prärogative der Kirchen, eben weil sie keine Staaten sind und nicht völkerrechtlich handeln, daß sie auch in Beziehung zu den illegalen Machthabern im sowjetisch kontrollierten Teil Deutschlands stehen können. Die Beziehung zwischen einer Kirche und Pankow ist keine im völkerrechtlichen Sinne diplomatische und präjudiziert nichts weniger als eine Anerkennung de jure, woraus mit Notwendigkeit umgekehrt folgt, daß irgendeine Übereinkunft zwischen einer Kirche und dem Pankower Machtgebilde, wenn es eine solche Übereinkunft gäbe, ihre Voraussetzungen nicht überdauern kann oder gar eine künftige gesamtdeutsche Verfassung zu überlagern imstande wäre. Für ein Konkordat ist die innerstaatliche Ordnung oder auch die bloße Macht im Staate eine Voraussetzung, die kirchlicherseits nicht anerkannt, aber, um einen völkerrechtlichen terminus technicus zu gebrauchen, hingenommen wird, weil die Kirchen von ihren inneren Pflichten nicht durch die jeweilige Machtgestaltung im Staate entbunden werden können. Auf dieser Hinnahme jener innerstaatlichen Verhältnisse als staatseigenem Geltungsgrund der Übereinkunft beruht die Konkordanz, zumal da sie sich anders gar nicht erzielen ließe, so daß einer der unerläßlichen Geltungsgründe entfällt, wenn die hingenommene Voraussetzung untergeht. Das Reichskonkordat ist hierfür ein Beispiel, weil es von der Hinnahme des politischen Monopols der NSDAP ausging und ausgehen mußte. Es wäre für die Kurie unzumutbar und mit unserem freiheitlichen rechtsstaatlichen Denken nicht zu vereinbaren, wollte man staatlicherseits die Kurie auf die Artikel 31 und 32 des Reichskonkordats festlegen. Diese in ihrer Bedeutung und Tragweite weitgehend unbekannten Artikel sind, wie aus den Akten des Auswärtigen Amts dokumentarisch hervorgeht, auf der Grundlage zu verstehen, daß die Kurie in eine dauernde Auflösung der Zentrumspartei als einer in ihrem Sinne christlichen Partei, in die Auflösung der christlichen Gewerkschaften und in die grundsätzliche Überführung aller ihrer Laienvereinigungen in die gleichgeschalteten staatlichen Verbände einwilligte und nicht zuletzt in das, was die Akten als Entpolitisierung der katholischen Geistlichkeit bezeichnen, auch in das Verbot einer als katholisch gekennzeichneten Presse.

    (Abg. Albers: Die christlichen Gewerkschaften waren doch keine katholischen Organisationen!)

    — Ja, das weiß ich wohl, aber in die Auflösung
    der christlichen Gewerkschaften wurde eingewilligt. Ich werde Ihnen das gleich noch im einzelnen belegen, Herr Kollege Albers.
    Würde man, was mir irrig erscheint, das Reichskonkordat als einen gegenseitigen Vertrag des Völkerrechts auffassen wollen, so lag in diesem bis zum Äußersten gehenden Verzicht der Kirche auf ihren Öffentlichkeitsanspruch die Gegenleistung für Hitlers keineswegs eindeutige Zusagen besonders in der Schulfrage, die von der Machtbehauptung eines Parteimonopols über den Staat und seine Schulen aus gegeben wurden. Als ein völkerrechtlicher Vertrag hätte das Konkordat somit seine Wechselseitigkeit verloren. Es ist ein Unglück für uns alle, daß die Diskussion in der Konkordatsfrage sich mit wachsendem Eifer auf beiden Seiten zu einem Streit um die Schulartikel versteift hat, während das Gespräch, dessen Ziel eine neue Konkordanz sein sollte, nüchtern und unbefangen damit zu beginnen hat, die geschichtliche Wahrheit über die Gesamtheit jener Notmaßnahme, die das Reichskonkordat war, zu erforschen. Im Mittelpunkt des Ringens um diese Notmaßnahme stand notgedrungen damals die Frage, welcher konkordatäre Status im Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und dem von einer Monopolpartei beherrschten totalitären Machtgebilde aus der Hinnahme jener innerstaatlichen Zustände zu folgern sei. Einige Zitate aus den Dokumenten mögen dies belegen.
    In einem Schreiben Papens vom 26. Mai 1933 an den deutschen Botschafter beim Heiligen Stuhl, Dr. von Bergen, heißt es u. a. wörtlich:
    Der springende Punkt wegen des Zustandekommens unserer Vereinbarungen wird vermutlich Art. 31 sein.... Es scheint mir auch völlig falsch zu sein, die Zentrumspartei als solche konservieren zu wollen, und ... Parteien im Sinne des liberalen Denkens der vergangenen Epoche werden schon deshalb keinen Raum mehr haben, weil Koalitionen oder Mehrheitsbeschlüsse in Zukunft undenkbar sind.
    Soweit Papen an von Bergen. Die hier als Art. 31 bezeichnete Bestimmung des Entwurfs ist, wie sich noch zeigen wird, aus bemerkenswerten Gründen dann als Art. 32 in den ratifizierten Text eingegangen. Es ist die Klausel der Entpolitisierung.
    Am 31. Mai läßt Papen durch den Sachbearbeiter im Auswärtigen Amt, Vortragenden Legationsrat Dr. Menzhausen, an den geheimen Unterhändler in Rom, den ehemaligen Vorsitzenden der Zentrumsfraktion, Prälat Kaas, nach Rom telegraphieren:
    Ohne Annahme unseres Standpunktes in Art. 31 scheint mir indessen Vertragswerk undurchführbar. Empfehle Stellungnahme Fuldaer Konferenz, gegebenenfalls auch telegraphisch einzuholen, sofern dortige Entscheidung davon abhängig gemacht wird.
    Am 1. Juni läßt Botschafter von Bergen über das Auswärtige Amt Papen benachrichtigen —
    wörtlich —:
    daß wir meiner Ansicht nach an der Forderung einer möglichst weitgehenden Entpolitisierung der Geistlichkeit unbedingt festhalten sollten, selbst auf die Gefahr eines Scheiterns der Verhandlungen. Die Forderung ist sachlich begründet und angesichts der sehr großen staatlichen Konzessionen durchaus gerechtfertigt.


    (Dr. Arndt)

    Am 16. Juni läßt Papen an Botschafter von Bergen telegraphieren:
    Meine Reise hat aber nur dann Zweck, wenn seitens Vatikan unseren Wünschen Art. 31 Genüge geleistet wird. Bitte dies bei Kardinalstaatssekretär festzustellen.
    Am 23. Juni läßt Papen abermals an Bergen telegraphieren:
    Art. 31 hält Kanzler daran fest, daß Geistlichen jede politische Tätigkeit zu untersagen sei, also nicht nur Ausübung besonderer Ämter in politischen Parteien.
    Ich darf eine Zwischenbemerkung machen. Es wird immer so getan, als ob der Art. 32 lediglich bedeute, daß Geistliche nicht die Mitgliedschaft in einer politischen Partei erwerben dürfen. Nein, er bedeutete nach den damaligen Vertragsverhandlungen und den Dokumenten des Auswärtigen Amts die völlige Entpolitisierung und den Verzicht auf den Öffentlichkeitsanspruch, soweit das überhaupt möglich ist.
    Am 2. Juli bezeichnet Papen aus Rom in einem Schreiben unmittelbar an Hitler den Entwurfsartikel 31 als den wichtigsten und erläutert eingehend den darin ausbedungenen Rückzug der Kirche aus dem Vereinsleben, damit, wie er sich ausdrückt, in Zukunft eine ganz klare Scheidung zwischen den Vereinen herbeigeführt werden könne, die wirklich religiösen Zwecken dienten, und denen, die der Staat auf Grund der nationalsozialistischen Auffassung in seine Obhut nehmen müsse.
    Am 3. Juli berichtete Botschafter von Bergen an Neurath:
    Der frühere Art. 31 wurde mit Art. 32 aus taktischen Gründen vertauscht, um die Diskussion über die für den Vatikan sehr peinliche Frage der Entpolitisierung der Geistlichkeit an die letzte Stelle zu bringen und die Kurie vor die schwierige Entscheidung zu stellen, ob sie es würde verantworten können, alle in den früheren Artikeln mühsam erreichten Zugeständnisse wegen des Art. 32 zu opfern. Tatsächlich hat sie zum Schluß diesen bitteren Artikel geschluckt.
    Soweit Botschafter von Bergen an Reichsaußenminister von Neurath.
    Am selben Tag telegraphierte Botschafter von Bergen an Neurath:
    Kanzler wird morgen mit Ihnen Konkordat besprechen. Art. 31 Abs. 2 befriedigt ihn anscheinend nicht. Dieser Artikel ist aber entscheidend für Gesamtwerk. Formulierung „sofern sie Gewähr dafür bietet" gibt dem Staat jede Möglichkeit, von sich aus festzustellen, daß Gewähr nicht gegeben. Außerdem wird Kurie keinerlei politische Vereine mehr dulden.
    Ebenfalls noch am gleichen 3. Juli telegraphierte Bergen „ganz geheim" an Neurath persönlich:
    In Verhandlungen, die ich heute abend mit Pacelli, Erzbischof Gräber und Kaas hatte, ergab sich, daß Auflösung Zentrumspartei mit Abschluß Konkordats hier als feststehend betrachtet und gebilligt wird.
    In der entscheidenden Kabinettssitzung am 14. Juli 1933 erklärte Hitler dann nach dem Protokoll wörtlich,
    daß mit dem Konkordat sich die Kirche aus dem Vereins- und Parteileben herauszöge, z. B. auch die christlichen Gewerkschaften fallenließe. Auch das hätte er,
    — der Reichskanzler —
    noch vor einigen Monaten nicht für möglich gehalten. Auch die Auflösung des Zentrums wäre erst mit Abschluß des Konkordats als endgültig zu bezeichnen, nachdem nunmehr der Vatikan die dauernde Entfernung der Priester aus der Parteipolitik angeordnet hätte.
    Daß es sich hierbei nicht nur um eine einseitige Auffassung der nationalsozialistischen Machthaber handelte, bestätigt die bisher unveröffentlichte Authentische Interpretion, die zu den Artikeln 31 und 32 einvernehmlich beiderseits festgelegt wurde und die so weit geht, daß sogar solche der Kirche noch belassenen Organisationen, die ausschließlich der religiösen, geistlichen oder karitativen Schulung dienen, das Gebiet einer Diözese nicht überschreiten dürfen.
    Dieser Verzicht der Kirche auf ihren Öffentlichkeitsanspruch fand beispielsweise seinen Ausdruck in dem von Kardinal Faulhaber unterzeichneten Hirtenbrief vom 8. November 1933 des bayerischen Episkopats zur Volksabstimmung am 12. November, worin es wörtlich heißt:
    Was dagegen die Abstimmung zur Reichstagswahl am 12. November betrifft, so handelt es sich dabei um eine parteipolitische Frage, die wir mit Rücksicht auf Art. 32 des Reichskonkordats dem freien Ermessen und Gewissen der Wahlberechtigten überlassen.
    Begreiflicherweise legte die Kurie, die so bedrängt wurde, Gewicht auf Parität. Daraus ergibt sich eine Demarche, die zur Sprache zu bringen heikel ist, die aber zur Sprache zu bringen notwendig ist, um das volle Bild zu geben, eine Demarche, die der Apostolische Nuntius wenige Tage vor dem Austausch der Ratifikationsurkunden dem Auswärtigen Amt gegenüber unternahm und die zeigt, wie eng die Kurie die ihr in der politischen Öfentlichkeit durch das Konkordat aufgezwungenermaßen gesetzten Grenzen selber sah. In einem Aktenvermerk des Auswärtigen Amtes heißt es über diese Demarche:
    Bei einem Besuch, den mir der Apostolische Nuntius heute abstattete, brachte er das Gespräch auf die für den 31. Oktober dieses Jahres in Wittenberg geplante Luther-Feier. Nach den Zeitungsnachrichten sei beabsichtigt, diese Feier zu einer Art Nationalfeier zu machen. Er könne nicht umhin, seiner Besorgnis Ausdruck zu geben, daß dadurch eine Trübung der Beziehungen zwischen Deutschland und dem Heiligen Stuhl eintreten werde; denn es handle sich um die Feier eines Aktes — die Anheftung der Thesen an die Kirche in Wittenberg —, der eine ausgesprochen feindliche Tendenz gegen die Katholische Kirche gehabt habe. Er, der Nuntius, fürchte sogar für die Ratifikation des Konkordats, falls diese Feier in großem Rahmen und mit staatlicher Beteiligung stattfände.
    Meine Damen und Herren, wenn neuerdings die Behauptung aufgebracht wird, jener in Art. 32 des Reichskonkordats ausgesprochene weitgehende Verzicht der Katholischen Kirche auf ihren Öffentlichkeitsanspruch, Verzicht auf eine im katholischen Sinne christliche Partei, Verzicht auf eine katholi-


    (Dr. Arndt)

    sehe Presse, Verzicht auf christliche Gewerkschaften sei mangels Parität niemals aktuell geworden, so werden die Unterdrückung der Evangelischen Kirche und das Unternehmen ihrer Gleichschaltung durch das ausgesprochen nationalsozialistische „Reichsgesetz" über die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche vergessen, ein sogenanntes Reichsgesetz, das am gleichen 14. Juli 1933 verkündet wurde, an dem das Reichskabinett auch das Reichskonkordat beschloß. Beide Kirchen wurden in derselben Weise bedrängt. Ohne Kenntnis dieses Sinngehalts und seiner geschichtlichen Zusammenhänge aber ist das Konkordat nicht zu verstehen. Es ist absolut unrichtig, ja unhaltbar, daß das Konkordat 1933 — und zwar auch in den Schulartikeln nicht — mit den Vorentwürfen der Weimarer Zeit übereinstimme. Es bedarf wohl keines Wortes darüber, wie undenkbar es für einen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat, der den Öffentlichkeitsanspruch der Kirchen bejaht, sein muß, daß eine Kirche in dem Ghetto festgehalten wird, in das sie durch die Hinnahme des politischen Monopols einer den Staat vergewaltigenden Partei verbannt werden sollte. Sosehr wir eine Überparteilichkeit der Kirchen für eine moralische Notwendigkeit halten, wünscht niemand — ich bin überzeugt, daß das im ganzen Hause einheitlich so ist —, daß den Kirchen die Freiheit ihres sittlichen Wächteramtes in der Welt, die eine politische Welt ist, verwehrt wird.
    In den Akten des Bundesverfassungsgerichts taucht nun weiter die Behauptung auf, daß die Bundesregierung bereits im Jahre 1950 insoweit die Hinfälligkeit des Konkordats bestätigt habe. Es wäre wünschenwert und an der Zeit, daß sich die Bundesregierung öffentlich und unter Vorlage der Dokumente darüber erklären würde. Jedenfalls dürfte klar sein, daß sich die Frage nach den Geltungsgrundlagen des Reichskonkordats nicht formal aus dem Ratifikationsakt beantworten läßt. Selbst wenn man sich auf den Boden der Vertragstheorie stellen will und Konkordate als quasivölkerrechtliche Verträge eigener Art ansieht, sind nach der Tradition auch der Kurie diese Geltungsgrundlagen geschichtlich überholt, — ein Standpunkt, den die Kurie selber z. B. im Jahre 1919 gegenüber dem bayerischen Konkordat von 1817 einnahm und nach Francos Sieg im Spanischen Bürgerkrieg gegenüber dem Konkordat mit der spanischen Monarchie von 1851.
    Die Verschmelzung einer konkordatären Ordnung mit den staatsinneren Verhältnissen läßt daher den für zwischenstaatliche Verträge des Völkerrechts grundsätzlichen Gesichtspunkt nicht zu, daß ein Verfassungswechsel weder die Identität des Staates noch seine völkerrechtlichen Verbindlichkeiten berühre, zumal der deutsche Zusammenbruch 1933 und die Staatskatastrophe 1945 etwas ganz anderes waren als eine bloße Veränderung der Staatsform, nämlich nach dem destruktiven Prinzip eines totalitären Machtgebildes die zeitweilige Abschaffung des Rechts. Selbst aber von dem heutzutage in den Vordergrund gerückten Standpunkt aus, daß Konkordate Verträge nach Art von völkerrechtlichen Verträgen seien, wenn auch Verträge mit selbständigem und eigentümlichem Charakter — zumal einer für Verträge kennzeichnenden Wechselseitigkeit das Hemmnis entgegensteht, daß die katholische Kirche von ihrer Dogmatik aus auf die von ihren Rechtsquellen aus eigenständigen Befugnisse oder Ansprüche gar nicht verzichten kann —, selbst von diesem Standpunkt aus könnte dem formalen Akt der Ratifikation keine absolute Kraft innewohnen.
    Erstens fehlt der innere Grund für die auch im Völkerrecht übrigens strittige abstrakte Verbindlichkeit der Ratifikation, weil bei einem Konkordat die beiden Souveräne sich nicht als einander fremde Staaten gegenüberstehen. Denn weil es sich um die innere Ordnung für ein Staatsvolk handelt, das zu einem wesentlichen Teil auch Kirchenvolk ist, ist wegen dieser weitgehenden Identität von Staatsvolk und Kirchenvolk auch tatsächlich und rechtlich ein anderer Maßstab für die Kenntnis der innerstaatlichen Legalität und Legitimität anzulegen. Die Kurie wußte um die Rechtsnot in Deutschland, weil sie selber, ihr Klerus und ihre Gläubigen, darunter litt.
    Zweitens kommt deshalb innerstaatlichen Wandlungen eine rechtserhebliche Bedeutung zu. Deutschland hat aber nach 1945 nicht nur den Schritt vom totalitären Unrechtsstaat zum demokratischen Verfassungsstaat getan, sondern auch den Schritt vom zentralistischen Einheitsstaat zum föderalistischen Bundesstaat. In betonter Abweichung von den Konkordaten mit Italien — 1929 — oder mit Spanien — 1953 — ist im Reichskonkordat nicht allgemein nur vom deutschen Staat die Rede, sondern wird durch Art. 32 die außergewöhnliche Lage innerhalb Deutschlands 1933 als besondere Grundlage hervorgehoben und wird an die Einrichtung der Reichsstatthalter angeknüpft. Das hatte seinen zeitbedingten Sinn, weil auf der staatlichen Seite ein totalitäres Regime ohne Grundrechte hingenommen wurde, ein Regime, mit dem eine geheime Ratifikation wesentlicher Konkordatsteile möglich war, und eine durch Länderzuständigkeiten ungehemmte Reichszentralgewalt vorausgesetzt wurde. Das alles ist heute irreal geworden. Ohne weiter darauf einzugehen, daß die Bundesrepublik nicht der gesamtdeutsche Staat ist und ihm nicht vorgreifen darf, hat sich jedenfalls normativ die staatliche Seite als Rechtsperson absolut gewandelt. Oder welche Instanzen sollten heute wohl den Reichsstatthaltern entsprechen? Im übrigen ist es auch in der Praxis so, daß auch die Kurie keine Bundesorgane an die Stelle der Reichsstatthalter zu setzen wünscht und in den Ländern, die das Konkordat anerkannt haben, gesetzt hat.
    Drittens würde die Ratifikation eines völkerrechtlichen Vertrages nicht unmittelbar innerstaatliches Recht setzen. Diejenigen aber, die hier völkerrechtlich und legalistisch argumentieren wollen, können dann auch nicht daran vorbeigehen, daß das von ihnen als völkerrechtliches Versprechen gedeutete Konkordat niemals in innerstaatliches Recht umgeformt wurde. Zwar sah der vom Reichsminister des Innern am 11. Juli 1933 für ein Zustimmungsgesetz vorgelegte Entwurf ursprünglich den Satz vor: „Seine Bestimmungen" — die des Konkordats — „treten als Reichsgesetz in Kraft." Dieser Satz ist jedoch am 12. September 1933 nicht verkündet, sondern durch die bloße Ermächtigung ersetzt worden, das Konkordat im Verordnungswege durchzuführen, und die Kurie wußte, daß hierdurch nur ein Schwebezustand eintrat. Denn im geheimen Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 18. Dezember 1933 an den Staatssekretär der Reichskanzlei heißt es wörtlich:
    Der Heilige Stuhl hat in letzter Zeit wiederholt mündlich und schriftlich zum Ausdruck gebracht, daß die Verzögerung der immer noch nicht erlassenen Durchführungsverordnungen


    (Dr. Arndt)

    zu dem bereits am 10. September ratifizierten und in Kraft getretenen Reichskonkordat einen täglich unhaltbarer werdenden Schwebezustand geschaffen habe.
    Dieses gerade für eine legalistisch-positivistische Betrachtungsweise bedeutsame Fehlen einer Umwandlung in innerstaatliches Recht kann seit dem Erlaß des Bonner Grundgesetzes nicht mehr ausgeglichen werden, weil dem Bund insoweit jede Gesetzgebungszuständigkeit genommen wurde.
    Schließlich ist das Reichskonkordat in seiner Gesamtheit niemals verkündet, sondern in wesentlichen Teilen geheimgehalten worden. Dazu gehört nicht nur die als authentisch vereinbarte Interpretation zu den entscheidenden Artikeln 31 und 32, deren Bedeutung deshalb so unbekannt blieb, sondern auch die Abrede darüber, daß die katholischen Geistlichen von der allgemeinen Wehrpflicht befreit sind. Die Bundesregierung mag sich darüber erklären, wie nach ihrer Meinung ein Reichskonkordat unverändert gelten soll, das in erheblichem Umfang als Geheimnis behandelt ist und gerade in der Wehrpflichtfrage jedenfalls auch die Parität verletzt. Eine geheime Ratifikation mit ewiger Wirkung ist rechtsstaatlich unvorstellbar und unvollziehbar.
    Ich wiederhole, daß alle diese nur wegen des bisher von der Bundesregierung erklärten Standpunktes leider notwendigen Erörterungen nach meiner Überzeugung bloß einen Umweg darstellen, der an den eigentlichen Fragen vorbeiführt, weil man dem Konkordatsproblem als einer politischen und moralischen Gestaltungsaufgabe mit juristischen Mitteln nicht gerecht werden kann.
    Aus diesem Grunde ist der Konkordatsprozeß in Karlsruhe so untunlich und unzweckmäßig, weil er ungeeignet ist, uns die geschichtliche und geistige Verantwortung abzunehmen, und weil er so oder so nicht zu dem Ziel führen kann, auf das es ankommt: den religiösen Frieden zu gewinnen. Das Bundesverfassungsgericht vermag über Gültigkeit oder Fortgeltung eines Konkordats nur inzidenter, also nur als Vorfragen, Erwägungen anzustellen. Verneint es die Geltung des Konkordats, so ist eine solche Meinung für die Kurie in keiner Weise verbindlich. Bejaht es die Geltung, so bedeutet diese Ansicht keine für die Länder gesetzeskräftige Entscheidung, zumal da es gar keine Möglichkeit gibt, eine solche Auffassung gegen die Länder zu vollstrecken. Der Prozeß räumt also nicht Gefahren aus, sondern vermehrt sie. Eine bloße Absage an das Konkordat droht nicht allein die wünschenswerten Beziehungen zur Kurie zu trüben, sondern würde auch im katholischen Volksteil nicht verstanden und würde zu seiner Beunruhigung führen. Ein Festhalten am Konkordat dagegen, so als ob sich seit 1933 gar nichts verändert hätte, würde wiederum andere Volksteile mit Besorgnis erfüllen, insbesondere beachtliche Kreise innerhalb des evangelischen Kirchenvolkes. Außerdem müßte ein Beharren auf dem Konkordat von 1933 die Kurie verpflichten, auch die Art. 31 und 32 als noch gültig anzuerkennen. Es sollte doch bitte einmal einer aufstehen und sagen, ob er das für richtig und für zumutbar hält und wie sich die Geschehnisse seit 1945 mit einem so unmöglichen Standpunkt vertragen! Diese vielschichtige und tiefgründige Lage müssen wir erkennen, wenn wir uns nicht in theoretisch und dogmatisch kaum lösbare Streitigkeiten über die Vergangenheit verlieren wollen, sondern den Blick auf die Zukunft und unsere eigene Verantwortung für sie richten.
    Auf dem Spiel steht die Glaubwürdigkeit unserer Staatsidee, deren demokratisches Prinzip keine Ausnahme erleiden kann und für die eine innere Ordnung, zu der das Staatskirchenrecht, das konkordatäre Regime wesentlich gehören, nicht legitim sein kann, die nicht auf der freien Selbstbestimmung und dem Grundsatz des für alle gleichen Gesetzes beruht. In Gefahr droht der religiöse Frieden zu geraten, wenn die Parität zwischen den Kirchen ungewahrt bleibt und nicht ein Ausgleich gefunden wird, der kein Gewissen verletzt und den Freiheitsrechten aller gerecht wird.
    Um so mehr freue ich mich, dankbar anerkennen zu dürfen, daß der Vatikan offiziös, durch den „Osservatore Romano", eine verständigungsbereite Haltung hat erkennen lassen, indem er entsprechend den Erklärungen des österreichischen Episkopats zu dem mit Dollfuß abgeschlossenen Konkordat behutsam verlauten ließ, daß einzelne Bestimmungen des Konkordats verändert werden könnten und die Bereitschaft zu freundschaftlichen Verhandlungen bestehe. Diese Verlautbarung wird bei allem Vorbehalt doch als eine grundsätzliche Verhandlungsbereitschaft gewertet werden dürfen. In solchen wünschenswerten Verhandlungen sollte die unfruchtbare Gültigkeitsfrage ausgeklammert werden, weil sie keine geeignete Grundlage bildet, sondern ein darum geführter Gerichtsprozeß die Verständigung nur stört und das Gegeneinanderstellen von Rechtsbehauptungen die freundschaftliche Aussprache nur erschwert.
    Diese Einstellung der Kurie führt auch einen an sich gewiß beachtlichen Gesichtspunkt, die gesamtdeutsche Bedeutung der Konkordatsfrage, auf die richtige Perspektive zurück. Ich darf für mich in Anspruch nehmen, schon sehr frühzeitig und meines Wissens vor der Bundesregierung auf diesen Aspekt hingewiesen und gerade daraus gegenüber den hitzigen Polemiken die Mahnung abgeleitet zu haben, daß sich die Holzhammermethode, das Reichskonkordat im Prozeßwege juristisch zu traktieren oder zu dogmatisieren, nicht empfehle.
    Ich unterschätze nicht die aus dem Konkordat ableitbare gesamtdeutsche Bindung, wenn ich dazu sage, daß es sich dabei nur um einen Gesichtspunkt, einen höchst beachtlichen zwar, aber nur um einen neben anderen handelt, überdies weniger einen rechtlichen als einen politischen und auch einen Gesichtspunkt, der — ich möchte niemanden verletzen, ich bitte das zu entschuldigen — nicht ohne eine Leidensgeschichte und nicht ohne legitime Interessenkollisionen, wie sie zuweilen in der Saarfrage sich andeuteten, gewesen ist und auf den man nur mit äußerster Behutsamkeit eingehen könnte. Ich unterschätze diesen Gesichtspunkt auch nicht, wenn ich mir in aller Bescheidenheit dazu die Bemerkung erlaube, daß ich überzeugt bin, daß die Verbundenheit der römisch-katholischen Kirche mit dem deutschen Volk, seiner Freiheit und Einheit doch nicht erst und nicht allein auf dem Reichskonkordat von 1933 beruht, sondern eine geschichtliche, eine geistige und mit unserem katholischen Volksteil insbesondere auch eine religiöse ist, die zutiefst in der deutschen Geschichte wurzelt.
    Es sollte deshalb wohl nicht unangemessen sein, den Gedanken zu äußern, daß auch der Kurie daran gelegen sein dürfte, ihre Beziehungen zu Deutschland nicht an die mit dem bösen Namen Hitlers verbundene Notmaßnahme anzuknüpfen.


    (Dr. Arndt)

    Dieser notwendigen gemeinsamen Zukunft dient es jedoch nicht, daß die Bundesregierung sich durch ihr Prozeßvorgehen auf eine Haltung in der Schulfrage versteift, die weder mit der verfassungsrechtlichen Lage noch mit der Entstehungsgeschichte des Reichskonkordats noch mit den grundlegend veränderten Verhältnissen unserer Gegenwart vereinbar erscheint. Gerade diese Haltung aber ist es, die die Gemüter bewegt.
    Es trifft zu, daß bereits der aus dem Juli 1922 stammende Referentenentwurf aus dem Auswärtigen Amt für ein Reichskonkordat auch einen Schulartikel vorsah, der fast wörtlich mit dem Schulartikel 23 des Konkordats von 1933 übereinstimmt. Das gilt allerdings nicht für den weiteren Artikel 24, der auch Schulfragen, und zwar in ganz entscheidender Weise behandelt. Abgesehen von den verfassungs- und kulturpolitischen Einwendungen, die damals von einigen Ländern, von der evangelischen Kirche der Preußischen Union und von den meisten politischen Parteien dagegen erhoben wurden, war, wie insbesondere der damalige Meinungsaustausch zwischen dem Reichsministerium des Innern und den Ländern ergibt, seinerzeit nichts anderes gemeint als eine Bekräftigung der auf Grund der Weimarer Reichsverfassung bereits bestehenden Rechtslage einschließlich des Rechtsvorbehalts eines künftigen Reichsschulgesetzes. Daraus erklärt sich die Wendung, daß es sich um eine Gewährleistung handle, wobei bemerkenswert ist, daß es 1922 hieß „wird" gewährleistet, während man 1933 noch deutlicher formulierte „bleibt" gewährleistet, also nach Maßgabe des schon bestehenden Rechtszustandes einschließlich der Befugnis des Reiches, im Rahmen der Weimarer Reichsverfassung ein Reichsschulgesetz zu erlassen.
    Das Reich behielt sich somit in jenem Vorentwurf insbesondere die freie Entscheidung vor, welche Anforderungen an einen geordneten Schulbetrieb zu stellen sind. Dieser Rechtsvorbehalt zugunsten der staatlichen Schulhoheit wird vollends eindeutig, sobald man beachtet, daß sich im bayerischen Konkordat von 1924 das Anerkenntnis findet, daß auch die ungeteilte Schule einen geordneten Schulbetrieb ermögliche, während diese Klausel im Reichskonkordat von 1933 fehlt. Selbst vom Buchstaben eines unveränderten Reichskonkordats aus bestünde also weit mehr Raum für eine die verschiedenen Gesichtspunkte befriedigende Gestaltungsmöglichkeit, als es die Bundesregierung durch ihre starre Haltung und ihr Prozeßvorbringen wahrhaben will.
    Es ist für uns in Deutschland eine Lebensfrage, über die Schule wieder miteinander reden zu lernen, ohne daß man die Gesprächspartner von vornherein als kirchenhörig oder kirchenfeindlich diskriminiert. Darum wenden wir uns mit dieser Interpellation gegen den verfehlten Versuch der Bundesregierung, die Erörterung dieser Lebensfrage in das tödliche Schema entweder der Vertragstreue oder der angeblichen Vertragsuntreue gegenüber einem unter völlig andersartigen Umständen entstandenen Reichskonkordat zu pressen und die Kulturpolitik mit juristischen Mitteln als eine Angelegenheit der Bundesaufsicht zu traktieren.
    Diese Uniformierung der Kulturpolitik wird von der gleichen Bundesregierung angestrebt, in deren Denken und Planen das Kulturpolitische sonst einen nur sehr stiefmütterlich behandelten Platz einnimmt. Es ist gewiß höchste Zeit, daß sich der Bund im Rahmen des Grundgesetzes auch auf seine
    kulturpolitischen Pflichten besinnt. Aber es sollte das nicht durch eine Abkanzelung der Länder, sondern im verträglichen Zusammenwirken mit ihnen geschehen und nicht auf eine Weise, die das Reichskonkordat zur ewigen Quelle unfruchtbarer Streitigkeiten zu machen droht.
    Ich bekenne mich zu der Überzeugung, daß es uns allen gemeinsam aufgegeben ist, derartige Streitigkeiten zu überwinden; denn die Eintracht mit der Katholischen Kirche als einer moralischen Instanz von Weltbedeutung liegt nicht nur ihren Gläubigen am Herzen, sondern geht jeden von uns an. Das notwendige Streben nach dieser Eintracht wird aber sinnvoll von den tiefgreifenden Veränderungen seit 1933 ausgehen müssen, und diese Veränderungen seit dem Jahre 1933 bestehen nicht allein darin, daß jene Zeit von der Abschaffung des Rechts gebrandmarkt war, der das Konkordat aus der Sicht der Kurie als abwehrende Notmaßnahme entgegengestellt werden sollte, während jetzt die rechtsstaatliche Erneuerung unseres Verfassungswesens eine demokratische Legitimierung der Konkordanz erfordert. Diese Veränderungen sind darüber hinaus umfassender Art. Die innere Struktur unseres Staatswesens wird zwar nach wie vor davon mitbestimmt, daß wir ein konfessionsgespaltenes Volk sind. Aber einerseits hat sich die Haltung der christlichen Kirchen in einem guten und versöhnlichen Sinne zueinander gewandelt, andererseits hat sich die konfessionelle Gliederung infolge der Wanderung der Heimatvertriebenen und der Sowjetzonenflüchtlinge verändert, wodurch fast bis in jede Dorfgemeinde die Diaspora der einen oder anderen Konfession entstanden ist.
    Aber nicht nur diese inneren Bewegungen wollen beachtet sein und mit der Tradition in Einklang gebracht werden, weil Kulturpolitik ohne behutsame Rücksicht auf das geschichtlich Gewachsene nicht fruchtbar sein kann, sondern die Welt um uns ist eine andere geworden, wodurch Kultur, insbesondere das Bildungswesen, eine unmittelbar politische Bedeutung gewonnen haben. Es wird tagaus tagein betont, daß der Westen einig und stark sein müsse, was noch kein vernünftiger Mensch, der die Freiheit liebt, je verkannte. Aber es geschieht viel zuwenig, um die Erkenntnis wirksam werden zu lassen, daß die Kraft der westlichen Welt sich von der Aussicht und dem Wert freier Entwicklung nährt, die unsere Überlegenheit gegenüber dem Osten verbürgt. Diese unmittelbar politische Bedeutung des Bildungswesens prägt sich auch darin aus, daß wir es als eine Lebensfrage, ja geradezu als eine Frage des Überlebens anzusehen haben, was heutzutage ein geordneter Schulbetrieb zu leisten hat. Denn diese Ordnung entscheidet weit in die Zukunft hinein darüber mit, ob wir Menschen heranbilden, die sowohl sittlich dem Wagnis der Freiheit gewachsen sind als auch in ihrem Wissen das Rüstzeug mitbringen, zur Höchstleistung im Beruf einer technischen Welt der Automation und des Atomzeitalters befähigt zu sein.
    Die Frage, was ein geordneter Schulbetrieb ist und ob eine ungeteilte Schule diesen Aufgaben noch genügen könnte, ist daher uns aus unserer Verantwortung für die Zukunft ganz anders gestellt, als dies etwa noch im Jahre 1933 oder früher der Fall war. Die Schwierigkeit und die nicht zu verharmlosende Spannungsgeladenheit der Schulfrage — die Lösung der Schlüsselprobleme für eine vorwärtsblickende Konkordanz zwischen dem Staat und den Kirchen ist eine Gestaltungsaufgabe, die


    (Dr. Arndt)

    sich nicht mit dem juristischen Instrumentarium eines rückwärts gerichteten Verfassungsgerichtsprozesses bewältigen läßt — liegen darin, daß unser Bildungswesen drei verschiedenartige Strukturen vereinigen muß: erstens die aus der Ganzheitssicht zeitgerechter Erziehung grundlegende Bildung im Sittlichen, wodurch, vom geschlossenen Welt- und Menschenbild des Katholizismus für seine Gläubigen her, die Forderung nach der Konfessionalität des Unterrichts eine stärkere Akzentuierung erhält — das muß man sehen —, zweitens aber das staatspolitische Gebot der höchstmöglichen Entfaltung aller Begabungen und drittens das Toleranzgesetz der geistigen Freiheit, die eine Gewissensfreiheit für Lehrer und Schüler sein muß, ein Toleranzgesetz, ohne das wir aufhören würden, ein europäisches Staatswesen als Rechtsgemeinschaft der Vielheit im Glauben und Denken gleicher und freier Menschen zu sein.
    Die Frage der Konkordanz muß deshalb nüchterner und verantwortungsbewußter als je zuvor aus dem Eingeständnis heraus entwickelt werden, daß legitime Rechte des Staates und legitime Anliegen der Kirchen einen Konflikt begründen, der sich nicht ,dogmatisch, sondern allein aus einer versöhnlichen Verständigungsbereitschaft heraus pragmatisch unter Berücksichtigung aller dieser geschichtlichen Veränderungen befrieden läßt.
    Dabei ist auch zu bedenken, daß die Schulfragen gegenwärtig zur ausschließlichen Zuständigkeit der Länder gehören, weshalb als Partner grundsätzlich die einzelnen Länder in Betracht kämen. Aus der gegenseitigen Verpflichtung der Bundestreue ist daher der Bund gehalten, in Schulfragen neutral zu bleiben, nicht aber darf er, wie es durch seine Verfassungsklage geschieht, gegen einzelne Länder mit eigener Schultradition einseitig Partei ergreifen.
    Worum es geht, ist die politische Grundfrage, ob die Zuständigkeitsordnung unseres Grundgesetzes gewahrt wird und ob unsere innere Ordnung demokratisch legitimiert und in freier Selbstbestimmung gestaltet sein muß oder ob die Bundesregierung obrigkeitlich mit dem diskriminierenden Vorwurf einer Verletzung der Vertrags- und Bündnistreue ihre Konkordatsmeinung den Ländern als eine Art Überverfassung aufzwingen kann.
    Diese Erwägungen — lassen Sie mich damit schließen, meine Damen und Herren — verpflichten uns zu der warnenden Kritik, daß die Konkordatspolitik der Bundesregierung und der von ihr begonnene Konkordatsprozeß, der abgebrochen werden sollte, kein geeigneter Weg zum inneren Frieden sind.

    (Beifall bei der SPD und vereinzelt beim GB/BHE.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Sie haben die Begründung der Großen Anfrage gehört.
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Heinrich von Brentano


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung beantwortet die Große Anfrage — Bundestagsdrucksache 2258 (neu) —, die der Herr Abgeordnete Dr. Arndt soeben begründet hat, wie folgt.
    Die in Punkt 1 gestellte Frage ist zu bejahen. Die vor dem Bundesverfassungsgericht wegen der Unvereinbarkeit des niedersächsischen Schulgesetzes mit dem Reichskonkordat erhobene Klage beruht auf einem Entschluß der Bundesregierung vom 9. März 1955.
    Zu Punkt 2 möchte ich folgendes feststellen: Nachdem die niedersächsische Landesregierung im Februar 1954 dem Landtag die Regierungsvorlage zu einem Schulgesetz vorgelegt hatte, erhob die Apostolische Nuntiatur wiederholt Vorstellungen bei der Bundesregierung. Sie erblickte in der Regelung des niedersächsischen Schulgesetzentwurfs einen Verstoß gegen die im Reichskonkordat getroffenen vertraglichen Vereinbarungen und bat die Bundesregierung um Abhilfe. Die Apostolische Nuntiatur berief sich bei ihrem Einspruch insbesondere auf Art. 23 des Reichskonkordats, der die Beibehaltung und Neuerrichtung katholischer Bekenntnisschulen gewährleistet und in allen Gemeinden den Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten grundsätzlich die Errichtung solcher Volksschulen, falls in ihnen ein geordneter Schulbetrieb durchführbar erscheint, auf Antrag zusichert.
    Der Herr Bundeskanzler und das Auswärtige Amt haben daraufhin den damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten gebeten, die von dem Heiligen Stuhl erhobenen Vorstellungen zu prüfen und für eine Anpassung des in Aussicht genommenen Gesetzes an die vertraglichen Bindungen der Bundesrepublik Sorge zu tragen. Dabei wurde der niedersächsischen Landesregierung vor allem zu bedenken gegeben, daß ein möglicherweise berechtigter Vorwurf der Verletzung eines völkerrechtlichen Vertrags geeignet sei, das Ansehen der Bundesrepublik empfindlich zu schädigen und ihre internationale Vertragswürdigkeit zu schwächen.
    Der Regierungsentwurf wurde gleichwohl vom a Landtag mit nur geringen Änderungen verabschiedet und vom Ministerpräsidenten als Gesetz verkündet. Das Schulgesetz trat am 1. Oktober 1954 in Kraft, ohne daß die vom Heiligen Stuhl beanstandeten Vorschriften beseitigt oder gemildert worden wären. Allein durch § 15 Abs. 1 dieses Schulgesetzes wurden an diesem Tage in Gemeinden mit nur einer Schule mindestens 304 katholische Bekenntnisschulen in Gemeinschaftsschulen umgewandelt. Insgesamt werden durch das niedersächsische Schulgesetz wenigstens 75 % der bestehenden Bekenntnisschulen beseitigt.
    Infolge der durch die Verkündung des niedersächsischen Schulgesetzes geschaffenen Lage sah sich die Bundesregierung genötigt, eine Feststellungsklage vor dem Bundesverfassungsgericht zu erheben. Ich darf hier darauf hinweisen, Herr Kollege Arndt, daß sich diese Klage nicht auf Art. 84 Abs. 4 des Grundgesetzes stützt, da es sich nach der Meinung der Bundesregierung nicht um Mängel bei der Ausführung eines Bundesgesetzes handelt, sondern daß die Klage auf Art. 93 Abs. 1 Ziffer 3 gestützt wurde. Daraus ergibt sich ohne weiteres auch die Zuständigkeit des angerufenen Senats.
    Die Bundesregierung hat die Pflicht, für die gewissenhafte Erfüllung der die Bundesregierung bindenden völkerrechtlichen Verträge zu sorgen. Dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts soll hier nicht vorgegriffen werden. Die Bundesregierung hat jedoch stets auf dem Standpunkt gestanden, daß das Reichskonkordat ein gültiger Vertrag sei. Auch der Herr Bundespräsident hat dieser Ansicht Ausdruck gegeben, indem er dem Apostolischen Nuntius, als dieser ihm am 4. April 1951 sein Beglaubigungsschreiben überreichte, wörtlich er-


    (Dr. von Brentano)

    klärte, er und die Bundesregierung seien „wohl eingedenk der vertraglichen Vereinbarungen, die frühere Regierungen mit dem Heiligen Stuhl eingegangen sind und an deren Fortbestand für das gesamte deutsche Gebiet auch die Bundesrepublik festhält."
    Zu dieser Auffassung hält sich die Bundesregierung auch auf Grund z. B. der Ergebnisse der Mar-burger Tagung der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer aus dem Jahre 1952 für berechtigt und verpflichtet.
    Das Reichskonkordat findet in der Praxis bei wichtigen Fragen nach wie vor Anwendung, z. B. bei der Mitwirkung der zuständigen Landesregierungen bei der Besetzung von Bischofsstellen (Art. 14 Abs. 2 Ziffer 2 des Konkordats), bei der Leistung des in Art. 16 des Reichskonkordats vereinbarten Treueides der Bischöfe und bei der soeben gemäß Art. 27 des Reichskonkordats erfolgten Ernennung des Militärbischofs. Auch hat sich die Bundesregierung in der Auseinandersetzung mit dem Heiligen Stuhl über die Tragweite des Art. 26 des Konkordats, der die Vornahme der religiösen vor der zivilen Trauung nur ausnahmsweise gestattet, sofort nach Bekanntwerden des Falles Tann wiederholt auf die vertragliche Regelung berufen. Ich darf dabei an die Kleine Anfrage 151 der Herren Abgeordneten Dr. Bucher, Dr. Hoffmann und Genossen vom 31. Januar 1955 —Drucksache 1179 — erinnern, in welcher die Bundesregierung unter Punkt 3 gefragt wurde, ob sie bereit sei, unverzüglich beim Heiligen Stuhl für eine Klarstellung zu sorgen, da die Einstellung des Bischöflichen Ordinariats von Passau und die ihr entsprechende Handlungsweise des Geistlichen — ich zitiere wörtlich — „dem Konkordat widerspricht".

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Die damaligen Fragesteller gingen demnach eindeutig ebenfalls von der Fortgeltung des Reichskonkordats aus; denn eine Berufung auf Art. 26 wäre gegenstandslos, wenn das Reichskonkordat als solches nicht in Kraft wäre.
    Übrigens hat der Heilige Stuhl aus der Fortgeltung des Reichskonkordats von sich aus — und Sie, Herr Kollege Dr. Arndt, haben schon darauf hingewiesen — die bedeutsame Folgerung gezogen, daß es nicht nur auf dem Gebiete der Bundesrepublik, sondern auch für die noch unter fremder Verwaltung stehenden Gebiete gilt. Das Reichskonkordat ist also gerade unter gesamtdeutschen Gesichtspunkten eine der wichtigsten Klammern. Der Heilige Stuhl hat folgerichtig gemäß Art. 11 des Konkordats keine dem gesamtdeutschen Interesse zuwiderlaufende Neuordnung der Diözesanzirkumskription vorgenommen, die Schaffung eines SaarBistums abgelehnt, die Bistümer Breslau und Frauenburg nicht wieder besetzt und die von seiten der polnischen Regierung gewünschten Änderungen der Diözesangrenzen nicht sanktioniert.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Folgerichtig werden auch im Päpstlichen Jahrbuch von 1956 die Erzdiözese Breslau, das Bistum Frauenburg und die frühere Prälatur Schneidemühe noch als deutsches Gebiet behandelt, das durch die in Deutschland residierenden Kapitularvikare dieser kirchlichen Distrikte repräsentiert wird.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Ist das Reichskonkordat aber in Kraft—worüber zwischen dem Heiligen Stuhl und der Bundesregierung keine Meinungsverschiedenheiten bestehen —, so muß auch der Schulartikel in der Bundesrepublik durchgeführt werden.
    Als die Bundesregierung den Rechtsstreit vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig machte, glaubte sie im übrigen einer ausdrücklichen Anregung der niedersächsischen Landesregierung zu entsprechen. Denn der frühere Ministerpräsident Kopf gab, als er während der dritten Lesung des Schulgesetzes in der 76. Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 1. September 1954 seine Auffassung von der Rechtmäßigkeit des Schulgesetzes darlegte, dem Wunsche Ausdruck, daß die in diesem Zusammenhang zwischen dem Bund und der Landesregierung streitigen Rechtsfragen abschließend durch das Bundesverfassungsgericht entschieden werden sollten.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Die Fortentwicklung der Ordnung zwischen Staat und Heiligem Stuhl, wie sie in Ziffer 2 der Großen Anfrage angesprochen wird, könnte nach Auffassung der Bundesregierung nur durch neue konkordatäre Abmachungen erfolgen, die an die Stelle des Reichskonkordats treten und bis zu deren Zustandekommen das Reichskonkordat in Kraft bleibt.
    Zu Punkt 3 der Großen Anfrage ist folgendes zu bemerken.
    Die Erfüllung gültiger völkerrechtlicher Verträge durch die Bundesrepublik und die Erhaltung ihrer internationalen Vertragswürdigkeit sind ein Anliegen der Gesamtbevölkerung, also auch des evangelischen Bevölkerungsteils. Die Rechtsgültigkeit des Reichskonkordats wird nicht nur im Schrifttum von hervorragenden Rechtslehrern evangelischer Konfession wie etwa den Professoren Adalbert Erler, Giese, Liermann, Scheuner, Werner Weber bestätigt.
    Auch Sprecher der evangelischen Kirche selbst haben davor gewarnt, die Konkordatsfrage zum Gegenstand innen- oder gar parteipolitischer Auseinandersetzungen zu machen. So heißt es z. B. in einem vielbeachteten Aufsatz mit dem Titel „Um das Reichskonkordat" im Informationsblatt für die Gemeinden in den niederdeutschen lutherischen Landeskirchen, es sei gefährlich, in der Konkordatsfrage „ohne Berücksichtigung aller in Betracht zu ziehenden rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte sich in vorschnellen Urteilen festzulegen". Auch der evangelische Bevölkerungsteil trage gerade im gegenwärtigen Zeitpunkt der Neubegründung deutschen Rechts eine Verantwortung dafür, daß der jeder Rechtsordnung zugrunde liegende Satz eingehalten werde: „Verträge müssen gehalten werden." Die Nichteinhaltung des bisher von der Kurie eingehaltenen Reichskonkordats könne unerwünschte Folgen für unser Volk haben. Eine abschließende Stellungnahme werde „in dieser schwierigen Frage im Bereiche unserer Rechtsordnung wohl nur ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts geben können". So weit der zitierte Artikel in dem genannten Informationsblatt.
    Im übrigen dürfte das Beispiel der bayerischen Verträge mit den evangelischen Kirchen vom 15. November 1924, in welchen im Anschluß an Art. 6 des bayerischen Konkordats das Recht auf


    (Dr. von Brentano)

    Errichtung von Bekenntnisschulen gewährleistet wurde, zeigen, daß die im Konkordat vorgesehene Regelung auch in Kreisen der evangelischen Bevölkerung nicht als bedenklich angesehen wird. Nach einem schon wiederholt zitierten Wort von Professor Werner Weber entspricht das Konkordat einer liberal-parlamentarischen Demokratie mit föderalistischem Einschlag. Dem Leser trete die Mischung liberal-demokratischer, rechtsstaatlicher und föderalistischer Elemente entgegen, die für das Weimarer Verfassungssystem charakteristisch gewesen sei. Das Konkordat sei der heutigen Lage Deutschlands eher angepaßt, als es dem nationalsozialistischen Staate gegenüber je gewesen sei. So weit Professor Werner Weber in seiner Abhandlung „Die Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften".
    Zu Punkt 4 vermag die Bundesregierung nicht anzuerkennen, daß ihr Vorgehen in der Konkordatsfrage in die nach dem Grundgesetz begründete Kulturhoheit der Länder eingreife. Die Verlagerung bestimmter Zuständigkeiten für die Gesetzgebung kann die Fortgeltung völkerrechtlicher Verträge nach der Auffassung der Bundesregierung nicht berühren. Das Völkerrecht erlaubt den Staaten grundsätzlich nicht, sich durch Änderungen ihrer Verfassungsstruktur und durch interne Neuverteilung staatlicher Kompetenzen ihren Verpflichtungen aus allgemeinem Völkerrecht oder zwischenstaatlichen Verträgen zu entziehen. Außerdem enthält das gleiche Grundgesetz, welches den Ländern auf weiten Gebieten der Kultur die Gesetzgebungszuständigkeit zuweist, in Art. 123 Abs. 2 die ausdrückliche Anerkennung der Fortgeltung völkerrechtlicher Verträge des Deutschen Reichs auch über Gegenstände, für die nach dem Grundgesetz die Landesgesetzgebung zuständig ist.
    Der Bundesregierung ist schließlich nicht ersichtlich, inwiefern durch die Erfüllung eines nach ihrer Auffassung gültigen, die Bundesrepublik verpflichtenden Vertrags die Entscheidung einer gesamtdeutschen Regierung vorweggenommen werden könnte. Entgegen der Auffassung der Fragesteller glaubt die Bundesregierung daher, mit der von ihr vor dem Bundesverfassungsgericht eingebrachten Klage nicht nur die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesregierung beachtet, sondern auch der durch das Grundgesetz geschaffenen Ordnung entsprochen zu haben.
    Meine Damen und Herren, ich darf wohl annehmen, daß das Hohe Haus versteht, wenn die Bundesregierung sich auf diese Antwort beschränkt. In wenigen Tagen soll vor dem obersten deutschen Gericht der von der Bundesregierung angestrengte Prozeß beginnen. Die Bundesregierung ist in diesem Verfahren Partei und möchte sich nicht den Vorwurf machen lassen, daß sie etwa für ihre Auffassung durch eine Debatte im Parlament politische Unterstützung gesucht habe.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)