Rede:
ID0214601300

insert_comment

Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 2146

  • date_rangeDatum: 30. Mai 1956

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 19:02 Uhr

  • fingerprintRedner ID: Nicht erkannt

  • perm_identityRednertyp: Präsident

  • short_textOriginal String: Vizepräsident Dr. Schneider: info_outline

  • record_voice_overUnterbrechungen/Zurufe: 0

  • subjectLänge: 6 Wörter
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 6
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Abgeordnete: 1
    6. Will.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 146. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Mai 1956 7697 146. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 30. Mai 1956. Nachruf für den Abg. Naegel 7698 B Ergänzung der Tagesordnung 7698 D Mandatsniederlegung des Abg. Dr. Maier (Stuttgart) 7699 A Eintritt der Abg. Weber (Untersontheim) und Albrecht (Hamburg) in den Bundestag 7699 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. Brönner und Frau Albrecht . . 7699 A Mitteilung über Verzicht des Haushaltsausschusses auf Mitberatung der in der 133. Sitzung überwiesenen Anträge betr Straßenbauvorhaben (Drucksachen 2117 und 2123) 7699 B Beschlußfassung des Bundesrats über Gesetzesbeschlüsse des Bundestags . . . 7699 B Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Anfragen 242, 244, 246, 247, 249, 250, 252 (Drucksachen 2285, 2395; 2315, 2404; 2324, 2405; 2325, 2385; 2355, 2394; 2362, 2391; 2375, 2403) 7699 C Vorlage von Berichten über die Gewährung von Zuschüssen zur Gemeinschaftsverpflegung, über die Sozialabkommen der Brüsseler Vertragsstaaten und über die Unterzeichnung des deutsch-amerikanischen Filmabkommens (Drucksachen 2384, 2390, 2393) 7699 D Große Anfrage der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP, DA betr. Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Drucksache 2364, Umdrucke 608, 609, 610) . . . 7699 D Brandt (Berlin) (SPD), Anfragender . 7 700 A Kaiser, Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen 7705 A Dr. Mommer (SPD) 7714 D Frau Hütter (FDP) 7717 D Brookmann (Kiel) (CDU/CSU) . . 7718 B Wehner (SPD) 7720 B Lemmer (CDU/CSU) 7725 D Dr. Will (FDP) 7728 A Seiboth (GB/BHE) 7730 A Frau Kalinke (DP) 7732 D Dr. Henn (DA) 7736 B, 7738 D Dr. Lenz (Godesberg) (CDU/CSU) . . 7739 D Annahme des Antrags Umdruck 609 . . . 7740 A Ausschußüberweisungen der Anträge Um- drucke 608 und 610 7740 A Begrüßung einer Gruppe von Mitgliedern des englischen Unterhauses 7738 D Große Anfrage der Abg. Mellies, Dr. Reif, Feller u. Gen. betr. Verfassungsklage wegen des Reichskonkordats (Drucksache 2258 (neu]) 7698 C, 7740 A Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . . 7698 C Dr. Arndt (SPD), Anfragender . . . 7 740 B Dr. von Brentano, Bundesminister des Auswärtigen 7749 B Cillien (CDU/CSU) 7751 B Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) 7754 B, 7757 A Schütz (CDU/CSU) 7756 D Dr. Reif (FDP) 7757 D Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein (FDP) 7759 D Eickhoff (DP) 7762 A Dr. Schneider (Lollar) (DA) . . . 7762 C Hoogen (CDU/CSU) 7763 C Dr. Welskop (CDU/CSU) 7766 A Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Liquidation der Deutschen Reichsbank und der Deutschen Golddiskontbank (Drucksache 2327) 7766 C Überweisung an den Ausschuß für Geld und Kredit und an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen 7766 C Erste Beratung des von den Abg. Lenz (Brühl), Dr. Hesberg, Lücke u. Gen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen (Drucksache 2321) 7766 C Überweisung an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen und an den Rechtsausschuß 7766 C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Internationale Pflanzenschutzabkommen (Drucksache 2346) 7766 D Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten . . 7766 D Erste Beratung des Entwurfs einer Wehrbeschwerdeordnung (WBO) (Drucksache 2359) 7766 D Überweisung an den Ausschuß für Verteidigung und an den Rechtsausschuß 7766 D Nächste Sitzung 7766 D Anlage 1: Liste der beurlaubten Abgeordneten 7767 A Anlage 2: Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage betr. Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Umdruck 608) 7767 C Anlage 3: Antrag der Fraktionen der SPD, FDP, GB/BHE zur Beratung der Großen Anfrage betr. Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Umdruck 609) 7768 A Anlage 4: Antrag der Fraktion der FDP zur Beratung der Großen Anfrage betr. Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Umdruck 610) 7768 C Die Sitzung wird um 9 Uhr 1 Minute durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier eröffnet.
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten a) Beurlaubungen Abgeordneter beurlaubt bis einschließlich Altmaier 2. 6. Arnholz 30. 5. Dr. Atzenroth 16. 6. Dr. Bartram 31. 5. Blachstein 30. 6. Dr. Blank (Oberhausen) 30. 5. Frau Dr. Bleyler (Freiburg) 30. 5. Brese 30. 5. Dr. Brühler 16. 6. Dannebom 5. 6. Dopatka 30. 5. Dr. Eckhardt 30. 5. Frehsee 30. 5. Friese 30. 5. Frau Friese-Korn 30. 5. Gedat 30. 6. Gefeller 2. 6. Geiger (München) 30. 5. Frau Geisendörfer 9. 6. Dr. Gille 16. 6. Heiland 30. 5. Dr. Hellwig 16. 6. Dr. Horlacher 2. 6. Hübner 1. 6. Jacobi 30. 5. Jacobs 30. 5. Dr. Jaeger 9. 6. Jahn (Frankfurt) 2. 6. Kahn 1. 6. Frau Kipp-Kaule 2. 6. Koenen (Lippstadt) 2. 6. Könen (Düsseldorf) 1. 6. Dr. Kopf 30. 5. Frau Korspeter 9. 6. Kortmann 30. 5. Dr. Kreyssig 30. 5. Kroll 30. 5. Kühlthau 30. 5. Kurlbaum 30. 5. Leibfried 30. 5. Dr. Lindenberg 30. 5. Lulay 9. 6. Maucher 30. 5. Meitmann 15. 7. Merten 30. 5. Dr. Mocker 30. 5. Müller-Hermann 2. 6. Neuburger 31. 5. • Dr. Orth 30. 5. Peters 15. 7. Pöhler 30. 5. Rademacher 30. 5. Raestrup 30. 5. Rasch 4. 6. Richter 2. 6. Runge 16. 6. Dr. Siemer 30. 5. Dr. Starke 31. 7. Frau Welter (Aachen) 30. 5. Dr. Werber 30. 5. Frau Wolff (Berlin) 10. 6. b) Urlaubsanträge Dr. Dittrich 30. 6. Dr. Seffrin 30. 6. Kraft 16. 6. Metzger 9. 6. Moll 23. 6. Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 30. 6. Dr. Pferdmenges 9. 6. Siebel 9. 6. Anlage 2 Umdruck 608 (Vgl. S. 7714 D, 7740 A) Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP, DA betreffend Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Drucksache 2364). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, 1. alles zu tun - wenn nötig einseitig -, was die an der Zonengrenze aufgerichteten Grenzmauern abzutragen geeignet ist. In diesem Sinne muß der freie Verkehr aller Druckschriften über die Zonengrenze ermöglicht werden. Sollte sich ein Abkommen auf Gegenseitigkeit als unerreichbar erweisen, so soll die Bundesregierung den Bezug aller Drucksachen aus der „DDR" auf handelsübliche Weise zulassen; 2. den zuständigen Ausschüssen des Bundestages alle Gründe vorzutragen, die für und gegen eine Amnestie für politische Straftaten in der Bunresrepublik sprechen. Durch diese Amnestie könnte ein Beitrag zur Entspannung der Beziehungen der beiden Teile Deutschlands zueinander geleistet werden; 3. darauf hinzuwirken, daß auf Grund politischer Straftaten inhaftierte Personen in der Bundesrepublik in den Genuß aller Erleichterungen gelangen, die mit der Sicherung gegen Flucht vereinbar sind, und daß die Dauer der Untersuchungshaft sich in vertretbaren Grenzen hält; 4. auf diplomatischem Wege die Regierung der Sowjetunion auf die Verantwortung hinzuweisen, die sie für Verurteilte der sowjetischen Besatzungsbehörden in Deutschland hat, und die Freilassung aller dieser Gefangenen zu verlangen; 5. Wege zu erschließen und zu beschreiten, die geeignet sind, in der „DDR" zu erwirken, daß den aus politischen Gründen inhaftierten Personen alle in einem humanen Strafvollzug üblichen Erleichterungen gewährt werden und die Versorgung der Strafanstalten mit Medikamenten sichergestellt wird; 6. dem Bundestag einen Bericht über Fälle zuzuleiten, in denen von der Regierung der Sowjetunion in der Bundesrepublik lebende Personen als Sowjetbürger reklamiert werden, die angeblich an der Heimkehr gehindert werden; 7. durch den Ausbau der Treuhandstelle für den Interzonenhandel das Verrechnungswesen zur Erleichterung des Personen- und Güterverkehrs über die Zonengrenze und zur Abwicklung aller übrigen Zahlungsverpflichtungen zu normalisieren und durch die Errichtung weiterer Treuhand- stellen die Normalisierung des Personen- und Güterverkehrs zu ermöglichen und in Kultur-und Unterrichtsfragen dem Auseinanderleben der Teile Deutschlands entgegenzuwirken; 8. um diese Ziele zu erreichen, um den Zusammenhalt der Teile Deutschlands zu festigen und da- mit der Wiedervereinigung unter einer frei gewählten deutschen Regierung zu dienen und der Welt zum Bewußtsein zu bringen, daß die Teilung Deutschlands vom deutschen Volke nicht anerkannt wird, unbeschadet der vorbehaltenen Rechte und Verpflichtungen der Vier Mächte gegenüber Deutschland als Ganzem, mit den in der sowjetisch besetzten Zone bestehenden Behörden alle nötigen Besprechungen zu führen. Bonn, den 29. Mai 1956 Ollenhauer und Fraktion Anlage 3 Umdruck 609 (Vgl. S. 7714 D, 7740 A) Antrag der Fraktionen der SPD, FDP, GB/BHE zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP, DA betreffend Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Drucksache 2364). Der Bundestag wolle beschließen: Der Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen wird beauftragt, die Aufgaben, die sich aus der Großen Anfrage — Drucksache 2364 — und ihrer Beantwortung ergeben, laufend zu verfolgen und zu gegebener Zeit dem Bundestag Bericht zu erstatten. Bonn, den 29. Mai 1956 Ollenhauer und Fraktion Dr. Dehler und Fraktion Feller und Fraktion Anlage 4 Umdruck 610 (Vgl. S. 7717 D, 7740 A) Antrag der Fraktion der FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP, DA betreffend Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Drucksache 2364). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird beauftragt, darauf hinzuwirken, daß in weit größerem Umfange als bisher den jungen Menschen in der Bundesrepublik Gelegenheit gegeben wird, die besonderen Verhältnisse, die sich aus der Teilung Deutschlands ergeben, durch Reisen nach Berlin kennenzulernen. Insbesondere sollten die Abschlußklassen sämtlicher Schulen der Bundesrepublik Gelegenheit haben, die Verhältnisse in der ehemaligen Hauptstadt Deutschlands kennenzulernen. Die dazu notwendigen Gelder sind den Mitteln des Bundesjugendplanes zu entnehmen. Bonn, den 30. Mai 1956 Frau Hütter Dr. Dehler und Fraktion
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Ernst Lemmer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beantwortung der Fragen, die der Deutsche Bundestag an die Bundesregierung gerichtet hat, wie der bisherige Verlauf der Debatte haben gezeigt, daß in den meisten, in wesentlichen Fragen eine Übereinstimmung zwischen allen Teilen dieses Hauses besteht. An die Fragen, in denen sich keine volle Übereinstimmung gezeigt hat, an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang eine Polemik anzuknüpfen, wäre wohl politisch nicht zweckmäßig.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Ich denke daran, daß eine nahezu verzweifelte deutsche Bevölkerung jenseits der tragischen Demarkationslinie mit neu geweckten Hoffnungen auf den Verlauf der heutigen Bundestagssitzung blickt. Das allein schon legt uns gemeinsam eine


    (Lemmer)

    außerordentlich schwere Verantwortung auf. Die Fragen und die Antwort haben meines Erachtens dreierlei gezeigt. Sie haben die Bereitschaft dieses Hauses und der Bundesregierung gezeigt, sich auch bis in die letzten Details hin für die Lage der mitteldeutschen Bevölkerung verantwortlich zu fühlen. Die Detaillierung der Problematik ist aus dem Grunde erfolgt, unsere Bereitschaft erkennen zu lassen, das Menschenmögliche zu tun, um die tragische Lage dieses deutschen Bevölkerungsteils zu erleichtern.
    Fragestellung und Antwort sind aber auch realistisch gehalten. In diesen Impulsen für ein besseres Neben- und Zusammenleben deutscher Menschen ist keine illusionäre Politik enthalten. Zweifellos ist die Absicht, zu prüfen, was zur Erleichterung dieser Lage möglich ist, ganz illusionslos.
    Der Tenor der Fragestellung und der Antwort darf als Ausdruck eines guten Willens gewürdigt werden. Wenn die andere Seite, auf die es ankommt, guten Willens sein sollte — was wir bisher nicht feststellen konnten —, dann wird sie aus der sorgsam formulierten Antwort der Bundesregierung herauslesen können, in welchem Umfang die Bundesregierung bereit ist — nicht im Interesse dieses Pseudostaates, sondern im Interesse der leidenden Bevölkerung —, ihrerseits keinen Beitrag schuldig zu bleiben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und rechts.)

    Aber auch die Perfektionierung aller der Wünsche, Anregungen und Forderungen, wie sie in den 23 Fragen enthalten sind, würde uns nicht die Erlaubnis geben, uns in politischer Saturiertheit zur Ruhe zu begeben. Denn auch die beste Normalisierung des innerdeutschen Verkehrs und des unpolitischen Zusammenlebens deutscher Menschen kann nicht als die Lösung der deutschen Frage angesehen werden. Es gibt wohl eine Normalisierung des äußeren Lebens, es gibt aber keine Normalisierung für die Existenz unseres Volkes, ohne daß die Kluft an der Demarkationslinie bei Helmstedt und am Brandenburger Tor durch eine gesamtdeutsche Konstruktion in Freiheit überwunden worden ist.
    Lassen Sie mich in dem Gesamturteil noch zum Ausdruck bringen: der ganze Jammer deutscher Wirklichkeit konnte kaum erschütternder als in diesen Fragen nach absoluten Selbstverständlichkeiten zum Ausdruck gekommen sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und rechts.)

    Wir meinen daher, daß es im zwölften Nachkriegsjahr auch im Wissen um unsere historische Verantwortlichkeit für das, was entstanden ist, die höchste Zeit wäre, wenn schon die Probleme der großen Politik selber im Augenblick noch nicht lösbar erscheinen, mit einem Aufgebot an gutem Willen und gesundem Menschenverstand wenigstens dazu beizutragen, daß zwischen Görlitz und Aachen und Konstanz und Rostock Verkehrsmöglichkeiten geschaffen werden, wie sie in jedem zivilisierten Lande als Selbstverständlichkeit angesehen werden.

    (Beifall auf allen Seiten des Hauses.)

    Lassen Sie mich ein Wort zu der Frage der Gefangenen aussprechen. Ich bin mit meinem Vorredner der Ansicht, daß man, wenn es um Menschenschicksale geht, seine Position möglichst un-doktrinär beziehen sollte. Lassen Sie mich Ihnen mit schlichten und redlichen Worten sagen, wie ich ohne komplexe Gedanken ganz einfach dazu
    gekommen war, auch meinerseits diese Frage in der Öffentlichkeit anzusprechen.
    Wir haben feststellen müssen — wir wollen das gar nicht leugnen —, daß in den letzten drei Jahren einige tausend Häftlinge aus dem sowjetzonalen Gewahrsam entlassen worden sind. Die kommunistische Propaganda hat daran eine große Kampagne geknüpft, um nun mit dem Ruf nach Freigabe ihrer Gefangenen in der Bundesrepublik davon abzulenken, daß eine weitaus größere Zahl, wie wir gehört haben, 18 000 unserer Brüder und Schwestern, auch heute noch drüben der Freiheit beraubt sind. Als ich durch einen Zufall zur Kenntnis nehmen konnte, in welchem Umfang sich kommunistische Gesinnungstäter — vielleicht ist das der genehmere Ausdruck als „politische Gefangene" — in westdeutschen Gefängnissen befinden, habe ich feststellen müssen, daß es gerade über eine dreistellige Zahl hinausgeht.

    (Bundesinnenminister Dr. Schröder: Weniger!)

    — Noch weniger! Ich bin dankbar für diesen Zuruf, weil er, Herr Bundesminister, meine Empfehlung noch mehr rechtfertigt, hier nicht kleinlich, sondern großzügig zu sein.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten in der Mitte.)

    Es geht um das Schicksal von 18 000, und ich muß als ein Mann, der neben Jakob Kaiser drei Jahre die politische Führung meiner Freunde in der Zone gehabt hat, an unsere zahlreichen namentlich bekannten Weggenossen und Kameraden denken, die mir wertvoller sind als die paar Dutzend Kommunisten in westdeutschen Gefängnissen!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD, beim GB/BHE und bei Abgeordneten der Mitte und rechts. — Abg. Dr. Greve: Aber nicht Herrn Schröder, Herr Lemmer!)

    — Provozieren Sie mich nicht zu einer unfreundlichen Bemerkung!

    (Zuruf rechts: Sehr gut! Ausgerechnet Herr Greve!)

    Wenn wir also der Meinung sind, daß hier ein Akt politischer Klugheit und zugleich ein Akt der Menschlichkeit geboten wäre, lassen Sie mich, mit der feinen Unterscheidung — ich wiederhole es — zwischen Gesinnungstätern und Kriminellen, meinen Dank anfügen an die deutsche Presse und an den deutschen Rundfunk, die mein Anliegen nicht der Person, sondern der Sache wegen in den letzten Wochen so gut unterstützt haben.
    Die Reaktion jenseits des Brandenburger Tores hat meine Erwartungen bestätigt. Nach längerem, offenbar von Verlegenheit bestimmtem Schweigen entschloß sich der Präsident der ostzonalen Republik, in einem Brief an den Bundespräsidenten von dem Kern der Dinge abzulenken, indem er ausschließlich von dieser Handvoll sogenannter politischer Gefangener in der Bundesrepublik sprach. Nicht ein Wort in diesem doch wohl nur propagandistisch gemeinten Dokument, das an die Bereitwilligkeit hätte erinnern können, auch drüben der Vernunft und der Menschlichkeit in ausreichendem Maße zu folgen!
    Schließlich haben wir gestern aus dem Munde des ostzonalen Ministerpräsidenten Grotewohl vernommen, was seine Regierung zu dieser uns so ernst bewegenden Angelegenheit nunmehr zu sagen hat. Er weist zunächst die Behauptung in


    (Lemmer)

    Westdeutschland, wie er sagt, zurück, daß die Strafverbüßung solcher Leute, die sich gegen die Gesetze der DDR vergangen hätten — „und andere Inhaftierte gebe es nicht" —, der Verständigung der beiden deutschen Staaten entgegenstehe. Meine Damen und Herren, in der Bundesrepublik ist kein einziger Kommunist wegen seiner Gesinnung Verfolgungen ausgesetzt gewesen, während im sowjetzonalen Bereich die erkennbare Gesinnung bereits genügt, um Tausende zu politischen Gefangenen werden zu lassen.

    (Sehr wahr! in der Mitte.)

    Zweifellos hat die Bundesregierung mit ihrem ausdrücklichen Hinweis recht — dem auch die Opposition gewiß in keiner Weise widersprechen wird, ohne nun das eine oder andere Urteil westdeutscher Gerichte im einzelnen zu werten -, daß jedenfalls in der Bundesrepublik auch politische Delikte nur nach den Grundsätzen absoluter Rechtsstaatlichkeit geahndet worden sind.

    (Vizepräsident Dr. Schneider übernimmt den Vorsitz.)

    Nun aber fährt Herr Grotewohl fort:
    Aber die Freilassung von Gefangenen ist für uns kein Handelsobjekt. Mit der Präsentierung sogenannter Freilassungslisten ist überhaupt nichts zu erreichen.
    Sehr bemerkenswert! Daß Herr Grotewohl diese Äußerung getan hat, daß er aus seiner Orthodoxie heraus keine Maßstäbe findet für einen fairen, soliden und freien Handel als einer Funktion des gesellschaftlichen Lebens, vermag ich zu verstehen. Aber ich darf Herrn Grotewohl versichern, daß niemand von uns, auch nicht mein verehrter Vorredner, in diesem Zusammenhang an ein Handelsgeschäft gedacht hat. Was uns vorschwebt, ist, daß Gesten, zwingende Gesten guten Willens gemacht werden, und ich bin sicher, daß nach der Beantwortung der diesbezüglichen Frage auch die Bundesregierung bereit sein wird, einzelne Fälle zu prüfen und festzustellen, wie weit ein Gnadenerlaß empfohlen werden könnte, um auf diese Weise zum Abbau des Leides zu kommen.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Von einem Handelsgeschäft ist in keinem Zusammenhang die Rede gewesen.
    Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einen letzten Punkt auch nur mit wenigen Worten erläutern, weil die Geduld dieses Hauses, die Zeit und auch die Ausdauer des Herrn Bundeskanzlers nicht mehr als notwendig strapaziert werden sollen. Ein Wort zu den Berliner Fragen. Lassen Sie mich nur zwei herausgreifen, die ich allerdings für besonders wesentlich und auch symptomatisch halte. Das eine Wort gilt der Sperrung der Westberliner Sektoren- und Zonengrenzen nach dem natürlichen Hinterland dieser Stadt. In diesem Zusammenhang wurde auf die 40 000 Kleingärtner hingewiesen, die seit 1952 von ihren Grundstücken verbannt sind. Wer einmal in Berlin gelebt hat — ich möchte optimistischerweise glauben, daß das sogar bei dem größeren Teil dieser Versammlung irgendwann einmal der Fall war —, der weiß, welche Rolle im sozialen Leben der Millionenstadt die Schrebergärten am Stadtrand spielen. Die Schrebergärtner mit ihrer Freude an der Natur sind die kleinsten und harmlosesten Menschen. Es ist eine wahre Unmenschlichkeit, diese braven Menschen von ihren Schrebergärten auszuschließen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Es geht aber nicht nur um die Schrebergärten. Wer in diesen schönen Frühlingstagen an einem Wochenende in Berlin lebt oder in Berlin sein muß, den wird es aufs tiefste bedrücken, daß 2,2 Millionen Berliner keine Möglichkeit haben, in die Naturschönheiten ihrer so nahe gelegenen märkischen Heimat zu gelangen. Wir sind in den Wohnblocks, den wenigen Freiflächen und in den Ruinenfeldern, die es immer noch gibt, gewissermaßen interniert. Ich möchte nicht verhehlen, daß für die meisten meiner Mitbürger wie auch für mich selbst die Verweigerung des Auslaufs in die Natur der Umgebung der Stadt seelisch außerordentlich bedrückend ist. Zur Politik des guten Willens, von der auch Herr Grotewohl gesprochen hat, würde beispielsweise gehören, daß man ohne technische Kontakte in Ostberlin verfügt, der Westberliner Bevölkerung, wenn ihr vorläufig auch keine Passierfreiheit für die Zone selbst gewährt werden soll, wenigstens die Möglichkeit zu geben, sich innerhalb des Autobahnringes allein mit ihrem Personalausweis frei und ungefährdet zu bewegen.
    Solche Möglichkeiten gibt es viele. Eine, die ich von der Berliner Situation her auch für nicht unwesentlich halte, ist die, den Interzonenverkehr zwischen Westberlin und dem Gebiet der Bundesrepublik noch mehr als bisher zu erleichtern. Ich geniere mich nicht, wahrheitsgemäß festzustellen, daß die ostzonalen Polizei- und Zollbeamten seit längerer Zeit keine besonderen Schwierigkeiten machen, daß sie sich vielmehr durchaus bemühen, den Verkehr auf Grund ihrer komplizierten Direktiven so schnell und so einfach wie möglich abzuwickeln. Warum soll man diesen Männern nicht auch einmal diese Anerkennung aussprechen! Aber auch der beste Wille dieser untergeordneten Organe reicht nicht aus.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Das Passieren des Zonengebiets von Berlin her und umgekehrt, insbesondere in der Sommerzeit, bleibt nach wie vor eine wahre Strapaze. Wenn Sie am Wochenende etwa mit einem Auto oder Omnibus Berlin verlassen wollen, müssen Sie sich mit einer vielstündigen Wartezeit in Babelsberg und dann auch noch einmal in Marienborn abfinden, und umgekehrt ist es dasselbe.
    Auch der Eisenbahnverkehr, der zweifellos wesentlich korrekter und hilfsbereiter als vor Jahren für die Reisenden durchgeführt wird, läßt trotzdem noch viel zu wünschen übrig. Was geschehen könnte, meine Damen und Herren, darf ich aufzeigen, indem ich nur zwei Sätze aus ostzonalen Blättern der letzten Tage, aus einem Artikel „Am Fenster des Saßnitz-Expreß — Neue Schienenverbindung mit Schweden" mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten hier vortrage. Da heißt es wörtlich:
    Im Interzonenverkehr ist es keine Besonderheit, wenn die Deutsche Reichsbahn
    — das ist die ostzonale —
    Schienenwege der Bundesbahn benutzt. Doch mit dem FDT 129, dem Saßnitz-Expreß, hat es eine andere Bewandtnis. Er hält im Gegensatz zu Interzonenzügen nur wenige Minuten in Gutenfürst, zu seiner Abfertigung erscheinen keine Vertreter des Zolls, und die Grenzpolizei sichtet keine Pässe, Personalausweise und Einreisegenehmigungen.

    (Zuruf von der Mitte: Es geht also!)



    (Lemmer)

    Welch ein unvorstellbares Paradies für die gequälten Reisenden von und nach Berlin würde entstehen, wenn für den Interzonenverkehr zwischen Deutschen die gleiche Eleganz der Großzügigkeit gezeigt würde wie bei der Behandlung des Skandinavien-Expreß von Malmö nach Innsbruck und nach Mailand!

    (Beifall auf allen Seiten.)

    Ich habe in der vorgesehenen Ergänzung der Ausführungen meines Freundes Brookmann den Standpunkt meiner Fraktion zu diesem Fragenkomplex zum Ausdruck zu bringen versucht. Lassen Sie mich der Erwartung Ausdruck geben, daß das, was sich hier an Übereinstimmung des Willens zeigt, auch durch Ideen, Phantasie und Initiative realisiert werden möge.
    Der Versuchung, in diesem Zusammenhang zu dem Hintergrund der Wiedervereinigungspolitik Stellung zu nehmen, bin ich nicht erlegen; dazu werde ich mich bei anderer Gelegenheit äußern.
    Ich habe eingangs unserer Landsleute in den Ländern Mitteldeutschlands gedacht und schließe jetzt mit der Überzeugung, daß sich der Deutsche Bundestag über alle seine Fraktionsgrenzen hinweg einig ist in der Bereitschaft zur ungeteilten Verantwortung für unsere Landsleute in der Zone.

    (Beifall auf allen Seiten.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Will.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rudolf Will


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich für die Fraktion der Freien Demokraten zu der Großen Anfrage sämtlicher Fraktionen des Hauses in Kürze das Folgende ausführen. Ich habe nicht die Absicht, zu wiederholen, was meine Herren Vorredner hier schon gesagt haben, und zwar weil ich in der Lage bin, festzustellen, daß ein wesentlicher Unterschied in fast allen Fragen nicht besteht. Es ist hier eine der erfreulichen Tagesordnungen des Hauses gegeben, in denen eine einheitliche Meinung des gesamten Deutschen Bundestages zum Ausdruck kommen kann. Ich möchte glauben, daß gerade das der Sinn der heutigen Sitzung und letzten Endes der Sinn dieser Großen Anfrage gewesen ist.
    Worauf es uns hier ankommt, meine Damen und Herren, das ist, heute eine Hand auszustrecken, eine Hand des guten Willens, in der Hoffnung, daß sie auf der andern Seite ergriffen wird, im Interesse der Erleichterung der Lebensführung unserer 18 Millionen Brüder und Schwestern, die nicht gleich uns in der Lage sind, frei über das zu sprechen, was ist. Ich werde auch nicht der Versuchung erliegen, hier eine Frage der Weltpolitik anzuschneiden, d. h. das Thema Wiedervereinigung zu erörtern, das heute nicht zur Diskussion steht. Auch meine Herren Vorredner der bisher zu Wort gekommenen Fraktionen haben ausgeführt, daß das heute nicht möglich ist. Ich sehe darin einen wesentlichen Fortschritt in der augenblicklichen Situation. Denn die übereinstimmende Meinung geht doch dahin, daß die Frage der Wiedervereinigung im eigentlichen Sinne als Lösung der deutschen Frage im Moment nicht wesentlich gefördert werden kann, nachdem auf der ersten Genfer Konferenz durch die erste Garnitur, durch die Regierungschefs selber, festgestellt worden ist, daß sie nicht zu einer Einigung kommen konnten. Die Frage, die ja nicht für sie lebenswichtig war, aber
    für uns, wird trotzdem niemals von der Tagesordnung des Deutschen Bundestages verschwinden.
    Wenn wir der Überzeugung sind, daß eine gewaltsame Lösung nicht möglich ist — darin weiß ich mich einig mit allen Parteien dieses Hauses dann bleibt ja nur der Weg der Verhandlung. Und wenn nun festgestellt worden ist, daß auf dem Verhandlungswege über diese Frage im Augenblick nichts erreicht werden kann, wie wir das in der Tat immer wieder hören und lesen, dann gibt es nur eine dritte Möglichkeit, nämlich die der geduldigen Vorbereitung eines Zustandes, in dem sich die Dinge allmählich so gestalten, daß später von einer clausula rebus sic stantibus gesprochen werden kann, von der berühmten normativen Kraft des Faktischen. Es muß uns also möglich sein, in kleineren Schritten auf Nebenwegen einen Zustand herbeizuführen, der dann eine Übereinstimmung auch in der großen politischen Frage ermöglichen wird. Dazu soll diese Große Anfrage beitragen. Dazu soll beitragen, was der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen hier ausgeführt hat und was nun in der Aussprache von seiten der Fraktionsvertreter erklärt werden kann.
    Ich schließe mich der Auffassung aller meiner Vorredner an, daß am Anfang unserer Erklärungen, unserer Stellungnahmen die eindeutige Forderung zu stehen hat: Gebt endlich die politischen Gefangenen frei! Ich kann es mir ersparen, nach all dem, was gerade zu diesem Punkt hier gesagt worden ist, auf besondere Einzelheiten einzugehen, obwohl natürlich auch bei meiner Fraktion, bei der Fraktion der Freien Demokraten, eine Unzahl von Einzelfällen bekannt sind, die hier vorgetragen werden könnten und genauso dramatisch wirken wie diejenigen, die dem Hause bereits zu Gehör gebracht wurden. Ich möchte es also dabei belassen, daß ich für meine Fraktion erkläre: Diese Forderung und all das, was dazu gesagt worden ist, machen wir uns in vollem Umfang zu eigen, und wir werden wie die übrigen Fraktionen dieses Hauses niemals aufhören, diese Forderung als erste immer wieder vorzutragen und zur Durchsetzung zu bringen.
    Ob auf irgendeine Weise durch Freilassung von politischen Gefangenen, die im Bundesgebiet noch vorhanden sind, etwas erreicht werden kann, will ich im Augenblick dahingestellt sein lassen. Wenn es aber dahin führen sollte, dann sollte kein Weg unbegangen bleiben, der zu einem solchen Ziel führen könnte.
    Nun wird es natürlich, wenn es sich darum handelt, allmählich eine Anpassung, eine Entspannung, eine Milderung der Gegensätze herbeizuführen, erforderlich sein, daß die Lebenshaltung in den beiden Teilen, einerseits dem Bundesgebiet, andererseits der DDR, nicht so auseinanderklafft, wie es bisher der Fall ist. Hier müßte noch ein Wort gesagt werden, das ich bisher vermißt habe, ein Wort über die Tatsache, daß wir immer noch Tausende, Zehntausende, ja zusammengenommen Hunderttausende von Zonenflüchtlingen haben, daß deren Zustrom nicht abreißt, im Gegenteil, in der letzten Zeit noch stärker geworden ist. Solange der Unterschied in der Lebenshaltung, in der Freiheit der Person so groß ist, daß ein großer Teil der Bevölkerung des einen Gebiets sich auf dem Fluchtwege von dem ihr auferlegten Zwange frei machen muß, so lange kann natürlich nicht davon geredet werden, daß auch nur in etwa eine Anpassung denkbar wäre.


    (Dr. Will)

    Es wäre verführerisch, an dieser Stelle darüber zu sprechen, welche Erfahrungen jedermann macht, der etwa in Berlin oder in Marienfelde an einem Notaufnahmeverfahren teilnimmt und die Gründe kennenlernt, die die Menschen dazu bringen, ihre Heimat und ihre Familien zu verlassen, was doch immerhin die schwersten seelischen Kämpfe voraussetzt, ein außerordentliches menschliches Risiko einschließt und letzten Endes auf die Dauer gesehen zu einer Entvölkerung eines deutschen Gebiets führen muß, an der uns natürlich auch nicht gelegen sein kann.
    Diese Fragen also, die mit den Gefangenen und mit den Flüchtlingen aus der Zone zusammenhängen, werden in erster Linie anzugehen sein, wenn es sich darum handelt, zu einer echten Entspannung zu kommen.
    Nun hat der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen eine meiner Meinung nach äußerst dankenswerte ausführliche Antwort zu jedem einzelnen Punkt der Großen Anfrage gegeben. Ich muß es mir, vor allem im Hinblick auf die vorgerückte Zeit, versagen, zu all diesen Dingen Stellung zu nehmen, was ja auch mein Herr Vorredner nicht mehr getan hat. Aber einige Dinge bedürfen doch noch einer Hervorhebung, weil, wie ich glaube, diese Taste besonders angeschlagen werden sollte, wenn uns daran liegt, allmählich zu einer Verbesserung der Beziehungen zu kommen.
    Das eine ist — es ist hier auch schon zum Ausdruck gekommen — die Verbesserung der Bedingungen des Interzonenhandels. Ich würde es durchaus begrüßen, wenn in Berlin die Verwaltungsstellen des Interzonenhandels ausgebaut werden könnten. Denn es ist nicht etwa so, daß durch eine Einschränkung der Handel zwischen dem Bundesgebiet und der DDR verhindert werden könnte; es besteht lediglich die Gefahr, daß dann über ausländische Leitfirmen die gleichen bundesdeutschen Waren eben doch dorthin kommen, nur mit dem Unterschied, daß dann natürlich die Gewinne und die Geschäftsbeziehungen nicht unmittelbar wahrgenommen werden können, sondern, wie gesagt, über ausländische Leitfirmen. Das ist eine Frage, die uns zu beschäftigen haben wird.
    Besonders aber ist es die Verkehrsfrage, die auch heute und gerade jetzt zuletzt immer wieder berührt worden ist. Zu den vielen Wünschen, die wir auf diesem Gebiet haben, gehört die endliche Wiederherabsetzung der Autobahngebühren, die insbesondere von dem Berliner Senat mit allen Mitteln angestrebt, aber nicht erreicht worden ist. Zu diesen Fragen gehört auch der Flugverkehr, von dem bisher noch nicht die Rede war. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß es nicht möglich ist, mit einem deutschen Flugzeug, d. h. mit der Deutschen Lufthansa nach Westberlin und nach der DDR zu gelangen. Es ist der Deutschen Lufthansa nicht gestattet, Berlin anzufliegen. Abgesehen davon, ist dies überhaupt ein sehr ernstes Thema, weil die ausländischen Maschinen, die zur Verfügung gestellt werden, bei weitem nicht ausreichen. Es ist, wie ich höre, schon so, daß auf der meistbeflogenen Strecke nach Hannover insbesondere die verbilligten Nachtmaschinen schon bis in den August hinein ausverkauft sind, so daß einem wesentlichen Teil der Berliner Bevölkerung kein anderer Ausweg bleibt, als sich entweder der Autobahn oder der Eisenbahn zu bedienen, mit all den Schwierigkeiten, mit all den Aufenthalten, mit all den Risiken, von denen wir
    hier ja gehört haben und die sowohl an der Berliner Zonengrenze als auch in Helmstedt bestehen. Wir können natürlich nicht mehr tun, als daß wir die Bundesregierung oder im Rahmen der Zuständigkeit den Senat von Berlin ermuntern oder ermahnen, in ihren Anstrengungen nicht zu erlahmen, gerade auf dem Gebiet des Verkehrs das Möglichste zu erreichen.
    Wenn ich hier — und Sie werden mir als Berliner das gestatten — noch einiges zu den besonderen Problemen dieser Stadt sage, dann möchte ich meinen — und hier befinde ich mich etwas im Gegensatz zu dem, was vorher gesagt worden ist -, daß man eigentlich mit der Auflockerung am besten und am einfachsten in Berlin beginnen sollte und könnte. Wenn man zum Reichskanzlerplatz fährt — er heißt immer noch nicht Bundeskanzlerplatz, Herr Regierender Bürgermeister! —, dann kommt man normalerweise am Funkhaus in der Masurenallee vorbei, das sich ja viele Jahre hindurch gerade gegenüber der britischen Besatzungsmacht befunden hat. Dieses an sich durchaus geeignete Zweckgebäude steht seit soundso viel Jahren vollkommen leer, verkommt innen und außen, obwohl es für unsere Zwecke außerordentlich geeignet wäre. Sollte es nicht möglich sein, bei einigem guten Willen hier eine Vereinbarung zu erreichen, da dies keinerlei Verzicht für die sowjetzonalen Behörden bedeuten würde, die ja von diesem Gebäude gar keinen Gebrauch machen? Wir haben etwas Ähnliches seinerzeit mit dem Verwaltungsgebäude der Reichsbahn am Anhalter Bahnhof erlebt. Dort ist ja ein Versuch gemacht worden, zu einer etwas gewaltsamen Lösung zu kommen, die natürlich nach wenigen Tagen zum Scheitern verurteilt war. Auch hier handelt es sich um Enklaven, die der Gegenseite absolut nichts nützen, während sie für uns in Westberlin von großem Nutzen sein könnten.
    Das sind natürlich nur Beispiele für Beweise des guten Willens, die vorhanden sein müßten, wenn wir mit der Großen Anfrage und mit der Erwiderung Erfolg haben wollen. Der Sinn der ganzen Debatte, die wir heute haben, ist doch, wenn es schon nicht im Großen möglich ist, dann wenigstens auf Einzelgebieten, die lokale Bedeutung haben, zu einem Ausgleich zu kommen, und schon das würde in der gegenwärtigen Situation ein wesentlicher Fortschritt sein. Meine Damen und Herren, wir dürfen der Auffassung sein, daß mit einer Politik der Stärke, die nach Lage der Dinge im wesentlichen nur eine Politik der starken Worte sein kann, auf Jahre hinaus ein Erfolg sowieso nicht zu erzielen ist. Wenn diese Überzeugung Allgemeingut ist, bleibt uns nur übrig, hier immer wieder durch Vorleistungen, durch ständige Versuche, durch Kontakte, die natürlich technischer Art sein müssen, eine Erleichterung für die Bevölkerung in der Ostzone und in Ostberlin zu erreichen.
    Worauf kommt es an? An der Spitze aller Bemühungen, mit denen wir heute beginnen wollen, muß unser Ziel stehen, endlich die Vereinigung in Freiheit zu erreichen. Wir wissen, daß es hier Bedingungen gibt, die wir niemals erfüllen werden, wozu unfreie Wahlen, wozu ein unmittelbarer Kontakt mit Pankow gehören. Aber davon abgesehen gibt es eine ganze Reihe anderer Dinge, die heute besprochen worden sind und die sehr wohl eine Einigung ermöglichen würden. Voraussetzung dafür ist natürlich, daß auf beiden Seiten die Absicht einer friedlichen Lösung besteht und nicht diejenige


    (Dr. Will)

    einer Verwandlung dessen, was man bisher den Kalten Krieg genannt hat, in einen „heißen" Krieg. Ich möchte glauben, daß diese Absicht auf beiden Seiten nicht besteht. Wenn es also darum geht, auf friedlichem Wege zunächst ein Nebeneinander als Vorbereitung zu einem Miteinander zu schaffen, dann sollten wir uns über eines klar sein: Falls man diesen Frieden will, kann nicht das Wort gelten: Si vis pacem, para bellum, das immer wieder genannt wird, sondern dann sollten wir sagen: Si vis pacem, para pacem. Allein in dieser Entscheidung, in dieser Haltung sehe ich, und zwar für eine längere Zeit, einen Ausweg, der das vorbereitet, was unserem Ziel näher kommt, nämlich die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit.

    (Beifall rechts, in der Mitte und links.)