Rede von
Walter
Brookmann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Einem Unterausschuß des Bundestagsausschusses für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen war die Aufgabe gestellt, eine Große Anfrage über die Entwicklungen in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands zu erarbeiten. Als Vorsitzender dieses Unterausschusses habe ich das Bedürfnis, allen denen aufrichtig zu danken, die an dem Zustandekommen dieser Großen Anfrage, die dem Hohen Hause in Drucksache 2364 vorliegt, zu danken, nicht zuletzt auch den beteiligten Ministerien, insbesondere dem federführenden Ministerium, dem Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen. Wir haben inzwischen die Antwort der Regierung auf diese Große Anfrage gehört. Meine Damen und Herren, welche grausame und uns alle zutiefst erschütternde Bilanz über die Lage in der sowjetischen Besatzungszone! Ich möchte auch an dieser Stelle der Regierung, dem Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen dafür danken, daß sie mühsam, mit Eifer und mit viel Sorgfalt Material zusammengetragen hat, das uns ein Gesamtbild über die derzeitige Lage in der Zone gibt. Die Einmütigkeit, mit der die Große Anfrage an die Bundesregierung gerichtet wird, geht von der Einsicht aus, daß die Deutschen in Westdeutschland, die den Vorzug haben, in Freiheit und weithin auch in Wohlstand zu leben, aufgerufen und aufgerüttelt werden sollen, sich mit ihren Landsleuten jenseits der tragischen und völlig überflüssigen Zonengrenze immer wieder solidarisch zu fühlen.
Die heutige Debatte, die zu eröffnen ich die Ehre habe, soll mehr als eine Demonstration oder Bekundung gesamtdeutscher Solidarität sein; sie soll den Willen zum Ausdruck bringen, alle nur erdenklichen Mittel und Wege zu suchen, menschlich näherzurücken.
In der vorigen Woche hat der Gesamtdeutsche und Berliner Ausschuß gemeinsam mit Vertretern der Beratenden Versammlung des Europarates in Berlin getagt. In diesem Zusammenhange ist das Wort des Apostels Paulus zitiert worden: „Einer trage des andern Last!" — Meine Damen und Herren, das ist der eigentliche, tiefere Sinn unseres heutigen Begehrens. Wir sollten uns verpflichtet fühlen, die Last, die die Menschen in der Zone zu tragen haben, zu übernehmen.
Wir fordern heute weniger Rechenschaft von der Regierung für ihr eigenes Verhalten. Wir wollten ihr vielmehr die Möglichkeit bieten, zu veranschaulichen, was innerdeutsch geschehen kann, um das Verhältnis der Deutschen in West- und Mitteldeutschland zu- und untereinander wesentlich zu bessern.
Es handelt sich also heute weniger um die Behandlung außenpolitischer Probleme, sondern mehr um innenpolitische Probleme, die zum Teil in den technischen Bereich gehören. Wir wollen wissen, ob die Sowjetzonenregierung, die der Wiedervereinigung im Namen Moskaus so große Schwierigkeiten bereitet, klipp und klar erkennen lassen will, ob sie tatsächlich auch zu allen Möglichkeiten njet sagt, die Deutschen in freierem Verkehr einander näherzubringen. Die Große Anfrage ist eine Aktion der deutschen Innenpolitik. Die Deutschen in der Zone und in Berlin sollen wissen, daß der Deutsche Bundestag keineswegs gewillt ist, zu resignieren und abzuwarten, bis sich in der großen Politik etwas tut, was der Wiedervereinigung nützlich wäre. Wir wollen den uns befreundeten Mächten auch beweisen, daß wir Deutschen nicht allein auf ihre uns immer wieder versprochene Hilfe warten, sondern auch selbst bereit sind, einen gehörigen Anteil an Anstrengungen zu leisten, die auf innerpolitischem Gebiete liegen. Wir wollen und dürfen uns dem Vorwurf nicht aussetzen, tatenlos den Zustand hinzunehmen, der durch die augenblicklichen Schwierigkeiten und Unklarheiten in der Welt in der Frage der Wiedervereinigung entstanden ist.
Ich deutete es schon an: die Große Anfrage richtet sich im Wesentlichen vorwiegend an das eigene Volk. Wir fühlen uns verpflichtet, den Brüdern und Schwestern in der Zone zu beweisen, daß wir sie nicht abgeschrieben haben.
Es ist gewiß schmerzlich, zu wissen, daß wir Deutschen innerhalb unseres eigenen Vaterlandes elf Jahre nach Kriegsschluß immer noch nicht ungehindert, ohne Kontrollen hin- und herreisen kön-
nen, daß wir auf sehr merkwürdige Weise brieflich miteinander verkehren müssen, um niemanden in der Zone in den Verdacht zu bringen, ein Spion oder ein Agent zu sein.
Bis zu einem gewissen Grade war der Ablauf des 3. Parteikongresses der Sozialistischen Einheitspartei in Ostberlin eine Sensation. Grotewohl hat auf diesem Parteikongreß, den man den „Kongreß der Selbstanklage" genannt hat, Willkürakte gegenüber der Bevölkerung zugegeben. Er hat gewissermaßen ein Geständnis abgelegt, daß dort in der Zone keine Rechtssicherheit mehr bestünde. Er hat, wie das üblich ist, wenn man Selbstkritik üben muß, den Generalstaatsanwalt Melsheimer gerüffelt und den Justizminister Hilde Benjamin zur Ordnung gerufen. Allerdings, zur gleichen Zeit verteidigt sich der Leiter des dortigen Staatssicherheitsdienstes, Herr Wollweber, und meint, daß diese Vorwürfe zu Unrecht bestünden. Er hat sogar eine Sonderkommission seines Staatssicherheitsdienstes eingerichtet: „Zur Bekämpfung westlicher Spionageorganisationen und Diversanten-Zentralen", — also offenbar doch nur ein Lippenbekenntnis, nur Phrasen über die Herstellung der Rechtsstaatlichkeit oder die Hinwendung zu ihr.
Wir haben gern und dankbar die Entlassung von politischen Häftlingen in der Zone zur Kenntnis genommen. Aber warum werden nicht auch gleichzeitig die noch etwa 20 000 hinter Gefängnismauern schmachtenden Menschen entlassen, die unserer Meinung nach und nach unseren Gesetzen unschuldig sind? Es ist erschütternd, zu wissen von den drakonischen Strafen, die in der zivilisierten Welt einfach unmöglich sind, wegen sogenannter politischer Vergehen, Plakatankleben, Verteilen von Zetteln oder Flugblättern so hart verurteilt zu werden. Wir wissen von den Grausamkeiten, von den Folterungen, von mittelalterlichen Methoden zur Erpressung von Geständnissen hinter den Zuchthaus- und Gefängnismauern. Wir wissen von den Schindereien und der völlig unzureichenden Ernährung, die den Tod von Tausenden herbeigeführt und zahllose Erkrankungen, insbesondere Tuberkuloseerkrankungen, hervorgerufen haben. Terror und Unrecht regieren dort. Das wissen wir, und das weiß die Welt. Wann soll das — das ist doch die bange Frage, die wir uns täglich immer wieder stellen —, wann soll das endlich einmal enden? Wir glauben Ihnen nicht, Herr Melsheimer, wenn Sie behaupten: Unsere Staatsanwälte — d. h. hier in der Zone — sind Hüter der Gesetzlichkeit!, oder wenn Herr Wollweber, der schon zitierte Leiter des sowjetzonalen Staatssicherheitsdienstes, sagt: „Alle Maßnahmen der Organe der Staatssicherheit geschehen unter der strengsten Einhaltung der demokratischen Gesetzlichkeit." Ich möchte wirklich einmal fragen: Ist das demokratische Gesetzlichkeit, wenn man zwischen 1945 und 1949, allein in den vier Jahren, 185 000 Mitteldeutsche willkürlich in die KZs geschleift hat? Ist das demokratische Gesetzlichkeit, daß man von diesen Unschuldigen 96 000 Männer, Frauen und Jugendliche verhungern ließ? War das demokratische Gesetzlichkeit, als Sowjets, Volkspolizei, SSD-Männer am 17. Juni 1953 auf deutsche Arbeiter schossen und dabei 408 Demonstranten töteten? Wir können diesen Funktionären eines grauenhaften, entsetzlichen Systems nur zurufen: Achten Sie das Leben, respektieren Sie die Menschenwürde und respektieren Sie die Menschlichkeit!
Denn das, was drüben in der Zone geschieht, nehmen wir so hin, als wenn es uns geschähe.
Wir fordern weitere Erleichterungen im Interzonenreiseverkehr, Erleichterungen im Wirtschafts-und Kulturaustausch, Verbesserungen der technischen Kontakte, die auf dem Gebiete des Verkehrs und der Nachrichtenverbindungen nun einmal bestehen. Wir verlangen die Beseitigung der Störsender. Wenn man durch die Zone fährt, von welcher Seite man auch kommt, empfindet man es geradezu als lächerlich, aber auch als betrüblich, daß dort an der Zonengrenze zahlreiche Störsender aufgestellt sind, die ein Verstehen der westdeutschen Sender einfach unmöglich machen. Warum das? Wovor fürchtet man sich? Wir sind gerne bereit, Konzerte aus Leipzig oder den Thomanerchor in Leipzig zu hören, was man uns dadurch eigentlich unmöglich macht. Wir würden vielleicht sogar das politische Propagandageschwätz, das dort Tag für Tag über den Rundfunk gesendet wird, anhören; denn ich glaube, nach wenigen Stunden oder Tagen wären wir durchaus kuriert. - Also die Forderung: Heraus aus der Isolierung der Zone!
Mit Befriedigung will ich gerne anerkennen, daß der Interzonenhandel der Bundesrepublik und Westberlins mit dem Währungsgebiet der DM-Ost 1955 den Stand von 1 102 000 DM-West erreicht hat, immerhin 244 Millionen DM mehr als im Jahre 1954. Ich anerkenne auch dankbar, daß der Ministerrat der Zone jetzt in einer neuen Verordnung der Zone die Bestimmungen über Aufenthalt und Verkehr in der 5 km breiten Sperrzone, wenn auch nur geringfügig, gemildert hat. Künftig entfällt auch die Passierschein- und Meldepflicht für Ärzte und Hebammen, die im Sperrgebiet wohnen und dort ihre Praxis ausüben. Gewiß sind auch andere Erleichterungen in diesem Gebiet einschließlich des 10-km-Streifens unmittelbar entlang der Zonengrenze geschaffen worden, die dankbar anerkannt werden sollen. Aber Gaststätten. Kinos und Pensionen, die sich in diesem Schutzstreifen befinden, sind dabei ausgeschlossen geblieben. Man kann immer nur wieder fragen: Warum das, warum ist man nicht bereit, den Eisernen Vorhang ganz nach oben zu ziehen?
Ein Wort zur kirchenpolitischen Lage. Mit großer Besorgnis und Trauer haben wir die eindeutigen Bestrebungen verfolgt, auch die Kirchen in der Zone gleichzuschalten, die Kirchen, die bisher auf Grund der Verfassung der sogenannten DDR das verbriefte Recht besaßen, „zu den Lebensfragen des Volkes von ihrem Standpunkt aus Stellung zu nehmen". Offenbar soil der einzige geistige Gegenspieler des Regimes des Kommunismus auch noch stumm gemacht werden. Seit vier Jahren stehen die Kirchen in einem anhaltenden Abwehrkampf gegen die mit den verschiedensten Mitteln geführten Versuche von Partei und Regierung, ihre Wirksamkeit einzuschränken und ihren Einfluß zu unterdrücken. Warum sind heute noch Mitarbeiter der evangelischen Bahnhofsmission eingesperrt? Sie taten doch wirklich nichts weiter, als eine soziale, eine segensreiche Tätigkeit auszuüben. Ich will anerkennen, daß seitens der sowjetzonalen Behörden dem Evangelischen Kirchentag 1956 in Frankfurt am Main keine Schwierigkeiten im Hinblick auf die Beschickung mit sowjetzonalen Deutschen bereitet worden sind. Ich will das dankbar anerkennen.
Wenn diese Debatte den Erfolg hat, einen wesentlichen innerdeutschen Beitrag zur Wiedervereinigung geleistet zu haben, sind wird glücklich.
Die Bundesregierung ist im Rahmen der ihr gesetzten Möglichkeiten den Beitrag hierfür nicht schuldig geblieben. Die Männer von Pankow sollen jetzt Farbe bekennen, in welchem Umfang sie bereit und in der Lage sind, Worten ihrer Propaganda auch Taten folgen zu lassen. Hier kann es kein Ausweichen geben. Das wollen nicht nur wir, sondern das wollen besonders die Deutschen in der Zone wissen.
Meine Damen und Herren, ich habe nunmehr namens meiner Fraktion zu dem Antrag der Fraktion der SPD Umdruck 608 *) folgende Erklärung abzugeben. Die Fraktion der CDU/CSU ist fest entschlossen, alle Maßnahmen zu unterstützen, die den Zusammenhalt des deutschen Volkes festigen, die Lage der Deutschen in der sogenannten DDR erleichtern und den Weg zu einer Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit bahnen helfen. Sie ist aber ebenso fest entschlossen, allen Versuchen zu widerstehen, die gegenwärtig amtierenden Machthaber in Pankow durch ein ständig wachsendes Netz amtlicher Beziehungen und Verflechtungen anzuerkennen. Wir dürfen nicht zulassen, daß die im Interesse der deutschen Bevölkerung notwendigen verwaltungsmäßigen und technischen Beziehungen für die politischen Zwecke der sogenannten DDR mißbraucht werden. Der Weg zur Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit führt nicht über Pankow. Die gegenwärtige sowjetrussische Politik versucht uns dies zwar einzureden. Um so wichtiger ist es, daß alle Parteien des Deutschen Bundestages solche Tendenzen klar und entschieden ablehnen und sich auf keine Politik einlassen, die praktisch den Zielen der Machthaber in Pankow dienen könnte. Wir haben aus diesen Gründen gegen einige Punkte des sozialdemokratischen Antrages Umdruck 608 schwere Bedenken. Um aber den erst heute vorgelegten umfangreichen Antrag mit der gebotenen Sorgfalt behandeln zu können, stimmt die Fraktion der CDU/CSU mit den eben formulierten Vorbehalten der Überweisung an den Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen und an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten zu.