Rede von
Fritz
Erler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das war also gegen die Jungstrategen gerichtet und bezog sich nicht auf meine Ausführungen.
Dann möchte ich unserem Kollegen Jaeger noch einiges sagen. Sicher würden viele Punkte seiner Rede auch unsere Zustimmung finden können, wenn diese Rede unter den Bedingungen eines Landes gehalten worden wäre, das in nationaler Geschlossenheit und Freiheit vereint ist und sich um nichts anderes zu sorgen braucht als darum, wie für dieses ganze geeinte Land die Freiheit zu schützen ist. In dieser Lage befinden wir uns aber nicht, sondern wir müssen uns hier bei allem, was
wir tun, auch die Konsequenzen überlegen, die sich aus unseren eigenen Taten möglicherweise für die weitere Abschnürung der getrennten Teile unseres Vaterlandes ergeben. Ich bedaure, daß dieser Teil meiner Ausführungen in der Hauptrede der Koalition, die ja unbestreitbar der Kollege Dr. Jaeger gehalten hat, kaum ein Echo gefunden hat.
Aber ich will mich hier gar nicht mit dem Herrn Kollegen Dr. Jaeger auseinandersetzen. Ich bedaure vielmehr, daß die Bundesregierung, die in der Debatte eben immerhin noch ein Zeichen ihrer physischen und geistigen Anwesenheit gegeben hat, auf die Fragen, die wir ihr in diesem Zusammenhang gestellt haben, dem Hohen Hause keinerlei Antworten zu geben für nötig fand.
Wir haben klar gefragt: Was gedenkt denn nun die Bundesregierung zu tun, damit bei der Einführung der. Wehrpflicht die zu befürchtenden Folgen für den Personenverkehr über die Zonengrenze hinweg jedenfalls von uns aus nicht eintreten? Da wäre hier ein gutes Wort der Bundesregierung über die Richtung, die sie z. B. bei der Wehrüberwachung einzuschlagen gedenkt, am Platze gewesen.
Die Bundesregierung hat sich auch sonst in nahezu Moltkesche Schweigsamkeit gehüllt. Sie hat z. B. zu dem Vorschlage nicht Stellung genommen, daß einmal unabhängige Persönlichkeiten, die nicht durch lange Arbeit im Ministerium in gewissem Sinne betriebsblind geworden sind, jetzt wenigstens bei den Ausschußberatungen dem Parlament beratend zur Verfügung stehen bei der Prüfung der Frage, ob es unbedingt erforderlich ist, die allgemeine Wehrpflicht einzuführen, oder nicht.
Die Bundesregierung hat auch die weitere Frage nicht beantwortet — das wollte ich nur noch einmal feststellen —, was sie denn eigentlich für Absichten über die Einführung der Wehrpflicht und die Aufstellung der Armee von einer halben Million Mann hinaus hat. In ihrer Denkschrift ist die Rede von einem Kader von 50 000 Mann für bodenständige Heimatverteidigung. Es gibt doch aber bei einem lebenden Wesen keine Knochen ohne Fleisch. Wenn Sie also Kader haben, gibt es doch um diese Kader auch etwas herum, zu dem der Kader eben nur das eigentliche Gerippe darstellt. Darüber ist kein Wort gefallen. Meine Damen und Herren, ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Regierung heute zwar flammende Reden gegen die Miliz gehalten hat, daß sie uns aber in Ergänzung der allgemeinen Wehrpflicht sehr wohl noch mit einer Milizorganisation nicht unerheblichen Ausmaßes beglücken wird. Warum dann nicht die Karten ganz auf den Tisch, damit man weiß, wie die Planung der Regierung überhaupt aussieht? Hier sollte das Parlament keine stückweise Arbeit leisten und sich nicht mit Andeutungen abspeisen lassen, sondern es sollte erfahren, was beabsichtigt ist!
Und dann das schamhafte Schweigen darüber, wann denn eigentlich die Denkschrift der Bundesregierung im Verteidigungskabinett beraten und im Bundeskabinett beschlossen worden ist!
Auch darüber haben wir keinen Satz gehört, und das interessiert doch das Parlament immerhin, damit es weiß, welches Gewicht dieser Denkschrift zukommt und wie die Verantwortlichkeiten verteilt sind.
Ich wollte ganz bewußt am Schluß dieser Debatte nur noch einmal klarstellen, daß sie ausgeht wie manche andere, daß im Hause ernste Fragen gestellt werden und die Regierung es nicht für erforderlich hält, diese Fragen zu beantworten.
Eine letzte Bemerkung! Die angebliche völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik, eine Armee von einer halben Million Mann auf der Grundlage der Wehrpflicht aufzustellen, ist hier nun wohl endgültig auf der Strecke geblieben.
Übriggeblieben ist die Erklärung, daß es sich um den seit langem bekannten Willen der Mehrheit dieses Hauses handelt, die nach wie vor zu diesem ihrem Willen steht, der auch den anderen Vertragspartnern bekannt ist. Das ist etwas völlig anderes als die verbriefte und besiegelte völkerrechtlich bindende Verpflichtung der Bundesrepublik aus dem Vertrag.
Ich muß dem Kollegen Dr. Jaeger das Kompliment machen, daß er diesen Rückzug in hinhaltender Verteidigung sehr geschickt geführt hat. Aber zum Schluß ist es ihm doch nicht erspart geblieben, sich aus der unhaltbar gewordenen Stellung der Bundesregierung abzusetzen, und wir haben es alle mit Befriedigung zur Kenntnis genommen.