Rede von
Dr.
Hans
Reif
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Worte des Herrn Bundesverteidigungsministers zu dieser Frage haben uns etwas beruhigt, und diese Beruhigung ist noch verstärkt worden durch die Ausführungen, die der Kollege Nellen soeben hier vor dem Hohen Hause gemacht hat. Wir haben es nicht verdient, daß man diese Frage der Gewissensentscheidung in bezug auf den Kriegsdienst — genauer gesprochen, in bezug auf die Möglichkeit zu töten — leicht nimmt.
Wir waren stolz auf die neue und bis dahin wohl in der Erfahrung nicht vorkommende Rechtsnatur der Grundrechte im Bonner Grundgesetz. Wir sollten, glaube ich, auf diese echte Errungenschaft der Rechts- und Verfassungsgeschichte so stolz sein, daß wir daran nicht rütteln lassen und durch keine Bequemlichkeit der Anwendungspraxis des Rechtslebens — in diesem Fall also auch nicht durch ein Gesetz, das dieses Haus verabschiedet — den Eindruck erwecken, daß wir Grundrechte einschränken wollen oder dies gar in Wirklichkeit tun. Der Respekt vor dem Rechtscharakter der Grundrechte als subjektiver öffentlicher Rechte sollte in diesem Hause vor und über jedem Gesetzgebungsakt stehen.
Ich möchte wiederholen, daß ich nach den soeben gehörten Erklärungen gerne den beruhigenden Eindruck mitnehme, daß es sich offenbar bei dem Text der Regierungsvorlage um eine Art Arbeit ins Konzept handelt,
von der der Herr Bundesverteidigungsminister selbst überzeugt ist, daß erst durch die Arbeit im Ausschuß der Rechtscharakter hergestellt werden
kann, der sich eigentlich nach unserem Grundgesetz von selbst verstehen sollte.
Wir nehmen das also sehr gerne zur Kenntnis.
Ich möchte entgegen meiner ursprünglichen Absicht auf das eigentliche moralische Problem der Kriegsdienstverweigerung gar nicht näher eingehen; nur eins erlauben Sie mir auszusprechen. Wenn man sich auf die individuelle Gewissensentscheidung beruft, hat man auch das Recht, Gewissen, ich möchte einmal sagen, nach dem Grad der Gewissenhaftigkeit des Gewissens zu unterscheiden. Ich möchte mich durchaus zu dem Satz bekennen, daß das Gewissen über dem Gesetz steht, — aber nur das äußerst gewissenhafte Gewissen. Der Herr Kollege Nellen hat von dem irrenden Gewissen gesprochen. So weit wollte ich gar nicht gehen. Ich bin der Meinung, daß das Gewissen, jedenfalls das Gewissen, das von politischer Gewissenhaftigkeit durchdrungen ist, den Staat mit einschließt, d. h. auch die Notwendigkeiten und Bedingungen seiner Existenz. Wir wollen uns um diese Sache nicht herumdrücken. Nun bitte ich das Hohe Haus, mir zu erlauben, aus diesem einen Ausschnitt der Vorlage eine Konsequenz zu ziehen. Wir teilen die hier vorgetragene Auffassung, daß auch im demokratischen Staat, nein, daß erst recht im demokratischen Staat eine Gehorsamspflicht des Bürgers gegenüber den auf demokratischem Wege zustande gekommenen Gesetzen besteht. Die Demokratie würde ihren Sinn und ihre Würde verlieren, wenn das anders wäre. Wir sind der Meinung, daß der Gehorsam des demokratischen Bürgers gegenüber dem Gesetz moralisch sehr viel höher steht als das Sichfügen des Untertanen in ein Gesetz, an dessen Herstellung er in keiner Weise beteiligt war und das er gar nicht mit zu verantworten hat. Das sind eigentlich Dinge, die wir der Diskussion als selbstverständlich vorausstellen.
Wir erwarten jenen Gehorsam, wir erwarten, daß der Bürger der Bundesrepublik, wenn dieses Gesetz, wie auch immer, zur Verabschiedung gelangt ist, dem Gesetz gegenüber jenen Gehorsam erweist, den der demokratische Bürger zu erweisen hat. Sollten wir dann nicht einen Augenblick überlegen, ob wir bei der bisherigen Behandlung dieses Gesetzes, nämlich bei der Art der Einbringung und auch bei der Art der Begründung, es nicht vielleicht dem demokratischen Bürger sehr schwer gemacht haben, überzeugt zu sein, daß es sich um ein demokratisches Gesetz handelt? Zeigen denn nicht die Beiträge in dieser Diskussion — jedenfalls dem unverbildeten Bürger zeigen sie das doch ganz gewiß; nehmen Sie doch den Sonderfall der Erklärung der Deutschen Partei und der Ausführungen, die der Herr Kollege Schneider hier gemacht hat —, daß gewissenhafte Frauen und Männer in diesem Hause — ich könnte sogar Namen aus der CDU nennen, von Persönlichkeiten, mit denen ich mich in den letzten Tagen unterhalten habe — mit ihrer Gewissensentscheidung und mit der sachlichen Prüfung der Frage, ob die allgemeine Wehrpflicht wirklich das Richtige ist, noch gar nicht fertig sind?
Sollten wir nicht, gerade weil wir den Gehorsam des demokratischen Bürgers für das demokratische Gesetz fordern, ihm zeigen, daß auch wirklich ein demokratisches Gesetz geschaffen wird in dem Sinne — nun nehme ich das Wort von der repräsentativen Demokratie auf —, daß die Persönlich-
ketten, die den Bürger in diesem Hause repräsentieren — und darum geht es j a —, wirklich mit allem Ernst, unter Kenntnis aller politischen, strategischen und sonstigen Gesichtspunkte zu einem Entschluß sich durchgerungen haben, der dann allerdings endgültig sein soll? Ich habe so etwas das Gefühl — ich bitte, mir das nicht übelzunehmen —, daß wir im Grunde genommen am Anfang der Diskussion stehen, so daß wir zwar eine Vorlage einem Ausschuß überweisen können, aber eigentlich bei diesem Überweisungsbeschluß nicht gleichzeitig schon dem Prinzip zustimmen können. Über dessen Bejahung oder Verneinung kann wahrscheinlich erst bei sehr gewissenhafter und sehr sachverständiger Auseinandersetzung im Ausschuß entschieden werden.
Das ist mein Anliegen.
Ich darf noch eines hinzufügen. Die Frage der Wehrverfassung ist eine Frage, die für die sogenannte Verfassungswirklichkeit, d. h. für die Frage, wie sich bei einer formalen demokratischen Verfassung die Dinge im Volk auf die Dauer abspielen, von geradezu ungeheurer Bedeutung ist. Ich glaube auch, daß dieses Problem unter dem Gesichtspunkt Berufsheer, allgemeine Dienstpflicht oder Miliz von uns noch nicht genügend behandelt worden ist. Man darf es sich nicht so leicht machen, wie ich es gelegentlich gehört habe, daß man sagt: Wir hatten in Weimar keine allgemeine Wehrpflicht, und daran ist der Weimarer Staat zugrunde gegangen. Wer Weimar bewußt miterlebt hat und wer sich Mühe gegeben hat, das Schicksal dieses ersten großen demokratischen Versuchs unseres Vaterlandes zu verstehen, der kommt vielmehr zu der Überzeugung, daß, wenn schon die Wehrmacht 'im Weimarer Staat einen Fremdkörper gebildet hat, sie ihn deshalb gebildet hat, weil die Spitze der Wehrmacht in Wirklichkeit niemandem verantwortlich war. Das ist der Grund — auch das möchte ich in dieser Stunde dem Hause sagen —, der mich veranlaßt hätte, wenn ich als Berliner Abgeordneter hätte mitstimmen dürfen, gegen die letzte Entscheidung des Bundestages in der Frage der Wehrgesetze zu stimmen, weil man sich des Rechtes begeben hat, diejenige Kontrolle der Wehrmacht wirklich durchzuführen, die nach allen Erfahrungen des Verfassungslebens im Inland und im Ausland nur möglich ist, wenn der Verteidigungsminister dem Parlament direkt verantwortlich ist.