Rede von
Dr.
Georg
Kliesing
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, eines dürfte jedenfalls klar sein: Wenn man von einem Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik in der Höhe von 500 000 Mann spricht — es dürfte Ihnen ja weithin unbenommen sein, diese Verpflichtung zu bezweifeln —, dann muß man sich auch darüber im klaren sein, daß dieser Beitrag nur auf der Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht geleistet werden kann. In diesem Punkte darf ich mich auf den Kollegen Erler berufen, der in seiner im Jahre 1952 geschriebenen Broschüre „Soll Deutschland rüsten?" schreibt: Es ist ein Rechenexempel, daß ohne allgemeine Wehrpflicht das vorgesehene deutsche Kontingent gar nicht aufgebracht werden kann. — Ich glaube, Herr Kollege Erler, wenigstens in dieser Frage sind wir uns einig. — In der gleichen Broschüre fährt Kollege Erler fort:
Der Vertrag
— er spricht vom EVG-Vertrag —
legt die Wehrpflicht fest und bestimmt eine einheitliche Dauer. Auch damit sind viele Diskussionen in Deutschland gegenstandslos geworden. Es ist immerhin nützlich, zu wissen, — —
— Warum? Gefällt Ihnen das nicht?
— Freut mich! Sehen Sie, Herr Kollege Wehner, ich bin es ja nicht, der erklärt, daß damit die Diskussionen gegenstandslos geworden seien, sondern es ist der Kollege Erler, der dies erklärt. —
Es ist immerhin nützlich, zu wissen, daß ein Ja zum Verteidigungsbeitrag auch ein Ja zur allgemeinen Wehrpflicht in sich schließt.
— Meine Damen und Herren, ich glaube, Sie müssen nun schon anerkennen, daß diejenigen, die für die Verträge gestimmt haben, auch heute für die allgemeine Wehrpflicht eintreten müssen, wenn sie nicht bei allen vernünftigen Menschen im In- und Ausland den Eindruck erwecken wollen, sie wollten sich vor den eingegangenen Verpflichtungen drücken.
Art. 3 des NATO-Vertrages — der Herr Minister sprach bereits davon — verpflichtet die Mitglieder, die eigene und gemeinsame Widerstandskraft gegen bewaffnete Angriffe zu erhalten und fortzuentwickeln. Glaubt man denn wirklich, daß irgendeiner unserer Verbündeten angesichts der Tatsache, daß ihr Durchschnittsaufkommen an Soldaten 1,4 % der Bevölkerung ausmacht, ja daß einzelne dieser Staaten, wie der Herr Minister vorhin ausführte, sogar 1,8 und 2 % aufbringen, noch an unseren guten Willen, im Sinne der Verpflichtungen des Art. 3 zu handeln, glauben würde, wenn wir erheblich unter die 1-%-Relation gehen würden?
Glaubt denn irgend jemand, daß ein derartiges Verhalten auf unserer Seite die Entschlossenheit unserer Verbündeten, die deutsche Wiedervereinigung herbeizuführen, anspornen würde?
Es ist wirklich nicht einzusehen, wieso eine brutale Drosselung des vorgesehenen deutschen Verteidigungsbeitrages die Chancen für eine Wiedervereinigung erhöhen sollte.
Nun ein Wort zu den Verteidigungsplanungen der NATO. Wir haben kürzlich im „Rheinischen Merkur" den Artikel des Generals Gruenther gelesen, der auch im Bulletin veröffentlicht wurde.
Es ist wohl nicht anzunehmen, daß General Norstad über diese Fragen wesentlich anders denken wird. Gestatten Sie, Herr Präsident, daß ich einiges aus dem Artikel von General Gruenther wieder einmal in Erinnerung rufe.
— Herr Kollege Schmidt, wenn Sie etwas aufmerksam gewesen wären, dann würden Sie wissen, daß ich mich zur Zeit mit dem Verteidigungsplan der NATO befasse.
Wir sind der Auffassung,
— so schreibt General Gruenther —
daß wir nach der Aufstellung der deutschen Streitkräfte, der zwölf Divisionen, der 1300 Maschinen der taktischen Luftstreitkräfte und des Marinekontingents, in der Lage sein werden, Westeuropa einschließlich der Bundesrepublik Deutschland gegen einen auf breiter Front geführten Angriff verteidigen zu können. Wir der Meinung, daß sie in drei bis vier Jahren voll einsatzfähig sein werden. Wieviel Zeit verstreichen wird, ehe diese Streitkräfte einsatzbereit sein können, hängt weitgehend von dem deutschen Volke und der deutschen Regierung ab.
An einer anderen Stelle sagt er:
Man muß vor allem erkennen, daß wir nach dem Wirksamwerden des deutschen Verteidigungsbeitrages in der Lage sein werden, eine auf breiter Front geführte Aggression niederzuschlagen, und das entspricht der in unseren Plänen etwa vorgesehenen Stärke unserer Kampfkraft.
— Nein, keineswegs! — Damit dürfte doch wohl etwas Entscheidendes gesagt sein.
Daraus ergibt sich klipp und klar, daß die gegenwärtigen Verteidigungsplanungen insbesondere hinsichtlich der Verteidigung der Bundesrepublik den deutschen Beitrag in der von General Gruenther angegebenen Stärke einkalkulieren. Daraus ergibt sich weiterhin, daß bei Wegfall eines erheblichen Teiles dieses Beitrages die gegenwärtige Verteidigungsplanung der NATO insbesondere hinsichtlich der Verteidigung der Bundesrepublik zusammenbrechen würde und vielleicht dann durch den Einsatz strategischer Atomwaffen von der ersten Stunde an ersetzt werden müßte. Das aber würde das Ende unseres Volkes bedeuten. Dann möchte ich, selbst auf die Gefahr hin, das Problem etwas zu vereinfachen, sagen: dann schon lieber Wehrpflicht als Wasserstoffbomben!