Rede von
Valentin
Brück
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Müller-Hermann hat eingangs seiner Ausführungen davon gesprochen, daß man, wenn man die Bilanz der vergangenen Jahre ziehe, feststelle, daß sie erschreckend sei. Ich glaube, auf diese Dinge kann man nicht genug hinweisen. Herr Kollege Müller-Hermann sprach von über 50 000 Toten und von über 1 Million Verletzten. Erschreckend aber ist diese Bilanz insofern ganz besonders — wenn wir uns die Entwicklung dieser Bilanz ganz kurz ansehen —: im Jahre 1952 hatten wir 7590 Tote, 1953 10 954, 1954 11 565. Dazu kommen nun all diese Verkehrsverletzten.
Nun hat der Bundesverkehrsminister bei der Beantwortung der Großen Anfrage alle jene Maßnahmen vorgetragen und aufgezählt, die im Laufe der Jahre ergriffen worden sind. Herr Minister, es ist sicherlich anzuerkennen, daß vieles geschehen ist; aber wir müssen doch immer das Fazit und das Endergebnis sehen, und dieses Endergebnis ist eben nicht befriedigend. Herr Kollege Rademacher, ich habe gerade gestern von Nordrhein-Westfalen — wo ja Ihr Parteifreund, der Herr Dr. Middelhauve, Verkehrsminister ist — die neueste Übersicht bekommen. Diese Übersicht der Verkehrsentwicklung des Landes Nordrhein-Westfalen behandelt das erste bis dritte Vierteljahr 1955, und in dieser Übersicht ist ein Vergleich zu dem gleichen Zeitraum des Jahres 1954 angestellt. Wenn man sich nun diese Statistik, die sehr genau und sehr gut dargestellt ist, ansieht, muß man wieder feststellen, daß leider die Anzahl der Unfälle, insbesondere aber die Zahl der Toten, ständig zunimmt.
Etwas ist in dieser Statistik besonders interessant. In diesem Zeitraum — den ich eben erwähnt habe — hat sich der Kraftfahrzeugbestand gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres — 1954 — nur um 11 % erhöht, dagegen die Anzahl der Verkehrsunfälle um 17 %. Also geht doch ganz eindeutig daraus hervor, daß alles das, was bisher geschehen ist, in keiner Weise genügt.
Wir müssen uns entschließen und müssen den Mut haben, Maßnahmen auf diesem Gebiet zu treffen, die das Übel abstellen.
Der Kollege Müller-Hermann hat eben bei der Begründung der Großen Anfrage davon gesprochen, daß zum allergrößten Teil das menschliche Versagen an diesen bedauerlichen Unfällen schuld ist. Ich möchte einmal einige, ganz wenige Gedanken zu diesem Problem sagen. Einer meiner Vorredner hat auch durch dieses menschliche Versagen einen folgenschweren Unfall gehabt. Ich bin der Meinung, wir sollten uns dazu entschließen, jeden, der sich in ein Kraftfahrzeug setzt, d. h. einen Führerschein erwirbt, doch etwas stärker unter die Lupe zu nehmen, als es bisher geschieht. Mir scheint notwendig zu sein, daß der Betreffende eine allgemeine Untersuchung mitmacht, genau wie es in Nachbarländern bereits geschieht. Wir sollten diese Kraftfahrzeugführeranwärter untersuchen, ob sie farbentüchtig sind, ob ihr Gehör in Ordnung ist, ob ihr allgemeiner Gesundheitszustand in Ordnung ist. Wir sollten uns auch entschließen, in gewissen Zeitabständen, wie es beispielsweise in Norwegen geschieht, Untersuchungen vorzunehmen, ob der allgemeine Gesundheitszustand noch tatsächlich dazu ausreicht, in dem wilden Verkehr heute bestehen zu können. Diese Dinge gefallen vielen nicht. Das ist ganz klar, weil auch ein großer Teil von uns davon betroffen würde.
Der Herr Kollege Müller-Hermann hat eben von der Hast unserer Tage gesprochen. Da scheint mir ein wirkliches Anliegen zu bestehen. Wir sollten nun aber auch versuchen, der Hast dieser Tage einen kleinen Sperriegel vorzuschieben. Wer in diesen Tagen auf der Autobahn zwischen Bonn und Köln gefahren ist, hat es erlebt: Es ging etwas langsamer, aber es ging auch so. Deshalb sollten wir sehr ernsthaft überlegen — das sind Dinge, die vielen nicht gefallen; aber ich möchte sie aussprechen —, ob wir uns nicht wieder zu einer allgemeinen Geschwindigkeitsbeschränkung entschließen.
— Sehr richtig, Herr Kollege Rademacher! Nicht nur für Abgeordnete, sondern auch für amtierende Minister und vielleicht sogar für den höchsten Chef!
Ich glaube, wir müssen uns darüber unterhalten. Als wir bei der letzten Tagung in Berlin waren, haben ja auch einige gemerkt, was geschieht, wenn man diese vorgeschriebene Geschwindigkeit nicht einhält. Innerhalb der Städte, wo, wie der Kollege Müller-Hermann sagte, 85 % der Verkehrsunfälle eintreten, scheint mir die Geschwindigkeitsbeschränkung unbedingt notwendig zu sein. Gewiß, es gibt eine Reihe von Städten, die das bereits jetzt gemacht haben. Aber wir sollten uns hier generell zu einer Geschwindigkeitsbeschränkung entschließen, auch für den Verkehr innerhalb der geschlossenen Ortschaften. Wir können dann natürlich die Städte ermächtigen, von dieser Bestimmung abzuweichen.
Aber hier scheint einer jener schwierigen Punkte zu liegen. Ich bin der Meinung — Herr Kollege Rademacher, das gebe ich Ihnen zu —: wenn die Herren Abgeordneten dieses Hohen Hauses nicht gerne selbst so rasend führen, hätten wir wahrscheinlich schon längst diese Geschwindigkeitsbeschränkung. Entschuldigen Sie, wenn ich das ausdrücke! Aber ich muß das einmal sagen.
Nun stellen wir immer wieder — der Kollege Müller-Hermann sprach davon --- eine gewisse Rücksichtslosigkeit — um nicht jenen anderen Ausdruck wieder zu gebrauchen — im Straßenverkehr fest, und wir stellen leider fest, daß sich die Führerscheininhaber kaum noch daran erinnern, daß sie die Straße als Fußgänger einmal mitbenutzt haben. Hier sollten wir auch überlegen, ob wir nicht eine Verkehrserziehung in der Form ausüben, Herr Minister, daß jeder Führerscheininhaber im Laufe des Jahres 14 Tage auf seinen Führerschein verzichten oder ihn zurückgeben und einmal wieder als Fußgänger am Verkehr teilnehmen muß,
damit er erlebt, wie es für den Fußgänger ist. Das sind Dinge, die nicht jedem gefallen werden. Aber sie würden sicherlich sehr, sehr wirksam sein, Herr Minister. Diese drei Punkte wollte ich nur ganz kurz ansprechen.
Ich möchte aber nun noch eins sagen. Der Herr Kollege Müller-Hermann hat von dem Appell an alle gesprochen. Meine Damen und Herren, für uns alle in diesem Hohen Hause steht in allen unseren Überlegungen der Mensch im Mittelpunkt. Für meine politischen Freunde möchte ich sagen, daß dieser Mensch ein Geschöpf Gottes ist und daß es unsere vornehmste Aufgabe sein und bleiben muß, dieses Ebenbild Gottes in der Zukunft in stärkerem Maße gerade im Verkehr zu schützen.