Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in dem Antrag gewünscht, daß die Bundesregierung durch das Parlament aufgefordert wird, dem Bundestag .die Berechnungen und die Schätzungen des Sozialprodukts und die statistischen Unterlagen für die Errechnung der Steueraufkommen, die dem Haushaltsplan für das Rechnungsjahr 1956 zugrunde gelegt worden sind, bekanntzugeben. An sich wird damit etwas gewünscht, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte; denn dem Parlament sollten, ohne daß ein besonderer Antrag dazu notwendig ist, von der Regierung alle jene Unterlagen gegeben weden, die es ihm ermöglichen, sich ein wirkliches klares Bild über die Art zu machen, wie die Bundesregierung ihre Steuerberechnung aufstellt und ihre Berechnungen zum Sozialprodukt angestellt hat.
Ich darf darauf hinweisen, daß wir nur verlangen, dem Parlament das bekanntzugeben, was die Bundesregierung z. B. der Organisation für europäische Zusammenarbeit in Paris seit langem gibt.
Eine lange Begründung wäre also überflüssig. Aber vielleicht hat der eine oder andere der Kollegen die Weihnachtspause benutzt, um sich mit dem umfangreichen Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1956 zu beschäftigen. Ich habe es getan und habe bei den Darlegungen, die der Herr Bundesfinanzminister zu den ordentlichen Haushaltseinnahmen im Einzelplan 60 gemacht hat, doch einige Feststellungen getroffen, die ich hier kurz erwähnen möchte.
Der Herr Bundesfinanzminister erklärt, daß im Jahre 1955 „bei einigen Steuerarten" der ursprüngliche Voranschlag überschritten wird. Man könnte zu dem Eindruck kommen, daß dies das erste Mal geschieht. Er fügt hinzu: „Die Entwicklung erklärt sich aus dem Anstieg des Bruttosozialprodukts, der in diesem Ausmaß von keiner Seite erwartet wurde." Nun, meine Damen und Herren: wenn ich mich recht entsinne, haben alle Haushalte, die der Herr Bundesfinanzminister bisher vorgelegt hat, immer die Erscheinung gehabt, daß am Ende des Jahres erheblich mehr Steuern von ihm vereinnahmt worden waren, als er im Haushalt veranschlagt hatte. Wir alle wissen, daß der Herr Bundesfinanzminister im Jahre 1955, das im März zu Ende geht, etwa 2000 Millionen DM mehr an Steuern vereinnahmt, als im Haushaltsplan vorgesehen sind. Ich will ganz vorsichtig sein, um mir nicht eine Rüge des Herrn Präsidenten zuzuziehen; aber ich glaube, daß diese Tatsache doch gleichbedeutend damit ist, daß der Herr Bundesfinanzminister einen „unerlaubten Griff" in die Taschen jedes Bürgers und jedes Steuerzahlers der Bundesrepublik getan hat.
Die Schätzungen, die der Herr Bundesfinanzminister anstellt, haben also nicht die Sicherheit, daß sie einigermaßen zutreffen. Und nun darf ich noch auf etwas hinweisen, was im Vorwort zum Einzelplan 60 gesagt ist. Der Herr Bundesfinanzminister erklärt, obwohl diesmal durch die Entwicklung des Sozialprodukts alle seine Schätzungen mehr oder minder erheblich überholt worden sind: „Was dagegen die Schätzungsmethode angeht, so ist diese als solche durch die jüngste Entwicklung in ihrer Zuverlässigkeit nicht erschüttert worden." Nun, das möchten wir gern prüfen, und daher unser Anliegen an die Bundesregierung.
Ich darf zur weiteren Begründung lediglich ein einziges Beispiel anführen, weil ich Sie heute nicht lange aufhalten will. Es wird erklärt, daß bei gleichbleibenden Preisen unter Zugrundelegung der Preise des Jahres 1953 mit einem Wachstum des Bruttosozialprodukts um 9 bis 10 v. H. im Kalenderjahr 1955 und um mindestens 7 v. H. im Kalenderjahr 1956 gerechnet wird. Daß die Rechnung, die im Bundesfinanzministerium angestellt worden ist, für das Jahr 1955 inzwischen überholt ist, ist bekanntgeworden aus den Veröffentlichungen, die inzwischen über das Sozialprodukt 1955 vorliegen.
Es wird weiter gesagt, daß für die Steuerschätzungen allerdings die jeweiligen Preise zugrunde gelegt werden müssen, und dabei ergäben sich dann die Einnahmeschätzungen, wie sie im Kap. 60 01 enthalten sind. Sonst wird von der Bundesregierung bzw. dem Bundesfinanzministerium nichts über die Berechnung gesagt. Aber jeder, der das liest, kommt zu der Überzeugung — und das ist der Ausgangspunkt —, daß eine Zuwachsrate von 7 % für die Berechnung, die der Herr Bundesfinanzminister für seine Einnahmeseite aufstellt, einkalkuliert ist. Er sagt: Die Umsatzsteuer sei mit einer Aufkommensschätzung von 11,7 Milliarden DM um 1,6 Milliarden DM höher als im Vorjahr, und darin spiegele sich in ganz besonderem Maße die Erwartung für den weiterhin günstigen wirtschaftlichen Verlauf. Nun, meine Damen und Herren, wenn man 7 % Zuwachs des Bruttosozialprodukts dem Haushalt und allen Berechnungen zu-
grunde legt, dann kommt man, wenn man sich einen Augenblick mit der Umsatzsteuer befaßt, zu einer höchst merkwürdigen Feststellung. Im Jahre 1955 hatte der Bundesfinanzminister 10,1 Milliarden DM Umsatzsteuer eingesetzt; im Jahre 1956 sind es 11,7 Milliarden DM. Die Mehreinnahme, die er erwartet, beträgt 1,6 Milliarden DM. Das ist aber — bei einer mit 7 % angesetzten Zunahme des Sozialprodukts — auf das Vorjahr bezogen eine Erhöhung der Einnahme um 15,31%.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir haben alle Ursache und guten Grund, zu verlangen, daß uns die Unterlagen und die Berechnungen vorgelegt werden. Ich darf abschließend noch auf etwas verweisen, was ich besonders merkwürdig finde und was besonders auffällig ist. Fast alle unsere Forschungsinstitute befassen sich mit der Entwicklung des Sozialprodukts und mit dessen Berechnung, sowie mit Fragen der gesamtwirtschaftlichen Rechnung und dergleichen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin hat nicht einen Zuwachs des Sozialprodukts um 7 % angenommen, sondern um 9 % wahrscheinlich realistischer gesehen. Was aber verblüffend ist, ist die Tatsache, daß sowohl der Bundesfinanzminister wie das Institut, obwohl die Zuwachssrate um 2 % differiert, im Aufkommen der Steuern zu fast den gleichen Ergebnissen kommen.
Dies alles möchten wir aufgeklärt haben. Ich glaube, es ist ohnehin längst das selbstverständliche Recht des Parlaments, alle diese Unterlagen zu bekommen. Unser Antrag datiert, wie Sie wissen, bereits vom 7. Dezember. Wir sind auch schon mitten in den Beratungen des Haushaltsausschusses. Ich glaube, es wird sich nicht lohnen, noch Zeit zu verlieren. Ich bitte Sie deshalb, den Antrag Drucksache 1928 heute anzunehmen und nicht erst einem Ausschuß zu überweisen. Ich bitte Sie um die Annahme dieses Antrages mit der Maßgabe, daß die Unterlagen, die wir von der Bundesregierung verlangen, dem Ausschuß für Steuern und Finanzen, dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik und dem Haushaltsausschuß vorgelegt werden.