Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Lange hat die Korrespondenz des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks zitiert, und die hat bekanntlich Bedenken geäußert, ob die Redner, die hier zum Wort kämen, zur Fraktionsprominenz gehörten. Ich gebe hier kund und zu wissen, daß ich nicht zur Fraktionsprominenz gehöre;
aber ich halte mich für das, was Georg Herwegh einmal in die Verse gekleidet hat:
Ich bin ein freier Mann und singe
Mich wohl in keine Fürstengruft.
Und ich singe mich auch in keine Fraktions- und in keine Standesgruft hinein; ich singe mich vielleicht einmal von meinem Bundestagsmandat herab.
Aber dann gilt für mich das alte studentische Lied: Wer die Wahrheit kennet und saget sie nicht,
Der ist fürwahr ein erbärmlicher Wicht. Frei ist der Bursch!
Verehrte Damen und Herren, der Vorschlag, einen Art. 12 a in das Grundgesetz einzufügen, ist ja wohl aus der Existenzangst entstanden, womit ich aber unseren Kollegen Schild nicht unter die Schüler von Kierkegaard oder vielleicht sogar von Sartre einreihen möchte.
Einige kurze Worte dazu! Es sind nicht Neuheiten, sondern Unterstreichungen der Worte, die die Vorredner gebraucht haben.
Das Grundgesetz kennt keine Berufsgruppen; es kennt überhaupt. keine Gruppen. Es hat ja auch nicht den Räteartikel der Weimarer Verfassung wieder aufgenommen. Das ist im Parlamentarischen Rat nicht ohne Sinn geschehen. Deshalb ist der Art. 12 a systemwidrig. Verehrter Herr Dr. Schild, er ist doch praktisch eine Gruppenprivilegierung und eine Gruppenwertung,
und ich persönlich möchte vor einer Gruppenwertung, überhaupt vor einer Standeswertung warnen.
Vieleicht haben Sie aus Ihrem Studium noch eine Erinnerung an Friedrich List, der sich einmal dagegen gewandt hat, daß man vom primitiven Produktivitätsstandpunkt her bewerten wollte, und der sagte: dann müßte ja der Schweinemäster über dem Schulmeister stehen.
Meine Damen und Herren, ich möchte aber auch —Herr Stücklen, das geht etwas an Ihre Adresse—vor der Verletzung des Legitimitätsprinzips der Demokratie warnen, und dieses Legitimitätsprinzip der Demokratie sehe ich ausschließlich im allgemeinen Wahlrecht. Wenn Sie ständische und rätische Elemente in das Verfassungsrecht hineinbringen, nähern Sie sich bedenklich den Volksdemokratien.
— Sie haben es nicht expressis verbis gesagt. Dann liegt es an meiner Dummheit, daß ich Sie nicht gut verstanden habe.
Zum Thema Gewerbefreiheit! Es hat nie eine absolute Gewerbefreiheit gegeben, auch nicht unter der freiesten Gewerbeordnung, nämlich der des Norddeutschen Bundes von 1869. Wir haben immer konzessionspflichtige und laufbahnpflichtige Berufe und Gewerbe gehabt, und zwar vom Gesichtspunkt der Gefährlichkeit für die Mitmenschheit und vom Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses. Ja, meine Damen und Herren, der Standpunkt der Gefährlichkeit eines Berufes! Ich könnte mir vorstellen, daß man den Beruf des Gesetzgebers, also den ides Bundestagsabgeordneten, für einen sehr gefährlichen Beruf hält;
denn wir sollen ja schließlich mal nach dem Willen der Deutschen Partei über die Wiedereinführung der Todesstrafe beschließen und auch über die allgemeine Wehrpflicht. Also, meine Damen und Herren, wie steht es mit einem Befähigungsnachweis und einer Berufsordnung für Parlamentarier?
Nun aber zum öffentlichen Interesse! Seitdem jener Satz durch die Welt geklungen ist „Gemeinnutz geht vor Eigennutz" — und es gibt Herren in diesem Hause, die diese Klingel sehr lebhaft gerührt haben —,
ist die Neigung vorhanden, nun alles Tun und Treiben als im öffentlichen Interesse liegend zu sehen.
Darf ich hier etwas Travestierendes einfügen. Es ist nicht neu, ich habe es schon häufig gebraucht, aber ich möchte dieses Wort, das ich für ein Bonmot halte, auch dem Hohen Hause nicht vorenthalten. In der gewöhnlichen Sprache könnte ich sagen, daß ich in meinem Leben — ich bin jetzt 61 Jahre alt — beträchtliche Teile meines Einkommens vertrunken habe;
aber in der Sprache des öffentlichen Interesses würde das ungefähr heißen: Ich habe fortlaufend Leistungen vollbracht für die Aufrechterhaltung des biologisch, völkisch und grenzwirtschaftlich so unendlich wichtigen Moselweinbaues.
Vom öffentlichen Interesse führt nun ein konsequenter Weg zur öffentlich-rechtlichen Regelung. Ich will einmal den Versuch unternehmen, eine Formulierung des Grundgesetzes in einen juristischen Begriff umzugießen. In Art. 18 steht die Formulierung „freiheitliche demokratische Grundordnung". Meine Damen und Herren, ist das eine poetische Deklamation, ist das ein PaulskirchenAtavismus,
oder ist es ein juristischer Begriff? Ich gaube, nach der dialektischen Methode kann man hier doch wohl eine Antithese zum totalitären Staat erblikken. Was war das Wesen des totalitären Staates? Doch folgendes: daß er das Recht nahm und es auch ausübte, jeden Lebensvorgang durch zwingendes
öffentliches Recht zu regeln. Meine Damen und Herren, dann bedeutet für mich „freiheitliche demokratische Grundordnung": weitgehend das Leben durch das privatrechtliche Vertragswesen regeln zu lassen!
Ich mache hier aber darauf aufmerksam: jede Marktordnung, jede Berufsordnung bedeutet das Setzen von öffentlichem Recht, bedeutet die Einengung des freiheitlich-demokratischen Raumes.
Jedes Setzen von öffentlichem Recht bedeutet Vermehrung der Verwaltungsfunktionen,
und zwar nicht nur bei der Hoheitsverwaltung, sondern auch bei der körperschaftlichen Verwaltung und bei der Verbandsbürokratie.
Meine Damen und Herren, wer uns hier jeden Tag eine neue Berufsordnung und eine neue Marktordnung vorsetzen will, verliert den moralischen Hosenboden für den Ruf nach der Verwaltungsvereinfachung. — Bitte, meine Herren, ich könnte hier noch sehr viel drastischer werden!