Rede:
ID0212104500

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 2121

  • date_rangeDatum: 16. Dezember 1955

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    2. Deutscher Bundestag — 121. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1955 6449 121. Sitzung Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1955. Nachruf des Präsidenten für den verstorbenen ehemaligen preußischen Ministerpräsidenten Dr. Otto Braun 6450 A Ergänzung der Tagesordnung . . 6450B, 6482 D, 6484 C Mitteilung über Vorlage der Verordnung M Nr. 3/55 über Preise für Milch 6450 B. Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Gründung eines Mittelstandsinstituts (Drucksache 1871) in Verbindung mit der Ersten Beratung des von der Fraktion der DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einfügung eines Art. 12 a in das Grundgesetz (Drucksache 1728), mit der Ersten Beratung des von der Fraktion der DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Titel I, II und III der Gewerbeordnung (Drucksache 1729), mit der Ersten Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Berufsausübung im Handel (Drucksache 1872), mit der Ersten Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen den Betriebs- und Belegschaftshandel (Drucksache 1873) und mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Förderung der Mittelschichten (Drucksache 1959) 6450 B Schmücker (CDU/CSU), Anfragender 6450 C, 6467 D, 6468 A Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 6452 D D. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 6453 B, 6480 D Dr. Schild (Düsseldorf) (DP), Antragsteller . . . 6453 D, 6456 D, 6480 C Illerhaus (CDU/CSU), Antragsteller . 6458 C Wieninger (CDU/CSU), Antragsteller 6461 B Lange (Essen) (SPD), Antragsteiler 6463 D, 6468 A, 6482 B Stücklen (CDU/CSU) 6468 C, 6469 A, C, 6473 B, C, 6481 C Vizepräsident Dr. Schmid . . 6469 A, C, D Held (FDP) 6471 D, 6473 A, B, C Dr. Dresbach (CDU/CSU) . . 6473 A, 6478 A Dr. Strosche (GB/ BHE) 6474 A Scheel (FDP) 6479 A Regling (SPD) 6479 C, D Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . . 6479 C Ausschußüberweisungen . . . 6481 A, C, 6482 B Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an den Internationalen Übereinkommen vom 25. Oktober 1952 über den Eisenbahnfrachtverkehr und über den Eisenbahn-Personen- und Gepäckverkehr (Drucksache 1926) 6482 C Überweisung an den Ausschuß für Verkehrswesen 6482 D Beratung des Entwurfs einer Sechsundvierzigsten Verordnung über Zollsatzänderungen (Vitamin-A-Acetat und Vitamin-A-Palmitat) (Drucksache 1867) 6482 D Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen 6482 D Beratung des Entwurfs einer Fünfundvierzigsten Verordnung über Zollsatzänderungen (Zollkontingent für Schienen) (Drucksache 1857) 6482 D Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen 6482 D (1 Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Außenhandelsfragen über den Entwurf einer Fünfzigsten Verordnung über Zollsatzänderungen — Aluminium-Zollkontingent 1956 — (Drucksache 1792) . . . 6482 D, 6484 C, 6483 A Brand (Remscheid) (CDU/CSU), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht) 6484 C Beschlußfassung 6483 A Redaktionelle Berichtigung des Gesetzes zur Aufhebung des Teuerungszulagengesetzes 6483 A Beendigung der Bundestagsarbeit des Jahres 1955, Wünsche für Weihnachten und das neue Jahr: Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . 6483 A Nächste Sitzung 6483 D Anlage 1: Liste der beurlaubten Abgeordneten 6484 A Anlage 2: Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen über den Entwurf einer Fünfzigsten Verordnung über Zollsatzänderungen — Aluminium-Zollkontingent 1956 — (Drucksache 1792) 6484 C Die Sitzung wird um 9 Uhr 4 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier eröffnet.
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Anlage 2 Drucksache 1972 (Vgl. S. 6482 D) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen (23. Ausschuß) über den Entwurf einer Fünfzigsten Verordnung über Zollsatzänderungen (AluminiumZollkontingent 1956) (Drucksache 1958) Berichterstatter: Abgeordneter Brand (Remscheid): Der Ausschuß für Außenhandelsfragen hat sich in seiner Sitzung vom 15. Dezember 1955 mit dem Entwurf einer Fünfzigsten Verordnung über Zollsatzänderungen (Aluminium-Zollkontingent 1956) befaßt; er hat sich der Begründung der Bundesregierung angeschlossen und einstimmig dem Verordnungsentwurf der Bundesregierung zugestimmt. Bonn, den 15. Dezember 1955 Brand (Remscheid) Berichterstatter Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich Dr. Luchtenberg 16. Dezember 1955 Mauk 16. Dezember 1955 Morgenthaler 16. Dezember 1955 Oetzel 16. Dezember 1955 Dr. Orth 16. Dezember 1955 Pelster 16. Dezember 1955 Dr. Pohle (Düsseldorf) 16. Dezember 1955 Dr. Preiss 16. Dezember 1955 Dr. Reichstein 16. Dezember 1955 Reitzner 16. Dezember 1955 Schmitt (Vockenhausen) 16. Dezember 1955 Dr. Schöne 16. Dezember 1955 Srock 16. Dezember 1955 Stauch 16. Dezember 1955 Wagner (Ludwigshafen) 16. Dezember 1955 Walz 16. Dezember 1955 Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich Dr. Kopf 31. März 1956 Mensing 1. März1956 Dr. Starke 28. Februar 1956 Kiesinger 31. Januar 1956 Gemein 15. Januar 1956 Dr. Hammer 15. Januar 1956 Jahn (Frankfurt) 9. Januar 1956 Dr. Bergmeyer 5. Januar 1956 Moll 1. Januar 1956 Peters 1. Januar 1956 Klingelhöfer 31. Dezember 1955 Kriedemann 31. Dezember 1955 Neumann 21. Dezember 1955 Feldmann 17. Dezember 1955 Heiland 17. Dezember 1955 Hörauf 17. Dezember 1955 Dr. Horlacher 17. Dezember 1955 Kutschera 17. Dezember 1955 Dr. Lenz (Godesberg) 17. Dezember 1955 Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein 17. Dezember 1955 Dr. Maier (Stuttgart) 17. Dezember 1955 Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 17. Dezember 1955 Putzig 17. Dezember 1955 Rademacher 17. Dezember 1955 Frau Vietje 17. Dezember 1955 Welke 17. Dezember 1955 Berendsen 16. Dezember 1955 Dr. Conring 16. Dezember 1955 Jacobi 16. Dezember 1955 Klausner 16. Dezember 1955 Knobloch 16. Dezember 1955 Könen (Düsseldorf) 16. Dezember 1955 Koops 16. Dezember 1955 Dr. Kreyssig 16. Dezember 1955 Lenz (Brühl) 16. Dezember 1955 Lenz (Trossirgen) 16. Dezember 1955
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Johannes-Helmut Strosche


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (GB/BHE)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich, da wir heute ganz allgemein die Probleme des Mittelstandes im weitesten Sinne des Wortes angeschnitten haben und hier debattieren, auch einige kurze grundsätzliche Ausführungen unsererseits dazu machen. Es besteht in diesem Hohen Hause wohl kein Zweifel darüber, daß im Zeitalter rasanter Technisierung und Industrialisierung, offensichtlicher ständischer Umschichtungen oder zumindest Gewichtsverlagerungen, verstärkter, oft neuartiger Wirtschaftstendenzen — freier Wettbewerb, Marktwirtschaft — usw., verstärkter räumlicher Ballungen und ähnlicher Strukturwandlungen, die noch durch unsere Nachkriegsverhältnisse beschleunigt wurden und werden und die — das möchte ich betonen — den Mittelstand selbst in Umfang wie Art, j a sogar bezüglich seiner gesellschaftlichen Funktion und Aufgabe abzuändern scheinen, irgendwie hier — um das viel zitierte Wort zu benützen — ein „Verlust der Mitte" zu drohen scheint, und zwar im Sinne einer Gefährdung eben jener Mittelschichten oder jenes Mittelstandes; über den Ausdruck kann man verschiedener Meinung sein. Dieser „Verlust der Mitte" droht insbesondere dort, wo der Mittelstand durch gewaltsame Entwurzelung aus den Angeln gehoben ist und dadurch zwangsläufig in die Gefahr gerät, nicht nur zu verarmen, zu vermassen, zu verproletarisieren, sondern auch sich zu radikalisieren, wenngleich wir in dieser Hinsicht etwas standfester sind als z. B. das benachbarte Frankreich. Es handelt sich so um Gefahren, die insbesondere die Kriegsopfer im weitesten Sinne des Wortes, also Heimatvertriebene, Flüchtlinge, Kriegssachgeschädigte, Währungsgeschädigte usw., bedrohen.
    Der „Verlust der Mitte" droht ferner dort, wo es diesem Stand auch nach Erlebnis und Durchschreiten dieser Schicksale noch nicht gelungen ist, sich krisenfest einzuwurzeln oder echt eingegliedert zu werden. Er droht wohl dort, wo die Mittelschichten überhaupt existentiell erdrückt zu werden scheinen oder manchmal auch — das möchte ich sagen, und ich tue das bewußt, weil ich aus einem Grenzlandnotstandsgebiet komme — beinahe vergessen zu werden drohen.

    (Sehr richtig! beim GB/ BHE.)

    Wir begrüßen daher seitens des Gesamtdeutschen Blocks/ BHE alle theoretischen, aber noch mehr alle praktischen Maßnahmen zu einer Stützung, Erhaltung, Förderung und Rettung dieser
    Mittelschichten, weil wir uns eben in Deutschland einen Verlust dieser Mitte weder wirtschaftlich noch seelisch, also, wenn ich das einmal so sagen darf, weder wirtschaftspolitisch noch kulturpolitisch leisten können. Denn dieser Mittelstand — das muß hier und heute gesagt werden — ist ein wichtiges Element jeder gesunden Staatsstruktur, einer stabil ausgewogenen Gesellschaftsstruktur, auch, wenn ich dieses Wort wieder einmal strapazieren darf, im Sinne unserer freiheitlich-abendländischen, uns gemeinsam eigenen Auffassung.
    Wir freuen uns daher, daß sich z. B. einer der Herren Sonderminister offensichtlich mit diesen Fragen besonders beschäftigt. Wir freuen uns über die Tätigkeit unseres Bundestagsausschusses Nr. 24, der für Sonderfragen des Mittelstands zuständig und tätig ist. Wir sind auch darüber erfreut, daß diese Fragen und Probleme auch hier und heute diskutiert und damit eben als Kernprobleme von volkswirtschaftlicher und gesellschaftspolitischer Bedeutung, von einem ganz besonderen soziologischen und wirtschaftlichen Gewicht vordringlich in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt werden.
    Dabei muß aber unseres Erachtens — und das ist eine schwere Aufgabe — eine gesunde Mitte zwischen freiem Wettbewerb, gleicher Chance für alle, einem gesunden Ausleseprozeß auf der Basis des Leistungsprinzips auf der einen Seite und notwendigen regulierenden Maßnahmen von oben und von unten her auf der andern Seite gefunden werden. Dabei möchte ich unter „von unten her" ganz besonders die kommunale Ebene verstanden wissen! Es muß also eine Mitte gefunden werden, welche der Eigentumsbildung, der beruflichen Selbständigkeit und der typisch bürgerlichen Lebensart — diese im besten Sinne des Mittelstands gemeint — zu dienen und jede Verproletarisierung, vermassende Deklassierung und Zersetzung dieser Schichten zu verhindern und zu unterbinden hat. Sie muß dabei Entwicklungen beachten, die nun einmal in der Zeit liegen, die in die Zukunft weisen und einen gesunden Fortschritt ermöglichen, d. h.: restaurative Tendenzen verhindern.
    Dabei sollte, abgesehen von begrüßenswerten Forschungen und Forschungsinstituten für Mittelstandsfragen und anderen Prüfungsgremien, vor allem untersucht werden, wie durch einheitliche gesetzgeberische Maßnahmen dem Mittelstand — stets inklusive freiberuflich Tätige! — durch sinnvolle Regelung der Berufsausübung, steuerliche Erleichterungen, gewerbefördernde kreditpolitische und sozialpolitische Maßnahmen — es ist hier das Problem der Alterssicherung angesprochen worden — tatsächlich geholfen werden kann, also sozusagen von oben her.
    Dabei sollten aber auch auf der Kommunalebene, also von unten her, die Dinge nicht einschlafen. In dieser Ebene kann im Bereich des öffentlichen Auftragswesens sehr viel geleistet werden. Denken Sie daran, daß man auf der kommunalen Ebene Aufträge streuen und auf möglichst viele kleinere Existenzen verteilen kann. Zum Beispiel sollte die Frage geprüft werden, ob man bei solchen kommunalen Vergaben, also bei Aufträgen der öffentlichen Hand, nicht Lieferungsgenossenschaften kleiner Handwerker bilden könnte. Auf dieser Ebene kann auch eine beschränkte Wirtschaftsbetätigung der öffentlichen Hand stattfinden; dabei kann ferner auch eine


    (Dr. Strosche)

    mittelstandförderliche Personalpolitik betrieben werden. Hierbei denke ich insbesondere an ältere arbeitslose Angestellte, an Schwerkriegsbeschädigte usw. Auch eine gewerbeförderliche Steuerpolitik bezüglich der Grund- und Gewerbesteuer kann im kommunalen Sektor angepeilt werden. Das alles vermag auch von unten her ein dem Mittelstand förderliches Klima — übrigens auch im Wohnungsbau — zu schaffen und damit auch dem, das sage ich ganz offen, am meisten gefährdeten Zweig dieses Personenkreises — das sind nun zwangsläufig die Heimatverjagten, Flüchtlinge, Kriegsgeschädigten — zu helfen.
    Dabei sollten aber im Mittelstandsblock selbst — wenn ich einmal diesen Begriff gebrauchen darf — weniger jene offensichtliche Konkurrenzangst und neiderfüllte, egoistische Ressentiments da und dort Platz greifen und jene besitzegoistischen Abkapselungen im Sinne eines falsch verstandenen Zunft- und Gildengeistes wirksam werden — davon können wir nämlich auch auf der unteren Ebene ein Lied singen —,

    (Abg. Feller: Sehr richtig!)

    sondern es sollten ein hilfsbereites Standesbewußtsein und ein kameradschaftliches Einstehen für alle unverschuldet unter die Räder des Schicksals Gekommenen im Bereich dieses Standes selbst Platz greifen.

    (Abg. Dr. Gille: Sehr gut!)

    Gleichzeitig sollte sich — auch das scheint manchmal verkümmert zu sein — das Bewußtsein durchsetzen, daß dem freien Wettbewerb und dem Leistungsprinzip natürlich manche Tür und manches Tor geöffnet werden müssen. Also auch aus den Mittelstandsschichten selbst könnten zusätzliche gesunde Antriebskräfte frei werden.
    All das, was man „Fensteranträge" oder „Fensteranregungen" nennen könnte, deklamatorische Schmeicheleien, ohne verfassungsrechtlich hieb- und stichfest zu sein, oder mittelständische Minnesänger aller Art, perfektionistische Anwandlungen zwecks übergebührlicher Einschränkung gerade des freien Wettbewerbs und eines gesunden Leistungsprinzips mit dem verborgenen Ziel, immer auch einzelne Spielarten oder Zweige mittelständischer Erwerbsmöglichkeiten abzuwürgen, — das sind standes-, aber auch gesamtpolitische Fehlzündungen, wenn ich so sagen darf!

    (Sehr gut! beim GB/ BHE.)

    Sie sind nicht am Platz auch im Hinblick auf viele gesamtdeutsche Probleme und Zukunftsaufgaben wirtschaftlicher und soziologischer Art, bei denen, so möchten wir meinen, gerade diese mittelständischen Schichten eine ganz besondere Rolle zu spielen haben werden. Gerade ein gesunder und innerlich gefestigter Mittelstand wird an jenem Tag, den wir alle mit heißem Herzen ersehnen und erhoffen, eine hervorragende Rolle spielen müssen im Sinne eines nicht nur sozialpolitischen — wenn ich so sagen darf — Transformators.
    Nun zu den vorliegenden Anträgen und Anfragen im einzelnen. Der Frage der Gründung eines Mittelstandsinstituts stehen wir durchaus positiv gegenüber. Wir sind für die Errichtung eines durch Bundesmittel geförderten Mittelstandsinstituts in — wie wir soeben gehört haben — Köln und in engster Verbindung mit der Universität Bonn. Wir möchten aber gleich heute bitten, dafür zu sorgen, daß ein solches Institut — Sie wissen, derartige Institute haben es oft in sich — immer lebensnah, zeit- und aufgabenbezogen bleibt, daß es die freien Berufe nicht vergißt, daß es einschlägige Fragen in Richtung Wiedervereinigung nicht ganz aus den Augen verliert und daß es sich insbesondere auch mit den strukturellen Fragen in Berlin und im Grenz- und Zonengrenzgebiet beschäftigt, einem Gebiet, sehr verehrter Herr Bundeswirtschaftsminister, das sich hinsichtlich der Frachthilfen für die mittelständische Wirtschaft nicht ganz bevorzugt vorkommt, sondern immer noch das Gefühl hat, hier ein wenig vergessen und benachteiligt zu sein.

    (Abg. Feller: Sehr vorsichtig ausgedrückt!)

    Mit der Einfügung eines Art. 12 a in das Grundgesetz, die mit dem Gesetzentwurf der DP-Fraktion verlangt wird, können wir uns nicht befreunden. Erhaltungs-, Förderungs- und Schutzmaßnahmen für ein en Stand oder e in e bestimmte Schicht gehören unserer Meinung nach nicht in das Grundgesetz.

    (Zustimmung beim GB/ BHE. — Abg. Dr. Dresbach: Sehr richtig!)

    Mit gleichem Recht könnte man einmal die ketzerische Frage stellen, ob dann nicht auch zumindest eine Berechtigung dafür bestünde, auf lange Zeit existente, durch langfortwirkende Schicksalsschläge und zwangsläufige Strukturveränderungen neu gebildete soziale Schichten — manche sprechen von einem „fünften Stand" nach 1945 — irgendwie ins Grundgesetz einzubauen oder etwa vertriebene Volksgruppen, die zweifellos, das werden Sie nicht bestreiten, eines besonderen Schutzes, einer besonderen Erhaltung und Förderung bedürfen, grundgesetzlich zu verankern. Aber die Grundgesetzartikel — siehe Art. 1 Abs. 3 — sind keine Deklamationen, keine Direktiven oder Deklarationen, wie es zum Teil die Grundrechte in der Weimarer Reichsverfassung von 1919 waren, sondern sind — auch das ist hier heute schon gesagt worden — unmittelbar geltendes, einklagbares Bundesrecht, stets auf den einzelnen Staatsbürger bezogen. Programmsätze zur Förderung des Mittelstandes im Grundgesetz wären also ein gewisser Rückschritt — ich sage bewußt: Rückschritt — zur Weimarer Verfassung und im übrigen ein Nachteil für unsere Rechtspraxis. Dabei möchte ich bewußt nicht auf Art. 74 Nr. 11 unseres Grundgesetzes eingehen, der sich mit der konkurrierenden Gesetzgebung im Felde des Rechts der Wirtschaft befaßt, wozu bekanntlich — siehe „Monatsschrift für Deutsches Recht", 1954, Seite 536 — ein recht aufschlußreiches Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorliegt. Deklarationen also derartiger Prägung für den Mittelstand im Grundgesetz wären einseitige Akzentsetzungen, die alles andere als befriedigend und gerecht wären. Fragen wir uns doch: was helfen sie denn praktisch?. Da sind wir doch eher dafür, ordnende, lenkende Eingriffe von oben und unten und aus der Schichtung selbst heraus vorzunehmen, die durch das öffentliche Wohl nun einmal geboten erscheinen, dabei aber — das ist entscheidend — schutzwürdige Interessen anderer Gruppen nicht zu verkürzen. Da sind wir dafür, praktische Hilfen im Bereich der kommunalen Mittelstandspolitik gegen Überlastung und Aufsaugung der mittelständischen Schichten zu befürworten. Wir würden uns freuen, wenn eine gewisse kameradschaftliche Selbsthilfe und Solidarität in diesen mittelständischen Schichten immer mehr Platz griffe.

    (Abg. Feller: Das ist das Entscheidende!)



    (Dr. Strosche)

    Hier könnten sich diese Schichten einmal ein wenig besser zeigen, einen besseren Korpsgeist, wenn ich so sagen darf, an den Tag legen als manchmal in der sogenannten „Grünen Front", wo man, wie bedauerlicherweise vermerkt werden mußte, etwa gegenüber heimatvertriebenen Bauern so wenig an Standesbewußtsein und an kameradschaftlichem Gefühl hat sichtbar werden lassen.

    (Beifall beim GB/ BHE.)

    Im übrigen genügt unserer Auffassung nach Art. 12 in der jetzigen Fassung des Grundgesetzes. Er entspricht der Grundtendenz unserer Verfassung und dem Willen vor allem der Verfassunggeber. Ich möchte hier auf die Ausführungen unseres verehrten Kollegen Professor Carlo Schmid im Parlamentarischen Rat Bezug nehmen.
    Hinsichtlich des Gesetzentwurfs der DP zur Änderung der Titel I, II und III der Gewerbeordnung möchte ich namens meiner Fraktion folgendes sagen. Dieser Gesetzentwurf hat positive, im ersten Teil, und auch negative Züge, im zweiten Teil. In Art. 1 Ziffer 1, wo die Einfügung der Absätze 3 bis 6 in § 1 der Gewerbeordnung verlangt wird, sind zweifellos sehr viele unterstützungswerte Anregungen gegeben, die Einschränkung der Wirtschaftsbetätigung der öffentlichen Hand, Regiebetriebe, Behördenhandel usw. betreffen. Wir sind
    — auch in Erinnerung an bayerische Verhältnisse — gern bereit, hier Einzelheiten nicht nur zu diskutieren, sondern praktisch aufzugreifen. Es wird aber auch hier manches im Ausschuß noch geklärt und diskutiert werden müssen, z. B. auch die Frage, ob diese Bestimmungen systematisch überhaupt in den Gewerbefreiheitsparagraphen
    — wenn ich ihn einmal so nennen darf — passen.
    Bezüglich der Einführung eines § 30 d, der sogenannten „Leichenbestattungstragikomödie", möchte ich mich kurz fassen. Dafür haben wohl die meisten von uns kein großes Verständnis.

    (Abg. Albers: Sehr richtig!)

    Ich verstehe nicht, was dieser „Schild bürgerstreich"

    (Heiterkeit)

    eigentlich dabei soll. Eine Konzession für das Bestattungsgewerbe, warum, weshalb, weswegen? Wo sind allgemein empfundene, die Empörung weitester Volkskreise erregende Verstöße gegen treuhänderische Sorgfalt und menschliche Empfindungen seitens der Bestatter sichtbar geworden? Was sollen denn hier Begriffe wie „persönliche Zuverlässigkeit"? Ein dehnbarer Begriff, eine unnötige Einschränkung der Gewerbefreiheit! Hier genügt § 421 StGB über das Berufsverbot wegen Mißbrauchs von Gewerbe und Beruf unseres Erachttens durchaus.

    (Abg. Dr. Dresbach: Sehr richtig!)

    Was soll eine von der obersten Landesbehörde anerkannte Bestatterprüfung? Wenn ich das Wort schon höre!

    (Beifall beim GB/ BHE, bei der SPD und der CDU/CSU.)

    Weiter wird eine mindestens fünfjährige Tätigkeit in Bestattungsbetrieben gefordert.

    (Abg. Feller: Mit akademischem Studium und Examen! — Abg. Dr. Dresbach: Abitur genügt! — Heiterkeit.)

    Das ist eine schlechte Geschichte, und ich glaube, wir sollten auch auf die erstaunliche Tatsache achten, daß hiernach eine Konzessionierung des Bestattungsgewerbes von engeren Voraussetzungen abhängig gemacht werden würde als z. B. bisher die Konzessionierung der Installierung und Leitung eines Privatkrankenhauses nach § 30 der Gewerbeordnung.

    (Abg. Albers: Sehr richtig!)

    Was soll das? Sind das Anregungen einer neu sich bildenden Zunft oder Gilde von Leichenbittern,

    (Heiterkeit)

    oder was sollen wir damit? Das lehnen wir grundsätzlich ab.
    Betreffend § 35, Untersagung der Ausübung eines Gewerbes bei Unzuverlässigkeit und aus anderen Gründen, haben wir einige gewichtige Bedenken, erstens grundsätzlich gegen die Ausweitung und Perfektionierung des § 35 im Sinne eines Rückschritts und eines Abweichens von gewissen gewerbefreiheitlichen Prinzipien und zweitens in Richtung geplanter Anhörung von Handwerks-, Industrie- und Handelskammern oder zuständigen Prüfungsverbänden. Verzeihen Sie mir, meine Damen und Herren, wenn ich hier ganz offen sage: in dieser Richtung haben gerade wir schon so viele böse Erfahrungen gesammelt, daß wir skeptisch sind, wenn wir das nur hören; denn bei den Prüfungen der Bedarfsfrage für die Installierung von irgendwelchen Betrieben haben wir seitens solcher Gremien sehr oft Entscheidungen erleben müssen, die weniger nach sachlichen Gesichtspunkten gefällt worden sind als vielmehr aus einer gewissen Konkurrenzangst heraus.

    (Sehr richtig! beim GB/ BHE und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Betreffend § 56 Abs. 2 und § 56 a Abs. 1 kommen wir gleichfalls zu einer Ablehnung. Wir sehen darin eine Niederknüppelung des ambulanten Handels und Gewerbes durch den Entzug seiner Handelsmöglichkeit mit Bijouterien, mit Fleisch- und Wurstwaren, Brot- und Backwaren, Pelz- und Rauchwaren, Funk- und Fernsehgeräten, Bandagen und Bruchbändern. Auf Kosten der sozial Schwächeren und zum Teil am schwersten Ringenden — und, das ist kein Geheimnis, darunter sind viele Heimatvertriebene, Flüchtlinge und mancher Spätheimkehrer, der irgendwie nicht im alten Beruf festen Fuß fassen kann --- soll hier etwas installiert werden, das uns eben nicht gut erscheint. Mittels ungerechtfertigter, ich möchte sagen, unkollegialer Abschnürung von Existenzmöglichkeiten des ambulanten Gewerbes will man sich hier unbequemer Konkurrenz entledigen, auf Kosten der Schwächeren und wider den Willen bestimmter nicht unerheblicher Käuferschichten, die es nun einmal bei uns gibt. In Bayern ist das eine alte Sache, und es wird überall so sein. Auf Jahrmärkten, Vierteljahrsmärkten, Wochenmärkten und Festmärkten laufen die Leute vom Land nun einmal lieber an eine Bude als in einen noch so schön aufgemachten Laden, in den sie sich vielleicht gar nicht hineintrauen. Diese Übung sollten wir nicht zerstören, ganz abgesehen davon, daß hier gegen gewisse Grundprinzipien des freien Wettbewerbs verstoßen wird.
    Noch schlimmer kommt es in § 56 a Abs. 1 Ziffern 6 bis 10. Hier geht es sogar dem armen Scherenschleifer an den Kragen. Hier wird die letzte — ich möchte einmal für sie plädieren —


    (Dr. Strosche)

    schöne Romantik auch bei diesen Dingen „abgestochen".

    (Heiterkeit und Beifall beim GB/ BHE und bei der CDU/CSU.)

    Lassen wir den Scherenschleifer leben! Wir sind mit dieser Regelung nicht einverstanden. Wir möchten unsere Wochenmärkte nicht derart reglementiert sehen, daß hungrige Marktbesucher und Schaulustige aus Stadt und Land in die Läden bugsiert werden. Das ist zuviel des Guten. Damit sind wir nicht einverstanden.
    Herr Kollege Schild, Sie haben einmal gegen den Totalitarismus gewettert. Auch ein Perfektionismus in dieser Richtung hat zumindest gewisse Berührungspunkte mit totalitären Neigungen. Lassen wir hier eine gewisse Freiheit und einen lebensnahen Spielraum!
    Hinsichtlich des CDU/CSU-Gesetzentwurfs über die Berufsausübung im Handel gibt es eine Fülle von Bedenken. Ich will einmal ganz davon absehen, daß auch hier vielleicht ein unfreundlicher Akt gegen den ambulanten Handel sichtbar wird. Auf jeden Fall sollen doch zwischen Einzel- und Großhandel auf der einen Seite und den anderen — einschließlich der Handelsvertreter — differenzierende Schranken errichtet werden, die sich nicht immer gut auswirken würden. Vergünstigungen des Groß- und Einzelhandels gegenüber dem ambulanten Handel, mit dem man doch hoffentlich nicht „unlautere Elemente" kumulativ bezeichnen will, sind eine fragwürdige Geschichte. Ungleiche Startbedingungen scheinen sich herauszubilden. Ein Numerus clausus gegen weiteren Zuzug zu einzelnen Handelssparten wird sichtbar.

    (Abg. Schmücker: Stimmt doch alles nicht! — Abg. Illerhaus: Sie haben es ja nicht gelesen!)

    Dabei ist die Gefahr gegeben, daß sich gerade unqualifizierte oder tatsächlich gestrandete Existenzen nach dem ambulanten Handel abgedrängt sehen und hier wiederum eine Überfüllung verursachen, unter der dann diese Menschen selbst besonders zu leiden beginnen. Generell ist da nicht viel geholfen. Auf Kosten bestimmter Sparten wird in diesem Bereich eine gewisse Strukturverschiebung vollzogen. Das gefällt uns nicht. Man wird sich im einzelnen darüber unterhalten müssen.
    In bezug auf Ihren Zwischenruf, daß das nicht stimme, möchte ich Ihnen sagen, daß sich vor allem die Kollegen, die in dem zuständigen Ausschuß tätig sind, von Ihnen gern belehren lassen werden. Wir haben diese Bedenken und teilen sie heute bereits mit, ganz abgesehen davon, daß auch hier wieder der Begriff der Zuverlässigkeit, der dehnbar, kautschukähnlich ist, aufkreuzt und daß uns auch gewisse Überspannungen hinsichtlich der Anforderung von Sachkunde nicht vertretbar erscheinen. Diese Anregungen widerstreben, so meinen wir, letztlich doch einer echten Gleichheit im Felde der Berufsausübung, dem Bemühen um einen freien, gesunden Wettbewerb und gleiche Berufschancen und dann jener Ausgeglichenheit und Solidarität im Stande selbst, die sich gerade im Felde der Berufsordnung und der Berufsausübung widerspiegeln sollte, so schwierig das auch angesichts der Natur des Menschen sein mag. Im übrigen bleibt es durchaus fraglich, ob der Verbraucher an einer derartigen bundeseinheitlichen Regelung wirklich sehr interessiert ist und ob derartige Gesetze der von uns allen angestrebten Verwaltungsvereinfachung dienlich sind.
    Hinsichtlich des Betriebs-, Behörden- und Belegschaftshandels sind wir der Auffassung, daß sich über diesen Entwurf durchaus reden läßt.

    (Abg. Stücklen: Sehr erfreulich!)

    Angesichts der offensichtlichen Steuerausfälle, der negativen Auswirkungen für den Einzelhandel, der Verletzung des Prinzips gleicher Wettbewerbschancen und einer sozialen Gerechtigkeit im Felde der Güterverteilung sind hier Dinge angesprochen, die genau geprüft werden müssen und die zweifellos positiv zu bewerten sind, obgleich man auch hier gesamtsoziale Auswirkungen reiflich wird prüfen und auswägen müssen. Zu dieser Prüfung im einschlägigen Ausschuß sind wir gern bereit.
    Zum Schluß zum SPD-Antrag betreffend Förderung der Mittelschichten, Drucksache 1959. Wir halten diesen Antrag für einen durchaus vernünftigen Vorschlag einer notwendigen Prüfung aller Tatbestände und praktischen Hilfsmöglichkeiten bezüglich Berufsausübung, allgemein fördernder, zielgesteuerter Kreditpolitik, allgemeiner Gewerbeförderung und einer gesetzlichen Alterssicherung sämtlicher frei Schaffenden. In dem Antrag ist bekanntlich die Aufforderung an die Regierung enthalten, das Prüfungsergebnis vorzulegen und die sich aus ihm ergebenden gesetzlichen Vorlagen zu unterbreiten. Wir glauben, daß diese Anregung auf lange Sicht vielleicht doch wirksamer ist als grundsätzliche Deklarationen, perfektionierende Reglementierungen, Numeri clausi, also theoretische oder mehr Ärgernis, Verstimmung, gegenseitige Feindseligkeit als echten praktischen Nutzen erzeugende Vorschläge, die man da und dort hört, die ja oft — auch in diesen Schichten selbst — auf Kosten der sozial Schwächeren gemacht werden und in Richtung auf den geringsten Widerstand zu laufen scheinen.
    Eine wirkliche Hilfe für den Mittelstand ist immerdar ratsam, und ich kann mir die Bemerkung nicht verkneifen, daß wir gestern, meine sehr verehrten Damen und Herren von dieser Seite des Hauses (zur CDU/CSU), die Möglichkeit hatten, wenn auch auf einem kleinen, aber doch empfindsamen Sektor echte Hilfe zu leisten, nämlich bei der Beratung des Kindergeldergänzungsgesetzes, und zwar bei § 10 Ziffer 8 für den landwirtschaftlichen und insbesondere den gewerblichen Mittelstand. Da haben wir uns gewundert, daß es gerade auf dieser Seite, die heute so viele Vorschläge zur Gesundung des Mittelstandes vorlegt, Ablehnungen und Enthaltungen gegeben hat.
    Wir sind im übrigen durchaus bereit, einen Sofortbeschluß über den SPD-Antrag mit herbeizuführen.
    Trotz unserer skeptischen, zum Teil ablehnenden Haltung zu den vorliegenden Anträgen, insbesondere denen der DP, sind wir angesichts der Notwendigkeit und Dringlichkeit einer sinnvollen, d. h. praktisch helfenden Lösung der so wichtigen Mittelstandsfragen — und gerade den Heimatvertriebenen, Flüchtlingen und Kriegsopfern liegen diese Fragen besonders am Herzen — bereit, an der Beratung der vorliegenden Materie konstruktiv, d. h. anregend, fördernd, aber auch abwehrend, immer aber — dessen dürfen Sie versichert sein — gewissenhaft mitzuarbeiten.

    (Beifall beim GB /BHE und bei der SPD.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dresbach.


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    Rede von Dr. August Dresbach


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Lange hat die Korrespondenz des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks zitiert, und die hat bekanntlich Bedenken geäußert, ob die Redner, die hier zum Wort kämen, zur Fraktionsprominenz gehörten. Ich gebe hier kund und zu wissen, daß ich nicht zur Fraktionsprominenz gehöre;

    (Heiterkeit)

    aber ich halte mich für das, was Georg Herwegh einmal in die Verse gekleidet hat:
    Ich bin ein freier Mann und singe
    Mich wohl in keine Fürstengruft.

    (Heiterkeit und Beifall.)

    Und ich singe mich auch in keine Fraktions- und in keine Standesgruft hinein; ich singe mich vielleicht einmal von meinem Bundestagsmandat herab.

    (Große Heiterkeit.)

    Aber dann gilt für mich das alte studentische Lied: Wer die Wahrheit kennet und saget sie nicht,
    Der ist fürwahr ein erbärmlicher Wicht. Frei ist der Bursch!

    (Lebhafter Beifall bei allen Fraktionen.)

    Verehrte Damen und Herren, der Vorschlag, einen Art. 12 a in das Grundgesetz einzufügen, ist ja wohl aus der Existenzangst entstanden, womit ich aber unseren Kollegen Schild nicht unter die Schüler von Kierkegaard oder vielleicht sogar von Sartre einreihen möchte.

    (Erneute Heiterkeit.)

    Einige kurze Worte dazu! Es sind nicht Neuheiten, sondern Unterstreichungen der Worte, die die Vorredner gebraucht haben.
    Das Grundgesetz kennt keine Berufsgruppen; es kennt überhaupt. keine Gruppen. Es hat ja auch nicht den Räteartikel der Weimarer Verfassung wieder aufgenommen. Das ist im Parlamentarischen Rat nicht ohne Sinn geschehen. Deshalb ist der Art. 12 a systemwidrig. Verehrter Herr Dr. Schild, er ist doch praktisch eine Gruppenprivilegierung und eine Gruppenwertung,

    (Zustimmung in der Mitte und links)

    und ich persönlich möchte vor einer Gruppenwertung, überhaupt vor einer Standeswertung warnen.

    (Beifall in der Mitte und links.)

    Vieleicht haben Sie aus Ihrem Studium noch eine Erinnerung an Friedrich List, der sich einmal dagegen gewandt hat, daß man vom primitiven Produktivitätsstandpunkt her bewerten wollte, und der sagte: dann müßte ja der Schweinemäster über dem Schulmeister stehen.

    (Heiterkeit.)

    Meine Damen und Herren, ich möchte aber auch —Herr Stücklen, das geht etwas an Ihre Adresse—vor der Verletzung des Legitimitätsprinzips der Demokratie warnen, und dieses Legitimitätsprinzip der Demokratie sehe ich ausschließlich im allgemeinen Wahlrecht. Wenn Sie ständische und rätische Elemente in das Verfassungsrecht hineinbringen, nähern Sie sich bedenklich den Volksdemokratien.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und beim GB/ BHE. — Abg. Stücklen: Das will ich ja gar nicht!)

    — Sie haben es nicht expressis verbis gesagt. Dann liegt es an meiner Dummheit, daß ich Sie nicht gut verstanden habe.

    (Heiterkeit.)

    Zum Thema Gewerbefreiheit! Es hat nie eine absolute Gewerbefreiheit gegeben, auch nicht unter der freiesten Gewerbeordnung, nämlich der des Norddeutschen Bundes von 1869. Wir haben immer konzessionspflichtige und laufbahnpflichtige Berufe und Gewerbe gehabt, und zwar vom Gesichtspunkt der Gefährlichkeit für die Mitmenschheit und vom Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses. Ja, meine Damen und Herren, der Standpunkt der Gefährlichkeit eines Berufes! Ich könnte mir vorstellen, daß man den Beruf des Gesetzgebers, also den ides Bundestagsabgeordneten, für einen sehr gefährlichen Beruf hält;

    (Heiterkeit)

    denn wir sollen ja schließlich mal nach dem Willen der Deutschen Partei über die Wiedereinführung der Todesstrafe beschließen und auch über die allgemeine Wehrpflicht. Also, meine Damen und Herren, wie steht es mit einem Befähigungsnachweis und einer Berufsordnung für Parlamentarier?

    (Große Heiterkeit und Beifall.)

    Nun aber zum öffentlichen Interesse! Seitdem jener Satz durch die Welt geklungen ist „Gemeinnutz geht vor Eigennutz" — und es gibt Herren in diesem Hause, die diese Klingel sehr lebhaft gerührt haben —,

    (erneute große Heiterkeit)

    ist die Neigung vorhanden, nun alles Tun und Treiben als im öffentlichen Interesse liegend zu sehen.
    Darf ich hier etwas Travestierendes einfügen. Es ist nicht neu, ich habe es schon häufig gebraucht, aber ich möchte dieses Wort, das ich für ein Bonmot halte, auch dem Hohen Hause nicht vorenthalten. In der gewöhnlichen Sprache könnte ich sagen, daß ich in meinem Leben — ich bin jetzt 61 Jahre alt — beträchtliche Teile meines Einkommens vertrunken habe;

    (Heiterkeit)

    aber in der Sprache des öffentlichen Interesses würde das ungefähr heißen: Ich habe fortlaufend Leistungen vollbracht für die Aufrechterhaltung des biologisch, völkisch und grenzwirtschaftlich so unendlich wichtigen Moselweinbaues.

    (Anhaltende große Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, bei der SPD und beim GB/BHE.)

    Vom öffentlichen Interesse führt nun ein konsequenter Weg zur öffentlich-rechtlichen Regelung. Ich will einmal den Versuch unternehmen, eine Formulierung des Grundgesetzes in einen juristischen Begriff umzugießen. In Art. 18 steht die Formulierung „freiheitliche demokratische Grundordnung". Meine Damen und Herren, ist das eine poetische Deklamation, ist das ein PaulskirchenAtavismus,

    (Lachen bei der SPD)

    oder ist es ein juristischer Begriff? Ich gaube, nach der dialektischen Methode kann man hier doch wohl eine Antithese zum totalitären Staat erblikken. Was war das Wesen des totalitären Staates? Doch folgendes: daß er das Recht nahm und es auch ausübte, jeden Lebensvorgang durch zwingendes


    (Dr. Dresbach)

    öffentliches Recht zu regeln. Meine Damen und Herren, dann bedeutet für mich „freiheitliche demokratische Grundordnung": weitgehend das Leben durch das privatrechtliche Vertragswesen regeln zu lassen!

    (Sehr gut! in der Mitte und links.)

    Ich mache hier aber darauf aufmerksam: jede Marktordnung, jede Berufsordnung bedeutet das Setzen von öffentlichem Recht, bedeutet die Einengung des freiheitlich-demokratischen Raumes.

    (Abg. Albers: Sehr richtig!)

    Jedes Setzen von öffentlichem Recht bedeutet Vermehrung der Verwaltungsfunktionen,

    (Zustimmung in der Mitte)

    und zwar nicht nur bei der Hoheitsverwaltung, sondern auch bei der körperschaftlichen Verwaltung und bei der Verbandsbürokratie.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, wer uns hier jeden Tag eine neue Berufsordnung und eine neue Marktordnung vorsetzen will, verliert den moralischen Hosenboden für den Ruf nach der Verwaltungsvereinfachung. — Bitte, meine Herren, ich könnte hier noch sehr viel drastischer werden!

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und beim GB/ BHE.)