Rede von
Richard
Stücklen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident, da müßte ich mich auf ein lukullisches Gespräch mit Ihnen einlassen, aber Lukullus hat bei Ihnen so viel Erfolge gezeigt, daß ich mir das ersparen kann.
Nun sind gerade wir Abgeordneten, die wir uns ganz besonders stark für die Durchsetzung der berechtigten mittelständischen Forderungen einsetzen, der Auffassung, daß es keine separate Mittelstandspolitik ohne Rücksicht auf die Auswirkungen auf die ganze Wirtschaftspolitik geben kann und darf.
Das haben wir immer durch unsere Einstellung hier im Hause bewiesen. Ich erinnere nur daran, daß wir gerade bei der Investitionshilfe, die draußen häufig nicht recht verstanden worden ist, deshalb zugestimmt haben, weil die Gesundung und die Leistungsfähigkeit der Grundstoffindustrie, Energie, Stahl, Eisen und Kohle, erst die Voraussetzungen sind für eine expansive Wirtschaft schlechthin. Aber wir meinen auch, Herr Wirtschaftsminister, daß nun diese Bereiche unserer Wirtschaft weitgehend saturiert sind. Man müßte jetzt darangehen, den Teil nachzuziehen, der bei dem Automatismus unserer Wirtschaft nicht den gleichen Erfolgsanteil hatte wie die übrige, die größere Wirtschaft.
Nun appellieren wir immer an das Hohe Haus, an die Öffentlichkeit und an den Bundeswirtschaftsminister, daß die kleinen und mittleren Betriebe gefördert werden müßten. Dabei kommt zwangsläufig die Frage auf: Ist es denn wirklich volks-
wirtschaftlich unbedingt notwendig, daß die Aufgaben der Wirtschaft, die Bedarfsdeckung und Sicherstellung der Dienstleistungen, um nur zwei Begriffe zu nennen, mit diesen vielen Hunderttausenden von kleinen und mittleren Betrieben durchgeführt werden müssen, oder gäbe es nicht auch eine Möglichkeit, diese Aufgaben der Wirtschaft auf eine andere Art und Weise zu lösen, als das bisher bei uns der Fall war?
Man könnte sich überlegen, ob man die Funktion des Handels, dieser vielen kleinen Einzelhändler, die wir haben, dadurch ersetzen kann, daß man die Versandhäuser, die Warenhäuser, die Konsumgenossenschaften auf- und ausbaut, daß man den Werk- und Behördenhandel fördert usw. Dadurch würde man also die Funktion des Handels auf andere Wirtschaftsträger übertragen. Im Bereich des Handwerks wäre das auch denkbar durch Regiebetriebe und durch Hilfsbetriebe der Industrie — deren wir sowieso schon viel zuviele haben — und darüber hinaus durch Konfektionsfirmen, durch Fabriken usw. Man könnte dann vielleicht feststellen, daß der wirtschaftliche Ablauf für den Verbraucher, für den Markt noch einigermaßen sichergestellt ist.
Aber was würde eintreten? Ich möchte davon absehen, daß ohne Zweifel eine Verflachung und eine Schrumpfung der individuellen Leistung eintreten würde. Ich möchte auch davon, absehen, daß bei der Schrumpfung der vielen einzelnen Existenzen auch der Wettbewerb nicht mehr funktionieren würde.
Alle Bestimmungen im Kartellgesetz würden ins Leere stoßen, wenn die Zahl dieser einzelnen ) Existenzen nicht groß genug ist, so daß sie aus sich heraus schon einen eigenen Wettbewerb erzeugen könnten, den man weder gesetzlich schaffen, da die Zahl zu gering ist, noch gesetzlich verbieten kann.
Nun möchte ich die selbständigen Betriebe noch deshalb ansprechen, weil wir glauben, daß für einen gesund gegliederten demokratischen Staat diese selbständigen Bindeglieder vorhanden sein müssen. Wenn diese Bindeglieder nicht stark genug sind, dann werden die Fronten aufgerissen, die in überholter Terminologie einmal als „Proletariat" und als „Kapitalismus" angesprochen worden sind. Dann würde das eintreten, was wir als eine Verschärfung der Situation in klassenkämpferischer Hinsicht ansehen müßten.
Der Herr Bundeskanzler hat bereits in seiner Regierungserklärung 1953 wie heute in dieser Bundestagssitzung gesagt:
Wir müssen unter allen Umständen dafür sorgen, daß eines vermieden wird: das Auseinanderfallen des Volkes in zwei Schichten, in die Schicht der in der Wirtschaft führenden und die Schicht der in Großbetrieben tätigen oder in ihrer Existenz abhängigen Menschen.
Diese Erklärung erhält ihr Gewicht nicht nur durch die wirtschaftliche, sondern in weit stärkerem Maße durch die soziologische und soziale Bedeutung des Mittelstandes. Wenn man sich eine Vorstellung über die Bedeutung des Mittelstandes für den demokratischen Staat und die Erhaltung des demokratischen Staates machen will, dann braucht man nur einen Blick in die sowjetische
Besatzungszone hinüberzuwerfen, in die Bereiche der Ostblockstaaten, in die Bereiche des Kommunismus. Wir stellen dann fest, daß eine der vordringlichsten und ersten Maßnahmen zur Durchsetzung und zur Stabilisierung der kommunistischen Ideologie die Zerschlagung der kleinen und mittleren selbständigen Existenzen war.
In der Sowjetzone haben sie angefangen mit der Aufteilung des Grundbesitzes unter dem Vorwand, kleine landwirtschaftliche Neubauernstellen schaffen zu wollen. In Wirklichkeit — das hat sich schon nach wenigen Jahren gezeigt — wollten sie damit die Kollektivierung einleiten. Es ging. weiter: sie haben die Funktion des Handels dadurch beschnitten, daß sie eine allmächtige Handelsorganisation, die HO, aufgebaut haben, dazu die Ausweitung der Konsumgenossenschaften. In ihrer Planwirtschaft haben sie alle Möglichkeiten in der Hand, um den Rest an selbständigen Existenzen noch abzuwürgen. Daß sie auch — und das darf ich hier doch einmal als Föderalist, als maßvoller Föderalist sagen -- —
— Sie haben mich nie anders kennengelernt.
— Keinesfalls, Herr Kollege! — Ich möchte ausdrücklich betonen, daß eine der ersten Maßnahmen des Kommunismus auch darin bestand, die föderativen Elemente, die Länder, zu zerschlagen, um danach die alleinige und zentrale Herrschaft des Kummunismus aufrichten zu können.
Wenn diese mittelständische Schicht zusammenschrumpft, ist sie nicht mehr in der Lage, das Bindeglied zwischen Kapital und Arbeit darzustellen. Damit würde eine krasse Trennung zwischen den an Zahl großen Schichten der sozial Abhängigen, der Unselbständigen — es handelt sich um Millionen —, und der kleinen Schicht des manchmal auch anonymen Kapitals entstehen. Aus diesen Gründen müssen wir dieser Entwicklung Einhalt gebieten und müssen alle Voraussetzungen schaffen, damit sie nicht eintreten kann. Denn jede Ideologie des Eigentumsbegriffes — und mag sie noch so aus dem Ethischen heraus begründet sein — müßte ins Leere stoßen und zusammenbrechen, wenn es nicht Millionen gäbe, die diesen Eigentumsbegriff praktizierten.
Aus all diesen Gründen glauben wir, daß die Erhaltung dieser selbständigen Existenzen eine zwingende staatspolitische Notwendigkeit ist.
Und nun ein Wort, das weder an eine Person noch an ein Programm gerichtet ist! Jede Wirtschaftspolitik und Wirtschaftspraxis, die ohne Rücksicht auf die soziologische Strukturänderung eines Volkes nur den Wettbewerb anstrebt, wird, gewollt oder ungewollt, zum Wegbereiter einer Volkswirtschaft, die am Ende sozialistisch-kollektivistisch sein wird. Aus diesem Grunde glauben wir auch, daß die Soziale Marktwirtschaft nicht nur so zu verstehen ist, daß gegenüber dem sozial Schwachen in abhängiger Stellung die Rücksichtnahmen erfolgen müssen, die wir aus Gründen der Menschlichkeit, überhaupt aus unserer sozialen Einstellung heraus gewähren müssen, wir sind vielmehr der Meinung, daß die Soziale Marktwirtschaft eine Verpflichtung umfaßt gegenüber jenen schwäche-
ren Mitbewerbern, die in unserer Wirtschaft stehen, sozial zu sein. Wenn wir darüber einig sind, dann kann ich mir im wesentlichen das ersparen, was ich zu diesem Punkt noch sagen wollte. Ich bin manchmal der Auffassung, Herr Wirtschaftsminister, daß das mittelständische Gewissen in Ihrem Hause etwas verkümmert ist. Es wäre gut, wenn es eine Möglichkeit gäbe, dieses mittelständische Gewissen sehr wach und seine Stimme unüberhörbar zu machen.
Diese Überlegungen haben auch dazu geführt, daß wir heute dem Hause die Anträge betreffend Gründung eines Mittelstandsinstituts und die Berufsausübung im Handel sowie den Entwurf eines Gesetzes gegen den Werks- und Belegschaftshandel vorgelegt haben. Wir haben aber darüber hinaus noch eine ganze Reihe von dringenden Anliegen, von denen wir ebenfalls hoffen, daß wir sie in diesem Bundestag noch mit Erfolg aufgreifen können.
Vor allen Dingen meine ich hier steuerliche Maßnahmen und hier ganz besonders die Umsatzsteuer mit ihrer kumulativen und Konzentrationswirkung, die im System liegt, darüber hinaus aber auch noch eine sehr ernsthafte Forderung, die wir hier einmal aussprechen müssen, nämlich auf Änderung der heutigen Form der Gewerbesteuer. Wir wissen, daß die Gewerbesteuer neben der Grundsteuer A und noch eine Hauptstütze für den Haushalt der Kommunen darstellt, und wir wissen auch, daß wir diese Steuer nicht abschaffen und nicht reduzieren können, wenn wir nicht einen Ersatz dafür bieten. Aber wenn wir uns gleichzeitig überlegen, was aus diesem kommunalen Haushalt bestritten werden soll, dann kommen wir sicher zu der einheitlichen Auffassung, daß es in der Hauptsache gemeinnützige und soziale Aufgaben sind, die ein kommunaler Haushalt zu erfüllen hat, z. B. der Bau von Krankenhäusern, von Fürsorgeeinrichtungen, von Altersheimen, von Schulhäusern, von Kindergärten. Das alles sind Aufgaben, für die sich jeder Gemeindebürger mitverantwortlich fühlen muß, weil er selber daran einen Anteil hat und weil es keine Entlassung aus der sozialen Verantwortung gibt. Die soziale Verantwortung ist unteilbar. Jeder muß zur Erfüllung sozialer Aufgaben herangezogen werden, der dazu einkommensmäßig in der Lage ist. Das müßte die Grundlage für eine Revision auf dem Gebiete der Gewerbesteuer sein, die sich heute ohne Zweifel für einen Großteil unserer gewerblichen Betriebe als eine zusätzliche Einkommensteuer auswirkt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte auf steuerlichem Gebiete nur noch die Einkommensteuer ansprechen. Man muß auch hier klar sehen, daß das Einkommen, der Ertrag eines mittelständischen Betriebes in erster Linie zur Deckung des eigenen Bedarfs, des Lebensunterhalts dient und daß darüber hinaus zuwenig, ja manchmal nichts übrigbleibt, um die notwendigen Investierungen, um die notwendigen Rationalisierungen in den Betrieben durchzuführen. Deshalb müssen wir versuchen, fühlbare Erleichterungen durchzusetzen.
Zur Kreditfrage darf ich noch feststellen — auch der Herr Kollege Lange hat sie sehr breit angesprochen; wir sind mit ihm weitestgehend einig —: die Kreditgewährung für die kleinen und mittleren Betriebe hat bisher schlecht funktioniert. Die
Garantiegemeinschaften, die im Bundesgebiet für Handwerk, Handel und Fremdenverkehr geschaffen worden sind, sind ein sehr erfolgversprechender Anfang. Ich möchte dem Herrn Wirtschaftsminister gegenüber dankbar anerkennen, daß gerade die Garantiegemeinschaften der richtige Weg für eine ausreichende Kreditversorgung waren und sind. Darüber hinaus ist es allerdings so, daß unser heutiges Banksystem und unser heutiges Kapitalmarktsystem für diese kleinen Personalkredite, die aber mittel- und langfristig sein müßten, nicht funktioniert. Deshalb haben wir uns überlegt — und wir haben diese Überlegungen auch in einem Antrag, den wir schon in Berlin behandelt haben, niedergelegt —, ob es nicht richtig wäre, für den Mittelstand eine eigene emissionsfähige Bank zu schaffen. Dann hätte man die Möglichkeit, gezielte Maßnahmen zu treffen, und man hätte auch die Gewißheit, daß diese Kredite ausreichend gestreut würden.
Ich möchte nun zum Schluß kommen. Wenn die Anträge, die bereits in Berlin gestellt und bereits den Ausschüssen überwiesen worden waren, und die uns heute zur Beratung vorgelegten Anträge erfolgreich behandelt werden, dann kann man wohl sagen, daß auch der 2. Deutsche Bundestag sich seiner Verpflichtung gegenüber den kleinen und mittleren gewerblichen Betrieben bewußt war, daß er seine Aufgabe auch in dieser Richtung erfüllt hat, und wir können beruhigt sein, daß wir damit einen weiteren Pfeiler zur Erhaltung unserer Demokratie gestärkt und gefestigt haben.