Rede von
Dr.
Eugen
Gerstenmaier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, Sie haben die Beantwortung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU gehört. Ich nehme an, daß in die Beratung dieser Antwort eingetreten werden soll, schlage Ihnen aber vor, daß wir zunächst die in Punkt 1 der Tagesordnung unter b bis f aufgeführten weiteren Vorlagen hier einbringen. — Wenn Sie damit einverstanden sind, dann gebe ich dem Herrn Abgeordneten Schild das Wort zur Begründung des Entwurfs unter Punkt b, Einfügung eines Art. 12 a in das Grundgesetz, und des Entwurfs unter c, Änderung der Titel I, II und III der Gewerbeordnung.
Dr. Schild (DP), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Deutschen Partei begrüßt, daß in der letzten Parlamentsdebatte dieses Jahres auch die Fragen des Mittelstandes, die im Verlauf des Jahres hier in ihrer Komplexität nicht zur Debatte gestanden haben, diejenige Bedeutung erhalten, die ihnen praktisch zukommt. Es hat mehrerer Anträge der verschiedensten Fraktionen bedurft, um zu dieser grundsätzlichen Debatte zu gelangen. Die Anträge, die die Fraktion der Deutschen Partei gestellt hat, betreffen eine Ergänzung des Grundgesetzes und eine wesentliche Reform und Ergänzung der Gewerbeordnung.
Beide Probleme lassen sich nur unter dem Gesamtaspekt der Politik der Bundesregierung und
dieses Hohen Hauses für die Mittelschicht unseres Volkes betrachten. Wir sind deshalb dem Herrn Bundeskanzler außerordentlich dankbar, daß er heute bei dieser Debatte anwesend ist und daß er bereits eine grundsätzliche Erklärung zu der Mittelstandspolitik abgegeben hat. Wir sind auch dem Herrn Bundeswirtschaftsminister außerordentlich dankbar, daß wir heute einmal zu grundsätzlichen Fragen der Politik bezüglich der Mittelschichten kommen können.
Wir beschränken uns bei diesen grundsätzlichen Fragen auf die Probleme der selbständigen Mittelschicht. Ich möchte ausdrücklich betonen, daß vom Standpunkt meiner politischen Freunde die sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen Probleme der unselbständigen Mittelschicht heute nicht in diese Grundsatzdebatte einbezogen werden können, die wir für die selbständige Mittelschicht wünschen. Aber über beiden liegt doch eine gewisse Einheit ihrer gesellschaftlichen Struktur, ihres gesellschaftlichen Status im Zeitalter unserer industrialisierten Gesellschaft.
Was die selbständige und die unselbständige Mittelschicht in unserer Zeit noch eint, was ihr gemeinsames Anliegen ist, das ist die Tatsache, daß beide noch in unserer industrialisierten Zeit eine selbstbestimmte Arbeit ausüben, daß sie ihren Beruf, ihren beruflichen Tageslauf noch selbst bestimmen können, im Gegensatz zu all denjenigen Staatsbürgern, die in ihrem beruflichen, wirtschaftlichen und arbeitsmäßigen Dasein mehr oder weniger von der Apparatur, von der technischen Apparatur der Betriebe oder der Großverwaltungen und der sonstigen Massenkörper abhängig sind. Das ist das, was beide, den selbständigen und den unselbständigen Mittelstand, charakterisiert: daß es Persönlichkeiten sind, die ihr Berufs-, Arbeits- und Tagesleben von morgens bis abends noch selbständig bestimmen können und nicht von irgendeiner Apparatur unserer Zeit abhängig sind. Trotzdem sind die gesellschaftlichen, sozialen Probleme dieser großen Mittelschicht so vielgestaltig, daß man sie doch zum mindesten in die beiden Grundsatzprobleme der selbständigen Mittelschicht und der unselbständigen Mittelschicht aufteilen muß. In der heutigen Debatte wollen wir es mit den Problemen der selbständigen Mittelschicht zu tun haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe bereits in der vorigen Woche bei der Haushaltsdebatte dieses Hauses gesagt, daß die Bundesregierung durch den Mund des Herrn Bundesaußenministers und des Herrn Bundesfinanzministers in seiner Haushaltsrede grundsätzliche Erklärungen über die Gestaltung unserer Gesellschaftsordnung hier in der westdeutschen Bundesrepublik abgegeben hat. Der Herr Bundesaußenminister hat in seiner Regierungserklärung über die Lage der Außenpolitik gesagt: Wir können uns auf die große Aufgabe — gemeint war die Aufgabe der Wiedervereinigung — nur vorbereiten, indem wir im Bereiche der Bundesrepublik fortfahren, die politische, soziale und ökonomische Ordnung zu festigen. Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Etatrede gegen Schluß erklärt: Der Geisteskampf zwischen Ost und West wird sich im wesentlichen darin abspielen, daß wir diesseits des Eisernen Vorhangs eine Gesellschaftsordnung schaffen, die in ihren Konturen eine klare Abgrenzung gegenüber der Gesellschaftsordnung des Ostens gewährleistet.
In diesem Geisteskampf zwischen Ost und West, den wir außenpolitisch und innenpolitisch auszufechten haben — wobei wir uns ernstlich überlegen müssen, wie wir diesen Kampf zu führen haben — zwischen der totalitären Gesellschafts- und Staatsauffassung und der demokratisch-freiheitlichen Gesellschafts- und Staatsauffassung, spielt gerade die Frage der selbständigen Mittelschicht die entscheidende Rolle. Sie ist deshalb nicht nur ein innenpolitisches, sondern auch ein außenpolitisches Anliegen. Die Konturen unserer Gesellschaftsordnung zu schaffen, die auch außenpolitisch klare Merkmale erkennen läßt, ist ein hervorragendes Postulat unserer Zeit.
Wenn jenseits des Eisernen Vorhangs das Element der Selbständigkeit in allen Schichten vernichtet wird, wenn es keine selbständigen Bauern, keine selbständigen Handwerker, Kaufleute und Gewerbetreibenden mehr geben darf, wenn drüben jenseits des Eisernen Vorhangs keine selbständigen freien Berufe mehr gewünscht werden und wenn wir diese Art der Gesellschaftsordnung — volkstümlich genannt — als die böse betrachten, dann müssen wir diesseits des Eisernen Vorhanges das Gegenteil vom Bösen tun, und das Gegenteil vom Bösen kann nur das Gute sein. Da es zwischen Böse und* Gut kein Kompromiß gibt — es sei denn, ein Pharisäer sucht danach —, kann man also diesseits des Eisernen Vorhangs nur das Gegenteil tun. Das Gegenteil ist in diesem Fall im Verhältnis zur Gesellschaftsordnung des Ostens, alle selbständigen Menschen diesseits des Eisernen Vorhanges in ihrer Lebens- und Spannkraft, in ihrer materiellen und sozialen Entwicklung so zu fördern und zu schützen, daß wir sagen können: Diese Gesellschaftsordnung ist deshalb die gute, weil sie das Gegenteil von der östlichen Gesellschaftsordnug ist. Die Grundlagen hierfür zu finden, die Elemente einer Gesellschaftsordnung, die die Selbständigen erhält, ist das Problem der Zeit.
Das ist aber auch die Frage an dieses Haus und an die Regierung: Mit welchen Mitteln, mit welchen Methoden, mit welchen Grundsätzen, mit welcher politischen Dynamik werden diese Dinge behandelt? Ich halte den Ausdruck „Mittelstandspolitik" nicht für ganz glücklich. Denn es gibt keinen Stand in unserer Gesellschaft, sondern wir haben nur noch Schichten von Staatsbürgern in unserer Gesellschaft. Das, was wir früher Stand genannt haben, färbt zwar immer noch in unserer Gesellschaftsordnung ab; aber echte Stände haben wir nicht. Ich erinnere an einen kleinen Zwischenfall in diesem Hause gelegentlich der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers im Jahre 1953, als der Vorsitzende der freien demokratischen Fraktion, der Kollege Dr. Dehler, in seinen Antworten auf die Regierungserklärung auch das Wort „Stände" gebrauchte und der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion, Abgeordneter Ollenhauer, fragte: Was sind denn Stände? In dem Zwiegespräch gab es keine irgendwie geartete Klärung darüber, was denn in unserer Zeit Stände sind. Gerade bei den politischen Erörterungen unserer Zeit zieht man das ständische Problem immer wieder in die Debatte, aber praktisch sind die Ansichten über das, was Stände sind oder sein können, sowohl in der Wissenschaft wie auch in unserer politischen Sprache sehr unterschiedlich, ich möchte beinahe sagen: noch völlig ungeklärt. Insofern gibt das Wort „Mittelstand" keine echte Begriffsabgrenzung, sondern wir müssen nach meiner persönlichen Auffassung, zumindest in der politischen Sprache,
mehr zu der Formulierung „Mittelschicht" kommen. Für diese Mittelschicht nun eine Art von grundsätzlicher Politik zu machen -- auch das muß an dieser Stelle gesagt werden —, eine Politik, die wir hier in diesem Hause nicht unter parteipolitischen Gesichtspunkten sehen dürfen, sondern die wir unabhängig von aller parteipolitischen Dynamik rein sachlich sehen müßten, für diese Mittelschicht eine klare Gesellschaftsordnung, die zukunftsträchtig ist, zu schaffen, ist das Anliegen der Zeit.
Nun sind in den vergangenen Jahren durch meine Fraktion bereits mehrere Anträge, die sich mit dem Grundsatzproblem befassen, auf den Tisch des Hauses gelegt und den Ausschüssen überwiesen worden. Einer dieser Anträge befaßte sich mit der Frage: Muß es oder soll es einen Minister für die selbständige Mittelschicht geben? Der Ausschuß für Sonderfragen des Mittelstandes hat sich bislang mit dieser Frage nicht befaßt. Wir sollten uns aber darüber klar sein, daß der Zusammenhang der Schichten in unserem Volk, die Organisation der Schichten, neben den reinen Parteiorganisationen eine immense Bedeutung hat. Sie sind nicht an der politischen Macht beteiligt — die politische Macht ruht nach dem Grundgesetz ausschließlich bei den Parteien —, aber trotzdem tragen sie in unserem Volke eine bestimmte Verantwortung. Auch die organisierten Gruppen der Mittelschicht tragen aus der Natur der Sache heraus eine Verantwortung. Sie haben auch die Möglichkeit einer bestimmten Beeinflussung der breiten Massen der Mittelschicht. Deshalb spielt in der Grundsatzfrage unserer Zeit: Wie soll unsere Gesellschaftsordnung diesseits des Eisernen Vorhangs aussehen? auch die Frage der Beteiligung der Schichten an der politischen Macht eine Rolle aus dem einfachen Grunde, weil sie organisiert sind und Verantwortung tragen, so oder so. Die beiden bisherigen politischen Auffassungen, daß Kabinettsminister einerseits politische Minister sind, und zum anderen, daß sie Sach- und Fachminister sind, reichen für die Entwicklung unserer gesamten Gesellschaftsordnung und Staatsverfassung nicht aus, sondern wir müßten uns überlegen — ich rege das lediglich an —, ob nicht darüber hinaus auch ein weitergehendes Postulat aus der Realität der Zeit heraus erfüllt werden muß. Auch ein Kabinett muß sich überlegen, ob es nicht bestimmte Minister für bestimmte Schichten in seinen Reihen haben muß. Der Herr Bundeskanzler hat dieses Problem erkannt, indem er einen der Herren Sonderminister damit beauftragt hat, sich mit den Fragen der unselbständigen Mittelschicht, mit den Fragen der sozialen und kulturellen Probleme zu befassen, die die unselbständige Mittelschicht angehen. Mit diesem Auftrag wird schon idas Problem angeschnitten, ohne daß damit gesagt sein soll, daß der Herr Bundesminister Schäfer nun etwa ein Exponent der unselbständigen Mittelschicht im Kabinett ist. Aber Sie ersehen aus diesem Auftrage, daß das Problem an sich im Raume steht. Es geht um die Beteiligung der Mittelschicht an der politischen Macht im Rahmen einer geordneten und wohldurchdachten Gesellschaftsordnung.
Das zweite, was meine politischen Freunde anstreben, ist die Schaffung eines nicht nur formalen, sondern auch materiellen Rechtes im Grundgesetz. Wir sollten einen Artikel in das Grundgesetz aufnehmen, durch den mehr oder weniger die Weisung erteilt wird, eine klare Politik für die Erhaltung der selbständigen Mittelschichten zu treiben. Das hat die Weimarer Verfassung getan. Der Art. 164 der Weimarer Verfassung über die Erhaltung und Förderung des Mittelstandes ist in das Grundgesetz nicht aufgenommen worden. Nun, der Charakter der Vorläufigkeit des Grundgesetzes wird wohl von diesem Hohen Hause noch, auf längere Zeiten hinaus nicht bestritten werden können. Aber mit Rücksicht auf die Grundlinien unserer Gesellschaftsordnung müssen bestimmte Fragen, die mit dieser Vorläufigkeit zusammenhängen, in eine völlig andere Sicht gestellt und nach außen hin auch glaubwürdiger gemacht werden. Sie dürfen nicht mehr verschwiegen werden, weil wir sonst den Charakter unserer Gesellschaftsordnung nach außen nicht klar genug darstellen.
Zu diesen Fragen gehört das Problem der Änderung des Grundgesetzes hinsichtlich der selbständigen Mittelschicht. Wir möchten, daß dieses Problem besonders beachtet wird. Durch die von uns vorgeschlagene Ergänzung dies Grundgesetzes wird das Lebensrecht des selbständigen Mittelstandes nicht nur zu einem Grundrecht, und durch sie wird auch nicht nur ein bestimmtes Weisungsrecht geschaffen, sondern durch diese Ergänzung sollen vor allem die strittigen Probleme gelöst werden, die in. unserer Gesellschaftsordnung nicht ausdiskutiert sind. Diese strittigen Probleme sind die Berufsordnungen, die Marktordnungen und die Wettbewerbsordnungen. Um diese Probleme geht es ja letzten Endes bei der Politik für die selbständigen Mittelschichten.
Wir wissen, daß darüber in unserem gesamten gesellschaftlichen Leben sehr verschiedene Ansichten herrschen. Die Ansicht, die in der Regel und nach allem, was wir in vergangenen Zeiten erlebt haben, ganz besonders prononciert vorgetragen wird, nämlich die Ansicht des Herrn Bundeswirtschaftsministers, ist die: möglichst wenige, vielleicht gar keine Berufsordnungen! Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat wiederholt erklärt — und für seine Ansichten sind j a auch ganz bestimmte Propagandagremien geschaffen worden
daß man in der selbständigen Mittelschicht nach Möglichkeit von Berufsordnungen absehen solle, zumindest soweit der gewerbliche Teil in Betracht komme. Ich weise beispielsweise auf die Erklärung in Hamburg auf der Tagung des Einzelhandels hin, in der der Herr Bundeswirtschaftsminister es grundsätzlich ablehnte, eine Berufsordnung .für den Einzelhandel zu schaffen. Auf der Tagung des Handwerks am 9. Oktober dieses Jahres in Düsseldorf hat der Herr Bundeswirtschaftsminister erklärt, die Berufsordnung des Handwerks, die Bundeshandwerksordnung, sei eine Auszeichnung für das Handwerk. Herr Bundeswirtschaftsminister, ich bin immer noch der Ansicht, daß ein Gesetz keine Auszeichnung sein darf, sondern für Recht und Gerechtigkeit sorgen muß. Wir können diese Dinge nicht mit dem Motiv der Auszeichnung verknüpfen. Es handelt sich hier um Grundsatzfragen. In unserer industrialisierten Gesellschaft und Wirtschaft ist der selbständige Mittelstand ohne echte Berufsordnungen nicht zu fundieren. Die Probleme sind doch nicht damit abgetan, daß allzu vereinfachende Fragen gestellt werden: Ja, was soll ich in diesen Dingen machen? Wenn der industrielle Schuhfabrikant sich selbständig machen kann, wie er will, dann kann ich dem Schuheinzelhändler keine Fesseln anlegen, wenn er sich selbständig machen will. Wenn der industrielle Schuhfabrikant gar keine irgendwie gearteten öffentlich anerkannten Voraussetzungen mitbringen muß, um Schuhe zu fa-
brizieren, warum soll der Schuheinzelhändler derartige Voraussetzungen, um Schuhe sack- und fachgerecht verkaufen zu können, mitbringen, warum soll er eine Sachkunde- und Fachkundeprüfung ablegen?
Das heißt nach meiner Auffassung doch die ganze Situation etwas verharmlosen, Herr Bundeswirtschaftsminister. Wir haben eine Realität in der industriellen Wirtschaftsverfassung, und diese Realität heißt: Der Wettbewerb in der Industrie spielt sich nur unter Fachleuten ab. Ob diese Fachleute Techniker sind, ob sie Werbekaufleute, Marktbeobachter, Finanzierungsfachleute der Industrie sind: in jedem Fall spielt sich der Wettbewerb in der Industrie ausschließlich unter Fachleuten ab. Die Nichtfachleute können in der industriellen Wirtschaft niemals zum Zuge kommen. Dies ist eine Realität! Sie ist zwar durch kein Gesetz verankert und durch keine Berufsordnung irgendwie vorgeschrieben, aber es ist eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Wirklichkeit und damit ein Element der Wirtschaftsverfassung der Industrie geworden.
In der Frage der selbständigen Mittelschicht muß dieses Element natürlich von einer anderen Warte gesehen werden. Es ist leichter, unter 140 Schuhfabriken -- um nur einmal ein Beispiel anzugeben — das Wesen der berufsordnenden Fragen zu klären als unter 40 000 Schuhmachern oder 10 000 Schuheinzelhändlern.
Deshalb sind wir der Ansicht, daß die Fragen der Berufsordnungen im positiven Sinne in der Verfassung verankert werden müssen. Wir haben ja jetzt den Zustand, daß es nach Art. 12 des Grundgesetzes noch zweifelhaft ist, ob man derartige Berufsordnungen überhaupt durch Gesetz regeln kann. Wir haben ja den Streit vor dem Bundesverfassungsgericht, ob die Bundeshandwerksordnung in ihrer bisherigen Formulierung rechtsgültig ist. Das Bundesverfassungsgericht hat darüber noch nicht entschieden. Was würden wir nun tun, wenn es negativ entscheiden würde? Dem Hohen Hause bliebe doch praktisch nichts anderes übrig — wenn die Bundeshandwerksordnung Gesetz bleiben soll —, als dann eine Verfassungsänderung zu machen.
Nun, ich bin überzeugt, niemand, keine Partei in diesem Hause zweifelt daran, daß die Bundeshandwerksordnung ein Element der Gesellschaftsordnung darstellt, die von allen Kreisen unseres Volkes bejaht wird. Wenn man sie also bejaht, auch wenn unter Umständen das Bundesverfassungsgericht ein negatives Urteil fällen würde — was wir ja nicht wissen —, dann bleibt uns gar nichts anderes übrig, als eine Verfassungsänderung zu beschließen. Das wäre nicht erforderlich, wenn beispielsweise der von uns vorgeschlagene Art. 12 a, der das Element der Berufsordnungen als ein Grundrecht verankern soll, angenommen würde. Er brächte eine weitere und endgültige Klarstellung. Dasselbe, was mit dem Grundrecht der Berufsordnungen gemeint ist, ist selbstverständlich auch mit dem Grundrecht der Marktordnungen und mit dem Grundrecht von Wettbewerbsordnungen gemeint. Auch diese Probleme hängen eng zusammen und sind Grundsatzfragen in bezug auf die Förderung der selbständigen Mittelschicht, der gewerblichen, der bäuerlichen und freiberuflichen Mittelschicht im Verhältnis zur Großindustrie, im Verhältnis zur Arbeiterschaft im Rahmen einer Gesellschaftsordnung, die sich diesseits des Eisernen Vorhangs sehen lassen können muß und soll. I Deshalb bitten wir das Hohe Haus, diese Frage der Grundgesetzänderung einer ernsten Betrachtung zu unterziehen. Ich beantrage, die Vorlage betreffend Grundgesetzergänzung durch Aufnahme eines neuen Art. 12 a dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht als federführendem Ausschuß und zur Mitberatung dem Ausschuß für Sonderfragen des Mittelstandes zu überweisen.
Ich möchte aber noch eine Erklärung meiner politischen Freunde zu dem Umfang des Berufsordnungsproblems abgeben. Ich beziehe mich da auf die vielseitigen Erklärungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers, man könne nicht für jeden x-beliebigen Beruf, für jede Sparte eine Berufsordnung machen. Herr Bundeswirtschaftsminister, in dieser Frage sind wir mit Ihnen restlos einig. Aber es gibt ganz bestimmte große Gruppen, für die das Berufsordnungsproblem nun einmal ein aktuelles Anliegen unserer Zeit ist.
Meine politischen Freunde sind der Auffassung, daß für das Handwerk, für den Einzelhandel, für das Hotel- und Gaststättengewerbe und ebenfalls für das Bestattungsgewerbe, Herr Kollege Dresbach, selbstverständlich für die freien Berufe, in denen bisher Berufsordnungen Geltung hatten und eventuell in Zukunft haben müssen, Berufsordnungen geschaffen werden müssen. Viele ruhen ungeklärt im Schoße dieses Hauses. Ich erinnere an die Rechtsanwaltsordnung, ich erinnere an die von der Regierung vorgelegten Gesetzentwürfe.