Rede von
Alois
Niederalt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Jahres 1956 zeigt ein Merkmal, das äußerlich zunächst wohl am meisten auffällt. Es ist die Tatsache, daß auch in diesem Jahr das Haushaltsvolumen wieder nicht unerheblich angewachsen ist. Ich nenne nur drei Zahlen: 1954 hatten wir einen Etat von 27,1 Milliarden DM, 1955 einen solchen von 30,5 Milliarden DM, und der Haushalt 1956 liegt uns mit 32,5 Milliarden DM vor. Es ist richtig, das Wachstum des Haushalts gegenüber 1955 beträgt nur 6,5 % und steht damit vielleicht noch in einem tragbaren Verhältnis zum Anwachsen des Sozialprodukts, das bekanntlich in diesem Jahr über 10 % ausmacht. Trotzdem scheint mir aber in diesem unentwegten Wachsen des Haushaltsvolumens eine gefährliche Tendenz zu liegen. Ich möchte mich gegen diese
Tendenz wenden, und zwar vor allem deshalb, damit wir uns nicht einfach an diesen Umstand gewöhnen. Wenn das so weitergeht, müßten wir uns fragen: Bei welchem Haushaltsvolumen stehen wir im Jahre 1960?
Ich glaube, es darf uns nicht wundernehmen, wenn dieses Wachstum des Haushaltsvolumens auch in der Öffentlichkeit ziemlich Kritik hervorgerufen hat. Ich meine, wir dürften an dieser Kritik nicht vorbeigehen. Ich sage „wir"; denn diese Kritik richtet sich nicht etwa in erster Linie gegen den Bundesfinanzminister, der etwa diese 2 Milliarden Mehrbetrag, wie ich jüngst in einer Zeitung gelesen habe, so ganz nebenbei verfrühstückt. Die Kritik richtet sich wirklich gegen uns, die wir eben die entsprechenden Entscheidungen im Bundestag fällen.
Ich glaube, wir müssen uns im Laufe des Haushaltsjahrs öfter, als es bisher geschehen ist, daran erinnern, daß unsere Beschlüsse sehr reale Folgen haben. Manche unter uns, die ob des ständigen Anwachsens des Haushaltsvolumens heute vielleicht beunruhigt sind, denken im Laufe des Jahres, vor allem dann, wenn gerade i h r Antrag, wenn gerade i h r Arbeitsgebiet zur Debatte steht, nicht oder zuwenig daran, daß dieser ihr politischer Wille ein Teil der großen Summe ist, die dann den Haushalt ergibt. Der Haushalt ist nun einmal das Ergebnis der politischen Entscheidungen im Bundestag. Dieser Satz ist so selbstverständlich, daß man ihn kaum auszusprechen wagt. Und doch wird die Wahrheit des Satzes im Laufe des Jahres immer wieder übersehen.
Ich bejahe diese Kritik am Anwachsen des Haushaltsvolumens. Sie soll uns Mahnung sein für unsere parlamentarische Alltagsarbeit, nicht bloß heute, sondern das ganze Jahr über. Diese Kritik sollten aber auch jene beherzigen, die draußen in irgendwelchen Interessentengruppen, in Verbänden immer wieder Forderungen erheben. Es wäre eine reizvolle Aufgabe, den Chor derjenigen, die heute in der Öffentlichkeit, in der Presse und im Rundfunk so Kritik an dem Ausmaß unseres Haushalts üben, näher zu besehen. Wir würden vermutlich sehr häufig feststellen, daß es die gleichen Leute sind, die das Jahr über durch ihre Stimme selbst Anlaß zur Kritik geben.
So sehr ich diese Kritik bejahe, so wenig habe ich aber — das muß ich auch einmal in aller Deutlichkeit aussprechen — Verständnis für jene Art von Kritik, die nur in allgemeinen Redewendungen von „unerhörter Aufblähung des Bundeshaushalts" spricht oder in unsubstantiierte Klagen über eine leichtfertige Großzügigkeit oder gar Verschwendungssucht des Bundes ausbricht. Diese billige Art von Kritik findet man besonders häufig bei gewissen Politikern auf Landesebene, die von Verantwortungsbewußtsein, von Verantwortungsgefühl und Sachkenntnis gleichermaßen unbeschwert, als einzige politische Konzeption nur das Ressentiment gegen den Bund,
wenn nicht noch mehr haben.
Es lohnt an sich nicht, sich mit solchen Leuten auseinanderzusetzen, und zwar deshalb nicht, weil ja diese Art Leute gar keine Kritik üben wollen, sondern Polemik.
Weil wir uns selbst immer wieder Rechenschaft ablegen sollen, möchte ich aber doch einmal von einer Aufstellung Kenntnis geben, die ich mir einmal in diesem Zusammenhang machen ließ. Diese Aufstellung enthält die Mehrbeträge, das Anwachsen des Haushalts seit dem Jahr 1954, seit der Zeit also, seit der dieser Bundestag die Verantwortung trägt. Der Etat 1956 ist gegenüber 1954 um 5,4 Milliarden angewachsen. Von diesen 5,4 Milliarden gehen automatisch 2,4 Milliarden — die bekannte Besatzungskostenrücklage — ab, so daß wir ein echtes Anwachsen von 3 Milliarden gegenüber dem Jahr 1954 haben. Diese 3 Milliarden sind — um Ihnen nur die allerwichtigsten Positionen aufzuzeigen — zurückzuführen auf Mehrausgaben bei den sozialen Kriegsfolgeleistungen und sonstigen Sozialleistungen in Höhe von 770 Millionen, auf eine Mehrausgabe bei den Ersatzleistungen, Entschädigungen — bei den sogenannten politischen Schulden — in Höhe von 453 Millionen, auf eine Mehrausgabe für unsere Bundesfernstraßen in Höhe von 333 Millionen, auf eine Mehrausgabe bei Tilgung, Inanspruchnahme aus Sicherheitsleistungen usw. in Höhe von 237 Millionen, auf eine Mehrausgabe für Wohnungsbau und Siedlung in Höhe von 120 Millionen, auf eine Mehrausgabe in der Bundessteuerverwaltung in Höhe von 109 Millionen, auf eine Mehrausgabe bei Subventionen und Vorratshaltung in Höhe von 73 Millionen, bei der Finanzhilfe Berlin in Höhe von 50 Millionen, bei der Hilfe für die Deutsche Bundesbahn in Höhe von 58 Millionen usw.
Ich habe die hier erwähnten Beträge zusammengezählt; sie allein ergeben schon 2,2 Milliarden. Die vielen kleineren Positionen kann ich Ihnen im einzelnen hier nicht vortragen.
Aus dieser Aufstellung, meine ich, ergibt sich klar — und jedermann hat ja die Möglichkeit, diese Übersicht nachzuprüfen —, daß das Anwachsen des Haushalts seit dem Jahr 1954 eben doch auf die Ordnung unseres sozialen, unseres wirtschaftlichen Lebens in unserem Nachkriegsdeutschland zurückzuführen ist. Ich wollte, die deutsche Öffentlichkeit könnte manchmal Zeuge unserer Beratungen im Haushaltsausschuß sein. Dann wäre die deutsche Öffentlichkeit überzeugt, daß man wirklich nicht — wenn man nicht Demagogie treiben will — von einer Ausgabefreudigkeit oder gar Verschwendungssucht sprechen kann.
Was allerdings die Beurteilung der Frage anlangt, ob die eine oder andere Ausgabeposition vordringlich ist, — ja nun, meine Damen und Herren, da gehen natürlich die Ansichten auseinander je nach dem Standpunkt, den man eben einnimmt. Aber Tatsache bleibt doch, daß eine Mehrheit des Parlaments jeweils die betreffende Ausgabenposition für dringlich hält.
Damit ist auch weitgehend schon die ernstzunehmende Kritik widerlegt, die das Institut „Finanzen und Steuern" am Anwachsen des Haushaltsvolumens geübt hat. Das Institut ist der Meinung, daß im wesentlichen die Einnahmenabundanz — so drückt es sich aus — schuld an der Ausgabenopulenz sei. An dieser Ansicht ist sicher richtig, daß Ausgaben im allgemeinen leichter beschlossen werden dürften, wenn dabei auf schon vorhandene Mittel zurückgegriffen werden kann, als dann, wenn zur Deckung dieser Ausgaben neue Steuern eingeführt oder Steuererhöhungen durchgeführt werden müssen. Aber auch das Institut kann uns nicht angeben, welche konkreten Ausgabepositionen ausgespart werden könnten. Es
kommt mit Ausnahme des doch sehr theoretischen Ausgabestopps, den es vorschlägt, zu nichts anderem als zu dem Allheilmittel der Einschränkung des Verwaltungsapparats.
Ich habe mir nun auch die Ziffern der Personalausgaben geben lassen und stelle fest, daß sie vom Jahre 1954 bis zum vorliegenden Haushalt um 200 Millionen DM gewachsen sind. Zu diesem außergewöhnlich hohen Betrag muß natürlich sofort hinzugefügt werden, daß darin 150 Millionen DM für das Besoldungsänderungsgesetz und weiter etwa 20 Millionen DM enthalten sind, die im Zuge der Aufstockung des Bundesgrenzschutzes von 10- auf 20 000 Mann notwendig wurden. Damit ergibt sich in den Jahren 1954 bis 1956 ein echtes Anwachsen der Personalkosten in Höhe von 30 Millionen DM. Ich möchte diese Mehrausgabe, die durch die Personalvermehrung — 1954/55 waren es 1170 Kräfte, 1955/56 sind 1285 gewünscht — entstanden ist, weiß Gott nicht verniedlichen. Aber im ganzen gesehen muß doch festgestellt werden, daß diese 30 Millionen DM nicht die entscheidende Bedeutung haben, die ihnen manche um der Popularität willen so gern zugestehen.
Wenn es wirklich so ist, daß das ständige Anwachsen des Haushalts uns hier im Parlament und den Kritikern draußen in der Öffentlichkeit eine ernste Sorge bedeutet, so kann es nur eine einzige Konsequenz geben: daß wir in Zukunft bei unseren Entscheidungen das ganze Jahr über an das Haushaltsvolumen denken und daß man auch draußen in der Öffentlichkeit bei den Wünschen und Forderungen die Zurückhaltung übt, die notwendig ist.
Ich sagte schon, daß auch der Haushalt 1956 leider wieder erhebliche Personalwünsche enthält. Ich habe im vergangenen Jahr von dieser Stelle aus dazu sehr eingehend Stellung genommen. Herr Kollege Schoettle und Herr Kollege Blank haben zu diesem Thema heute schon einiges ausgeführt. Ich möchte mich deshalb sehr kurz fassen, vor allem auch deshalb, weil vor einigen Wochen hier in diesem Hohen Hause eine Debatte über Verwaltungsvereinfachung stattgefunden hat, bei der Herr Kollege Dr. Menzel ausgezeichnete und sehr zutreffende Ausführungen gemacht hat. Aber nach meiner Meinung wird man bei dem föderativen Charakter des Grundgesetzes auf der Bundesebene mit der zum Schlagwort gewordenen Verwaltungsvereinfachung nicht sehr weit kommen. Die Verwaltungsvereinfachung ist als echte Aufgabe in erster Linie den Ländern und den Kommunen gestellt.
Was wir hier tun können, um das ständige Anwachsen des Personals zurückzudrängen, ist nach meiner Auffassung dies: Wir müssen uns wappnen, müssen unser Herz mit einem harten Panzer umgeben
— ja, das ist notwendig, wenn man die Haushaltsberatungen kennt —,
um die Kraft zu besitzen, einfach rigoros nein zu sagen. Ich sage wiederum: wir , meine Damen und Herren, weil es nicht genügt, wenn das nur die Mitglieder des Haushaltsausschusses tun.
Ich sage „wir" und meine damit vor allem auch die Mitglieder der Fachausschüsse. Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, daß gerade die Fachausschüsse mit ihren korrespondierenden Ressorts in sehr enger Verbindung standen und sich bei den Haushaltsberatungen als die beredten Anwälte der Personalwünsche der Ressorts gebrauchen ließen.
Vom Verteidigungsministerium und von den besonderen Dauerausgaben wie für Luftschutz oder für die Zugehörigkeit zur NATO oder anderen wirklichen Daueraufgaben abgesehen, müssen wir den Standpunkt einnehmen: Der personelle Aufbau unserer Verwaltung gilt als abgeschlossen. Wir haben deshalb — und ich freue mich sehr darüber — im Haushaltsausschuß Sonderwünsche zur Erfüllung vorübergehender Aufgaben unbedingt und ohne Ausnahme abgelehnt.
Die Bundesregierung muß im Rahmen ihrer Organisationsgewalt dafür sorgen, daß echte Personalschwierigkeiten, die sicher immer und immer wieder auftreten können, durch einen Rückgriff auf das gesamte Personal der Bundesverwaltung überwunden werden. Ich vermute, daß die Bundesregierung das erst dann tun wird, wenn sie am entschlossenen Willen des Parlaments merkt, daß der wesentlich bequemere Weg, nämlich der Weg über die Neuanforderung von Personal, eben nicht mehr gangbar ist.
In diesem Zusammenhang muß ich auch erwähnen, daß im neuen Haushaltsgesetz jene Bestimmung nicht mehr enthalten ist, die wir im vergangenen Jahr bei der dritten Lesung eingeführt haben und die besagt, daß jede vierte freiwerdende Planstelle und Angestelltenstelle nicht mehr besetzt werden soll. Ich bin damals, wie Sie sich erinnern können, für diese Bestimmung eingetreten, obwohl ich vom Gesetzestechnischen her gegen diese rohe und ungezimmerte Bestimmung allerhand Bedenken hatte. Ich bin damals dafür eingetreten — und ich habe das auch erklärt —, weil ich den Sinn dieser Bestimmung dahin verstehe: man soll in den Bundesressorts einmal klar und deutlich zur Kenntnis nehmen, daß wir weitere Personalwünsche nicht mehr entgegennehmen. Offensichtlich ist diese Bestimmung von einzelnen Bundesministerien nicht so verstanden worden; sonst wären die Personalwünsche im Haushalt 1956 nicht zu erklären.
— Ich muß mich ja immer etwas vornehm ausdrükken, Herr Kollege Gülich, das wissen Sie doch.
Als Sprecher einer Regierungspartei hat man es nicht so leicht, seine Meinung so deutlich zu sagen wie Sie.
Wir werden die Frage im Haushaltsausschuß genau prüfen, werden uns einen Erfahrungsbericht vorlegen lassen, und wenn nicht wirklich überzeugende Argumente vorgebracht werden können, müssen wir auf der Einfügung dieser oder einer ähnlichen Bestimmung auch im Haushalt 1956 bestehen. Wir befinden uns dabei übrigens in recht guter Gesellschaft. Der Bundesrat, der doch weiß Gott etwas von Verwaltung versteht, hat den gleichen Vorschlag gemacht.
Noch ein ernstes Wort. Häufig wird denjenigen, die sich als Sprecher gegen die unentwegte Personalvermehrung hervortun, eine beamtenfeindliche Tendenz unterschoben. Ich selbst brauche wohl nicht besonders zu betonen, daß mir eine solche Einstellung wirklich nicht liegt. Ich darf auch für die anderen Rufer im Streite versichern, daß ihnen eine derartige Tendenz sicher nicht unterschoben werden kann. Wir wissen sehr genau, daß es sehr viele Bundesbedienstete gibt, die vor allem in leitender Stellung in aufopferungsvoller Hingabe buchstäblich jeden Tag — ich könnte Ihnen Namen nennen — manchmal bis weit in die Nacht hinein als Beamte oder Angestellte der Allgemeinheit dienen. Der Herr Kollege Dr. Vogel hat schon den Dank dafür ausgesprochen. Ich möchte mich aus ehrlichem Bedürfnis heraus diesem Dank anschließen.
Das hindert aber nicht, daß wir der Auffassung sind, da und dort könnte durch eine bessere Organisation sowohl innerhalb der Ministerien wie auch vor allem im Verhältnis der Ministerien zueinander manche Doppelarbeit, mancher Leerlauf vermieden werden.
Da und dort müssen wir feststellen, daß wertvolle Arbeitskraft auf Sachgebieten verwendet wird, deren Bearbeitung uns zumindest nicht vordringlich erscheint. Ich erinnere nur daran, in welche Lebensbereiche die ungezählten Verordnungen, die uns täglich begegnen, heute schon vorgedrungen sind.
In dieser Beziehung fällt aber auch — auch das hat der Kollege Dr. Blank schon angedeutet — auf das Parlament ein großer Teil der Schuld. Nur ein
Beispiel für viele: Vor einigen Wochen haben wir, uns, zunächst noch ganz nebenbei, mit der Drucksache 1813 befaßt, dem Entwurf eines Bundesbaugesetzes. Dieses kleine Ungeheuer eines Gesetzentwurfs umfaßt mit der Begründung 81 Druckseiten, und der Inhalt ist voller verfassungsrechtlicher und wirtschaftspolitischer Problematik. Wieviel wertvollste Arbeitskraft von qualifizierten Ministerialbeamten hat dieser Entwurf wohl bisher schon in Anspruch genommen, wieviel Arbeitskraft wird er noch bei der Vorbereitung zu den Sitzungen der Ausschüsse und bei den Sitzungen selbst in Anspruch nehmen! War der Entwurf wirklich unerläßlich notwendig angesichts der Tatsache, daß unsere Gesetzesmaschine sowieso auf Hochtouren läuft?
Konnte man nicht noch zwei oder drei Jahre warten? Herr Kollege Dr. Schild, ich weiß, daß das Ihnen ein besonderes Anliegen ist. Wir müssen uns aber doch ganz allgemein, meine ich, dazu durchringen, eine Dringlichkeitsskala aufzustellen. Es gibt in unserem Nachkriegsdeutschland nun einmal Dinge, die meiner Auffassung nach wesentlich vordringlicher sind. Ich bin fest überzeugt, daß wir unsere Forderung bezüglich des Personalstopps nur dann praktisch verwirklichen können, wenn wir uns selbst bei unserer parlamentarischen Arbeit zu einer Reihenfolge nach der Dringlichkeit zwingen und uns dabei manchmal auch etwas bescheiden, uns für die nächste Zeit manchmal noch etwas behelfen.
Nur dann wird es übrigens auch möglich sein, die ewige Unrast, die in diesem Hause ist, die kein überlegtes und kein überlegenes Arbeiten mehr gestattet, das ständige Hetzen von Sitzung zu Sitzung, von Besprechung zu Besprechung etwas zu bannen. Unter diesem ständigen Hetzen leiden wir alle oder doch wenigstens die meisten von uns so sehr, daß es leider Gottes manchen von unseren Kollegen schon den Tod gebracht hat.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich noch einem speziellen Punkt zuwenden. Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Etatrede im Zusammenhang mit den Maßnahmen zur Förderung der Wirtschaft auch die regionalen Förderungsmaßnahmen für das Grenzland und das Zonenrandgebiet erwähnt. Er sagte in diesem Zusammenhang, daß diese Hilfsmaßnahmen trotz der derzeitigen guten Konjunktur auch im Haushaltsjahr 1956 fortgesetzt werden. Wir begrüßen diesen Beschluß der Bundesregierung sehr dankbar. Auch ich möchte die Notwendigkeit der Fortführung dieser Maßnahmen unterstreichen. Dort in den Grenz- und Zonenrandgebieten ist von der vielbesprochenen und vielbeschriebenen Überhitzung der Konjunktur noch nichts zu spüren.
Dort weht noch ein kalter Wind, der Wind vom Osten her, der eine Überhitzung nicht aufkommen läßt. Gern anerkennen wir, daß die allgemein gute Konjunktur allmählich auch auf diese Gebiete etwas ausstrahlt. Gern stellen wir fest, daß die Mittel des Bundes im Wirtschaftsleben spürbar werden. Wir werden noch die eine oder andere Korrektur an den Programmen vornehmen müssen, insbesondere werden wir die Frachthilfe auf den Lkw-Verkehr ausdehnen müssen, und zwar ohne Beeinträchtigung der bisherigen Frachthilfe.
Wir werden weiter dafür sorgen müssen, daß diese Gebiete mehr als bisher mit den zu erwartenden öffentlichen Aufträgen bedacht werden; eine Maßnahme, die nicht bloß im Interesse der Zonenrandgebiete oder Grenzgebiete, sondern ebenso sehr im gesamtwirtschaftlichen Interesse liegt, da dadurch die Spannungserscheinungen, die sich in den Ballungsräumen unserer Wirtschaft da und dort schon zeigen, vermindert werden können.
Diese eben erwähnten Maßnahmen dienen aber vornehmlich dazu, die in den Grenz- und Zonenrandgebieten schon vorhandenen Betriebe wirtschaftlich zu stärken. ,Daneben, meine ich, müssen wir uns ernsthaft bemühen, in jene Grenz- und Zonenrandgebiete, die noch aufnahmefähig sind, noch weitere Betriebe zu bringen, damit diese Gebiete ebenfalls wirtschaftlich allmählich durchblutet werden. Ich weiß, daß das nicht leicht ist und daß der Bundeswirtschaftsminister keine Möglichkeiten hat, hier Anweisungen zu erteilen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat mir im vergangenen Jahr, als ich bei ihm persönlich Bedenken gegen seine Verhandlungen um ausländische Arbeitskräfte erhob, versichert, daß er bei sich bietender Gelegenheit die Unternehmer auf die im Grenzgebiet vorhandenen Arbeitsreserven aufmerksam mache. Er hat dies auch getan, und ich bitte ihn und alle maßgebenden Herren seines Hauses, dies immer und immer wieder zu tun, und zwar nicht bloß in öffentlichen Reden, sondern auch in Einzelbesprechungen, denn da scheint mir der Erfolg oft noch besser zu sein. Ich bitte weiter, bei Verhandlungen über die Aufnahme ausländischer Arbeitskräfte von Fall zu Fall auch zu prüfen, ob dem
Mangel an Arbeitskräften nicht durch die Errichtung von Zweig- und Filialbetrieben in den Grenz-
und Zonenrandgebieten begegnet werden kann, und ich bitte ganz besonders für den Fall, daß zu irgendeinem Zeitpunkt etwa wieder Investitionsgespräche zum Zwecke der Rationalisierung geführt werden, dabei dann unbedingt auch die Frage einer Teilverlagerung der Betriebe in die Zonenrand- und Grenzgebiete mit in Erwägung zu ziehen.
Dieser Bitte an den Bundeswirtschaftsminister möchte ich von dieser Stelle aus auch die Bitte an die Industrie selbst anschließen, die Bitte, die Frage der Errichtung von Filialbetrieben im Grenzgebiet doch ernsthaft zu überlegen. Ich appelliere dabei — ich bin nüchtern genug — weiß Gott nicht an das Wohltätigkeitsgefühl der Unternehmer, ich appelliere aber an die wirtschaftliche und politische Vernunft. Die Tatsache, daß in den genannten Gebieten noch eine relativ große Arbeitsreserve steckt, die Tatsache, daß durch die Frachthilfe die Revierferne doch weitgehend ausgeschaltet ist, die Tatsache, daß dort vielfach weit günstigere Tarife gelten, die Tatsache, daß dort die Möglichkeit gewisser steuerlicher Erleichterungen und Sonderabschreibungen besteht, alle diese Tatsachen sollten doch vom rein Kaufmännischen her nicht unterschätzt werden.
In diesem Zusammenhang ein Wort an die Länder. Die beteiligten Länder müssen wir, und zwar gerade vom Standpunkt des Bundeshaushalts her, dringend ersuchen, bei der Durchführung der verschiedenen Projekte, ob es sich um einen Straßenbau oder um den Bau einer gewerblichen Schule handelt, nicht die Landesmittel zu kürzen im Hinblick darauf, daß für dieses einzelne Projekt im Grenzgebiet Bundesmittel zu erwarten seien. Wenn unsere Beobachtungen, die wir in dieser Richtung leider machen mußten, sich verstärken würden, müßten wir von der bisherigen Verteilungsart der Globalzuwendungen abkommen und uns andere Wege überlegen. Die Bundesmittel sind, soweit sie nicht unmittelbar Wirtschaftsbetrieben zugute kommen, für die Gemeinden und Landkreise gedacht, damit sie in die Lage versetzt werden, die notwendigen strukturverbessernden Aufgaben durchzuführen, ohne dabei in eine unerträgliche Schuldenlast zu kommen;
sie sind also als Zusatzmittel zu den Eigenleistungen gedacht. Ich halte den Grundsatz der Globalzuwendungen nach wie vor für richtig, aber nur im Grundsatz. Dieser Grundsatz setzt eine unbedingte Loyalität seitens der beteiligten Länder voraus.
Meine Damen und Herren, entschuldigen Sie bitte, wenn ich Sie mit diesem Einzelproblem vielleicht etwas länger aufgehalten habe. Die wirtschaftliche Förderung der Gebiete am Eisernen Vorhang ist wirklich ein eminent wichtiger Punkt, der uns alle miteinander angeht.
Es handelt sich dabei — ich betone das immer wieder — nicht um eine regionale Aufgabe, es handelt sich um eine Gesamtaufgabe. Es kann uns allen nicht gleichgültig sein, weder wirtschaftspolitisch noch sozialpolitisch noch allgemein politisch, daß sich in Westdeutschland in den Ballungsräumen unsere Wirtschaft so konzentriert, daß heute schon gewisse Spannungserscheinungen festzustellen sind, während ausgerechnet am Eisernen Vorhang eine wirtschaftliche Leere mit ihren zwangsläufigen Folgen auf sozialpolitischem und auch auf allgemein politischem Gebiet vorhanden ist.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat, wie ich in der Presse feststellen konnte, vor kurzem in Italien erklärt, daß ein zu starkes soziales Gefälle in Europa für uns alle in Europa eine Gefahr darstelle. Ich meine, er hat damit recht. Aber wenn dies richtig ist, dann muß es um so mehr eine Gefahr sein, wenn ein solches soziales Gefälle etwa in einzelnen Teilen unserer westdeutschen Bundesrepublik und noch dazu am Eisernen Vorhang festzustellen ist.