Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die allgemeine Aussprache über den Haushalt bietet für den Gesamtdeutschen Block die willkommene Gelegenheit, ja die Verpflichtung, einmal die Frage zu prüfen: wie steht es mit dem Schicksal all der Gruppen, deren Betreuung dem Ministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte anvertraut ist? Und vor allem die Frage: Wie weit sind wir mit der Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge gekommen, und was sagt der vorliegende Haushaltsplan dazu?
Seit der Bundestagswahl vom 6. September 1953 ist von Regierungsseite das Bestreben erkennbar geworden, zu sagen, das Problem sei im wesentlichen gelöst. Der Herr Bundeskanzler hat schon vier Tage nach der Wahl die Frage aufgeworfen, ob wir überhaupt noch ein Vertriebenenministerium brauchen, und der Fraktionsvorsitzende der größten Regierungspartei, Herr von Brentano, erklärte bei der Debatte zur Regierungserklärung im Oktober 1953 wörtlich:
Ich hoffe, daß nach vier Jahren das Problem der Heimatvertriebenen in der politischen Diskussion keine Rolle mehr spielen wird mit Ausnahme der einen, daß diese Menschen auch nach vier Jahren in der gleichen Weise an ihre Heimat denken werden wie heute.
Nun, meine Damen und Herren, wer sich ernsthaft und verantwortungsbewußt mit diesem Komplex beschäftigt, weiß, wie unbegründet dieser Optimismus ist und wie gefährlich er ist. Dabei verkennen wir durchaus nicht das, was getan worden ist, und versagen dieser Leistung auch nicht unsere Anerkennung. Aber es muß mir gestattet sein, einmal mit Nachdruck darauf hinzuweisen, daß die Erfolge, die wir Vertriebenen besonders im 1. Bundestag unter harten Kämpfen errungen haben, heute vielfach gerade von denen in Anspruch genommen werden, die uns damals den größten Widerstand entgegengesetzt haben.
Das gilt ganz besonders von dem Herrn Bundesfinanzminister. Er hat auf die stolze Bilanz des Lastenausgleichs hingewiesen und gestern insbesondere hervorgehoben — schade, daß er nicht da ist —, daß aus diesem Fonds 280 Millionen DM für die landwirtschaftliche Siedlung und über 300 Millionen DM für die gewerbliche Wirtschaft in diesem Jahr voraussichtlich bereitgestellt werden können.
Ich darf demgegenüber bemerken, daß gerade Herr Schäffer es war, gegen dessen härtesten Widerstand wir die gesetzlichen Voraussetzungen für diese Entwicklung geschaffen haben. Herr Bundesfinanzminister Schäffer schmückt sich hier also mit Federn, die wir ihm vor Jahren in hartem Kampf ausgerissen haben.
— Ich habe den Herrn Bundesfinanzminister Schäffer auch angegriffen, als ich noch CDU-Mann war, Herr Lücke; das möchte ich auf ihren Zwischenruf bemerken.
Trotz aller Anerkennung des Geleisteten ist es eine nicht zu bestreitende Tatsache, daß für Millionen und aber Millionen das Problem noch völlig ungelöst ist, jedenfalls nicht gelöst im Sinne einer echten und zumutbaren Eingliederung.
Mit- der stolzen Bilanz des Herrn Bundesfinanzministers von gestern hat es auch seine besondere Bewandtnis. Er hat gestern auf die starken Steigerungen hingewiesen, die die Leistungen aus dem Lastenausgleich seit 1952 erfahren haben, und die Zahlen genannt: für 1952 1,5 Milliarden DM, für 1953 3,5 Milliarden DM, für 1954 4,2 Milliarden DM und für dieses Jahr voraussichtlich 4,4 Milliarden DM. Wohlgemerkt, der Herr Bundesfinanzminister spricht nicht von dem Aufkommen, sondern von der Verteilung. Wenn er die Zahlen des Aufkommens genannt hätte, dann hätte er eine solche Steigerung auch nicht im entferntesten aufzeigen können.
Der Herr Bundesfinanzminister hat es auch nicht für nötig gehalten, darauf hinzuweisen, daß diese Steigerung der Ausgaben in der Hauptsache dadurch zustande gekommen ist, daß das Bundesfinanzministerium und das ihm angegliederte Bundesausgleichsamt es nicht fertigbekommen haben, in den ersten Jahren das vorhandene Geld an den Mann zu bringen. Wir erinnern uns noch an den großen Geldüberhang, der damals vorhanden war und zeitweilig die Summe von einer Milliarde DM überstieg. An diesem Tatbestand ist seinerzeit auch von dieser Stelle aus eine scharfe Kritik geübt worden. Immerhin bewundere ich die Eleganz — ich bewundere sie aufrichtig —, mit der der Herr Bundesfinanzminister es verstanden hat, aus einem Versagen einen Erfolg und aus einer Not eine Tugend zu machen.
Meine Damen und Herren, der Herr Abgeordnete Vogel hat heute von den schweren Opfern gesprochen, die die Abgabepflichtigen beim Lastenausgleich zu bringen haben. Nun, ich verkenne die Leistung nicht, wie ich schon sagte. Aber ist es wirklich möglich, wenn man die Opfer auf der einen Seite mit denen auf der anderen Seite vergleicht, hier zu sagen: Es sind schwere Opfer gebracht worden!? Ich stehe ja heute noch unter dem Vorwurf, daß ich seinerzeit zum Lastenausgleich ja gesagt habe. Meine Damen und Herren, wenn Sie sich vergegenwärtigen, daß diese Abgaben nach dem Einheitswert berechnet werden, daß wir eine Freigrenze von 5000 DM haben, und wenn Sie wissen, wie gering die Einheitswerte vielfach sind, dann werden Sie mir über alle Parteischranken hinweg recht darin geben, daß wenigstens bei dem kleineren und mittleren Besitz von schweren Opfern wirklich nicht gesprochen werden kann.
— Ich bin sehr gern bereit — wir können uns ja nicht ins einzelne verlieren —, Ihnen das mit zahlenmäßig belegten Beispielen nachzuweisen.
Vor wenigen Monaten teilte das Bundesausgleichsamt mit, daß Hunderttausende von Unterhaltshilfeempfängern bereits gestorben sind. Sie sind gestorben, ohne in den Besitz der Entschädigungsrente gekommen zu sein, weil das Feststellungsverfahren nicht vorangekommen ist. Ich zitiere, was damals eine einheimische Zeitung, die „Westfälische Zeitung", schrieb:
Dieses Hinwegsterben Hunderttausender alter Leute in der Mittellosigkeit ist ein bedrückendes Zeichen dafür, wie sehr die Schwächsten immer noch die Last tragen.
Das ist die Kehrseite der stolzen Bilanz des Herrn Bundesfinanzministers. Wir haben das auch von dieser Stelle aus schon sehr eingehend erörtert. Und wie steht es heute mit dem Feststellungsverfahren? Am 30. September dieses Jahres waren genau 5,1 % der gestellten Anträge bearbeitet und entschieden.
Und das auf den Tag. genau dreieinhalb Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes! Der Herr Bundesfinanzminister ist Ressortminister. Die Kosten trägt der Bund. Ich habe schon wiederholt von dieser Stelle aus vorgetragen, daß diese Zuständigkeit geändert werden muß. Bei der Regierungsbildung sind unserer Partei entsprechende Zusagen gemacht worden. Sie sind nicht gehalten worden. Es hat sich nichts geändert, und Herr Professor Oberländer hat daraus, man muß wohl sagen: Konsequenzen gezogen, die nicht nur uns überrascht haben.
So gestaltet sich das Schicksal der eigentlichen Verlierer des Krieges, unserer Alten und nicht mehr Erwerbsfähigen bei Vertriebenen und Geschädigten.
Kaum besser geht es einer zweiten großen Gruppe, dem heimatvertriebenen Landvolk, bei dem es sich einschließlich der Familienmitglieder um weit über eine. Million Menschen handelt. Zehn Jahre sind seit der Vertreibung vergangen, und in diesem Zeitraum sind erst annähernd 5 % auf Vollbauernstellen bescheidenen Umfanges wiederangesetzt worden. Das Bundesvertriebenengesetz schreibt in § 46 vor, daß, vorbehaltlich der Dekkungsklausel, in jedem Jahr 100 Millionen DM für die landwirtschaftliche Neusiedlung im Haushalt bereitzustellen sind. Der Herr Bundesfinanzminister hat diese Anordnung bereits im ersten Jahre unbeachtet gelassen, und die Herren, die im ersten Bundestag waren, werden sich erinnern, daß es uns in einer der letzten Sitzungen mit Hilfe der Opposition gelang, die 75 Millionen DM, die im außerordentlichen Etat standen, in den ordentlichen Etat zu überführen. Im vergangenen Jahre ist es nicht einmal dazu gekommen, daß ein solcher Antrag gestellt worden ist. Und wie sieht es jetzt aus? Bereits im Juli 1955 waren die laufenden Haushaltsmittel für Siedlungszwecke verbraucht, und der Herr Bundesfinanzminister mußte sein Versprechen, Vorgriffe auf den neuen Haushalt zu gestatten, in einer Höhe von 60 Millionen DM einlösen. Das hat natürlich erhebliche Zeit in Anspruch genommen und auf das Tempo der Sied-
lung eine ungünstige Rückwirkung gehabt. Da die Vorgriffe nicht in den Nachtragshaushalt und auch nicht in den außerordentlichen Haushalt übernommen worden sind, müssen sie nach § 30 Abs. 3 der Reichshaushaltsordnung aus dem neuen Haushalt abgedeckt werden. Dadurch schrumpft der im neuen Haushalt um 60 Millionen DM erhöhte Ansatz der Siedlungsmittel auf den gleichen Betrag wie im Vorjahre zusammen. Man kann also nicht, wie es der Herr Bundesfinanzminister getan hat, von einer Erhöhung des Ansatzes um 60 Millionen DM sprechen. Falls keine andere Regelung getroffen wird, besteht für das nächste Haushaltsjahr also die gleiche Situation wie 1955. Für die Verplanungen und Auszahlung stehen 94,7 Millionen DM zur Verfügung. Das sind praktisch nicht viel mehr als 50 % dessen, was das Bundesvertriebenengesetz und das Siedlungsförderungsgesetz jährlich vorschreiben. Notwendig sind aber nach dem Siedlungsprogramm 1955, das leider erst am 14. Oktober dieses Jahres vom Kabinett beschlossen wurde, 150 bis 170 Millionen DM.
Es ist unbedingt wünschenswert, daß das gesetzlich vorgeschriebene Siedlungsprogramm gleichzeitig mit dem Haushalt vorgelegt wird. Ein Siedlungsprogramm post festum zu beschließen, ist nicht zweckmäßig.
150 000 siedlungswillige und -fähige Familien von Vertriebenen und Flüchtlingen warten seit so vielen Jahren darauf, angesetzt zu werden. Auf der anderen Seite haben wir in der Bundesrepublik 128 000 Bauernhöfe, deren Eigentümer in hohem Alter und ohne Erben sind. Sollte es wirklich unmöglich sein, diese beiden Faktoren zusammenzubringen? Voraussetzung ist natürlich eine ausreichende Altersversorgung für die abgebenden Eigentümer. Es sollte doch wohl bei energischem Zusammenwirken von Finanz-, Landwirtschafts-
und Vertriebenenminister nicht unmöglich sein, diesem Problem beizukommen. Es geht um ein großes Ziel: die Erhaltung der wertvollen, ja unersetzlichen bäuerlichen Substanz aus dem deutschen Osten und Südosten, und da ist keine Zeit mehr zu verlieren.
Der Herr Bundesfinanzminister hat selbst auf die Notlage der gewerblichen Wirtschaft der Vertriebenen und Flüchtlinge hingewiesen. Er hat diese Betriebe als ein besonderes Sorgenkind bezeichnet und auf die geplante Umschuldungsaktion aufmerksam gemacht. Ich möchte hier die verdienstvolle Arbeit des dafür gebildeten Unterausschusses des Vertriebenenausschusses nicht unerwähnt lassen. Aber dieser Aktion steht noch ein weiteres Hindernis entgegen. Die Erfahrung der letzten Monate hat gezeigt, daß es kaum zu verantworten ist, eine solche Anleihe aufzulegen, wenn nicht vorher die Mittel sichergestellt sind, die für die notwendige Kurspflege der Anleihe gebraucht werden. Es ist deshalb das Anliegen des Finanzausschusses der Lastenausgleichsbank und auch unser Anliegen, daß der Herr Bundesfinanzminister diese Mittel bereitstellt. Andernfalls kann die Aktion kaum mit der gebotenen Beschleunigung gestartet werden. Der Herr Bundesfinanzminister hat sie aber selbst als dringend notwendig bezeichnet.
In diesem Zusammenhang muß ich den Herrn Bundesfinanzminister noch auf § 72 des Bundesvertriebenengesetzes hinweisen. In Abs. 1 dieser Bestimmung heißt es
Die Begründung und Festigung selbständiger Erwerbstätigkeit der Vertriebenen und Sowjetzonenflüchlinge in der Landwirtschaft, im Gewerbe und in freien Berufen ist durch Gewährung von Krediten aus öffentlichen Mitteln zu günstigen Zins-, Tilgungs- und Sicherungsbedingungen, durch Zinsverbilligungen und Bürgerschaftsübernahmen zu fördern.
Diese gesetzliche Anordnung hat noch weniger Gnade vor den Augen des Herrn Bundesfinanzministers gefunden als die des § 46 des gleichen Gesetzes. Auf Grund des § 72 sind bisher Mittel noch nicht zur Verfügung gestellt worden. Der Hinweis auf die ERP-Mittel geht fehl; denn einmal besagt der klare Wortlaut etwas anderes, und zweitens wäre für die ERP-Mittel eine solche gesetzliche Anordnung gänzlich überflüssig gewesen. Es ist erforderlich, daß nunmehr auch ein angemessener Betrag für die Zwecke der gewerblichen Eingliederung im Haushalt bereitgestellt wird. Ich glaube nicht, daß das Hohe Haus sich damit abfinden würde, daß diese gesetzliche Anordnung unbeachtet bleibt, zumal da der Herr Bundesfinanzminister selber auf die besondere Notlage der Betroffenen hingewiesen hat.
Zum Wohnungsbau hat der Herr Bundesfinanzminister gestern ausgeführt:
Obwohl in der Bauwirtschaft bedenkliche Erscheinungen zutage getreten sind, die eine Übersteigerung der Baukosten befürchten lassen, sind die Mittel für den Wohnungsbau nicht gekürzt worden, sondern bestehengeblieben.
Der Herr Bundesminister geht also davon aus, daß bei einer Steigerung der Baukosten unbedingt die Kürzung der Mittel am Platze ist.
Ich glaube aber nicht, daß er mit dieser Logik allgemeinen Anklang finden wird. Wir halten die im Haushaltplan 1956 vorgesehenen Mittel auf Grund der veränderten Lage des Wohnungsbaues für unzureichend. Die Darlehen in Höhe von 500 Millionen DM, die im außerordentlichen Haushalt für den sozialen Wohnungsbau ausgewiesen werden, können bei der Entwicklung des Bau- und Grundstücksmarktes nicht mehr das angestrebte Ziel erreichen. Zum Ausgleich für die entstandenen und zu erwartenden Mehrkosten müßte diese Summe um 100 Millionen DM erhöht werden. Falls die Bundesregierung weiter auf dem nicht vertretbaren Standpunkt beharrt, daß die Prämien, die nach dem Wohnungsbauprämiengesetz gezahlt werden müssen und den Betrag von 60 Millionen DM übersteigen, von den Ländern aus den Darlehensmitteln für den sozialen Wohnungsbau aufgebracht werden müssen, müßte der vorgesehene Darlehensbetrag für den sozialen Wohnungsbau um weitere 100 Millionen DM auf insgesamt 700 Millionen DM erhöht werden. Unter Berücksichtigung der Sparzuwachsrate muß für 1956 mit einem Prämienbedarf bis zu 160 Millionen DM gerechnet werden, so daß dann ca. 100 Millionen DM aus reinen Wohnungsbaumitteln entnommen werden müßten. Die Gewährung von Prämien für Leistungen, die zugunsten des Wohnungsbaues gemacht werden, ist unseres Erachtens aber eine Steuervergünstigungsmaßnahme. Es erhebt sich daher der Zweifel, ob sie überhaupt in den Haushalt des Bundesministers für Wohnungsbau hineingehören.
Bei diesem Mehrbedarf von 200 Millionen DM ist nicht berücksichtigt, daß das Zweite Wohnungsbaugesetz, das Wohnungsbau- und Familienheimgesetz, weitere Mehrleistungen zugunsten der wohnungsuchenden Bauherren vorsieht. Insbesondere wird die Versorgung der Wohnungsuchenden mit besonders geringem Einkommen zwangsläufig einen erhöhten Bedarf an öffentlichen Mitteln ausweisen. Auf keinen Fall wird sich meine Fraktion damit einverstanden erklären können, daß der soziale Wohnungsbau eine rückläufige Entwicklung erfährt. Das Steueraufkommen des Bundes läßt eine Deckung des Mehrbedarfs durchaus zu. Darüber hinaus vertreten wir die Meinung, daß der soziale Wohnungsbau weiterhin vorrangig vor anderen Aufgaben betrachtet werden muß. Dies gilt besonders für solche, die vor der Behebung der dringendsten Notstände auf diesem Gebiet erst nachträglich an den Bund herangetreten sind.
Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Rede die Relation zwischen Haushaltsmitteln und Mitteln aus dem Lastenausgleich beim Wohnungsbau mit 1,3 zu 1,1 Milliarden DM angegeben. Dabei ist aber noch nicht sichtbar geworden, daß in der ersten Zahl erhebliche Beträge stecken, die nicht dem sozialen Wohnungsbau dienen. Es muß gefordert werden, daß diese Relation sich in Zukunft zuungunsten des Haushalts verschiebt. Ich kann darauf hinweisen, daß auch der Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt vor kurzem sich zu dieser Auffassung bekannt hat. Das muß um so mehr Geltung haben, als sich in der Vergangenheit gezeigt hat, daß die echte Eigentumsbildung aus Lastenausgleichsmitteln nicht in befriedigendem Umfange zum Zuge gekommen ist. Ich schließe mich insoweit den Ausführungen, die der Abgeordnete Vogel zu diesem Punkt heute gemacht hat, in vollem Umfang an.
Bei dieser Gelegenheit ein Wort zu den Bauten in der provisorischen Bundeshauptstadt. Der Herr Bundeskanzler hat im Jahre 1949 den Kostenaufwand auf wenige Millionen DM beziffert. Jetzt sind es schon 200 Millionen DM, wenn man nur die eigentlichen Bundesausgaben in Betracht zieht. Es muß endlich erwartet werden, daß mit diesem Aufwand an Bauten ein Ende gemacht wird.
Ministerien von tausend Zimmern sind mit dem Begriff des Provisoriums unvereinbar.
Diese ganze Bautätigkeit hat in erster Linie dazu beigetragen, wenn es wiederholt dahin gekommen ist, daß an dem wirklichen Willen der Bundesregierung zur Wiedervereinigung Zweifel laut wurden.
— Verzeihung, meine Herren, Sie haben wohl nicht verstanden oder gehört, was ich gesagt habe: wenn es dazu gekommen ist. Ich berichte eine Tatsache. Ich erhebe keinen Zweifel. Darüber hat sich der Herr Bundeskanzler selber von dieser Stelle aus oft genug beklagt, Herr Lücke, das wissen wir doch alle. — Auch in Berlin und in der Sowjetzone muß diese Bautätigkeit in Bonn zum mindesten mit gemischten Gefühlen betrachtet werden; das kann doch niemand in Abrede stellen. Gerade in dem gegenwärtigen Zeitpunkt, nachdem die Aussichten auf eine schnelle Entwicklung in der
Frage der Wiedervereinigung so gering geworden sind, sollte alles vermieden werden, was irgendwelche Zweifel wachrufen oder wachhalten könnte. Man sollte sehr viel mehr Wert darauf legen, unsere Position in Berlin zu halten, auszubauen und zu stärken und damit zu dokumentieren, daß Berlin die Hauptstadt Deutschlands für uns ist und bleibt.
Ich glaube, daß ich die Ausführungen, die ich für das Notopfer Berlin und für Berlin überhaupt vorgesehen hatte, nach dem, was der Herr Kollege Schoettle dazu gesagt hat, stark abkürzen kann. Wir sind ebenso wie die Sozialdemokratische Partei, die das ja durch einen Antrag belegt hat, der Auffassung, daß der volle Betrag aus dem Notopfer diesem Zweck zugeführt werden muß. Wir sind mit dem, was der Sprecher der Sozialdemokratie vorgetragen hat — und ich glaube, er hat damit eigentlich die Meinung des ganzen Hauses ausgesprochen —, der Auffassung, daß die Frage Berlin nicht nach fiskalischen, sondern nach politischen Gesichtspunkten behandelt und entschieden werden muß.
Ich kann mich daher darauf beschränken, nur noch zu sagen, daß die Absicht des Herrn Bundesfinanzministers, den Einzelplan 45 künftig wegfallen zu lassen und die Ausgaben für Berlin je nach ihrer Art in den verschiedenen Einzelplänen unterzubringen, von uns als völlig abwegig angesehen wird.
Es muß klar ersichtlich bleiben, was Berlin benötigt und was für Berlin getan werden muß. Deshalb muß der Einzelplan 45 bestehenbleiben.
Mit Besorgnis verfolgen wir auch die Entwicklung auf dem Gebiet der Lager- und Barackenräumung. Zur Zeit leben immer noch annähernd 290 000 Vertriebene, Flüchtlinge und Evakuierte in Baracken, Notunterkünften, Auffanglagern und dergleichen. Die abträglichen Folgen eines derartigen Daseins sind bekannt. Im laufenden Haushaltsjahr waren für die Zwecke der Lagerräumung 30 Millionen DM vorgesehen. Der Herr Bundesvertriebenenminister hat sich in der Fraktion immer wieder darüber beklagt, daß dieser Betrag völlig unzureichend sei und daß es 13 Jahre dauern würde, bis der letzte Mann aus dem Lager herauskäme. Bei dieser Berechnung ist in Betracht zu ziehen, daß ein Zugang nicht berücksichtigt worden ist. Wir sehen jetzt zu unserem Erstaunen, daß in dem vorliegenden Voranschlag überhaupt keine Mittel für diesen Zweck bereitgestellt sind. Wie es heißt, sollen die Länder künftig die Kosten tragen und, soweit es nötig ist, der Bund die Vorfinanzierung übernehmen. Wie das ohne einen Ansatz im Etat vor sich gehen soll, ist mir nicht ganz verständlich. Wenn das bisherige Tempo der Lagerräumung beibehalten wird, dann wird die Bundesregierung mit diesem Problem nicht fertig werden.
Die Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers zur Kriegsopferversorgung sind ebenso kurz wie unbefriedigend. Richtig ist allein, daß die Zahl der Versorgungsberechtigten zurückgegangen ist. Aber seine Meinung, daß die dadurch entstandenen Einsparungen im Haushalt im wesentlichen dazu bestimmt seien, die durch die notwendigen Verbesserungen der Kriegsopferversorgung zu erwartenden Ausgaben abzufangen, kann nicht geteilt werden.
Sie kann so lange nicht geteilt werden, als die Lage der Kriegsbeschädigten, der Kriegerwitwen und -waisen nach wie vor völlig unbefriedigend ist. Es war das gemeinsame Anliegen dieses Hohen Hauses, für die Kriegsopfer endlich eine sozial gerechte Lebensgrundlage zu schaffen. Sie ist bisher nicht erreicht und wird auch dann nicht erreicht werden, wenn für die Verbesserung der Kriegsopferversorgung nur die 140 Millionen DM bereitgestellt werden, in deren Rahmen sich die zur Beratung stehende Gesetzesvorlage der Regierungsparteien bewegt. Hier müssen andere Leistungen vollbracht und andere Mittel bereitgestellt werden, wenn die sozial gerechte Lösung dieses dringenden Problems mit Nachdruck angestrebt wird.
Die Worte des Herrn Bundeswirtschaftsministers in Berlin, daß man insbesondere den Rentenempfängern und den Kriegsopfern aus der allgemeinen staatspolitischen Verantwortung helfen müsse, weil diese Gruppen sich nicht durch Lohnkämpfe selbst helfen könnten, sind durchaus zu begrüßen. Aber mit Worten allein kann das Problem nicht gelöst werden. Die im Etat vorgesehenen Maßnahmen können nur als Anfang gewertet werden.
Der Herr Bundeskanzler hat in der Regierungserklärung im Jahre 1953 eine umfassende Sozialreform als vordringlich bezeichnet.
— Jawohl! — Er hat auch später noch dieses Problem als innerpolitisches Anliegen Nr. 1 bezeichnet. Aber zur Zeit müssen wir doch feststellen, daß wir noch immer weit von der Verwirklichung dieser Zusagen entfernt sind. Das muß mit allem Nachdruck gesagt werden, und das bleibt richtig, auch wenn wir es begrüßen, daß nunmehr endlich, wie aus dem Etat des Herrn Bundesarbeitsministers ersichtlich ist, für diesen Zweck zusätzliche Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden sollen.
— Es ist bezeichnend, daß Ihnen die Notwendigkeit neuer Bauten nur im Zusammenhang mit der Sozialreform angreifbar erscheint.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch die betriebliche Altersfürsorge in Verbindung mit den 1952 verabschiedeten Richtlinien über Bundesbeihilfen erwähnen. Auch in diesem Jahr sind die Mittel um etwa ein Drittel gekürzt worden, und das Bundesarbeitsministerium begründet diese Kürzung damit, daß eine Anzahl Betriebe an der Bundesbeihilfe nicht mehr beteiligt sind. Weiter ist seitens der Regierung schon zum Ausdruck gekommen, daß im Laufe des nächsten Jahres auch die Krupp-Werke aus der Bundesbeihilfe ausscheiden. Dem Bundesarbeitsministerium ist trotz der Preis- und Lohnentwicklung nicht die Erkenntnis gekommen, daß die Bundesbeihilfe völlig unzureichend ist und erhöht werden muß. Hierfür sollten in erster Linie die Mittel zur Verfügung stehen, die durch Ausscheiden von Betrieben eingespart werden.
Nachdem in der Presse, insbesondere im September dieses Jahres, immer wieder betont wurde, daß die Vollbeschäftigung in der Bundesrepublik erreicht sei, und darüber hinaus in den letzten Wochen erneut Meldungen darüber erschienen, daß sich die Regierung über die Beschäftigung fremdländischer Arbeitnehmer Gedanken mache, da bereits im kommenden Jahr ein Arbeitskräftemangel entstehen werde, möchten wir den Herrn Bundesarbeitsminister erneut in aller Deutlichkeit auf die Dauerarbeitslosigkeit der älteren Arbeitnehmer und Angestellten hinweisen.
— Ja, er ist nicht da. Das ist das übliche Bild. Man darf es aber ja hier nicht beanstanden, ohne sich vom Herrn Abgeordneten Rinke den Zuruf „Demagoge" zuzuziehen.
— Also ist die Sache ohne Gefahren, meinen Sie? Gut! — Meine Damen und Herren, ich kann mir zu diesem Problem, das wir ja so oft hier behandelt haben und auch bei anderer Gelegenheit noch behandeln werden, wohl weitere Ausführungen ersparen.
Wie die Bundesregierung zum Problem der Eingliederung steht, dafür gibt es in diesem Haushalt ein weiteres Anzeichen. Man hat es für gut gehalten, die ohnehin so knapp bemessenen Mittel für die Organisationen, die sich mit der Eingliederung der Geschädigten befassen, gegenüber dem Vorjahr um 20 000 DM zu kürzen. Das erinnert uns daran, daß schon bei der letzten Etatberatung Vertriebenenabgeordnete der CDU im Haushaltsausschuß eine Kürzung dieser Position um 50 000 DM durchgesetzt hatten. Und ganz gewiß im Sinne dieser Herren hat sich damals Herr Bundesminister Oberländer beeilt, ausgerechnet am Tage vor der zweiten Lesung eine Neuverteilung der Mittel auf der geschmälerten Basis vorzunehmen, wobei 80 % der Kürzung dem Bund der vertriebenen Deutschen zur Last gelegt wurden, während andere Organisationen Erhöhungen zugebilligt bekamen.
Die Verbände, die sich mit der Eingliederung befassen, sind unbequem. Sie sind auf Grund ihrer Aufgabenstellung darauf angewiesen, allzuviele Forderungen zu erheben. Es ist daher das Bestreben erkennbar, die Kulturarbeit und die sich mit dieser Arbeit vornehmlich befassenden Organisationen in den Vordergrund zu schieben, allerdings auch da, ohne wirklich Ausreichendes zu tun. Kultur hört sich immer gut an, und man kann schon mit wenigen Mitteln etwas Sichtbares aufstellen, während bei den sozialen Anliegen mit solchen Beträgen natürlich nichts getan ist. Deshalb sind die Landsmannschaften bei der Bundesregierung beliebter und angesehener, und den unbequemen Eingliederungsorganisationen, insbesondere dem Bund der vertriebenen Deutschen wird aus der oben gekennzeichneten Sicht „Das Problem ist gelöst" Zukunft und Existenzberechtigung gleichermaßen abgesprochen.
Auch von anderer Seite her wird diese stärkste Vertriebenenorganisation als unbequem und gefährlich angesehen, nämlich vom Westdeutschen Flüchtlingskongreß, von der kommunistischen Tarnorganisation auf dem Sektor der Vertriebenen. Dort wird diese Organisation mit allen Mitteln bekämpft — —