Meine Damen und Herren! Wir haben die Große Anfrage der SPD begrüßt, weil uns in den Fragen unserer Aufrüstung ähnliche Sorgen bedrücken. Wir haben die Pariser Verträge bejaht. Wir treten ein für eine schnelle und gute Aufrüstung, und gerade deswegen haben wir Sorgen. Die Grundsätze, die der Herr Verteidigungsminister hier heute wiederholt hat, die in diesem Hause wiederholt besprochen worden sind, die schließlich auch, zum Teil wenigstens, in Leitsätzen, leider unverbindlichen Leitsätzen, niedergelegt sind, haben immer unsere Billigung gefunden. Aber, Herr Minister, darum handelt es sich nach meiner Ansicht bei der heutigen Aussprache nicht. Es handelt sich darum, ob und wie diese Grundsätze bei dem ersten, zugegebenermaßen kleinen Anfangsprogramm durchgeführt worden sind. Und da muß man, wenn man alle Unterlagen zusammenfaßt, die an uns herangetragen worden sind, mit einem sehr klaren Nein antworten. Bei dem ersten 6000er- Programm sind die Grundsätze nur in ganz beschränktem Umfang wirklich durchgeführt worden. Das ist der Grund der Aussprache, die hier heute stattfinden soll. Wir bedauern das, Herr Minister. Wir sind mit Ihnen gleicher Meinung. Sie haben nämlich erklärt, daß Sie persönlich als Vorkämpfer der Marktwirtschaft aufgetreten sind. Wir bescheinigen Ihnen das und sind auch der Meinung, daß Sie heute noch diese Auffassung haben. Aber entscheidend ist, wie die Auffassung bei Ihren Mitarbeitern, bei dem Gros Ihrer Mitarbeiter ist. Es hat sich gezeigt, daß dort eine ganze Reihe von verschiedenen Auffassungen bestehen. Wenn z. B. einer Ihrer Referenten erklärt: Dieses Gerät habe ich entwickelt, und das muß bestellt werden — unabhängig, das muß hinzugefügt werden, von Preis und sonstigen Umständen --, dann verrät dieser Referent sicherlich nicht
eine Zustimmung zu Ihren marktwirtschaftlichen Gedanken.
In dem hier vorliegenden Fall der Beschaffung für die 6000 Mann ist als Grund für die Abweichung von den Leitsätzen im wesentlichen der Zeitdruck angegeben worden. Das ist eine allgemeine Erklärung. Wenn man unter Zeitdruck steht, wird man nicht alle Vorhaben in der gleichen Gründlichkeit und in der gleichen Form ausführen können, wie wenn man diesem Zeitdruck nicht unterläge; aber wenn man die einzelnen Aufträge konkret betrachtet, kann von einem Zeitdruck nur in ganz beschränktem Maße gesprochen werden.
Herr Minister, sind es marktwirtschaftliche Grundsätze — und ich wundere mich, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister seine Zustimmung dazu gegeben hat —, wenn man Aufträge auf die Beschaffung von Unterkunftsgerät ausgerechnet in der Zeit vor Weihnachten mit ganz kurzen Lieferfristen verteilt, einer Zeit, in der die große Masse der Wirtschaft, der Industrie überbeschäftigt ist? Es hätte doch sicherlich unserer politischen Gesamthaltung keinen Abbruch getan, wenn dieselben Aufträge in den Januar verlegt worden wären und wenn Andernach nicht am 2. Januar, sondern am 2. Februar stände! Das wäre ein marktwirtschaftlicher Gesichtspunkt gewesen, der zu befolgen gewesen wäre, der aber nicht befolgt worden ist.
-- Ich weiß nichts von Angriffen. Meine Ausführungen sind nicht Angriffe, meine Ausführungen
sind Feststellungen zu der Erklärung des Herrn
Ministers, der gesagt hat: Ich bin diesmal von den anerkannten Grundsätzen abgewichen, weil ich unter Zeitdruck gestanden habe. — Ich bestreite es, daß er hier in diesem Fall unter Zeitdruck gestanden hat. Das mag für einige Gegenstände der Fall sein; für die große Masse der zu beschaffenden Geräte bestand kein Zeitdruck. Dadurch sind natürlich die beschafften Gegenstände entweder in der Qualität schlechter oder teurer geworden.
— Ja, das wollte ich gerade sagen. Ich empfehle dem Herrn Minister, festzustellen, wie die Beschaffung erfolgt ist, wo bestellt worden ist und wie das Wunder zustande gekommen ist, daß trotz der kurzen Lieferzeiten — die von den Beteiligten, von allen Fachleuten als viel zu kurz, als unmöglich betrachtet wurden — die Lieferungen rechtzeitig erfolgt sind. Ich empfehle dem Herrn Verteidigungsminister, die Untersuchung persönlich anzustellen.
In diesem Falle wäre eine öffentliche Ausschreibung zumindest für die Geräte, deren Lieferung für den Mittelstand in Frage kommt — ich spreche alle die Kollegen an, die mit mir sich dafür einsetzen, daß bei solchen Aufträgen auch der Mittelstand stärker berücksichtigt wird —, durchaus möglich gewesen. Hier brauchte keine beschränkte Ausschreibung vorgenommen zu werden. Die öffentliche Ausschreibung hätte den Zeitdruck in keiner Weise verstärkt. Es wären natürlich mehr Angebote eingegangen und darunter wahrscheinlich auch billigere. Der Herr Verteidigungsminister sagt, bei den neuen Ausschreibungen, die herausgegangen seien, sei die Forderung nach öffentlicher Ausschreibung berücksichtigt. Das ist richtig. Aber auch hier, Herr Minister, sind wieder zu kurze Fristen vorgeschrieben worden. Je kürzer die Lieferfristen werden, desto geringer ist die Zahl der Bewerber und damit die Möglichkeit, zu einem wirklich guten Angebot zu kommen. Auch bei den neuen Ausschreibungen — Sie haben gesagt, daß Blätter von Ausschreibungen augenblicklich herausgingen — erleben wir, daß zwar nicht mit denselben kurzen Zeiten, aber doch mit Zeiten gearbeitet wird, die nicht angemessen sind, um zu einer wirklich echten Vergabe, zu einer bestmöglichen Beschaffung zu kommen, die wir doch alle gemeinsam erstreben. Wir haben das Gefühl, daß die bisherigen Regelungen nicht dazu ausreichen, das zu erreichen, was der Herr Minister hier selbst als erstrebenswert bezeichnet hat.
Ich muß dann das Amt in Koblenz in Schutz nehmen. Es ist von den Herren Schmidt und Naegel angegriffen worden. Es hat doch nur nach Weisungen gehandelt. Die kurzen Lieferfristen sind doch nicht etwa von dem Amt in Koblenz angesetzt worden, sondern die sind von Bonn aus befohlen worden. Infolgedessen kann man dieses Amt dafür nicht verantwortlich machen.
Die öffentliche Ausschreibung wird leider mitunter auch noch durch andere Dinge eingeschränkt, z. B. durch das beliebte System, das bei der Wehrmacht schon immer üblich war, daß man etwas mit dem Wort „geheim" bezeichnet. Es müßte eine unserer Hauptforderungen sein, daß die Befugnis, eine Sache als geheim zu bezeichnen, nicht der unteren Ebene, sondern nur einem qualifizierten und in einer höheren verantwortlichen Stellung stehenden Beamten zuerkannt wird. Sonst würde sich die in der Öffentlichkeit schon etwas berühmt
gewordene Methode wiederholen, daß der Uniformknopf so lange als geheim bezeichnet wird, bis die Beschaffung einsetzt.
Eine weitere Forderung, die wir erheben, ist, daß die öffentliche Ausschreibung nicht unter allen Umständen auf deutsche Firmen beschränkt wird. Das ist die gleiche Forderung, die auch Herr Minister Erhard vor längerer Zeit hier aufgestellt hat. Es darf nicht so kommen wie in einem mir bekanntgewordenen Fall, wo ein von der technischen Seite sehr befürwortetes Angebot mit der Begründung abgelehnt worden ist, es würden nur deutsche Firmen zur Angebotsabgabe zugelassen. Dabei muß ich betonen, daß von der betreffenden Firma vorher die Versicherung abgegeben worden ist, daß die Ersatzteile für das Gerät von deutschen Firmen hergestellt werden können; es stand also kein Ersatzteilmonopol im Hintergrund. Wenn wir schon innerhalb der NATO unsere Rüstung beschaffen, dann müssen wir auch die Beschaffung auf einer breiten europäischen Ebene ermöglichen, damit wir zu einer günstigen und billigen Beschaffung kommen.
Wir vermissen in den bisherigen Organisationen, die jetzt in dem Sechserausschuß, von dem hier gesprochen worden ist, ihre Zusammenfassung gefunden haben, die Möglichkeit zur aktiven Betätigung in Form eines Steuerungskopfes. Ein Sechserausschuß, der als ein Gemeinschaftsgremium tagt, wird in vielen Fällen nicht zu einer echten Entscheidung kommen. Deswegen würden wir doch eine Organisation befürworten, bei der tatsächlich ein Steuerungskopf vorhanden ist.
Auch die Verbindungsstelle des Wirtschaftsministeriums zu dem Amt in Koblenz hat ihre Mängel. Sie ist mit einem Beamten besetzt, der im Range wesentlich niedriger steht als die meisten in derselben Materie tätigen Beamten des Verteidigungsministeriums. Auch hier kann das Schwergewicht des Wirtschaftsministeriums nur dann geschaffen werden, wenn wir entweder zu ganz anderen Organisationen kommen — ich werde noch darauf kommen — oder wenn wir mindestens diese Verbindungsstelle in ihrem Gewicht ganz beträchtlich verstärken.
Herr Naegel hat erklärt, daß wir uns als Parlament fragen sollten, ob wir alles getan haben, was wir tun könnten, und er hat diese Frage etwas verneint. Ich möchte ihm darin beipflichten. Die Kontrolle über die Rüstungsbeschaffung, die jetzt vorhanden ist, ist die Kontrolle des Bundesrechnungshofes. Er kontrolliert nach allgemeinen Grundsätzen. Er hat gar nicht die Möglichkeit, zu kontrollieren, ob die wirtschaftspolitischen Richtlinien, die wir gemeinsam gegeben haben, eingehalten worden sind. Das ist weder seine Aufgabe, noch liegt es in seiner Möglichkeit. Wir sollten also tatsächlich untersuchen, ob wir auf der parlamentarischen Ebene nicht versäumt haben, noch irgend etwas zu tun. Wir sind der Meinung, daß diese ganze Frage von so großer Bedeutung ist, daß ihre Erörterung nicht mit der Behandlung der Großen Anfrage hier im Parlament heute beendet sein kann. Die anstehenden und von den verschiedensten Seiten angeschnittenen Fragen sollten in den zuständigen Ausschüssen, vor allem also im Ausschuß für Fragen der europäischen Sicherheit und im Wirtschaftspolitischen Ausschuß, noch einmal besprochen werden. Im wesentlichen mit dem Ziel, daß in diesen Ausschüssen noch einmal eine Aussprache erfolgen kann, haben wir folgenden Antrag eingebracht:
Antrag betreffend Verfahren bei Rüstungsaufträgen.
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, dem Bundestag den Entwurf eines Gesetzes vorzulegen, in dem vorzusehen ist, daß
1. öffentliche Vergabestellen bei der Vergabe von Aufträgen der öffentlichen Hand, die Verteidigungsaufgaben dienen, den freien Wettbewerb durch öffentliche Ausschreibung sicherzustellen haben,
2. Ausnahmen von dem Grundsatz der öffentlichen Ausschreibung nur zuzulassen sind, wenn die Eigenart der benötigten Leistungen oder andere wichtige Umstände eine Abweichung zwingend erforderlich machen,
3. die nach Ziffer 2 zulässigen Ausnahmen von dem Grundsatz der öffentlichen Ausschreibung möglichst klar, notfalls durch eine Rechtsverordnung der Bundesregierung, abgegrenzt und festgelegt werden und
4. über die freihändige Vergabe oder die bebeschränkte Ausschreibung im Einzelfall nicht durch die öffentliche Vergabestelle allein entschieden wird, sondern das Bundesministerium für Wirtschaft zu beteiligen ist.
Ich habe diesen Antrag dem Herrn Präsidenten überreicht und bitte Sie, ihn den beiden von mir genannten Ausschüssen zu überweisen.