Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir können mit Genugtuung verzeichnen, daß die Bundesregierung bei ihrer Auffassung beharrt, die sie bereits in ihrer Antwort in der Drucksache 1227 dargelegt hat. Sie beharrt nämlich dar-
auf, daß der Begriff des schweren sittlichen Notstands in dem Reichskonkordat eng auszulegen ist. In bezug auf diesen Punkt hat sie auch gegenüber dem Päpstlichen Stuhl nicht nachgegeben, sondern sie wird, wenn ich recht verstehe, darauf dringen, daß ihre Auslegung des Begriffs anerkannt wird. Aber wir sind uns ja darüber einig, daß wir das Konkordat in den hier vorliegenden Fällen überhaupt ausschalten können. Ich kann auch von einer Behandlung der Frage absehen, ob das Konkordat Rechtsgültigkeit hat oder nicht. Meine eindeutige Auffassung ist die, daß es nicht rechtsgültig ist.
Aber ich glaube, etwas anderes müßte die Bundesregierung tun, und davon ist bis jetzt nicht die Rede gewesen. Herr Kollege Arndt hat auf den Kernpunkt der Sache hingewiesen: Es geht nämlich darum, daß in der Bundesrepublik die Gesetze der Bundesrepublik für a 11 e gelten und daß es keine Kreise gibt, die von diesen Gesetzen ausgenommen sind. Auch der katholische Klerus kann nicht von diesen Gesetzen ausgenommen sein, auch er ist nicht exempt. Das ist die Frage, die in den Verhandlungen bisher nicht behandelt worden ist, soweit ich das aus dem, was der Herr Bundesinnenminister vorgetragen hat, ersehen kann. Der päpstliche Stuhl hat zwar die Pfarrer der Diözese Passau darauf hingewiesen, daß eine Anzeigepflicht gegenüber dem Standesamt vorliegt, wenn unter der Behauptung, daß ein sittlicher Notstand vorliege, eine kirchliche Trauung ohne vorausgegangene obligatorische Ziviltrauung vorgenommen worden ist. Aber das ist gar nicht der entscheidende Punkt. Es ergibt sich nämlich, daß sich die Pfarrer, die die Trauungen vorgenommen haben, bewußt waren und sind, daß sie sich nicht einmal auf das zweifelhafte Konkordat, auf seinen Artikel 26 berufen können; sie wußten auch, daß sie eindeutig gegen deutsche Gesetzesbestimmungen verstoßen haben.
Darauf kommt es doch an.
Ich glaube, wir haben alle Veranlassung, darauf zu drängen, daß die Bundesregierung dafür sorgt, daß deutsches Recht in der Bundesrepublik angewandt wird, daß es nicht verletzt wird und daß man nicht dazu schweigt.
Mir scheint, bei keiner der Vorstellungen zur Auslegung des Art. 26 des Reichskonkordats, deren Begründung von uns gebilligt wird, ist der Kernpunkt behandelt worden: daß nämlich geltende deutsche Gesetze mißachtet worden sind und daß man dagegen nicht angegangen ist. Denn es kommt darauf an, daß der päpstliche Stuhl deutlich erklärt, er billige nicht, daß katholische Pfarrer in der Bundesrepublik gegen das Personenstandsgesetz verstoßen, gegen dessen Gültigkeit niemand Einwendungen erheben kann.
Wir müssen darauf dringen, daß darüber Klarheit geschaffen wird. Mir scheint außerordentlich beachtlich zu sein, worauf bereits hingewiesen worden ist, daß seit vielen Jahrzehnten in einem einzigen Fall gegen die Bestimmung des Personenstandsgesetzes über die obligatorische Zivilehe verstoßen worden ist, während jetzt, in der allerletzten Zeit, bereits acht solche Verstöße vorliegen; acht Fälle, die uns bekanntgeworden sind! Wir sind uns doch darüber im klaren, daß diese Verstöße zufällig bekanntgeworden sind. Denn wir sehen bei den uns bekanntgewordenen Fällen ja schon, wie
sehr man sich bemüht hat, sie zu verheimlichen.
Alle Begleitumstände zeigen uns mit Deutlichkeit, wie sehr man die Trauungen verheimlicht hat. Man hat die Trauung an irgendeiner Stelle vollzogen, wo man hoffen konnte, daß nichts bekanntwerde. Man hat das Standesamt nicht benachrichtigt. Man hat zwar teilweise mit der vorgesetzten Dienststelle Verbindung aufgenommen, aber offenbar die Dinge nicht klargestellt. Ob die vorgesetzte Dienststelle in manchen Fällen doch Bescheid wußte, will ich dahingestellt sein lassen. Jedenfalls hat man alles getan, diese Dinge nicht in die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Man hat also das Gesetz verletzen wollen, ohne gefaßt werden zu können.
Diese Verstöße sind, wie ich schon sagte, zufällig bekanntgeworden. Es ist für mich kein Zweifel, daß sehr viel mehr Fälle vorliegen.
Man kann also die Behauptung aufstellen, daß in diesem Verfahren System liegt.
Ich glaube, das ist das Entscheidende. Dazu können wir einfach aus rechtsstaatlichen Gründen, aus Gründen der Achtung vor unserem eigenen Staat, von allem anderen ganz abgesehen, unter gar keinen Umständen schweigen. Ich muß offen gestehen: ich bin eigentlich etwas erstaunt über die Langmut und — entschuldigen Sie, wenn ich es deutlich sage — über die Gleichgültigkeit der Bundesregierung und des Bundesinnenministeriums.
Schon bei dem ersten Fall haben wir gefragt, warum denn der Bundesinnenminister nicht Veranlassung genommen hat, in aller Öffentlichkeit Stellung zu nehmen, und zwar eindeutig Stellung zu nehmen im Sinne des deutschen Rechts. Damals hat uns der Herr Bundesinnenminister erklärt, das sei ein einzelner Fall, es sei anzunehmen, daß das nun einmal geschehen sei, ohne daß eine besondere Absicht dahinterstecke. Es habe keine Veranlassung bestanden, von Staats wegen etwas zu tun, die Staatsautorität zu wahren. Inzwischen haben wir wer weiß wie viele Fälle, und wir fragen uns: Warum findet jetzt die Bundesregierung keine Veranlassung, in aller Öffentlichkeit, ohne daß hier im Bundestag die Dinge aufgegriffen werden, klar und deutlich Stellung zu nehmen und die Staatsautorität zu wahren?
Wenn wir sehen, wie die Verhandlungen mit dem päpstlichen Stuhl geführt worden sind, so müssen wir sagen: die Verhandlungen gingen nach einer bestimmten Richtung. Sie bezogen sich auf die Auslegung des Konkordats, um das es auch nach der Erklärung des Herrn Bundesinnenministers in diesem Fall gar nicht geht. Die Verhandlungen zielten aber nicht darauf ab, vom päpstlichen Stuhl eindeutig zu verlangen, daß die katholischen Pfarrer in der Bundesrepublik angewiesen werden, die deutschen Gesetze zu achten, zu respektieren, so wie das jeder Staatsbürger tut.
Wir können es, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht dulden, daß sich innerhalb der staatlichen Macht eine zweite Macht auftut, die ihre eigenen Gesetze handhabt
oder die die bestehenden Gesetze bricht, die gegen sie handelt und damit einen eigenen Bereich begründen zu können glaubt.
Wir müssen deshalb darauf bestehen, daß die Regierung in den hier aufgetretenen Fragen eine klare und eindeutige Haltung gegenüber dem päpstlichen Stuhl einnimmt. Wir müssen auch darauf bestehen, zu erfahren, was denn seitens des päpstlichen Stuhls nun eigentlich gesagt worden ist, wie der Wortlaut der Schreiben ist, welches die Begründung gewesen ist. Was uns hier vorgetragen worden ist, ist j a offenbar nicht alles, was geschrieben worden ist. Jedenfalls haben wir das Schreiben nicht im Wortlaut gehört, sondern nur eine Inhaltswiedergabe vernommen. Wir müssen darauf bestehen, daß der Bundestag erfährt, was hier vorgeht.
Es ist an sich, worauf schon hingewiesen wurde, eigenartig, daß das Schreiben der päpstlichen Kanzlei dem Gericht mit der ganz merkwürdigen Begründung nicht bekanntgemacht wird, daß seine Bekanntgabe staatsgefährdend sein könne.
Ich muß mich fragen: Ja, worin soll die Staatsgefährdung liegen? In der Tatsache, daß man das Schreiben mitteilt, oder in der Tatsache, daß in diesem Schreiben Dinge stehen, die an sich staatsgefährdend wirken müßten?
Ich glaube, man kann sich nicht auf diese Weise auf Bestimmungen der Strafprozeßordnung berufen, die ganz anders gemeint sind, und kann nicht auf diese Weise verhindern, daß gewisse Dinge und gewisse Hintergründe aufgeklärt werden.
Ich will, um der Bundesregierung jede Möglichkeit des Ausweichens zu nehmen, im Namen meiner Fraktion folgenden Antrag stellen: Die Bundesregierung wird ersucht, dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten über den Stand und den Verlauf ihrer Verhandlungen mit dem Heiligen Stuhl zu berichten, d. h. also, alles das beizubringen, was in diesem Zusammenhang beizubringen ist, einschließlich des geführten Schriftwechsels.
Ich glaube, der Bundestag, vertreten durch seinen Auswärtigen Ausschuß, hat ein Recht darauf, zu erfahren, was hier vorgegangen ist, was die Bundesregierung tut und was sie in Zukunft zu tun gedenkt. Wir dürfen als Vertretung des Volkes erwarten, daß die Bundesregierung die ihr obliegende Pflicht, die Rechte des Staates zu wahren, erfüllt. Man darf da nicht mit halben Maßnahmen kommen und versuchen, Fälle, die außerordentlich gravierend sind, als harmlos darzustellen.