Meine Damen und Herren! Ich muß zu meinem Bedauern die Fragestunde abbrechen. Die nicht beantworteten Fragen 16 bis 28 werden schriftlich beantwortet werden. Ich darf anheimgeben, sie unter Umständen neu zu stellen.
Damit kommen wir zum nächsten Punkt der Tagesordnung. Punkt 2 ist abgesetzt. Ich rufe auf Punkt 3:
Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Verstöße gegen das Personenstandsgesetz .
Zur Begründung der Großen Anfrage hat Herr Abgeordneter Dr. Arndt das Wort.
Dr. Arndt , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anfang dieses Jahres haben die Fraktionen der Freien Demokratischen Partei und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in den Kleinen Anfragen 151 und 156 die Bundesregierung auf den Fall des katholischen Pfarrers Neun aus Tann in Niederbayern hingewiesen und die Bundesregierung gefragt, was sie zu tun gedenke, um zu sichern, daß die Vorschriften des Personenstandsgesetzes über die obligatorische Zivilehe beachtet werden. Die Bundesregierung hat diese Kleinen Anfragen am 24. Februar 1955 mit der Drucksache 1227 beantwortet. Sie hat am Schluß ihrer Stellungnahme insbesondere erklärt:
Die Bundesregierung
— so schreibt Herr Bundesminister des Innern Dr. Schröder —
wird durch die Deutsche Botschaft am Vatikan beim Heiligen Stuhl entsprechende Vorstellungen erheben.
Im übrigen liegen keine Anzeichen dafür vor, daß die anderen Ordinariate der Katholischen Kirche die sogenannten „Onkel-Ehen" abweichend von ihrer bisherigen Haltung als Fälle „sittlichen Notstandes" behandeln wollten.
Weitere Fälle gleicher Art sind nicht bekanntgeworden. Für die Bundesregierung bestand bei dieser Sachlage kein Anlaß, von sich aus zu diesem Einzelfall in der Öffentlichkeit Stellung zu nehmen.
Die Annahme der Bundesregierung, daß es sich bloß um einen Einzelfall handle, erwies sich inzwischen als irrig. Die Tat des Pfarrers Neun aus Tann, der kirchlicherseits bisher nicht gemaßregelt, sondern befördert wurde,
ist leider keineswegs nur ein Einzelfall. Außer dem Pfarrer Neun, der mit Billigung des Generalvikars Dr. Riemer vom Bischöflichen Ordinariat Passau eine Trauung in Altötting vor der standesamtlichen Eheschließung durchführte, haben in entsprechender Weise Einsegnungen vorgenommen der katholische Pfarrer Alois Antholzer am 22. April 1954 in Kirchseeon, der Pfarrer Alois Huber mit, wie er behauptet, Billigung des Generalvikars Fuchs vom Erzbischöflichen Ordinariat München-Freising im Sommer 1954 in Oberpframmern, der Pfarrer Franz Wagenhäuser am 2. Februar 1952 in Frankfurt am Main, der katholische Studienrat Dr. Eduard Sattler aus Regensburg am 22. Mai 1954 in Falkenstein, der Geistliche Rat Josef Heigl am 30. August 1953 sowie am 9. Juni 1954 und am 13. September 1955 in Falkenstein, also in drei Fällen in drei verschiedenen Jahren.
Sechs verschiedene Geistliche in Bayern und in Hessen haben in acht verschiedenen Fällen gegen das Personenstandsgesetz verstoßen. Bedauerlicherweise läßt sich die Besorgnis nicht mehr von der Hand weisen, daß sich noch mehr derartige Vorkommnisse ereignet haben. Auch handelt es sich nicht allein um sogenannte „Onkel-Ehen".In einem Falle ist die Einsegnung vorgenommen worden, weil die Beteiligten behaupteten, am nächsten Tage nach den Vereinigten Staaten von Amerika fliegen zu müssen. In einem anderen Falle ist ein Minderjähriger gegen den Willen der Eltern und wahrscheinlich entgegen der Entscheidung der. staatlichen Behörden getraut worden.
Alle diese Fälle sind in auffallender Weise durch gleichartige Merkmale gekennzeichnet. Erstens sind die Einsegnungen zumeist in der Heimlichkeit an Orten und in Kirchen vorgenommen worden, wo keine Zuständigkeit für die Eheschließung bestand.
Zweitens ist jedesmal eine Mitteilung an das Standesamt unterblieben. Drittens haben Staat und Öffentlichkeit deshalb jeweils erst nach längerer Zeit und nur durch Zufall von diesen Vorkommnissen etwas erfahren.
Die Bundesregierung hat auf die von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion inzwischen eingebrachte Kleine Anfrage 183 nach dem Inhalt und dem Ergebnis der beim Heiligen Stuhl erhobenen Vorstellungen am 11. Juli 1955 mit der Drucksache 1607 geantwortet.
Die Bundesregierung
— schreibt Herr Bundesaußenminister Dr. von Brentano —
hat durch die Botschaft beim Heiligen Stuhl das Päpstliche Staatssekretariat von ihrer Auffassung unterrichtet, daß Artikel 26 des Reichskonkordats im Falle Tann keine Anwendung finde und daß in derartigen Fällen eine Berufung auf die Bestimmungen des Reichskonkordats nicht angängig sei. Der sich an diese Vorstellungen anschließende Gedankenaustausch mit dem Päpstlichen Staatssekretariat ist noch nicht abgeschlossen.
Seither sind vier Monate verstrichen, ohne daß ein Ergebnis bekanntgeworden wäre, obgleich die Sachlage und die Rechtslage denkbar einfach sind; denn, meine Damen und Herren, es, handelt sich doch schlicht um die Frage, ob in Deutschland die deutschen Gesetze für alle gelten oder ob der Klerus exempt ist.
Diese beunruhigende Verzögerung soll darauf zurückzuführen sein, daß die Kurie nicht nur zum Einzelfall des Pfarrers Neun aus Tann, sondern auch zu dem umfassenderen Problem der obligatorischen Zivilehe in Deutschland Stellung genommen und sich zum deutschen Personenstandsrecht kritisch geäußert habe. Nach einer aus München datierten Meldung der Deutschen Presse-Agentur vom 26. Oktober soll das strafgerichtliche Verfahren gegen Pfarrer Neun deshalb stocken, weil das Auswärtige Amt das Verlangen der Strafkammer des Landgerichts Passau, die Note des Päpstlichen Staatssekretariats bekanntzugeben, mit der Begründung abgelehnt habe, daß es nicht statthaft sei, amtliche Schriftstücke vorzulegen, wenn ihre Veröffentlichung dem Wohl des Bundes schaden würde.
In der Tat hat das Auswärtige Amt am 13. Juli 1955 folgendes Schreiben an das Landgericht Passau gerichtet:
Das Auswärtige Amt bedauert, gemäß § 96 der Strafprozeßordnung dem dortigen Ersuchen um Überlassung einer Antwortnote des Päpstlichen Staatssekretariats nicht entsprechen zu können.
Nun, es wird von besonderem Interesse sein, vom Auswärtigen Amt zu erfahren, inwiefern die Bekanntgabe einer Note des Päpstlichen Staatssekretariats dem Wohl der Bundesrepublik Deutschland abträglich sein könnte.
Unter diesen Umständen rechtfertigt es sich, durch eine Große Anfrage von der Bundesregierung Aufklärung über sämtliche bisher entdeckten Verstöße gegen das Personenstandsgesetz zu begehren und grundsätzlich von der Bundesregierung zu hören, welche Schritte sie beim Heiligen Stuhl unternahm und erforderlichenfalls noch unternehmen wird, um sicherzustellen, daß weitere Verstöße gegen das seit 1875 in Deutschland geltende Personenstandsrecht unterbleiben.
Diese Fragen sind unabhängig von dem Streit, ob das Reichskonkordat von 1933 je wirksam wurde und noch gilt; denn jenes Reichskonkordat könnte hier aus mehrfachen Gründen nicht in Betracht kommen. Erstens hätten die Geistlichen, falls sie sich auf das Reichskonkordat hätten berufen wollen, gerade nach dem Konkordat die Pflicht gehabt, unverzüglich im Anschluß an die kirchliche Einsegnung das Standesamt zu benachrichtigen. Das aber ist, soweit ich weiß, in keinem Fall geschehen, woraus hervorgeht, daß die Geistlichen selber nicht der Meinung sein konnten, im Schutz eines Konkordats zu handeln.
Zweitens hat die Bundesregierung in ihrer Antwort vom 24. Februar 1955 mit erfreulicher Klarheit anerkannt, daß auf Grund des Schlußprotokolls zu Art. 26 des Reichskonkordats ein schwerer sittlicher Notstand nicht daraus hergeleitet werden kann, daß im Falle einer standesamtlichen Eheschließung die Ehefrau einen Rentenanspruch verlieren würde.
Drittens hätte auch das Reichskonkordat am Prinzip der obligatorischen Zivilehe sowie an der Fortgeltung der Strafvorschrift in § 67 des Personenstandsgesetzes nichts geändert. Im Gegenteil, nicht einmal in dem mit Hitler am 20. Juli 1933 verabredeten Reichskonkordat hat der Vatikan sich ausbedungen, daß vom Prinzip der obligatorischen Zivilehe in Deutschland abgegangen oder gar die Strafvorschrift in § 67 des Personenstandsgesetzes aufgehoben werden solle. Der Streit um das Reichskonkordat spielt deshalb in diesem Zusammenhang keine Rolle. Es hieße vielmehr eine klare Frage nur verwirren, würde man ohne Grund und ohne Not die mit religiösen Überzeugungen beschwerte und auch staatspolitisch delikate Erörterung des Reichskonkordats hier einbeziehen.
Die Grundlage unserer Anfrage und ebenfalls der von der Bundesregierung erbetenen Antwort kann somit einzig und allein das in Deutschland seit nunmehr 80 Jahren in seinen Grundzügen geltende und auf dem Prinzip der obligatorischen Zivilehe beruhende Personenstandsrecht sein. Dieses deutsche Personenstandsrecht, das eine kirchliche Einsegnung vor der standesamtlichen Eheschließung nicht zuläßt, ist Jahrzehnte hindurch — also auch ohne Konkordat — von den Kirchen einschließlich der katholischen Kirche geachtet worden, weil es eine friedenstiftende Aufgabe erfüllt, die auch vom Standpunkt der katholischen Kirche aus, wenn ich das sagen darf, wie er insbesondere in der Enzyklika Immortale Dei des Papstes Leo XIII. vom 1. November 1885 zum Ausdruck kommt, als Recht und Pflicht des Staates anerkannt wird. Das Prinzip der obligatorischen Zivilehe und seine gesetzliche sowie für den Notfall strafgesetzliche Sicherung steht in unlösbarem Zusammenhang damit, daß Deutschland seit dem vor 400 Jahren geschlossenen Augsburger Religionsfrieden ein konfessionsgespaltenes Land ist, wo heutzutage Ungläubige und Gläubige sowie Men-
sehen verschiedener Konfessionen — Evangelische, Katholiken, Humanisten, Mosaische — als Staatsbürger zusammenleben müssen und wollen.
Um dieses Grundsätzliche geht es, das zu bewahren unser gemeinsames Anliegen sein sollte, nicht aber um Einzelfälle der einen oder anderen Verfehlung. Bedenkt man, daß aus einer Vergangenheit von acht Jahrzehnten nicht mehr als nur ein einziger Verstoß bekanntgeworden ist, wir uns jetzt aber einer plötzlichen und seltsam gleichartigen Häufung von Verletzungen des Personenstandsgesetzes gegenübersehen, so muß unsere Sorge um das Grundsätzliche verständlich sein und gewürdigt werden.
Unsere Sorge ist um so berechtigter, als diese Ereignisse in unverkennbarer Weise mit anderen Zeichen zusammentreffen. Alsbald nach der Bundestagswahl vom 6. September 1953 sind in der Öffentlichkeit Stimmen laut geworden, die sich gegen den zeitlichen Vorrang und gegen die Unerläßlichkeit der standesamtlichen Eheschließung aussprachen. Ja, ein Hochschullehrer hat sogar die Vereinbarkeit des Personenstandsgesetzes, soweit es die obligatorische Zivilehe vorschreibt, mit der in Art. 4 des Grundgesetzes als Grundrecht verbürgten Freiheit der Religionsausübung bestritten. Es ist dankbar anzuerkennen, daß die Bundesregierung diesen Äußerungen sofort öffentlich sowie insbesondere bei der Einbringung einer Novelle zum Personenstandsgesetz und bei deren Beratung eindeutig und mit Nachdruck entgegengetreten ist. Jene Stimmen sind gleichwohl nicht verstummt. Daß der Bundestagsausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht, wenn auch nicht als federführender Ausschuß und wenn auch mit einer knappen Mehrheit nur seiner CDU/CSU-Mitglieder, beschlossen hat, jede Sanktion hinsichtlich einer Verletzung des Prinzips der obligatorischen Zivilehe solle durch ersatzlose Streichung des § 67 des Personenstandsgesetzes künftig wegfallen, hat diesen Stimmen einen neuen Anhalt gegeben, zumal die verehrte Kollegin Frau Dr. Helene Weber wiederholt im Rechtsausschuß angedeutet hat, sie behalte sich vor, das Problem der obligatorischen Zivilehe noch aufzurollen. Auch beobachten wir nicht ohne tiefe und berechtigte Besorgnis ähnliche Vorgänge in unserem sozialen Leben sowie die Angriffe, die in der benachbarten Bundesrepublik Österreich gegen das dort geltende Personenstandsrecht, insbesondere auch dort gegen die standesamtliche Eheschließung, gerichtet werden.
Alle diese Tatsachen, alle diese Anzeichen, alle diese Ungewißheiten zwingen dazu, alsbald und rechtzeitig Klarheit zu schaffen. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie sich zu dem in Deutschland geltenden und bewährten Recht des Personenstandswesens und seiner Unverbrüchlichkeit bekennt. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie um des Friedens zwischen Staat und Kirche willen unverzüglich und zweifelsfrei sicherstellt, daß die Beachtung des Personenstandsgesetzes mindestens künftig gewährleistet wird.